zum Hauptinhalt
Kleiner Star, großer Star. Martin Schoellers Ausstellung „Portraits“ in der CWC Galerie in Berlin-Mitte läuft noch bis zum 28. Februar 2015.
© Mike Meyer

Fotograf Martin Schoeller im Porträt: Macken und Makel

Fotograf werden? „Warum eigentlich nicht?“, dachte Martin Schoeller. Besser als nichts machen ... Heute ist er einer der wichtigsten Porträt-Künstler der Welt – und immer auf der Suche nach der einen „ehrlichen Sekunde“.

Elton John wollte nicht. Zumindest am Anfang. Martin Schoeller hatte sich in den Kopf gesetzt, den britischen Sänger mit zwei leicht bekleideten Showgirls in Las Vegas zu fotografieren. Die Damen standen bereit, doch der Star zierte sich. Erst als der Fotograf ihm einen schweren Umhang überwarf, der den Briten fast zu Boden drückte, durften die Tänzerinnen doch noch mit aufs Bild – rechts und links, um den Umhang zu halten.

„Mit George Clooney war es einfacher. Der ist pünktlich, lustig und macht eine Menge mit“, erzählt Schoeller bei einer Privatführung durch die Räume der Galerie CWC, wo am vergangenen Freitag seine Ausstellung „Portraits“ eröffnet wurde. Schoeller hat seine Nichte auf dem Arm, ein paar Freunde sind da, Familie, die teils in Berlin lebt.

Er bleibt vor dem Bild von Clooney stehen, das im Eingangsbereich hängt. Dafür hat er eines seiner früheren Portraits von Clooney genommen, die Partie zwischen Nase und Stirn herausgerissen, ein Gummiband daran befestigt und dem Schauspieler wie eine Maske vors Gesicht geschoben. Dann hat er ihn ausgeleuchtet und abgedrückt. Das Foto ging um die Welt und jetzt ziert es auch das Cover von Schoellers jüngst erschienenem Fotoband.

Mit Close-ups wie diesen ist Martin Schoeller berühmt geworden: Nur siebzig Zentimeter liegen zwischen Linse und Nasenspitze. Leuchtstoffröhren fluten gnadenlos jede Gesichtspore mit grellweißem Licht. Auch der höhenverstellbare Hocker, auf dem seine Motive sitzen, ist nicht eben bequem. Martin Schoeller nennt den Moment, den er in seinen Bildern sucht, die „ehrliche Sekunde“.

Merkel, Eastwood, Obama: sie alle hat er fotografiert

Die Liste der Menschen, die der Deutsche – in München geboren, in Frankfurt aufgewachsen, in Berlin Fotograf geworden – portraitiert hat, ist lang: Clint Eastwood, Jack Nicholson, Barack Obama, Tom Ford, Lady Gaga, Mark Zuckerberg, Brad Pitt, Angelina Jolie, auch Angela Merkel und den damaligen US-Präsidenten Bill Clinton.

Als er den im Weißen Haus fotografierte, schmuggelte Schoeller einen Golfschläger in der Stativtasche mit hinein. Clintons Pressesprecher war dagegen, doch Schoeller machte trotzdem im Nebenzimmer des Oval Office sein Golferfoto. Zu seinem Pressesprecher sagte Clinton nur: „Warum denn nicht? Ich spiele nun mal gerne Golf und bin doch sowieso nur noch drei Monate im Amt.“

Seinen Shootings gingen intensive Recherchen voraus, sagt Schoeller. Er studiere seine Protagonisten, gucke sich Filme an, googele, lese Interviews und recherchiere, was sie in Talkshows so von sich geben. Er hofft, dass dabei seine Phantasie auf Touren kommt, und ihm ein gutes Fotomotiv einfällt. Irgendwann kennt er die Fragen, die seinen Protagonisten am Herzen liegen, und auch über ihre musikalischen Vorlieben ist er informiert. Es gibt kein Shooting, bei dem keine Musik im Hintergrund läuft. All das schaffe die Nähe, die er brauche für seine Arbeit.

Sonst noch was? „Auch die Gesprächsthemen dürfen mir während des Shootings nie ausgehen“, erklärt er. „Ich versuche immer, positive Energie aufzubauen. Alles muss bis ins Detail stimmen. Genau diese Art von Perfektionismus ist meine Lebensversicherung."

