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Die Fans des Bundesliga-Neulings RB Leipzig haben es bei Auswärtsspielen nie leicht.
© dpa/Jan Woitas

Nach der Randale in Dortmund: Mit Aufsteiger RB Leipzig unterwegs im Fanbus

Die „Bornaer Bullen“ reisen nach der Randale in Dortmund das erste Mal wieder Richtung Westen. Mit im Leipziger Fanbus: Bier, gute Laune, eine Fahne – und die Frage, ob sie wieder der Hass erwartet.

Bloß kein neues Dortmund! Keine Randale wie vor zwei Wochen, als es Steine hagelte und Beleidigungen auf die Fans von RB Leipzig. Jetzt sind sie wieder aus Sachsen in den Westen gereist, und bisher ist dieser Nachmittag sehr angenehm verlaufen. 2:1 haben die Leipziger bei Borussia Mönchengladbach gewonnen und damit Platz zwei in der Fußball-Bundesliga behauptet. Sichtbar zufrieden widmet sich die Abordnung vom Fanclub „Bornaer Bullen“ auf dem Parkplatz vorm Stadion den im Kofferraum verstauten Bierkästen, da gibt es doch noch mal Ärger. Er beginnt auf Leipziger Seite. Es ist einer von ihnen, der sich am Ausgang aufbaut, die Hände provozierend ausbreitet und sich lustig macht über den abmarschierenden Anhang der geschlagenen Gladbacher.

„Was soll der Scheiß?“, zischt Andreas. Für einen Augenblick verfliegt die selige Siegerstimmung und auf dem Parkplatz geschieht, was sie auf dem Rasen Rudelbildung nennen. Hier Andreas, ein sonst eher sanftmütiger Bursche mit schulterlangem Haar, und seine Freunde von den Bornaer Bullen. Dort der ihnen unbekannte Provokateur im roten Kapuzenpullover und seine Claqueure.

- Willst du was von mir?

- Wir gewinnen hier, alle sind zufrieden, und du hast nichts Besseres zu tun, als den Gegner anzumachen!

- Kannste meine Sache sein lassen!

- Nee, das geht uns alle was an!

Erst recht nach dem, was in Dortmund passiert ist. Da fehlt es gerade noch, dass die Leipziger selbst einen friedlichen Gegner aufstacheln.

In Dortmund hatten Hooligans Jagd auf alles gemacht

In Dortmund hatten Hooligans Jagd auf alles gemacht, was Leipziger Farben trug, Kinder und Frauen inklusive. Die Exzesse stehen für eine Grenzüberschreitung im Umgang mit dem Bundesliga-Neuling RB Leipzig, der seine Existenz und seinen Aufschwung einem österreichischen Getränkefabrikanten verdankt. Dass die Traditionalisten unter den Fußballfans ihre Werte durch den sächsischen Emporkömmling bedroht sehen, war bekannt. Aber wer hätte mit so viel Hass und Niedertracht gerechnet?

Zwei Wochen später reisen die Bornaer Bullen mit viel Bier und demonstrativer Fröhlichkeit wieder in den Westen. Wird schon nichts passieren, noch mal wird sich die Polizei nicht überrumpeln lassen. Das Auswärtsspiel in Mönchengladbach ist das erste nach Dortmund, und für die Bornaer Bullen ist es keine Frage, dass sie wieder dabei sein werden. Auch wenn der Weg weit ist, einmal quer durch Deutschland vom Städtchen Borna südlich von Leipzig bis an die niederländische Grenze, und das an einem Sonntagnachmittag. Am nächsten Morgen müssen alle wieder zur Arbeit.

Morgens um kurz vor acht warten Moritz, René, Bill, Tom, Dirk, Peter und Andreas auf dem Parkplatz am Bornaer Gymnasium, sieben ganz normale Männer der Altersklasse zwanzig bis vierzig, mit ganz normalen Jobs und einem ganz normalen Hobby. Als Letzter fährt Tobias mit einem VW-Bus vor. Ein Baum von einem Mann mit grauem Einstich im kurzem Haar. Tobias feiert heute seinen 35. Geburtstag, wofür er von den anderen lautstark gefeiert wird – und ein klein wenig auch dafür, dass er heldenhaft auf sein Geburtstagsbier verzichtet und sich zweimal sechs Stunden hinters Steuer setzt. Sind sie doch ein wenig nervös?

