Ein Leben als Taubblinde: Mit Gefühl
Wenn die Leute sie bemitleiden oder ignorieren – das ist für Katrin Dinges das Schlimmste. Die 30-jährige Berlinerin kann nicht hören und nicht sehen. Aber man sollte sie niemals unterschätzen. Unsere Blendle-Empfehlung.
Wer könnte sich da schon entscheiden. Unzählige Nagellacke in allen erdenklichen Farben gibt es im Kosmetikladen, und Katrin Dinges steht fragend davor. Sie wühlt sich durch das Sortiment und grübelt. Grün? Nein. Schwarz? Bloß nicht. Pink? Muss nicht sein. Aber die hier! Glänzend blau und dunkellila. Blau wie ihr Shirt, lila wie der Schal. Das sieht gut aus, sagt sie, was insofern erstaunlich ist, als dass sie es gar nicht sehen kann. Katrin Dinges ist blind. Sie geht weiter zur Kasse. „3,80 Euro bitte“, sagt die Dame hinter dem Tresen. Katrin Dinges zückt ihr Portemonnaie und kramt die passenden Münzen heraus – obwohl sie die Ansage der Verkäuferin gar nicht verstanden hat. Katrin Dinges ist taub.
Blind und taub. Dass beides zusammenkommt, ist eine Seltenheit. Kaum einer, der nicht im Umfeld eines Betroffenen lebt, hat überhaupt schon von diesem Phänomen gehört. Ein Wikipedia-Eintrag über die Taubblindheit, wie es richtigerweise heißt, existiert erst seit gut zehn Jahren. Dort ist von einer komplexen Sinnesbehinderung die Rede, die zu Schwierigkeiten bei der Mobilität, der räumlichen Orientierung und der Kommunikation führe. Im Vergleich zu Blinden und Gehörlosen entstünden so umfangreichere, vielschichtigere Bedürfnisse.
Man muss sich das vorstellen: nicht sehen, nicht hören. Blinde können ihre Einschränkung dadurch ausgleichen, dass sie einen besonders guten Hörsinn entwickeln. Taube können in der Regel besonders gut sehen. Und Katrin Dinges? „Guten Tag“, sagt man zu ihr, und sie versteht es nicht. Man will ihr die Hand reichen, doch sie sieht sie nicht. Was bleibt, ist vor allem das Fühlen. Die Verständigung zum Beispiel funktioniert über eine Art Berührungssprache von Hand zu Hand. Dafür hat sie heute ihre Assistentin Anna dabei, an einen Einkaufsbummel in Berlin-Mitte wäre sonst nicht zu denken.
Annas Finger sausen nur so über die Handinnenfläche von Katrin Dinges. Schnell hat sie die Frage „Wollen wir zur S-Bahn gehen?“ in die Hand übersetzt. Lormen nennt sich das. Jeder Punkt am Finger oder in den Innenflächen steht für einen Buchstaben des Alphabets. Ein Dialog erfordert von beiden viel Konzentration und dauert ein bisschen, doch Katrin Dinges und Anna haben es schon auf eine erstaunliche Geschwindigkeit gebracht. „Dann mal los“, sagt Katrin Dinges. Auf dem Hof ihres Wohnblocks in Tiergarten kennt sie sich einigermaßen aus. Da findet sie sich mit ihrem Blindenstock notfalls auch alleine zurecht.
Sobald es danach auf die Straße geht, wird es schwieriger ...
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