WM 2014: Jürgen Klinsmann ist die Hoffnung der USA
Wie ein Naturereignis kam er damals über Deutschland. Mit großem Krach verschwand er wieder. Heute trainiert Jürgen Klinsmann die US-Fußballer. Mit Hingabe. Und mit Erfolg. Das Herummäkeln an seiner Kompetenz aber ist geblieben.
Im WM-Camp auf der Klubanlage des FC São Paulo trägt er meist ein blaues Polo-Shirt, rechts oben sind seine Initialen eingestickt, JK, und natürlich stülpt er sich ein Basecap über das lichter werdende Haar. Jürgen Klinsmann hat mal über sich gesagt: „Ich bin schon sehr amerikanisch.“
Der deutsche Trainer des Team USA ist in Baden-Württemberg aufgewachsen, ein größerer Gegensatz zur neuen Heimat lässt sich schwerlich vorstellen, aber längst ist er mehr Kalifornier denn Schwabe. Im Interview mit dem Tagesspiegel klang das einmal so: „Der Amerikaner gibt nicht auf, er stürzt, schüttelt sich und steht wieder auf. Die Deutschen sagen, ich sei beim FC Bayern gescheitert. So denken die Amerikaner nicht. Die würden sagen: Ist nicht gut gelaufen, what’s next? Erst kommt der Hurricane, dann wird aufgeräumt.“
Den letzten Hurricane hat Klinsmann, 49, Ende Mai erlebt, kurz nach der Nominierung seines Aufgebots für die Weltmeisterschaft in Brasilien und ein paar Wochen vor dem ersten WM-Spiel am Montag in Natal gegen Ghana. Es war sein Sohn Jonathan, der ihm via Twitter einen Ball ins eigene Tor geballert hat, wie es die Deutschen erst einmal hinbekommen müssen am 26. Juni in Recife, wenn es für Klinsmann bei der Weltmeisterschaft in Brasilien zum Duell zwischen alter und neuer Heimat kommt, aber dazu später mehr.
The Sky is the limit
Jürgen Klinsmann hat es sich noch nie leicht gemacht und die wenigsten haben es leicht mit ihm. Gerade erst regten sich die amerikanischen Zeitungen darüber auf, dass er es seiner Mannschaft eher nicht zutraut, in Brasilien Weltmeister zu werden. Hätte er das Gegenteil behauptet, wäre er überall sonst auf der Welt ausgelacht worden, aber was schert das schon den Durchschnittsamerikaner. „Let’s stay with our feet on the ground and get that group first done, and then the sky is the limit“, formulierte Klinsmann nun bei einer Pressekonferenz im besten Englisch. Aber auch das kommt nicht so gut an. Der Amerikaner kennt kein Limit, nicht am Himmel und erst recht nicht in einer Vorrundengruppe mit der Gegnerschaft aus Portugal und Ghana. Allein die Deutschen werden als eher schwer zu besiegende Konkurrenz eingestuft, aber da hat der neue Coach ja so seine Verbindungen.
Im Sommer 2005, Jürgen Klinsmann amtierte gerade ein Jahr als Bundestrainer, kam es am Rande eines Wohltätigkeitsspiels in Berlin zu einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. Klinsmann kickte mit weißem Oberhemd und bandagiertem Knie an der Seite seines Assistenten Joachim Löw gegen Kreuzberger Kinder. Als der offizielle Teil beendet war, plauderte er noch ein bisschen über die Parallelen von Sport und Politik.
Er schrieb die Laudatio für Angela Merkel
Es ging dabei um das Champions-League-Finale, der ewige Arbeiterklub FC Liverpool hatte es nach einem 0:3-Rückstand noch im Elfmeterschießen gegen Berlusconis AC Mailand gewonnen. Klinsmann, gelernter Bäckergeselle, interpretierte das als Zeichen für die bevorstehende Bundestagswahl, bei der Angela Merkels CDU als hoher Favorit gegen die SPD von Bundeskanzler Gerhard Schröder gehandelt wurde. Schwarz gegen Rot, wie auf dem Fußballplatz – wo am Ende doch die Roten gewannen.
