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Eine Kontrolle an der Grenze.
© AFP

Grenzkontrollen in Bayern: Nicht ganz dicht

Kilometerlange Staus, ratlose Polizisten: Die Entscheidung des Innenministers, an den Außengrenzen wieder Pässe zu kontrollieren, hat zu Verwirrung und Chaos geführt.

Vier Polizisten steigen an der Grenze zu Österreich aus ihrem Wagen. Weil der Übergang nahe dem bayerischen Freilassing lange Zeit nur eine gedachte Linie war, haben die Beamten ihre eigene Markierung mitgebracht: Sie stellen ein paar Verkehrshütchen auf die Straße. Da ist es 21.03 Uhr am Sonntagabend. Der Anfang vom Ende des grenzenlosen Reiseverkehrs in Europa beginnt unspektakulär.

Die Polizisten sollen Flüchtlinge kontrollieren, nur darum gehe es. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat das verkündet, nachdem Zehntausende unregistriert nach Deutschland eingereist sind, vor allem nach München. Man müsse zur Ordnung zurückkehren.

Die neue Ordnung zeigt das erste Mal um 21.07 Uhr ihre Wirkung. Da kommen drei junge Syrer die Straße entlang, die zu Fuß von Österreich nach Deutschland laufen wollen. Einer der Bundespolizisten tritt auf sie zu. „Kann ich Ihre Pässe sehen, bitte?“

Die Syrer lassen die Prozedur über sich ergehen. „Wir sind seit 22 Tagen zu Fuß durch Europa unterwegs“, sagt Hatem Ahadsch. Wie die anderen beiden stammt er aus Rakka, jener Stadt in Syrien, wo der sogenannte Islamische Staat seine Kräfte sammelte, lange bevor er 2014 sein Terrorkalifat ausrief. Der 27-jährige Ahadsch setzt sich auf den Boden und nimmt einen Stoß aus seinem Asthmaspray. Dann sagt er: „Wir denken, Deutschland ist das einzige Land in Europa, das uns wie Menschen behandeln wird.“

Wie es für ihn weitergehen soll, wissen die vier Polizisten in Freilassing zunächst auch nicht. „Hallo, wir haben hier drei Syrer, was sollen wir mit denen machen?“, funkt einer der Beamten. Er hat es schon etliche Male probiert. Eine ganze Stunde werden die Syrer am Ende dort sitzen, bis die erlösende Nachricht kommt. Sie dürfen einreisen und werden in ein Aufnahmelager gebracht. „Der Polizist hat zu mir gesagt: ,Willkommen in Deutschland.‘ Und dann hat er gelächelt“, sagt Ahadsch.

Es ist keinesfalls eine echte Abschottung, die da zu beobachten ist. Deutschland verlagert lediglich die Weiterverteilung der Flüchtlinge von München an die österreichische Grenze. Bayern schickt die Busse, die bislang vom Münchner Hauptbahnhof die Ankommenden aufgenommen und weitertransportiert haben, nun nach Freilassing, Passau und Rosenheim. Von dort sollen die Flüchtlinge zur Registrierung in eine der Erstaufnahmeeinrichtungen gebracht werden.

Obwohl offenbar kein einziger Flüchtling zurückgewiesen wird, hat die Aktion dramatische Auswirkungen auf die Region: In Salzburg bricht fast der gesamte innerstädtische Verkehr zusammen. Am Grenzübergang Saalachbrücke zwischen Salzburg und dem bayerischen Freilassing hat die Bundespolizei die Fahrbahn auf eine Spur verengt, die Autos stauen sich bis zurück in die Stadt. Immer wieder winken Beamte mit der Kelle Lieferwagen und Kleinbusse – vor allem solche mit Kennzeichen aus Balkanländern – heraus.

Die Kontrollen selbst verlaufen unaufgeregt. Als ein Minibus aus Rumänien zum Halten aufgefordert wird, zeigen die sieben männlichen Insassen bereitwillig ihre Ausweise, kommen auch der Bitte nach, eine Decke auf einem der hinteren Sitze hochzuheben. Alles scheint dieser neuen deutschen Ordnung, zu der Bundesinnenminister de Maizière zurückkehren wollte, zu entsprechen. Der Wagen darf weiterfahren.

Auch Touristen betroffen

Eine Kontrolle an der Grenze.
Eine Kontrolle an der Grenze.
© AFP

Immerhin hat die Polizei seit Sonntagabend bereits mehrere Schleuser geschnappt. Das neue Konzept soll am heutigen Dienstag beibehalten werden. „Bis auf Weiteres müssen Reisende mit Kontrollen vor allem an der deutsch-österreichischen Grenze rechnen“, sagt ein Polizeisprecher.

Am Montagvormittag spüren auch die ersten Touristen, was de Maizières neue Ordnung bedeutet. Es ist an sich eine gut gelaunte Reisegruppe, die da im Omnibus Richtung Münchner Flughafen unterwegs ist. An der Anschlussstelle Bad Reichenhall zwischen Salzburg und München bitten Bundespolizisten alle Passagiere, auszusteigen. Der Ärger kommt prompt: „Ich verpasse meinen Flug“, sagt Tanja Fahrnberger aus Österreich. Nützt nichts. Die 21-Jährige steht vor einem zweiwöchigen Urlaub auf Bali und muss nun auf dem Weg zum Flughafen eine Zwangspause einlegen. Die Beamten wollen sämtliche Ausweise sehen.