Die Abfahrt verzögert sich

Die Abfahrt verzögert sich, weil Peter seine Brieftasche vergessen hat und Andreas die rot-weiße Fanklubfahne, die sie am Zaun des Gladbacher Stadions aufhängen wollen. Fahne zeigen ist wichtig in diesen Tagen. Die Bornaer Bullen haben es zu einiger Berühmtheit gebracht, als sie nach den Krawallen einen offenen Brief an den Dortmunder Klubchef Hans-Joachim Watzke schrieben. Dazu muss man wissen, dass Watzke öfter die fehlende Tradition und die kommerzielle Ausrichtung des Leipziger Projekts kritisiert hatte, etwa mit der Bemerkung: „Bei Rasenballsport, wie sie ja tatsächlich heißen, haben wir das erste Mal den Fall, dass da nichts, aber auch gar nichts historisch gewachsen ist.“ Dafür ist Watzke der geistigen Brandstifterschaft bezichtigt worden. Was die andere Seite wiederum als Schnappreflex einer hyperventilierenden Öffentlichkeit abtat. Aber den Bullen, die selbst vom Mob gejagt wurden, kann man schlecht die Glaubwürdigkeit absprechen. Ihr Bulletin wirkte authentisch. „Sie stehen persönlich zumindest moralisch für Gewalt- und Hassexzesse Ihrer Anhänger gegenüber den RB-Leipzig-Fans“, schrieben sie dem Klubchef. „Wir fühlten uns wie Vieh, das zur Schlachtbank geführt wurde.“

Am Ende verlor Leipzig 0:1, aber das ging unter in der Debatte der kommenden Tage. Ein viel zitierter Post bei Facebook lautete: „RB hat ein Spiel verloren, Dortmund seine Ehre.“

Um halb neun klicken im Bus die ersten Kronkorken von den Bierflaschen. Tom, ein eher zurückhaltender Mann mit gestutztem Siebentagebart, arbeitet als Projektleiter bei der Leipziger Niederlassung eines Hannoveraner Unternehmens und war früher mal HSV-Fan, „damals bin ich auch öfter zu den Spielen gefahren“. Warum der Wechsel zu RB? Komische Frage. „Weil ich jetzt die Bundesliga vor der eigenen Haustür habe.“ Er könne nichts verwerflich daran finden, „dass ich den Klub meiner Stadt unterstütze“.

Die Debatte um die Daseinsberechtigung des Klubs gibt es seit seiner Gründung

RB Leipzig ist 2009 vom Brausefabrikanten Dietrich Mateschitz gegründet worden, und zwar mit dem alleinigen Ziel, sein Produkt zu promoten. Die taurinhaltige Limonade „Red Bull“, unter deren stimulierendem Einfluss man wahrscheinlich ohne Problem dreimal am Tag von Borna nach Mönchengladbach und wieder zurück fahren kann. Mateschitz kaufte die Lizenz eines fünftklassigen Vorortklubs, und weil der Deutsche Fußball-Bund die Namensgebung zu Werbezwecken untersagt, gab er dem neuen Verein den schrägen, semantisch aber durchaus sinnvollen Namen RasenBallsport. RB wie Red Bull.

Die Debatte um die Daseinsberechtigung des Klubs wird seit seiner Gründung geführt: Hier die Traditionalisten, mit dem Verweis darauf, dass Fußball- und Fankultur mehr sei als der Kick von Millionären. Dort die Pragmatiker mit ihrer Entgegnung, in erster Linie gehe es doch um den Sport, Geld sei überall im Spiel und auch die vielen Traditionsklubs hätten ihre Profiabteilungen längst in Kapitalgesellschaften ausgegliedert.

Allerdings geht keiner dabei so weit wie RB, wo erst die Dose war und dann der Fußball. „Diese Konstruktion darf man schon infrage stellen“, sagt Andreas. Doch ohne Redbull gäbe es in Leipzig auf absehbare Zeit keine Bundesliga. „Verdammt, ich bin 43 und habe mein Leben lang davon geträumt.“ Ob er sich jetzt dafür schämen solle, dass ein Unternehmen so viel Geld in seine Stadt und seinen Lieblingssport pumpt?

Nach zwei Stunden wird es Zeit für die erste Pause

Eine Reihe weiter vorn sitzt René und erzählt von Dortmund, vom Sonderzug, in dem die Stimmung so ausgelassen war, bis die Leipziger dann durch die Straßen zum Stadion geleitet wurden, vorbei am Mob, mit dem keiner gerechnet habe. René trägt ein Piercing über der Augenbraue und ein Tattoo am Unterarm. Er ist keiner, der sich so leicht Angst einjagen lässt - und war doch erschrocken, als er sich später in einer Fernsehaufzeichnung entdeckte. Wie er mit eingezogenem Kopf über die Straße rannte, bloß weg! „Neben mir lief ein kleines Mädchen, die sagte: Onkel, pass auf, die klauen dir deine Mütze! Ja, was sollte ich denn da machen?“

Also hat er der Kleinen gesagt: Ist nicht so schlimm, der Onkel passt jetzt auf dich auf. „Und dann haben wir gemacht, dass wir wegkommen.“ Seine Freundin hat am nächsten Tag gesagt: „René, wenn so was noch mal passiert, lasse ich dich nicht mehr wegfahren.“

Nach zwei Stunden wird es Zeit für eine erste Pause. „Männer, benehmt euch!“, sagt Busfahrer Tobias. René antwortet: „Ach Tobi, ich werde doch mal red-bullern dürfen!“, was auf Sächsisch noch mal so schön klingt. Tom zieht ein Geburtstagstörtchen für den Fahrer aus der Jackentasche und bestückt es mit einer kleinen Kerze, und als er sie anzündet, rufen die anderen im Chor: „Ouuhh, Pyrotechnik!“

Weiter Richtung Westen. Erinnerungen werden ausgetauscht an frühere Gastspiele. „Duisburg war toll, damals noch in der zweiten Liga“, erzählt Tobias. „Wir haben zwar verloren, aber den ganzen Tag bis spät in die Nacht Party mit den Duisburger Fans gemacht“, so gehe das eben auch.