Seine Tagesgage liegt heute bei 20 000 Dollar

Das funktioniert jetzt schon seit rund 15 Jahren. Werbekunden zahlen dem 46-Jährigen – verheiratet, zwei Söhne, keine Markenklamotten und einen alten VW Bus vor der Tür – Tagesgagen von 20 000 Dollar. Zeitschriften wie Time, Harper’s Bazaar, Vanity Fair, National Geographic, Vogue, GQ und Rolling Stone drucken die Bilder des Mannes, der den legendären Richard Avedon als Hausfotograf beim New Yorker ablösen konnte. Seine Fotostrecken berühren, erzählen Geschichten, zwingen zum Hingucken. Sie jonglieren mit Märchen- und Filmmotiven. Sie besitzen frechen Witz, schroffen Charme und oft auch bissige Ironie.

Was fotografiert er nicht? „Pelze und alles was mit Militär zu tun hat. Zigarettenwerbung lehne ich auch ab“, sagt er und verrät auch gleich noch, dass er Mitglied bei Greenpeace ist.

Seine extremen Nahaufnahmen katapultierten ihn vor zehn Jahren in die erste Riege der Portraitfotografen. Sein 2005 erschienenes Buch „Close up“ mit Jack Nicholson auf dem Cover erschien in 70 Ländern, verkaufte sich allein in Deutschland 20 000 Mal. Es folgten drei weitere Bücher. Sie zeigen Bodybuilderinnen, Zwillinge und aktuell seine Lieblingsportraits.

Die Ausbildung: Brötchen mitbringen, Klappe halten!

Kleiner Star, großer Star. Martin Schoellers Ausstellung „Portraits“ in der CWC Galerie in Berlin-Mitte läuft noch bis zum 28. Februar 2015.
Kleiner Star, großer Star. Martin Schoellers Ausstellung „Portraits“ in der CWC Galerie in Berlin-Mitte läuft noch bis zum 28. Februar 2015.
© Mike Meyer

Zur Fotografie kam er allerdings nur durch Zufall, erzählt Schoeller später in einem Restaurant unweit der Schönhauser Allee. Er trägt Jeans, knittriges Hemd, Turnschuhe und Rastalocken. Den hessischen Dialekt hört man noch, wenn er von seinen Anfängen erzählt: „Mein Vater war Journalist beim Hessischen Rundfunk. Er war autoritär. Und ich war 14, als er sich von der Familie verabschiedete.“ Schoeller blieb mit seiner Schwester bei der Mutter, einer Bibliothekarin. Ohne Vater, sagt er, war das Leben leichter.

Er ging in Frankfurt aufs Gymnasium, sortierte nebenher Briefe, kellnerte, arbeitete mit Behinderten. Ein berufliches Ziel verfolgte er nicht: „Vater meinte, ich wäre faul und würde wohl nie etwas auf die Reihe kriegen. Und tatsächlich: Die Zukunft war für mich damals ein fettes Fragezeichen.“

Nach dem Abi schrieb er sich für Theologie ein. Obwohl er nicht sonderlich gläubig war. Er hatte einfach keine bessere Idee. Und der Studentenstatus ermöglichte es ihm, weiter zu jobben und über seinen Vater krankenversichert zu bleiben.

Eines Tages sagte ein Kumpel zu ihm, er solle sich doch wie er beim Lette-Verein in Berlin für eine Fotodesign-Ausbildung bewerben. Fotos? Schoeller hatte bislang nur Urlaubs-Schnappschüsse gemacht. Doch warum nicht? Und plötzlich hat er ein Ziel.

Die erste Kamera kaufte ihm sein Großvater

Das Geld für die erste Kamera, mit dem er die Bilder für die Bewerbungsmappe machte, steckte ihm sein Großvater zu. Gut investiertes Geld, wie sich zeigen sollte. Schoeller bekam einen der 50 freien Plätze, auf die sich 1000 Leute beworben hatten. Sein Kumpel bekam eine Absage. Es war das Jahr des Mauerfalls.

