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Luft nach oben. Die Chefs der rot-rot-grünen Koalition – Klaus Lederer, Ramona Pop und Michael Müller – haben an ihrem ersten Tag vor allem eins versprochen: gutes Regieren. Foto: Paul Zinken/dpa
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Berliner Staatssekretär mit Stasi-Vergangenheit: Rot-Rot-Grün steht fast vor dem Scheitern

Der Start führt ins Chaos. Die Berliner Koalition ist am Fall Andrej Holm fast zerbrochen. Nun geht es im Berliner Rathaus ans Zusammenkehren der Scherben. Die Verletzungsgefahr bleibt hoch.

In Scherben brachen die Scheiben. Und mit ihnen die Illusionen von einem besseren Sozialismus, damals, als vor 27 Jahren Bürger die Berliner Stasi-Zentrale in Lichtenberg mit all ihrer neuen Macht erstürmten – und als schon mit dem ersten Blick in das Verborgene gewahr wurde, in einem Staat des verordneten Misstrauens gelebt zu haben.

In Scherben brachen die Pläne. Und mit ihnen die Hoffnungen auf eine bessere Stadtregierung an einem Wochenende genau 27 Jahre später, als ein Staatssekretär mit angeschlagener Glaubwürdigkeit all seine neue Macht wieder verloren geben muss – und als einer erbittert streitenden Stadtöffentlichkeit gewahr wurde, von einer Koalition des selbst gewählten Misstrauens regiert zu werden.

Andrej Holm soll entlassen werden

Andrej Holm soll entlassen werden - oder zurücktreten. Weil sein Umgang mit einer (womöglich nur geringen) Stasi-Belastung zur (immer größeren) Dauerbelastung wurde für eine durch drei geteilte Regierung in einer einst zweigeteilten Hauptstadt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller hatte sich, selbst innerparteilich unter Druck, am Sonnabend dazu entschlossen, Holm für untragbar zu erklären. Ein Machtwort sollte das sein, ein Zeichen neuer Führungsstärke. Leider mit schlechtem Timing. Jetzt steht das rot-rot-grüne Bündnis, das sich vorgenommen hat, ,„die Stadt gemeinsam zu gestalten“, wie es im Koalitionsvertrag heißt, fast vorm Scheitern.

Die Linken empfinden die öffentliche Erklärung als Schlag. Am Sonntagmorgen trifft sich die Parteispitze wie jedes Jahr an der Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde, um an die ermordeten Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu erinnern. Es schneit leicht, als sich die neue Linken-Landeschefin Katina Schubert, Klaus Lederer, die Senatorinnen und Fraktionschefs am Grab versammeln und einen Strauß roter Gerbera niederlegen.

Viel Zeit bleibt nicht. Am Mittag ist bereits das nächste Krisengespräch in der Parteizentrale angesetzt, es wird sich über Stunden ziehen. Die Lage sei ernst, heißt es am Nachmittag. Man habe alle Facetten des Konflikts „rauf und runter diskutiert“, berichten Teilnehmer, aber nichts sei entschieden. Zunächst wolle man sich mit den Koalitionspartnern SPD und Grüne noch einmal besprechen. Wie es weitergehen könnte. Ob es überhaupt weitergeht, blieb offen.

Für die Linke geht es um eine Grundsatzentscheidung

Für die Linken geht es um eine Grundsatzentscheidung: Holm oder Koalition? Damit bleiben sie am Sonntag auf sich gestellt. Die grüne Wirtschaftssenatorin Ramona Pop sagt vorerst nichts mehr. Und die Senatssprecherin Claudia Sünder versichert für ihren Chef im Roten Rathaus, dass man „schnell wieder zum guten Regieren kommen will“.

Am Sonnabend, 14.30 Uhr, erreicht die Krise ihren vorläufigen Höhepunkt, als der Regierende Bürgermeister Michael Müller die Entlassung des Staatssekretärs Andrej Holm ankündigt. Erst wenige Minuten zuvor habe Müller den direkt betroffenen Koalitionspartner informiert, beschwert sich der Bürgermeister und Ex-Landeschef der Linken, Klaus Lederer, abends im RBB-Fernsehen. Zwei Tage Aufschub hatten die Linken noch per SMS erbeten, das wurde ihnen nicht gewährt. Nach der Sendung legen die vier Landes- und Fraktionschefs in einer gemeinsamen Erklärung nach: Müller habe „die ohnehin schwierige Situation verschärft“, seine Ankündigung sei „für uns sehr überraschend“ gekommen.

Auch in den Parteigremien und an der Basis reagieren viele enttäuscht und verbittert, es wird „Solidarität für Holm“ gefordert. Man müsse nicht um jeden Preis koalieren, es wären auch Neuwahlen möglich – dann würden SPD und Grüne schon sehen, was sie davon hätten. Solche Stimmen mögen nicht mehrheitsfähig sein, aber sie setzen den Landesvorstand und das linke Regierungsteam um Lederer unter Druck.

