zum Hauptinhalt
Deutsches Kreuz. Für viele bleibt es ein Rätsel, weshalb ausgerechnet „Pegida“ so großen Zulauf erfährt. Weniger Islam als in Sachsen geht kaum.
© REUTERS

Der Tod von Khaled Idris Bahray und Dresden: "Pegida" und die Angst

Montagnachmittag in Dresden. Eine Libyerin versucht, in der Tram nicht aufzufallen. In der Moschee verriegeln sie die Tür. „Pegida“ marschiert. Und nur wenig später wird ein Flüchtling zwischen Plattenbauten erstochen.

Es sind die Blicke, die sich verändert haben, sagt Jamila Aun. Die sie abschätzig mustern – vom grauen Kopftuch über ihren Wintermantel bis zu den Schuhen. Die sich abwenden und in Sekundenbruchteilen signalisieren, dass sie unerwünscht ist. „Die Augen reden, und das tut weh“, sagt die 39-jährige Libyerin auf Arabisch, eine kleine Frau mit ernstem Gesicht, die kaum Deutsch spricht und nicht versteht, was über sie getuschelt wird. Sie drückt sich an die Tür der Straßenbahnlinie 12, wie auf der Flucht, immer bereit, schnell auszusteigen, wenn es ihr unheimlich wird. Vor ihr schaukelt in den Kurven der Kinderwagen mit dem Baby, das friedlich schläft. Bis zur Kita Raupennest, wo sie ihre zwei älteren Kinder abholt, sind es fünf Stationen. Jamila Aun hält Abstand, will nicht auffallen, nicht wieder beschimpft und beleidigt werden. Sie hat Angst.

Es ist Montagnachmittag in Dresden, die Mannschaftswagen der Polizei fahren in Kolonnen auf, riesige Lichtanlagen werden aufgebaut, Absperrungen eingerichtet. Die Straßen sind voll mit Tausenden von Unzufriedenen, die sich „patriotische Europäer“ nennen und mit ihren Demonstrationen eine „Islamisierung des Abendlandes“ verhindern wollen. Sie fordern mehr direkte Demokratie und ein neues Gesetz, um der „unkontrollierten, quantitativen Zuwanderung“ Einhalt zu gebieten.

Seit Pegida traut sie sich kaum noch raus

„Die meinen mich“, sagt Jamila Aun und rutscht noch ein bisschen tiefer in ihren dicken Mantel hinein, „seit ,Pegida‘ angefangen hat, traue ich mich kaum mehr raus.“ Ihr Mann ist nierenkrank, das hat die Familie nach Deutschland gebracht, wo sie Asyl bekommen hat. Zum Teil auf Kosten des libyschen Staates wurde ihm hier die Niere eines Verwandten transplantiert.

Was Jamila Aun nicht ahnen kann, ist, dass im Dresdner Stadtteil Leubnitz-Neuostra an diesem Montagabend der 20-jährige Khaled Idris Bahray, ein Eritreer muslimischen Glaubens, ein allerletztes Mal seine Wohnung verlassen wird – am nächsten Morgen findet ihn ein Passant blutüberströmt im Hof der Plattenbausiedlung. Seit bekannt wurde, dass der Asylbewerber mit Messerstichen getötet wurde, ist die latente Sorge vieler Ausländer in Panik umgeschlagen. Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz warnt vor Spekulationen, sie spricht nicht aus, was viele denken: Ist Khaled Idris Bahray getötet worden, weil er ein Ausländer ist?

Für viele bleibt es ein Rätsel, weshalb „Pegida“ ausgerechnet in Dresden so großen Zuspruch erfährt. Denn es ist gar nicht so leicht, in der Stadt auf Ausländer oder gar Muslime zu treffen. Weniger Islam als in dem ostdeutschen Bundesland geht kaum. Auf gerade mal 4000 Gläubige schätzte vor ein paar Jahren Innenminister Markus Ulbig die Gesamtzahl, ein paar tausend mehr mögen es inzwischen sein. Im Stadtbild haben sie bislang kaum Spuren hinterlassen. Das einzige Minarett in Dresden ist 62 Meter hoch und von überall her zu sehen, doch es ist nichts anderes als der getarnte Schornstein der ehemaligen Yenidze-Tabakfabrik, die schon 1908 auf eine orientalische Optik setzte.