Ein Jahr später war Angela Merkel Bundeskanzlerin und im Rahmen des deutschen Sommermärchens bei der WM 2006 ein viel beachteter Gast im deutschen Mannschaftsquartier.
Zwei Weltmeisterschaften weiter ist Klinsmann Trainer der USA. Wie schon vor einem Jahr bei einem Testspiel in Florida, trifft er dabei auch auf die deutsche Mannschaft, die seit ein paar Jahren von seinem vormaligen Assistenten Joachim Löw betreut wird. Und als Angela Merkel vor ein paar Wochen vom New Yorker Magazin „Time“ in den Kreis der 100 einflussreichsten Menschen der Welt gewählt wurde, schrieb die Laudatio ... Jürgen Klinsmann! „Ihre Art von Führung – fest, maßvoll und kooperativ – hat geholfen, dass Deutschland wieder einen respektvollen Platz hat, im Fußballstadion ebenso wie in der Weltarena“, steht darin. „Sie hat es vorgemacht und Deutschland hat den neuen Ansatz sofort angenommen. Wir haben als Nation einen Stolz gezeigt, wie seit Generationen nicht mehr.“
Er wurde Opfer seines Erfolges, der großen Erwartungen
So ungefähr dasselbe hat man damals in Deutschland über Klinsmann gesagt. Nach seinem Amtsantritt mit dem Anspruch, den ganzen Laden auseinanderzunehmen, womit vordergründig der Deutsche Fußball-Bund gemeint war und sich doch das ganze Land angesprochen fühlen durfte. Der schwäbische Kalifornier kam wie ein Naturereignis über Deutschland. Mit seiner Bereitschaft, Neues auszuprobieren, mit seinem Glauben an die Schönheit des Spiels und der festen Überzeugung, dass Nationalstolz nicht gleichbedeutend ist mit Nationalismus. Wohl kaum ein Ereignis nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Bild der Deutschen so positiv geprägt wie die Weltmeisterschaft 2006. Als Klinsmann nach vollendeter Mission zurück nach Kalifornien ging, war Deutschland ein anderes Land.
Bis dahin liest sich das wie eine perfekte Erfolgsgeschichte. Aber sie hat dann doch eine andere Wendung genommen. Klinsmann ist ein Opfer seines Erfolges geworden, der großen Erwartungen, die er geweckt hat und doch nicht befriedigen konnte. Schuld daran ist auch dieses Sommermärchen, wie es Sönke Wortmann in seinem Dokumentarfilm festgehalten hat. Es zeigte einen Jürgen Klinsmann, wie ihn noch niemand gesehen und vor allem gehört hatte. Einen, der seine Mannschaft in der Kabine anspitzte mit Formulierungen wie: „Wir müssen denen heute auf die Fresse geben!“ oder: „Das Achtelfinale lassen wir uns nicht nehmen, von niemandem, schon gar nicht von den Polen!“
Er fühlte sich missverstanden
Der Film wurde ein großartiger Erfolg, aber Klinsmann ist nie richtig glücklich damit geworden. Er fühlte sich missverstanden, abgedrängt in die Rolle des reinen Projektmanagers, reduziert auf die Kunst der Motivation. Seit dem Sommermärchen glauben die Deutschen in ihrer überwiegenden Mehrheit, dass Klinsmann vom eigentlichen Fußballgeschäft und vor allem seiner taktischen Komponente eher wenig versteht und dass er schon damals ohne seinen Assistenten arm dran gewesen wäre. Der eigentliche Gewinner des Sommermärchens hieß nicht Jürgen Klinsmann, sondern Joachim Löw.
Das ist ein bisschen ungerecht. Natürlich hat Klinsmann von Löw profitiert und von dessen taktischem Geschick. Aber was wäre aus Löw geworden, wenn ihn Klinsmann damals nicht angerufen hätte? Ohne Klinsmanns Weitblick wäre Löw wohl nie als Bundestrainer in die Lage gekommen, seine Qualitäten auf diesem Niveau anwenden zu können. Denn der Fußballtrainer Joachim Löw galt im Sommer 2004 als gescheitert. Er war mit dem Karlsruher SC aus der Zweiten Liga abgestiegen und zuletzt bei den Weltklubs Adanaspor und Austria Wien entlassen worden.