Völlig überrascht dürften sie nicht sein

Völlig überrascht dürfte die Linke aber von der Entscheidung des Regierenden nicht gewesen sein. Spätestens am Dienstag, als Müller, Lederer und Pop vor die Presse traten, um ihr Regierungsprogramm für die ersten hundert Tage zu verkünden, dürfte allen Beteiligten klar gewesen sein, dass die von Selbstkritik weitgehend freien Interviews und öffentlichen Auftritte Holms nicht nur Müller auf die Nerven gingen. Er „ringe mit sich“, sagte der Regierende – und die Warnung war kaum zu überhören.

In der Plenarsitzung machte dann eine junge Abgeordnete aus Weißensee, Clara West, in einer fulminanten Rede den Linken schwere Vorwürfe, die ihre Wirkung nicht verfehlten: „Warum haben Sie Andrej Holm nicht dabei geholfen, mit allen Punkten der Vergangenheit reinen Tisch zu machen?“, fragte West. „Hat man vielleicht das Risiko gescheut? Oder waren Sie sich vielleicht dieses Risikos nicht bewusst? Vielleicht war Ihnen das ja auch egal? Vielleicht haben Sie ja auch einfach gedacht: Wir machen das, weil wir es können, wir zeigen denen einfach mal, dass wir uns was trauen. Was auch immer das Kalkül gewesen sein mag: Es ist nicht aufgegangen. Jetzt ist der politische Schaden da, und der ist erheblich.“

In den Reihen der Linksfraktion – Schweigen. Es war ein Scherbengericht. Als diese Rede gehalten wurde, wussten Lederer und Pop bereits, dass sich der Regierende von seiner Entscheidung nicht mehr abbringen lassen würde. Einen Tag später wurden beide über die Erklärung Müllers informiert, die in der Senatskanzlei ausgearbeitet wurde. Pop war damit einverstanden. Lederer hat, nach allem was bekannt ist, nicht widersprochen. Eigentlich war geplant, den Fall schon Freitagabend abzuschließen, aber Müller wartete noch einen Tag. Vielleicht in der Hoffnung, dass Holm von sich aus aufgeben würde.

Das wäre ein halbwegs eleganter Ausweg aus der Krise gewesen. Angeblich war Holm auch bereit, noch vor der Senatssitzung am Dienstag seinen Rücktritt einzureichen. Ob sich das jetzt erledigt hat, ist offen. Holm schweigt. Seine Frau twittert stellvertretend einen Satz, der die Enttäuschung erspüren lässt: „Es gibt Momente, die zeigen sehr schön, mit wem du in Zukunft nicht so viel zu tun haben möchtest.“

Wenn Holm nicht wieder zur Uni kann, bleibt ihm nichts

Machtwort. Staatssekretär Andrej Holm soll gehen. Der Umgang mit seiner Stasivergangenheit wurde zur Dauerbelastung. Foto: Imago
Machtwort. Staatssekretär Andrej Holm soll gehen. Der Umgang mit seiner Stasivergangenheit wurde zur Dauerbelastung. Foto: Imago
© imago/Christian Ditsch

Scheitert das Dreierbündnis in Berlin, das angeblich für den Bund ein Vorbild für gutes Regieren sein soll? Seine Partei müsse sich jetzt zwischen Holm und Rot-Rot-Grün entscheiden, sagte Lederer am Sonnabend. Trotz dieser Drohgebärde wird die Koalition wohl knapp am Bruch vorbeischrammen. Aus Müllers und Pops Umfeld ist zu hören: Die Linke sei am Zug, der Koalitionspartner müsse intern klären, was er wolle. Da sei es momentan besser, sich rauszuhalten.

Und so wird sich das Krisenmanagement noch hinziehen. Am Montag tagt der SPD-Landesvorstand, am Dienstag der Senat und die Parteiführung der Linken. Auch die Grünen wollen sich besprechen und die Fraktionschefs sind zum Wochenbeginn verabredet. Alle hoffen auf den Befreiungsschlag. Und fragen sich: Wie konnte das passieren? Wie konnte eine eher nachgeordnete Personalie den Senat so schnell und so sehr in Unordnung bringen? Es ist ein Fall, an dem man viel über das Leben lernen kann, über Politik, die Dynamik von Debatten, auch über Berlin. Die Causa Holm ist ein Einzelfall mit Allgemeingültigkeit. Weil alles gut hätte enden können, als Versöhnungsgeschichte. Und doch unversöhnlich persönlich geworden ist.