Was sie in der Moschee zur Stimmung in der Stadt sagen

Flucht in den Tod. Khaled Idris Bahray starb durch ein Messer – Täter unbekannt.
Flucht in den Tod. Khaled Idris Bahray starb durch ein Messer – Täter unbekannt.
© Facebook

Die echte Moschee, eine von drei in der Stadt, ist ein blassgrüner Flachbau, der aussieht, als sei er von Flechten überzogen. Die Fassade bröselt, die Isolierung ist miserabel, die Schuhe der Betenden werden im Freien abgestellt. Wo früher die Technik des städtischen Energieerzeugers untergebracht war, liegt seit ein paar Jahren ein rostroter Teppich, darüber leuchten stromsparende Neonröhren. „Wir waren froh, überhaupt ein Gebäude gefunden zu haben“, sagt Muhammad Jalkhi, ein 38-jähriger Syrer, der neben seinem Job als HNO-Arzt noch das Gemeindeleben mitorganisiert. „Wenn wir wieder Geld haben, bauen wir gründlich um.“ Zum Sonnenuntergangsgebet stellt sich Jalkhi zu den vier anderen Muslimen im Raum, er folgt den Worten des Imam, der sich gen Mekka gewandt hat. Dann hat er Zeit für einen Rundgang. „Es hat uns alle schockiert, was in Paris geschehen ist“, sagt Muhammad Jalkhi zu den terroristischen Anschlägen. Das habe nichts mit dem wahren Islam zu tun, der solch ein Massaker verbiete. „Bei uns gibt es keine Salafisten, das würden wir nicht akzeptieren“, sagt der Syrer und bittet, sich ein bisschen zu beeilen. Es sei Montagabend und sie wollten die Moschee abschließen, aus Sicherheitsgründen. Aufgebrachte „Pegida“-Anhänger sollten niemanden antreffen. „Wir sind friedfertig“, sagt Jalkhi, aber den Montagsdemonstranten traue er nicht.

25.000 Pegida-Mitläufer sammeln sich

Keine fünf Autominuten entfernt halten sie schon die mitgebrachten Schilder und Fahnen hoch. „Gestern Paris, heute Dresden“, wird durch die Dunkelheit getragen, Schwarz-rot-gold flattert es im Wind. 25.000 „Pegida“-Mitläufer sammeln sich zu ihrem bisher größten Aufzug, dem zwölften, umrahmt vom Blaulicht der Einsatzwagen, immer wieder ertönen Sirenen. 1600 Polizisten sollen verhindern, dass der Protest in Gewalt umschlägt, die Sitzblockade der bunten Anti-„Pegida“-Bewegung mit Verletzten endet.

„Dafür oder dagegen?“ Der Beamte im Format eines Bodybuilders stellt sich Jamal, einem Asylbewerber aus dem Libanon, in den Weg, er hebt die Hände und beantwortet seine Frage dann selbst: „Bitte gehen Sie auf die andere Straßenseite!“ Dass es Jamal nicht durch die Polizeiabsperrung schafft, ist auch besser so. Sonst würde er womöglich hören, was Nico sagt, der arbeitslose Metaller aus Dresden, in der Linken die Deutschlandflagge. Es sei genug mit den Ausländern, schimpft er, da gebe es so viele Kriminelle darunter, vor allem die Libanesen. Und den Muslimen sei nicht mal der deutsche Friedhof recht, immer diese Sonderregelungen ohne Sarg. Jamal hört weder den Alten, der in die Kamera eines ARD-Teams brüllt, dass Neger eh nicht wüssten, ob sie eine Schraube rechts- oder linksherum drehen müssten, noch sieht er das Schild mit der Aufschrift „Islam gleich Karzinom“. Der Palästinenser will auch nicht alles verstehen, die Massen setzen ihm zu. „Ich dachte, ich habe das Schlimmste hinter mir“, sagt er und hat genug von den Rufen und Sirenen. Weil in der abgesperrten Stadt keine Straßenbahn mehr fährt, läuft er zu Fuß nach Hause, weit über eine Stunde.