Ästhetik statt Rumpelfußball
Klinsmanns Anruf im Sommer 2004 hat Joachim Löw davor bewahrt, durch die Welt zu tingeln und halbwegs gut bezahlte Jobs bei uninteressanten Mannschaften anzunehmen. Gleichzeitig gereichte es Klinsmann zum Nachteil, dass er das machte, was ein guter Boss machen muss, nämlich die besten Leute um sich versammeln. Klinsmann engagierte ja nicht nur einen taktisch versierten Ko-Trainer. Er holte Physiotherapeuten aus den USA, stellte einen Psychologen ein und machte sich für einen Nationalmannschaftsmanager stark. Heute alles Selbstverständlichkeiten, damals wurden sie als Revolution wahrgenommen, aber wer weiß das heute schon noch? Nur noch am Rande wird er in Verbindung gebracht mit dem Verdienst der von ihm in die Wege geleiteten Veränderungen. Dank Jürgen Klinsmanns Umgestaltungswut setzen die früheren deutschen Rumpelfußballer heute ästhetische Maßstäbe.
Mit dem Sommermärchen-Film nahm die Entzauberung ihren Anfang, aber richtig zur Geltung kam sie erst, als Klinsmann sein nächstes Projekt gegen die Wand fuhr, aber so richtig. Beim FC Bayern München scheiterte er als Trainer so grandios, dass dessen Manager Uli Hoeneß noch so lange gegen ihn nachtrat, bis er selbst ein etwas größeres und persönliches Problem zu managen hatte. Als sich die Bayern nach nicht einmal einem Jahr von Klinsmann trennten, wertete die Branche das als finalen Beweis dafür, dass der Bundestrainer Klinsmann eigentlich nichts gemacht habe, außer die Arbeit seines Taktikchefs in der Öffentlichkeit zu verkaufen. Und bei den Bayern hatte er eben keinen Joachim Löw als Taktik-Experten, sondern einen Mexikaner namens Martin Vasquez.
Bisher konterte er Kritik an seiner Arbeit mit sportlichem Erfolg
Philipp Lahm, der auf den ersten Blick so liebe Kapitän der Nationalmannschaft, hat Klinsmanns Arbeit in seinem Buch „Der feine Unterschied“ mit einer selbst im brutalen Profigeschäft ungewöhnlichen Brutalität beurteilt. „Die Mannschaft hat alles versucht, die Probleme selber in den Griff zu bekommen“, schrieb Lahm. „Dass wir so viele Gegentore bekommen haben, liegt ja nicht daran, dass die Verteidiger plötzlich nicht mehr Fußball spielen können. Wir hatten einfach keine Ordnung auf dem Platz.“ Im Nachhinein ist Klinsmann in seiner Münchner Zeit darauf reduziert worden, dass er auf dem Vereinsgelände Buddha-Figuren aufstellen ließ.
„Rückblickend muss man sagen, dass in München zwei verschiedene Welten aufeinandertrafen, der FC Bayern und ich“, hat Klinsmann damals gesagt. „Diese beiden Welten waren nicht kompatibel. Deswegen war es richtig, diese Sache zu Ende zu bringen. Wenn man erkennt, dass beide Seiten anders denken, hat es einfach keinen Sinn.“ Klinsmann ging zurück nach Kalifornien, er kümmerte sich um seine Familie und ließ sich zwei Jahre Zeit mit einem neuen Job. Dem widmet er sich jetzt beim Team USA mit der ihm eigenen Hingabe. Das Herummäkeln an seiner Kompetenz aber ist geblieben.
Berti Vogts an seiner Seite
Klinsmann forschte auf der ganzen Welt nach Profis mit amerikanischem Migrationshintergrund, und dass er dabei vor allem in Deutschland fündig wurde, bescherte ihm in der neuen Heimat nicht nur Freunde. Bald schon wurden Gerüchte gestreut über vermeintliche Defizite des neuen Trainers, der sich sehr um Fitness, Yoga und Ernährung verdient mache und zu wenig von Taktik verstehe, und was wolle er eigentlich mit dem früheren Bundestrainer Berti Vogts an seiner Seite?
