Verhalten der Kanzlerin: Psychoanalytiker deuten das Phänomen Angela Merkel
Psychologen arbeiten sich auch weiterhin an der Macht-Darstellung von Bundeskanzlerin Angela Merkel ab - mit verblüffenden Ergebnissen.
Was will das Weib? Sigmund Freuds berühmte Gretchenfrage hat in diesen Tagen seine Ur-Enkelinnen und -enkel wieder umgetrieben. Und es ging um eine einzelne Frau. Der Arbeitskreis politische Psychologie der deutschen Psychologen widmete sich in diesem Jahr der Kanzlerin, genauer der „Sozialpsychologie des Merkelismus“. Schon der Begriff, gestand Johann Schülein von der Wirtschaftsuniversität Wien zum Auftakt des Treffens in Frankfurt am Main, sei eine Verbeugung, die „implizite und vielleicht auch ungewollte Anerkennung einer sehr erfolgreichen Frau“. Von Schröderismus oder Kohlismus spreche schließlich niemand.
„Mutti“, die populärste Merkel-Lesart, wurde, was wunder im Kreise so vieler Analytiker, heiß diskutiert. Und kritisiert. Die Einschätzung, die „Kinder“-Bürger überließen sich Merkel allzu kindlich („regressiv eingerastetes Vertrauen“ nennt es der Freiburger Analytiker Tilmann Moser), fand nicht nur die Berliner Analytikerin und Politikwissenschaftlerin Angelika Ebrecht-Laermann „etwas eindimensional“. Es stecke „etwas Diffamierendes“ im Wort Regression.
"Ein regierungstauglicher Helm"
Ebrecht-Laermanns Vortrag über den „Herrscher und sein Haupt“ holte Merkel denn auch aus der Küche ins Kanzleramt zurück. Oder vielmehr in viel ältere Schaltzentralen – und Bilder – der Macht. Der Kopf einer Frau tauge nun einmal anders als die phallischen der Männer in unser aller Bildervorrat nicht zum Herrschaftssymbol; die „Bannung des Aggressiven“ in der Gesellschaft, die ein Herrscherhaupt traditionell symbolisierte, fehle bei ihr. Merkels Kopf sei vorsichtig, in kleinen Schritten und Schnitten, umgemodelt worden, bis die blonde Aureole von heute entstand, „ein regierungstauglicher Helm“: Am Ende steht eine „am Rednerpult, die zwischen Königin und Schutzmantelmadonna changiert“, die Bannung von Aggression und Gefahr sei allerdings vom Kopf in die Hände gerutscht, in die berühmte Merkel-Raute. Für Ebrecht-Laermann ist es Sigmund Freuds Raute. Der habe die geometrische Figur in der frühen „Traumdeutung“ als Symbol des weiblichen Genitals gelesen. Es löse den Schrecken der Kastration aus, seine „öffentliche Zurschaustellung durch die Kanzlerin“ nehme ihm den aber wieder. Wie überhaupt die Merkel-Ära eine „Krise der politischen Repräsentation“ bedeute. Sie werde spannungslos, verflache, erschlaffe.
Wer Politik sakralisiert, macht sie flach
Merkels Viereck eine Vagina? Das Publikum wollte da nicht so recht mit. Was es an Alternativinterpretationen lieferte, bestätigte allerdings die Diagnose: Die Raute packe nicht zu, sie sei kontemplativ, die Geste einer Pastorin, einer, die sich aufs Moderieren verlegt. Wer Politik aber sakralisiere, mache sie flach, meinte Hans-Joachim Busch, Sozialpsychologie- Professor an der Frankfurter Uni. Der Merkel zuvor gerade politisches Zupacken attestiert hatte, etwa als sie die CDU-„Männerriege“ vom Kaliber Roland Koch entmachtete.
Was will die Frau also? Das Rätsel Merkel wurde an jenem Wochenende in Frankfurt nicht gelöst. Wenn selbst die Fachleute ratlos sind – was einige selbst offen eingestanden –, wird es uns wohl noch eine Zeit lang beschäftigen.