Alles beginnt kurz vor der Ernennung zum Staatssekretär

Der ganze Fall beginnt kurz vor Holms Ernennung zum Staatssekretär. Am 13. Dezember beruft Bausenatorin Lompscher, die damit nun auch in Erklärungsnot kommt, Holm und twittert danach ein Foto der beiden aus dem neuem Amtszimmer – versehen mit dem trotzigen Zusatz: „Es ist vollbracht. Und los geht’s.“ Von diesem Zeitpunkt an ist Holm fast ausschließlich mit der Aufarbeitung seiner eigenen Biografie beschäftigt. Einen Tag später folgen die ersten Bedenken der Grünen, dann gibt es die erste Rücktrittsforderung aus der SPD. Doch man will erst die erneute Überprüfung der Humboldt-Universität abwarten, dann doch wieder nicht.

Einen Tag vor der Ernennung verschiebt sich die Debatte. Es ist nicht mehr nur wichtig, dass Holm als Jugendlicher inmitten des Revolutionsherbstes 1989 eine Offizierskarriere bei der Stasi aufgenommen hatte – beginnend mit einer militärischen Grundausbildung, fortgesetzt mit einem Dienst bei der Stasi-Bezirksverwaltung, bei dem er nach eigener Erinnerung nur in einer Schreibstube saß, Betriebsberichte zusammenfasste und dabei niemand geschadet habe.

Viel gewichtiger als diese Erinnerungsdetails ist die dokumentierte Tatsache, dass Holm bei seiner Anstellung an der Humboldt-Universität 2005 seine hauptamtliche Tätigkeit verneint und die falsche Angabe gemacht hatte, bloß Wehrdienst beim Stasi-Wachregiment „Feliks Dzierzynski“ absolviert zu haben. Die Öffentlichkeit und die Koalition bewegt längst die Frage: Hatte Holm wissentlich oder unwissentlich nicht die Wahrheit gesagt?

Müller versucht zunächst, das Problem von sich zu schieben. Der Linken geht langsam auf, dass Holm „als Politiker noch üben muss“. Das wird etwa deutlich, als er auf die Frage, wie er als Personalverantwortlicher damit umgehe würde, wenn seine Mitarbeiter falsche Angaben machen, lapidar sagt: Für Personalfragen sei die andere Staatssekretärin in der Bauverwaltung zuständig. Eine Äußerung, die bei führenden Beamten in der Verwaltung für ungläubiges Lachen sorgte. Zu diesem Zeitpunkt, als die stark polarisierende Debatte über Holm weit vorangeschritten war, hatte Holm alle Möglichkeiten eingebüßt, seine Vorstellungen sozialer Mietenpolitik noch im Senat und in der Stadt durchzusetzen.

War das Naivität oder Chuzpe?

War das Naivität oder Chuzpe? Oder ist hier am Ende einfach nur einer schlecht beraten auf dem Weg in ein hohes Staatsamt? Eigentlich sei er gar nicht beraten worden, lässt Holm durchblicken. Zumindest nicht von der Linken, die den Gentrifizierungskritiker aufgestellt, ihn ja wohl erst zu dem Wagnis überredet hatte, ohne sich auf die in erwartbare Stasi-Debatte vorzubereiten. Und die Koalition ist längst entzweit über sich selbst – nicht nur wegen ihm und seinem lückenhaften Erinnerungspuzzle.

„Wir hätten wohl die Akte besser lesen müssen“, gibt Lederer an diesem Wochenende erstmals zu. Eine Einsicht, die spät kommt und auch nicht mehr den Kern der Sache trifft. Selbst Stasi-Opfer gestanden während der wochenlangen Debatte zu, dass nach 27 Jahren auch eine mildere Bewertung greifen könne, dass selbst ein Stasi-Wehrdienstleistender unter Umständen Staatssekretär werden könne – aber dass dazu Ehrlichkeit gehöre, auch ein aufrichtiges Bedauern. Genau das fehlte bei Holm. Und deshalb sah sich auch Müller nach langem Zaudern und Zögern gezwungen, ein Machtwort zu sprechen. Dem Vorwurf der Führungsschwäche hat er mit seiner Erklärung am Sonnabend entgegengewirkt. Der Preis dafür ist hoch.

Es ist der Donnerstag vergangener Woche, als die neue Regierung unter dem Label #r2g mit einer denkwürdigen Debatte der Selbstzerfleischung ihre Arbeit aufnimmt. Im Abgeordnetenhaus hält SPD-Fraktionschef Raed Saleh im Stile eines Volkstribuns eine Rede quer zur Regierungslinie, quer zur zurückhaltenden Haltung von Grünen und Linken zur Videoüberwachung, quer zum verabredeten Umgang mit abgelehnten oder straffällig gewordenen Asylbewerbern, quer zu Michael Müller, den Rivalen Salehs. Die Opposition applaudiert begeistert mit der SPD, auf den Regierungsbänken herrscht Schockstarre, Müller steht wieder mal düpiert als Zögerer da. Die Affäre Holm, die nicht seine ist, erwähnt Saleh vielsagend mit keinem Wort.

Und Andrej Holm? Er kann nur hoffen, dass die Humboldt-Uni Gnade vor bisher praktizierten Recht ergehen lässt und er wenigstens seinen Job als Wissenschaftler doch noch behalten kann.

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