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 Das Klettern, sagt Michel Götz, 64, habe ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“.
© Kitty Kleist-Heinrich

Extremsport im Alter: Rentner am Limit

Mit 64 an der Kletterwand, mit 73 beim Triathlon. Verrückt geworden? Im Gegenteil.

Vor der Kletterwand wärmen sie sich auf. Liegestütze, die linke Hand auf dem Boden, die andere ausstrecken, der rechte Fuß auf dem Boden, den anderen ausstrecken. Und umgekehrt. Der Trainer hat Musik mitgebracht, „The Passenger“ von Iggy Pop bringt das Dutzend Kletterer, die meisten deutlich über 50, auf Tempo: tapp, tapp, tapp, jetzt hüpfen sie auf der Stelle. Zwanzig Minuten für Kraft und Kreislauf. Michel Götz, 64, zieht die Kapuzenjacke mit der Aufschrift „Kletteroldies“ aus und sagt, er gehe sich jetzt, nach dem Aufwärmen, mal „einklettern“. Seit zwei Jahren betreibt er die Kletterei, sie ist mehr Leidenschaft als Sport für ihn.

Götz klettert ein paar Meter quer über die Wand. Dann nimmt er sich mit seinem Trainingspartner eine Route an der Wettkampfwand vor. Tritte und Haltepunkte sind pink gefärbt, unten, am Einstieg, ist sie mit 6+ bezeichnet – nichts für Anfänger. Mit den drückend engen Kletterschuhen an den Füßen steht er stabil auch auf Haltepunkten, die nur wenige Zentimeter aus der Wand herausragen.

Michel Götz ist ein kleiner, schlanker Mann mit Brille, Dreitagebart und einer scharf geschnittenen Nase. Und mit Sonnenbräune im Gesicht. Vor Kurzem erst ist er aus Südafrika zurückgekehrt. Auch da war er klettern, am Tafelberg bei Kapstadt. „Ausgesetzt“ fühle man sich in der senkrechten Wand, ungeschützt vor Wind und Sonne, am Seil gesichert und doch losgelöst. „Ich hab’s genossen“, sagt Götz, „ein fantastisches Gefühl.“

Spielt er gern mit seinem Leben? In seinem Alter? So sieht er das nicht. Im Klettern sucht er das Neue, und er versucht, seine Grenzen zu verschieben. Längst leben viele so wie er. Die Alten lassen sich durch ihr Alter von nichts mehr abhalten.

Vor der Kletterwand wärmen sie sich auf. Liegestütze, die linke Hand auf dem Boden, die andere ausstrecken, der rechte Fuß auf dem Boden, den anderen ausstrecken. Und umgekehrt. Der Trainer hat Musik mitgebracht, „The Passenger“ von Iggy Pop bringt das Dutzend Kletterer, die meisten deutlich über 50, auf Tempo: tapp, tapp, tapp, jetzt hüpfen sie auf der Stelle. Zwanzig Minuten für Kraft und Kreislauf. Michel Götz, 64, zieht die Kapuzenjacke mit der Aufschrift „Kletteroldies“ aus und sagt, er gehe sich jetzt, nach dem Aufwärmen, mal „einklettern“. Seit zwei Jahren betreibt er die Kletterei, sie ist mehr Leidenschaft als Sport für ihn.

Götz klettert ein paar Meter quer über die Wand. Dann nimmt er sich mit seinem Trainingspartner eine Route an der Wettkampfwand vor. Tritte und Haltepunkte sind pink gefärbt, unten, am Einstieg, ist sie mit 6+ bezeichnet - nichts für Anfänger. Mit den drückend engen Kletterschuhen an den Füßen steht er stabil auch auf Haltepunkten, die nur wenige Zentimeter aus der Wand herausragen.

Michel Götz ist ein kleiner, schlanker Mann mit Brille, Dreitagebart und einer scharf geschnittenen Nase. Und mit Sonnenbräune im Gesicht. Vor Kurzem erst ist er aus Südafrika zurückgekehrt. Auch da war er klettern, am Tafelberg bei Kapstadt. „Ausgesetzt“ fühle man sich in der senkrechten Wand, ungeschützt vor Wind und Sonne, am Seil gesichert und doch losgelöst. „Ich habs genossen“, sagt Götz, „ein fantastisches Gefühl.“

Gleitschirmflieger kennen keine Altersgrenze

 Das Klettern, sagt Michel Götz, 64, habe ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“.
Das Klettern, sagt Michel Götz, 64, habe ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“.
© Kitty Kleist-Heinrich