Immer mal wieder melden sich frühere amerikanische Fußball-Größen zu Wort, sie heißen Alexi Lalas oder Bruce Arena und äußern öffentlich ihre Sorge über den Zustand des Nationalteams. Gerade erst ist er im Sportsender ESPN „zur Hölle noch mal“ aufgefordert worden, die USA zu verlassen: „Verschwinde aus Amerika!“
Genau das hat Klinsmann getan und sich auf den Weg gemacht nach Brasilien. Einen Tag nach der Mannschaft, weil er sich in Florida noch das letzte Testspiel des ersten WM-Gegners Ghana angesehen hat, ist er nach Brasilien aufgebrochen. Die Afrikaner spielten groß auf und besiegten Südkorea 4:0, was die Aufgabe für Klinsmann nicht einfacher macht. Ghana ist der vermeintlich leichteste Gegner, danach kommen die Schwergewichte Deutschland und Portugal. Ein Misserfolg heute in Natal könnte schon das Aus bedeuten. Und was die amerikanischen Sender und Zeitungen dann mit ihrem Trainer veranstalten würden, lässt sich leicht vorstellen.
"Fest, maßvoll und kooperativ"
Es ist kühl und regnerisch in diesen Tagen in São Paulo, und die Anspannung im amerikanischen WM-Quartier ist schwer zu übersehen. „Wir respektieren jeden Gegner und seine Stärken, aber wir kennen auch seine Schwächen", sagt Klinsmann. Bisher hat er die Kritik an seiner Arbeit mit sportlichem Erfolg kontern können. Nach Anlaufschwierigkeiten schaffte er souverän die Qualifikation für Brasilien, aber so etwas wird in den USA mittlerweile als selbstverständlich angesehen. Fußball ist dort die am schnellsten wachsende Sportart, die Profiliga MLS gedeiht überraschend gut und Klinsmann freut sich, dass er hinter den Nationalsportarten Baseball, Football und Basketball langsam dem Eishockey Konkurrenz machen kann.
Jonathan Klinsmann ist eines dieser US-Kids, die im Soccer ihre Zukunft sehen. Sein Vater Jürgen hat in den vergangenen Wochen öfter erzählt, dass im Zimmer seines ein Poster von Landon Donovan hängt. Warum aber hat der Sohn dann diesen Tweet in die Welt gesetzt? Kurz nachdem Donovan, der populärste Fußballspieler der USA, aus dem Kader für Brasilien geflogen war? „HAHAHAHAHAHAH DONAVAN HAHAHAHAA I DIDNT EVEN NOTICE UNTIL MY PHONE NOTIFIED ME“, schrieb Jonathan Klinsmann, und dass DONAVAN eigentlich Donovan heißt, war dabei noch das geringste Problem. Sein Vater hatte alle Mühe der Welt, die Dinge zurechtzurücken, so richtig gelungen ist ihm das bis heute nicht. Respektlosigkeit mögen die Amerikaner nicht.
Dabei ist ein wenig untergegangen, was für Klinsmanns Führungsstärke spricht, „fest, maßvoll und kooperativ“, wie er das gerade erst bei Angela Merkel formuliert hat. Landon Donovan, 32 Jahre alt, war ein Star der Vergangenheit, aber die Vergangenheit ist nun mal vergangen. Und nichts ist so schwer wie die Trennung von vergangenen Größen. Joachim Löw, das taktische Mastermind, hat es sich noch nie getraut, eine gestandene Größe vor den Kopf zu stoßen. Sonst hätte er in diesem Sommer den offensichtlich nicht fitten Bastian Schweinsteiger zu Hause gelassen. Ein klares Wort zur Trennung des einstigen Kapitäns Michael Ballack zögerte er so lange hinaus, bis dieser von sich aus und laut polternd abtrat. Ein bisschen mehr Klinsmann würde wahrscheinlich auch den Deutschen guttun, aber der ist jetzt nun mal „sehr amerikanisch“ und steht nicht zur Verfügung.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.