Wegen des langen Rückstaus hat Fahrnberger wertvolle Zeit verloren. „Hoffentlich geht es jetzt schnell“, sagt sie noch, aber da sind die Polizisten auch schon fertig. Der Busfahrer hat seine Gäste bereits im Stau gebeten, die Ausweise parat zu halten. Ein anderer Passagier muss ebenfalls so schnell wie möglich zum Flughafen. „Normalerweise habe ich schon Verständnis für Grenzkontrollen“, sagt der 21-Jährige. „Nur heute nicht.“

Touristen, die mit der Bahn unterwegs sind, trifft es noch härter. Einige müssen am Bahnhof Freilassing aussteigen, weil der Zugverkehr eine ganze Zeit lang unterbrochen ist. Sie machen sich zu Fuß auf den Weg über die Grenze. Auf ihren Rollkoffern kleben noch die Zettel: „MUC – Münchner Flughafen“.

Manche Reisende bekommen vom neuen Ordnungswillen dagegen überhaupt nichts mit. Denn dicht ist die Grenze am Montag keineswegs. Am Bundesstraßenübergang am „Kleinen Walserberg“ gibt es zum Beispiel keine Kontrollen, und auch diverse Radwege über den Grenzfluss Saalach lassen sich ungehindert passieren.

Doch allein die Androhung, dass die Grenzen zu Deutschland kontrolliert werden, verbreitet sich unter den Flüchtlingen rasant. Auch Ungarn reagiert binnen Stunden. Das Flüchtlingslager in Röszke an seiner Grenze zu Serbien wird praktisch geräumt. Die Flüchtlinge werden noch in der Nacht geweckt und in Züge gebracht, die direkt an die Grenze zu Österreich fahren. Hauptziel ist das kleine Nickelsdorf, rund 60 Kilometer östlich von Wien. Hier kommen den ganzen Tag über mehr als 1000 Flüchtlinge pro Stunde an. Trotz des regelmäßigen Weitertransports mit Bussen und Zügen nach Wien müssen bis zum Nachmittag rund 7000 Menschen dort ausharren. Nur mit Mühe können die Helfer sie versorgen.

Die Stimmung unter den Flüchtlingen bleibt trotz allem zunächst gelassen. Auch wenn die Polizei besorgt ist, dass einige von ihnen aggressiv werden könnten, wenn die Chancen schwinden, dass sie ihr Ziel wirklich erreichen. Immerhin warten zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 20 000 Flüchtlinge in Österreich auf die Weiterreise, vor allem in den Landeshauptstädten Salzburg, Linz und Graz.

Österreich setzt Heer ein

Eine Kontrolle an der Grenze.
Eine Kontrolle an der Grenze.
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In Österreich können sie die ganze Dynamik dieser Entwicklung immer noch nicht fassen. Der österreichische Kanzler Werner Faymann will deswegen am Dienstag mit Angela Merkel sprechen. In Wien wird damit gerechnet, dass Faymann auf die volle Wiederöffnung der deutschen Grenzen für die Flüchtlinge drängen wird, um Österreich zu entlasten. In seinem eigenen Land will er nun das Heer einsetzen, um die vielen Menschen zu versorgen. Insgesamt sollen in den nächsten Tagen 2200 Soldaten zum Einsatz kommen. Das hatte er erst abgelehnt. Kriegsflüchtlinge, die in Österreich von Soldaten empfangen werden? Das gäbe unschöne Bilder, die im Kontrast ständen zur doch gerade erst gefeierten Willkommenskultur.

„Sie behaupten erst, es können alle kommen, und dann doch nicht!“, sagt Tarek. Er ist wütend, weil er fürchtet, dass er es vielleicht nicht mehr rechtzeitig nach Deutschland geschafft hat. Er ist unterwegs mit zwölf Jugendlichen, die sich ohne ihre Eltern bis nach Budapest durchgeschlagen haben. Jetzt steht der 19-Jährige dort am Bahnhof an der Essensausgabe neben seinen Schwestern und weiß nicht weiter. Eigentlich wollte er in zehn Minuten einen Zug nach Österreich nehmen. Er trägt schwarze Jeans und ein schwarzes T-Shirt. Die Arme hält er verschränkt, sodass er ein bisschen aussieht, als arbeite er für einen Sicherheitsdienst.

Mit seinem Ärger steht er alleine da. Ali aus Afghanistan hat eine andere Meinung. Ali ist Mitte 40, trägt Shorts und Flipflops. Mit den älteren Männern sitzt er auf einer Bierbank vor einem der vielen in Eile aufgebauten Zelte. Deutschland könne nicht alle Flüchtlinge aufnehmen, sagt Ali bestimmt. „Angela Merkel hat so viel getan.“ Nur weil sie jetzt etwas mache, das für die Flüchtlinge schlecht sei, dürfe man das nicht vergessen.

Deswegen wollen sich Ali und seine Freunde auch noch heute zur österreichischen Grenze aufmachen und von dort aus nach Deutschland weiter. Grenzkontrollen hin oder her.

„Wir gehen trotzdem“, sagt er. Sie hätten keine Wahl. In Ungarn zu bleiben, komme nicht infrage. Die Gruppe hat die Nacht am Bahnhof Keleti verbracht. Sie glauben, dass die Grenzen bald wieder aufmachen. Dabei sind die gar nicht zu.

Dieser Text entstand in Kooperation mit den „Salzburger Nachrichten“ und mit Material von dpa/AFP.

Reinhard Frauscher, Wien, Christoph Reiser, Salzburg, , Laura Worsch, Budapest

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