Spielt er gern mit seinem Leben? In seinem Alter? So sieht er das nicht. Im Klettern sucht er das Neue, und er versucht, seine Grenzen zu verschieben. Längst leben viele so wie er. Die Alten lassen sich durch ihr Alter von nichts mehr abhalten. Das zeigt sich gerade in den Risikosportarten. Schon vor zehn Jahren berichtete das Internetmagazin „55plus“, die Risikobereitschaft älterer Menschen steige „mit zunehmender Bildung“. Auch wenn der Zusammenhang nicht erklärt wurde: Für die damals 60- bis 70-Jährigen gelte, dass „nur 57 Prozent“ der Befragten mit Abitur Risikosportarten ablehnten. In den Bergen verunglückten einer Schweizer Statistik zufolge von 2000 bis 2014 beim Bergsteigen 41 Menschen, die die 60 überschritten haben, vier von ihnen siebzig und älter. Traurige Einzelfälle, gewiss, aber auch Ausdruck einer eher jugendlich wirkenden Bereitschaft, sich in Gefahr zu begeben. Gleitschirm- oder Drachenflieger kennen keine Altersgrenze. Im Juni 2015 stürzte in der Pfalz ein 75 Jahre alter Drachenflieger tödlich, im November ein 68-Jähriger in Bayern.

Soziologen haben den Trend noch nicht bemerkt. Die Soziologen dieser Entwicklung sind die Sportmediziner - und zugleich ihr Reparaturbetrieb. Der Eingangsbereich des „Sporthopaedicum“ an der Bismarckstraße in Berlin-Charlottenburg wirkt weniger wie eine sportärztliche Praxis als wie eine Ruhmeshalle des Leistungssports. Wer in der eleganten Sitzlandschaft wartet, sieht sich umgeben von Triathleten auf Fotos in Plakatgröße. 15 Fußballer-Trikots hinter Plexiglas, Aufnahmen von Wasserballern, eingerahmt das T-Shirt des Kraftsportlers Wilfried Pleske, der noch im Seniorenalter an Wettbewerben im Bankdrücken teilnimmt und 2015 bei den Deutschen Meisterschaften mit 137,5 Kilo auf der Hantel Platz eins gewann - ausgestattet mit einem künstlichen Schultergelenk aus dem Sporthopaedicum.

Es ist die Antwort auf ein medizinisches Bedürfnis. Oder eher: Es gibt verschiedene mögliche Antworten, etwa in Gestalt der Doktoren Frank Schneider und Michael Wagner. Schneider, ein großer, schlanker Mann mit grauen Schläfen ist, laienhaft gesagt, der Mann für den Ersatz ruinierter Gelenke, von den Schultern bis zu den Knien. Wagner, ein bisschen jünger als sein Kollege, mit rasierter Glatze, hat sich auf die Wiederherstellung von Knie- und Sprunggelenken spezialisiert. Um zu beschreiben, wie sich die Zeiten geändert haben, erzählt er von einer 65 Jahre alten Tischtennisspielerin. Die Frau sei mit einem Riss des vorderen Kreuzbandes in die Praxis gekommen. Sie habe, so Wagner, nicht mehr Tischtennis spielen können und „damit einen großen Verlust erlebt“. Früher habe man unter Ärzten gesagt: „Kein Kreuzband über 40.“ Heute wird so einer älteren Sportlerin mit einer Operation geholfen. „Die Patientin war rasend schnell wieder topfit“, sagt Wagner. „Im Endeffekt geht es bei uns um Lebensqualität.“

Viele Alte wirken heute jünger, vor allem fühlen sie sich so. Und formulieren Ansprüche. „Wir sehen, dass auch die älteren Patienten heutzutage eine verletzungsbedingte Einschränkung ihrer Lebensqualität nicht mehr so einfach hinnehmen wollen im Vergleich zu vor vielleicht 20 Jahren“, sagt der Chirurg Wagner. „Die Leute möchten ihre sportliche Aktivität nicht aufgeben und fordern für sich die gleichen Lösungsstrategien wie wir sie auch bei jüngeren Patienten anbieten können.“

Der Arzt behandelt 70-Jährige, die Chucks tragen

 Das Klettern, sagt Michel Götz, 64, habe ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“.
Das Klettern, sagt Michel Götz, 64, habe ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“.
© Kitty Kleist-Heinrich