Ausländer im Straßenbild? Nicht für jeden selbstverständlich

Zuhause, das ist eine renovierte Plattenbausiedlung in Dresden-Leuben, wo seine siebenköpfige Familie und ein paar Dutzend andere Flüchtlinge in Wohnblocks einquartiert wurden und die Sozialarbeiter der Caritas alles tun, damit sich die Bewohner einleben. Sie vermitteln ihnen ehrenamtliche Helfer, dolmetschen bei Behördengängen oder begleiten bei Schulanmeldungen. Doch was woanders selbstverständlich ist, ist hier ein Grund zum Tuscheln: Ausländer im Straßenbild. Die Neuen mit der dunkleren Hautfarbe werden angestarrt, alles scheint fremd an ihnen, ungewohnt. Lange wurde darüber diskutiert, ob es nicht viel zu gefährlich sei, ein wöchentliches Fußballtraining auf dem eingezäunten Bolzplatz zwischen den Hochhäusern stattfinden zu lassen, ob man nicht in eine Halle gehen müsste. Rechtsextreme hatten schon eine Wohnung mit Tunesiern angegriffen, eine Infoveranstaltung gestört – kickende Jungs wären ein einfaches Ziel.

Um seine Kinder, die sich so viel von Deutschland erwartet hatten, sorgt sich Jamal am meisten. Drei betrunkene Jungs wollten neulich seinen Ältesten verprügeln, er habe hier nichts zu suchen. Seine Tochter trägt statt Kopftuch jetzt eine Vliesmütze, als „Notlösung“, weil sie sich damit sicherer fühle. Am Hauptbahnhof drohte neulich ein Mann, sie zu töten, und zeigte auf ihr Kopftuch. Woher soll die Schülerin, die erst seit vier Monaten in Deutschland lebt und aus einer umkämpften Grenzregion im Libanon kommt, wissen, ob der Mann es nicht ernst meint?

Was die Mitbewohner von Bahray jetzt fühlen

Deutsches Kreuz. Für viele bleibt es ein Rätsel, weshalb ausgerechnet „Pegida“ so großen Zulauf erfährt. Weniger Islam als in Sachsen geht kaum.
Deutsches Kreuz. Für viele bleibt es ein Rätsel, weshalb ausgerechnet „Pegida“ so großen Zulauf erfährt. Weniger Islam als in Sachsen geht kaum.
© REUTERS

Nur wenige Stunden nach der Montagsdemo stirbt drei Kilometer entfernt Khaled Idris Bahray in der Johannes-Paul-Thilman-Straße. Er wird um 7.40 Uhr auf einem Rasenstück gefunden, um ihn herum viel Blut. Die Dresdner Polizei erklärt zunächst, sie sehe keine „Anhaltspunkte für ein Fremdverschulden“, sondern gehe eher davon aus, dass eine Krankheit, ein Suizidversuch oder ein Sturz die Ursache für den Tod sein könnte. Eine vorschnelle Einschätzung, die alsbald korrigiert werden muss und vor allem in den sozialen Netzwerken große Empörung darüber auslöst, ob die Behörden wohl nicht so genau hinschauen wollen. Denn für die Staatsanwaltschaft Dresden steht am Mittwoch fest, dass der Eritreer durch mehrere Messerstiche in den Hals- und Brustbereich zu Tode gekommen ist. Grünen-Innenpolitiker Volker Beck stellt Donnerstag Strafanzeige wegen Strafvereitelung im Amt gegen unbekannt: „Mir fehlt jedes Verständnis für das nachlässige Vorgehen der Ermittlungsbehörden.“ Der Dresdner Polizeichef Dieter Kroll erläutert im Innenausschuss des sächsischen Landtages, die Ermittler hätten aufgrund der Verletzungen auf einen offenen Schlüsselbeinbruch als Todesursache geschlossen. Inzwischen ermittelt eine 25-köpfige Mordkommission, die Mitbewohner des Opfers werden befragt, Spürhunde eingesetzt, auch Videoaufnahmen aus öffentlichen Verkehrsmitteln sollen ausgewertet werden.