Die Organisation: "Sensationell". Aber warum hat das in Dortmund nicht geklappt?

Etwa 20 Kilometer vor Mönchengladbach kommt es auf dem Rastplatz Hoxhöfe zu einer ersten Begegnung mit dem Gegner. Drei Männer mit grün-weiß-schwarzen Schals debattieren bei Bier und Zigaretten, als der Leipziger Bus heranrollt. „Guten Tag!“, ruft René aus dem Fenster. Die Gladbacher lächeln unsicher zurück. Der ungezwungene Umgang mit Leipziger Fans fällt schwer nach dem, was in Dortmund passiert ist.

Kurz vor dem Stadion fängt ein Polizeiauto den Bornaer Bus ab und geleitet ihn mit Blaulicht auf den für die Gäste aus Sachsen reservierten Parkplatz. „Sensationell“, finden die Leipziger und fragen sich, warum das in Dortmund nicht so geklappt hat. In der südöstlichen Ecke des Borussia-Parks warten schon um die tausend RB-Sympathisanten, sie haben beste Sicht auf die Kollegen aus Mönchengladbach, die gegenüber in der Nordkurve ein Transparent enthüllen mit der Aufschrift: „Tradition seit 1900“, dem Gründungsjahr des Klubs. Sie schweigen die ersten 19 Minuten, was als origineller Protest gegen den kommerziellen Aufsteiger gedacht ist, bei den Leipzigern aber auf Verwunderung stößt. „Schon seltsam, dass die ihre eigene Mannschaft nicht unterstützen“, sagt Tom.

"Ein paar Idioten hast du überall"

Es wird ein schöner Nachmittag für die Gäste, mit zwei Toren und einem Elfmeter, den ihr Torwart direkt vor ihrem Fanblock hält. Die Gladbacher Ultras gestalten ihren obligatorischen Protest gegen RB zuweilen charmant mit Transparenten wie „Trinkt mehr Milch!“. Die ansonsten üblichen Beleidigungen nehmen die Leipziger als Stadion-Folklore hin, sie selbst singen laut und fröhlich: „Wir sind Schweine, rote Bullenschweine, wir zahlen keinen Eintritt und trinken Champagner statt Bier!“ Nur in den letzten Minuten wird es ein bisschen ungemütlich, weil erstens die Gladbacher Spieler noch ein Tor schießen und zweitens ihre Fans ein Transparent entrollen, das auf den zweiten Blick den ersten netten Eindruck wieder zunichtemacht. „Wir verurteilen jeden geworfenen Stein“, steht auf dem oberen Streifen und auf dem unteren: „ der Euch Kunden nicht getroffen hat.“

Egal, sagt der sanftmütige Andreas, „ein paar Idioten hast du überall“, und auf gar keinen Fall rechtfertige das eine Provokation wie die von dem mitgereisten Leipziger Fan auf dem Parkplatz nach dem Spiel, aber dieses Problem löst er persönlich und unter vier Augen. Zurück im Bus kreist die Diskussion um den unbedingt wieder aufzufüllenden Biervorrat, vor allem aber über den Sieg und die sich daraus ergebenden Perspektiven.

"Wir sind Rasenball, was denn sonst?"

„Europapokal, Europapokal!“, singen die Bornaer Bullen, es handelt sich dabei pikanterweise um ein Liedchen, das die Dortmunder Fans einst populär gemacht haben. „Stellt euch mal vor, wir spielen nächste Saison in der Champions League - wie geil wär das denn!“ - „Gibts eigentlich Roter Stern Belgrad noch? Das wäre mal ne schöne Reise!“

Über die Stereoanlage läuft „Traum von Amsterdam“, ein jenseits ostdeutscher Junggesellenabschiede weitgehend unbekannter Schlager, die Leipziger Fans haben ihn in ihrem Sinne umgedichtet: „Vorwärts, Rasenball! Leipzig überall!“

Nennen sie ihren Klub wirklich Rasenball? Nach der kleinen Notlüge des großen Geldgebers? Na klar, sagt Tom, „wir sind Rasenball, was denn sonst?“ Darauf noch ein Bier, es wird nicht das letzte sein in dieser Nacht auf dem Weg nach Borna. Noch zwei Stunden. Vorn sitzt das Geburtstagskind Tobias am Steuer und bekämpft seine Müdigkeit mit einer Dose Coca-Cola.

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