Und nicht nur das: Auch der Sinn für die Risiken hat sich verändert. Frank Schneider sagt: „Fehleinschätzungen gibt es bei allen. Aber jüngere Körper tolerieren das eher.“ Er hat den Eindruck, dass sich ältere Patienten heute schwerer damit tun, die Grenzen ihrer Physis zu akzeptieren - und er hat durchaus Verständnis dafür: „Die Leute wollen einfach in ihrem Verein spielen. Das ist ihre soziale Umgebung. Die Patienten wollen ihren Sport wieder machen.“

Auch Professor Wolf Petersen, Chefarzt an der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Berliner Martin-Luther-Krankenhauses, sieht einen Trend älterer Sportler zu höherem Risiko, der sich in den vergangenen zwanzig Jahren entwickelt hat. Eher die Männer als die Frauen machen den Trend mit. Vor ihm habe schon mal ein 70-Jähriger in Chucks gestanden, der sich beim Skateboard-Fahren verletzt habe. 50- bis 60-Jährige kämen mit lädierten Knien und Kreuzbändern, nachdem sie beim Kite-Surfen aus drei oder vier Metern Höhe in 50 Zentimeter tiefes Wasser geknallt seien, sagt der Orthopäde.

Michel Götz hat sich noch nichts getan bei seiner Kletterei. „Das Risiko zu fallen ist da“, sagt er, und beschreibt sich selbst als „sehr verkopft“ - als Menschen, der aus der Literatur lernt und Risiken in der Wirklichkeit genau abwägt. Jetzt bewegt er sich wie die Seniorenausgabe des „Spiderman“ die 15 Meter hohe Wettkampf-Wand im Moabiter Kletterzentrum des Alpenvereins hoch. Er pausiert kurz, um sich den nächsten Griff zu überlegen, spreizt die Beine weit auseinander, wo die Tritte es erfordern, schiebt sich eng an der Wand einen weiteren Meter höher. Götz hält kurz inne, bevor er sich am Überhang hochzieht, der sich dem Kletterer steil entgegenneigt. Dann hat er es geschafft, klinkt das Seil in den Karabiner unter der Hallendecke. Er wirkt nicht mal besonders angestrengt. Höchstens sechs Minuten hat er gebraucht. Abwärts geht es schnell, sein Partner lässt das Seil durch die Hände gleiten. Michel Götz trainiert für den achten Grad - zehn Grade hat die Schwierigkeitsskala. „Da fängt das Klettern an“, sagt er.

Der Kletterer Götz und der Orthopäde Petersen kennen sich nicht, doch ihre Wahrnehmung des Risikoverhaltens älterer Sportler ist die gleiche. Für Götz, der erst vor zwei Jahren nach einer persönlich schwierigen Zeit mit dem Klettern angefangen hat, ist es „sportliche Herausforderung“, Struktur seiner Woche, „Genuss“, wenn er das Gefühl hat, einer Kletterroute gewachsen oder sogar überlegen zu sein. Es ist Therapie seiner Höhenangst und es vermittelt ihm ein neues Gefühl der Sicherheit. Im Seil zu hängen heiße für ihn: Mir muss nichts passieren.

Älter zu werden bedeute: „Man wird eingeschränkt“, sagt Michel Götz. Beim Klettern versuche er, „trotzdem noch das Mögliche rauszuholen“. Der Sportmediziner Petersen sagt: „Die Altersgrenze von früher verschiebt sich total.“ Für ältere Sportler sei Aktivität gleich Lebensqualität. Wenn sie dann kämen mit ihren Knieverletzungen, sei das Aufhören keine Alternative. Sie ließen sich operieren, um weiter Sport machen zu können. Sie fragten immer: „Kann ich das wieder machen?“ Er habe schon über 60 Jahre alte Patienten gehabt, „die noch Marathon laufen“. Petersen führt das auf ein „gesteigertes Aktivitätsbewusstsein“ zurück - „eine gute Entwicklung“.

Aber auch eine, die ihre Risiken hat. Gewiss überschätzen sich gerade jüngere Sportler am ehesten. Doch bei den Älteren haben Verletzungen oft üblere Folgen. David Schulz, bei der ARAG mit Sportversicherungen befasst, hat dazu gemeinsam mit zwei Sportwissenschaftlern Daten ausgewertet. Schwere Sportverletzungen betreffen bei älteren Athleten häufiger Arme, Schultern und den Kopf. „Ältere Sportler“ seien zwar in der Lage, „unfallträchtige Situationen zu erfassen und zu verarbeiten“, heißt es, doch „sind sie mit zunehmendem Alter offenbar immer weniger zur Umsetzung situationsangemessener Bewegungsmuster fähig“. Direkt gesagt: Alte fallen härter.