Schoeller bezog in Wedding eine Hinterhofbude mit Ofenheizung. Der Lehrplan war so straff, dass wenig Zeit blieb zum Jobben, erinnert er sich. Die Lösung für seine Geldsorgen jedoch wohnte direkt unter ihm: Frau Salomon, Rentnerin, keine Familie, keine Freunde. Schoeller schleppte ihr die Kohlen hoch, brachte den Müll runter, kaufte ein, unternahm mit der alten Dame Ausflüge. „Für sie war ich wohl der Sohn, den sie nie hatte“, sagt Schoeller. Deshalb hat er ihr auch sein neues Buch gewidmet „In memory of Hildegard Salomon“ steht gleich auf einer der ersten Seiten.

1991 machte er den Abschluss. Von der Bestnote jedoch war er weit entfernt: „Ich war damals ein guter Techniker. Kein so toller Fotograf.“

Es folgte ein Praktikum bei einem Stilllebenfotografen. Dann lernte er einen Werbefotografen kennen, dem gerade ein Assistent abhanden gekommen ist. Er suche einen neuen. „Hauptgewinn, dachte ich. Sechser im Lotto“, sagt Schoeller. Völlig euphorisiert zog er nach Hamburg.

Die Regeln: Brötchen mitbringen, Klappe halten!

Sein erster richtiger Arbeitgeber stellte jedoch harte Regeln auf. Als dritter Assistent hatte Schoeller jeden Morgen um sieben Uhr mit frischen Brötchen auf der Matte zu stehen, seine Meinung zu fotografischen Inhalten aber solle er besser für sich behalten. Die Arbeitszeit betrug 16 Stunden am Tag. Freie Wochenenden? Schoeller schüttelt den Kopf: „Als der Typ mich nach vier Monaten feuerte, fiel mir ein Stein vom Herzen. Ich habe viel gelernt, war jedoch total überfordert. Aber so langsam wusste ich trotzdem, dass sich meine Mappe sehen lassen kann.“

1992 flog er nach New York: Jobsuche. Sein Englisch war damals miserabel, sagt er. Trotzdem rief er im Studio von Irving Penn an, einem der größten amerikanischen Porträtfotografen: „Penn war selber am Apparat. Ich sackte ehrfürchtig in die Knie. Nein, er brauche keinen Assistenten.“ Schoeller kehrt heim nach Deutschland.

Der Durchbruch: Warum sich Tom Cruise nicht fotografieren lassen will

Kleiner Star, großer Star. Martin Schoellers Ausstellung „Portraits“ in der CWC Galerie in Berlin-Mitte läuft noch bis zum 28. Februar 2015.
Kleiner Star, großer Star. Martin Schoellers Ausstellung „Portraits“ in der CWC Galerie in Berlin-Mitte läuft noch bis zum 28. Februar 2015.
© Mike Meyer

Doch nicht für lange. New York, zweiter Versuch: „Diesmal war die Großmeisterin der Glamourfotografie, Annie Leibovitz, Schoellers Ziel: Immer wieder rief er in ihrem Büro an. Immer wieder holte er sich eine Abfuhr.

„Es gab zwei Alternativen. Ich schaffe es als Fotograf in New York. Oder ich suche mir in Deutschland einen Job in der Behindertenhilfe“, erzählt er. Als Schüler und Student betreute er lange einen MS-Kranken. Die Option wieder als dessen Betreuer einzusteigen, bestand.

Doch dann starb Leibovitz’ erster Assistent – wohl eine Überdosis. Der zweite Assistent rückte auf, der dritte wurde zum zweiten, die dritte Assistentenstelle frei. Genau in diesem Augenblick rief Martin Schoeller an. Und bekam den Vorstellungstermin. Sie zahle 85 Dollar am Tag, sagte Leibowitz. Er könne gleich anfangen.