Vor 18 Jahren floh sie aus Bagdad

Eine der Ersten am Tatort ist am Dienstag In Am Sayad Mahmood, die 58-jährige Irakerin, die immer dann angerufen wird, wenn es mehr braucht als nur Übersetzungsdienste – eine innige Umarmung, das Wissen, was es heißt, Flüchtling zu sein, Offenheit. Sie floh vor 18 Jahren aus Bagdad, weil ihr Mann politisch verfolgt wurde, und war nach der Wende eine der wenigen Muslimas mit Kopftuch in Dresden. Heute arbeitet sie als Flüchtlingsberaterin, engagiert sich an Schulen und ist Trägerin des Bundesverdienstordens.

„Ein Notfall – kommen Sie schnell!“

In Am Sayad Mahmood sagte die Referentenrunde im Ökumenischen Informationszentrum ab und beeilte sich, um die anderen Eritreer aus der Wohngemeinschaft des Toten zu beruhigen. „Die waren völlig verstört“, sagt Mahmood. „Der junge Mann wollte zum Supermarkt, dann war er verschwunden.“ Die Mitbewohner hätten noch mit dem Essen auf ihn gewartet, aber er sei über sein Handy nicht mehr zu erreichen gewesen.

„Ich kann kein Blut sehen, und da war so viel“, erzählt die Sozialarbeiterin, als sie in ihr Büro gegenüber der Kreuzkirche zurückgekehrt ist. Sie holt sich eine Tasse Kaffee, streift mit den Händen an den Armen entlang, von den Schultern bis hinunter zu den Fingern, eine symbolische Reinigung. Viel hilft sie nicht. Mahmood ist aufgeregt, sie fragt sich, warum es nur einen englischsprachigen Übersetzer am Tatort gab, und wie die Eltern des Toten im Sudan die Nachricht wohl aufnehmen werden. Das Handy auf dem Schreibtisch summt unentwegt, Mahmood ignoriert die Anrufe. Ein kurzes Klopfen an der Bürotür, ihre Tochter kommt herein, will wissen, wie es der Mutter geht nach dem Noteinsatz am Morgen. „Es ist gut“, sagt Mahmood, ihre Augen sagen etwas anderes.

Die Mitbewohner haben Panik

Die sechs Eriteer, die mit dem Getöteten zusammengelebt haben, wollen nicht wieder in die Wohnung im zweiten Stock der Plattenbausiedlung zurück. Die Stadt hatte sie darin untergebracht. „Sie haben Panik, dass auch ihnen etwas zustößt“, sagt Caritas-Sozialarbeiter Karsten Dietze, der mit den eritreischen Flüchtlingen zusammen am Mittwoch auf dem Jorge-Gomondai-Platz um Khalif getrauert hat. „Sie glauben, dass ihr Freund gezielt umgebracht wurde.“

Den Platz in der Innenstadt haben sie bewusst gewählt. Der 28-jährige Mosambikaner Jorge João Gomondai ist dort von Rechtsradikalen am 6. April 1991 getötet worden. Er wurde blutüberströmt neben der Straßenbahn gefunden. Ob er mit vorgehaltenem Messer gezwungen wurde, aus der Bahn zu springen, wie ein Zeuge aussagte, oder ob er ins Freie stürzte, konnte nie ganz geklärt werden.

Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

Christine Keck

Zur Startseite