Überall in der Kletterhalle des Alpenvereins hängen Sicherheitshinweise. Doch nicht alle, die unten das Seil halten, wirken ganz aufmerksam. Michel Götz hat es einmal erlebt, dass einer über die ganze Länge des Seils bis nach unten auf den weichen, gefederten Boden der Halle stürzte. „Da musste ich schlucken“, sagt er. Aber er sagt auch den schönen Satz, dass das Klettern ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“ habe und kommt ins Schwärmen, wenn er vom Freiklettern mit Freunden spricht, am Felsen im Grunewald oder in der Nähe von Halle, in einem Steinbruch. Über sich und seine Generation sagt er: „Ich glaube, dass man sich heute mehr zutraut.“

Ironman im Rentenalter

 Das Klettern, sagt Michel Götz, 64, habe ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“.
Das Klettern, sagt Michel Götz, 64, habe ihm „wieder festen Boden unter den Füßen gegeben“.
© Kitty Kleist-Heinrich

Auch Helmut Schicketanz hat das Altern irgendwann für sich neu definiert, die Altersgrenze nach hinten verschoben und das, was er für riskant hält, selbst bestimmt. Noch so ein schlanker, leicht gebauter Mann, der aussieht, als habe ihn sein riskanter Sport jünger statt älter gemacht. Schicketanz ist 73. „Ich weiß!“, lacht er, wenn man ihm sagt, dass er viel jünger wirkt. Was offenbar damit zu tun hat, dass er Triathlet ist und diesen Sport so konsequent betreibt, dass er im Oktober zum dritten Mal beim „Ironman“ auf Hawaii starten will. Rund zwanzig Medaillen hängen, fein säuberlich nebeneinander geordnet, an roten, blauen und schwarz-rot-gelben Bändern an einer Wand in seiner Wohnung in Kleinmachnow.

Unten im Keller liegen Trainingsgeräte, die größeren jedenfalls: drei Fahrräder, eins davon nur ein paar Kilogramm schwer, der Rahmen aus Kohlefaser, die Räder so perfekt gelagert, dass man sie nur antippen muss, damit sie sich drehen. Zwei Mal in der Woche trainiert Schicketanz für das 180-Kilometer-Rennen auf der Vulkaninsel-Strecke, Touren von ein paar Stunden Länge, derzeit mit einem Freund und auf dem Mountainbike. „Ich fahre nicht mehr so risikoreich“, sagt er, „nicht mehr über Stock und Stein da, wo ne Wurzel ist“. Zwei aus dem Potsdamer Triathleten-Verein hätten sich „gelegt“, Schlüsselbeine gebrochen. „Wer weiß, wie das dann wieder zusammenwächst, wir wollen doch weiter unseren Sport machen!“

Dass er einen extremen Sport wie Triathlon begonnen hat, liegt schon lange zurück. „Ich musste richtig schwimmen lernen“, scherzt er. Für seinen zweiten Ironman-Wettbewerb 2012 habe er sich drei Monate lang auf Lanzarote vorbereitet - die Insel ist wegen ihrer guten Straßen, ihrer Weite und ihrer Luft eine Art Trainingsparadies für Ausdauersportler. 30 Stunden pro Woche habe er dort trainiert, sagt Schicketanz, „ich hab das nicht als zu viel empfunden“. Auf Hawaii sei es dann „ein toller Wettkampf“ gewesen.

Riskant findet er selbst sein Sportprogramm nicht - „man ist ja gesundheitlich unter Kontrolle“. Einigermaßen jedenfalls. Ganz lakonisch erzählt Schicketanz, bei ihm seien mal Herzrhythmusstörungen festgestellt worden. Einmal habe eine Ärztin deshalb sogar einen Leistungstest auf dem Ergometer abgebrochen. „Ich hab gar nichts gemerkt davon“, sagt er lachend. Sicher, da gebe es auch Freunde, die sein Verhalten riskant fänden. Beim Arzt habe er dann gar nicht mehr erzählt, dass er für einen Ironman-Wettbewerb trainiere. Zum Radfahren für die Ironman-Distanz von 180 Kilometern kommen ein Marathon und 3,8 Kilometer Schwimmen. Schicketanz trainiert in Potsdam, im Leistungszentrum am Luftschiffhafen. „Ich mache alle drei Sachen gerne“, sagt Schicketanz. „Man trainiert ja auch den Geist beim Sport.“

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