Der Held Frankreichs: Lassana Bathily rettete mehrere Menschen im "Hyper Cacher"
Lassana Bathily wirkt schüchtern, blickt häufig zu Boden. Viele Pariser fordern nun, ihm die Nationalmedaille zu verleihen. Der Flüchtling hat im jüdischen Supermarkt mehreren Geiseln das Leben gerettet.
Wenn Lassana Bathily vom ersten Schreckmoment berichtet, dann scheint es so, als müsse er die ganze Tortur erneut durchleben. Er schluckt, dann sprudelt es aus ihm heraus. „Da kam diese verängstigte Menge auf mich zu“, erzählt der 24-Jährige in zahllosen TV-Interviews, die er gibt, seit er als Angestellter des jüdischen Supermarktes „Hyper Cacher“ mehrere Menschen vor dem islamistischen Attentäter Amedy Coulibali rettete. Dank seines Mutes überlebten am vergangenen die von ihm versteckten Kunden – darunter ein Kind.
Lassana Bathily wirkt schüchtern. In Interviews, vor Kameras, vor Mikrofonen blickt er häufig zu Boden. Im Kapuzenpulli, die Hände vor sich auf den Tisch ruhend, spricht er leise. Seine Antworten sind immer höflich, auch wenn er von erschütternden Szenen berichtet.
Er selbst war zum Zeitpunkt des Anschlages im Keller des Supermarktes an der Porte de Vincennes im Osten von Paris und räumte die Tiefkühlware ein. Als einer der Kunden stammelte „ein Verrückter, oben, bewaffnet“, reagierte Bathily sofort. Er griff zum Knauf der Kühlkammer, schaltete die Kühlung ab, schickte die Menschen in den winzigen Raum, verriegelte die Tür hinter ihnen, versuchte, sie zu beruhigen. Wie viele Kunden es waren, ist ungewiss. Manche sprechen von sechs, andere von 15.
Bathily kam, wie viele Migranten in Paris, illegal nach Frankreich. Im Jahr 2006, er war gerade 16 Jahre alt, wollte auch er weg aus dem Elend seiner Heimat Mali. Sein Vater war da schon einige Zeit in Paris. Seine Mutter blieb in dem Dorf Samba Dramané in der Provinz Kayes zurück. Die Flucht schien ihr zu beschwerlich. Im Jahr 2011, nach Jahren in der Illegalität, die er als „Marsch durch die Wüste“ beschreibt, erhielt Bathily seine Aufenthaltspapiere und einen Monat später seinen ersten Arbeitsvertrag.
Als Moslem für Juden arbeiten? Für ihn kein Thema
Nach einem Job in einem Restaurant bekam Bathily vor vier Jahren eine Anstellung beim „Hyper Cacher“. Als Moslem für Juden arbeiten? Für ihn kein Thema, sagt Bathily. „Niemand hat mich hier wegen meiner Religion diskriminiert.“ Im Gegenteil: Das Supermarkt-Team sei für ihn wie eine zweite Familie gewesen. „Ich bin praktizierender Moslem, ich habe im Supermarkt gebetet, alles ist gut“, sagt er.
Als er im Kühlraum realisierte, wie gefährlich die Situation im Erdgeschoss über ihnen war, als er Schüsse hörte, versuchte er die Kunden davon zu überzeugen, mit ihm zu fliehen. Der Attentäter hatte da schon eine andere Mitarbeiterin in den Keller geschickt, um auszurichten, er töte alle Geiseln, falls sich dort unten noch jemand versteckt halte.
„Sie waren starr vor Angst“, beschreibt Bathily die Situation. Deshalb entschloss er sich, alleine zu fliehen und nach Hilfe zu suchen. Er kannte ja das Gebäude. Er nahm einen kleinen Fahrstuhl, mit dem gewöhnlich Kartons von der Straße in den Keller befördert werden, und kletterte aus einer kleinen Türöffnung Richtung Freiheit.
Dem Fernsehsender BFMTV schilderte Bathily was danach geschah. Mit erhobenen Händen sei er auf die Polizisten, die den Supermarkt umlagert hatten, zugegangen. Einer der Beamten schrie „Hände hoch!“, ein anderer „auf den Boden!“. Bathily tat, was sie von ihm verlangten und versuchte sich zu erklären. Die Sicherheitskräfte wussten laut Medienberichten zu diesem Zeitpunkt bereits, dass im Supermarkt ein schwarzer aus Mali stammender Mann angestellt ist.
Trotzdem wurden ihm Handschellen angelegt, berichtet Bathily. Er wurde eineinhalb Stunden festgehalten, als Verdächtiger behandelt. Er habe den Beamten erklärt, dass er im Supermarkt arbeite, dass die eingeschlossenen Menschen im Kühlraum auf Rettung warteten, doch die Polizisten glaubten ihm zunächst nicht. Erst 90 Minuten später ahnten sie, dass Bathily entscheidend bei der Rettung aller restlichen Geiseln behilflich sein könnte. Er zeichnete den Spezialeinheiten einen detaillierten Plan vom Supermarkt, auf dem die spätere Rettungsaktion fußte.
Im Internet fordern jetzt viele französische User im Minutentakt, dass Lassana Bathily die französische Nationalmedaille verliehen bekommen soll. Andere sind strikt dagegen. In einem häufig gelesenen, rechtskonservativen Blog bezeichnet ihn ein Eintrag als „Marionette der linken Presse“, die nun mit seiner Geschichte lediglich ihre „Legende von Multi-Kulti“ bewerben wolle.
Auch muslimische Internetnutzer kritisieren die Heroisierung
Doch auch muslimische Internetnutzer kritisieren die Heroisierung Bathilys. Es sei gut, dass es Lassana Bathily gebe, dass er gefeiert werde, so der Tenor, aber es sei auch bezeichnend, dass Bathily nun als Ausnahme, als Held dargestellt werde. Nach dem Prinzip: „Guter Moslem, böser Moslem.“
Bathily bekommt diese Diskussionen um seine Person natürlich mit. Doch er hoffe auf keine Medaille, sagt er. Er wisse gar nicht, ob er als „Nicht-Franzose“, überhaupt eine bekommen könne. Sein Antrag auf die Staatsbürgerschaft liege seit Wochen unbeantwortet im Amt.
„Ich kann das nicht mehr lange mitmachen“, sagte Bathily am Montag dem Nachrichtensender France 24. Für ihn seien die vergangenen Tage schwierig gewesen. Er komme nicht dazu, die Gewalt, die um ihn stattfand, angemessen zu verarbeiten. Immer und immer wieder muss er seine Geschichte erzählen. Die malischen Medien feiern ihn als Nationalhelden, wollen abendfüllende Sendungen mit ihm drehen – mit ihm, dem Mann, der vor noch nicht allzu langer Zeit ein Flüchtling war, der weder in Mali noch in Frankreich eine Heimat hatte.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.