Von 1993 bis 1996 arbeitete Schoeller für Leibowitz, doch sein Gesichtsausdruck verrät heute, dass er nicht mehr viele Sympathien für sein einstiges Vorbild hegt: „Ich war ihr Sklave und Fußabtreter. Doch ich habe durch ihren Drill den Umgang mit Licht von der Pike auf gelernt. Lampen, Blitze, Effekte sind in der Porträtfotografie das Wichtigste überhaupt. Und sie war die Beste darin.“

Monatelang begleitet er Polizisten auf Nachtschicht

Nach drei Jahren wagte er den Schritt in die Selbstständigkeit. Einige Monate lang beobachtete er die Arbeit der Nachtschicht eines Polizeireviers in New Jersey. Die Zeit bei den Beamten war eine wichtige Erfahrung. Er sah Mord und Totschlag, Not und Elend. Er erzählte mit seinen Bildern Geschichten und er erkannte, dass Menschen sich in ihren Umfeldern wie auf Bühnen bewegen. Im Studio hingegen erstarren sie. Wenn es ihm gelänge, die Leute im Studio authentisch bleiben zu lassen, würde aus ihm ein großer Fotograf werden. Das ist sein Masterplan.

Er hatte damals nur eine Kamera. Und teure Lichtanlagen konnte er sich noch nicht leisten. Also improvisierte er. Es sind ein paar billige Leuchtröhren, die den authentischen Tageslichteffekt erzeugen. Tag für Tag verfeinerte er seine Technik, mit der er auf den Straßen wechselnder New Yorker Stadtteile sitzt und Menschen fotografiert. Die Wahrheit, meint er, stehe den Leuten ins Gesicht geschrieben. Sie herauszukitzeln sei sein Ansinnen. „Ich komme mit meiner Kamera immer einen Hauch von unten, um Respekt zu zeigen. Egal, ob mein Gegenüber George Clooney heißt oder ein obdachloser Junkie ist. Ich möchte die Menschen nicht nur gut aussehen lassen. Ich mache Bilder, die weniger lügen als andere. Dafür arbeite ich genau auf den Moment hin, in dem die Leute hellwach sind, etwas Offenes, Intimes von sich geben und noch nicht gestellt wirken. Oft ist das so, wenn ich einen Witz mache und sie gerade aufgehört haben zu lachen. Dann drücke ich ab.“

Als eine seiner extremen Nahaufnahmen im New Yorker Wochenmagazin „Time Out“ erschien, war das sein Durchbruch. Diese brachiale Bildsprache war neu. „Ich hatte die Schauspielerin Vanessa Redgrave porträtiert“, erinnert sich Schoeller . „Plötzlich bekam ich Aufträge von renommierten Magazinen. Ich war der Shooting-Star, der junge Wilde.“ Die Bildchefin des „New Yorker“ wurde auf ihn aufmerksam – und gab ihm einen Exklusivvertrag.

„Der fotografische Fight gegen die staatsmännische Steifheit und das öde Hollywood-Strahlegrinsen, das ist mein Job“, sagt er. „Ich liebe ihn – obwohl ich vor jedem Job schlecht schlafe und sehr aufgeregt bin.“

Später, bei einem Vortrag in der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula des Lette-Vereins, sagt er noch: „Im Grunde mache ich vier Jobs. Neben dem Fotografen bin ich auch Regisseur, Diplomat und Entertainer. Ich habe aktuell 60, 70 Jobs im Jahr. Wenn es mir gelingt, zehn gute Fotos zu machen, dann war es für mich ein erfolgreiches Jahr.“

Tom Cruise wollte sich nicht fotografieren lassen

Schoeller mag Macken und Makel. Er will, dass sie auf seinen Bildern zu sehen sind. Und sie sind zu sehen. Tom Cruise und Mariah Carey lehnten ihn wohl deshalb ab. Vielleicht, weil sie Angst hatten, nicht die üblichen zehn Kilo leichter und zehn Jahre jünger auszusehen. Tony Hawk, US Skateboardikone indes hatte kein Problem damit, für Martin Schoeller mit seinem Board über den Küchentisch zu brettern, Marina Abramovic, Performance-Künstlerin, zwischen lauter Nackten in der New Yorker U-Bahn zu stehen und Komiker Steve Carell, sich das Gesicht mit Klebeband zupflastern zu lassen.

Trotz allem kommt es auch heute gelegentlich noch vor, dass ein junger Schauspieler oder seine Pressesprecherin herum zicken, ein Fotomotiv sei zu gewagt. Er lässt dann einfach fallen, Robert de Niro sei neulich beim Shooting ganz locker gewesen und habe alles mitgemacht. Meistens reicht das.

Der Text erscheine auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.

Jörg Heuer

Zur Startseite