Ministerpräsident Reiner Haseloff: Ist Sachsen-Anhalt noch zu retten?
Nach Sachsen-Anhalt schauen alle nur, wenn etwas schiefläuft. Wenn ein Asylbewerberheim brennt. Oder die AfD triumphiert. Landeschef Reiner Haseloff hat seinen eigenen Umgang mit Katastrophen. Unser Blendle-Tipp.
Reiner Haseloff will zu den Kühen. Er läuft los, seine Frau hinterher, der Landrat folgt, die Bürgermeisterin und die beiden Personenschützer holen auf, und Bauer Kamprad, ihr aller Gastgeber, ist ein bisschen aufgeregt. Er weicht Haseloff nicht von der Seite, zeigt, erklärt, gelegentlich steht er anderen aus der Gruppe auf den Füßen dabei. Er will das gut machen hier, der Ministerpräsident ist nicht alle Tage da.
Die Kühe stehen und kauen. Für 700 sei der Stall ausgelegt, sagt Kamprad, 600 sind drin. Manchmal müssen die Tiere ein paar Schritte zur Seite gehen, immer dann, wenn eine Art Schneepflug sich ihren Hufen nähert. Der Pflug schleift unablässig über den Betonboden, er schiebt die breit getretenen Kuhfladen zusammen und aus dem Stall heraus.
Haseloff sagt an diesem Tag: „Für mich ist schon mal wichtig, dass ich wieder mal den Geruch habe. Das zeigt, da ist Leben hier.“
Sachsen-Anhalt hat die meisten Langzeitarbeitslosen
Es ist ein Samstag Mitte Juni, nicht ganz 100 Tage nach der Wahl im März. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident nimmt sein Land in Augenschein. Ein Land, auf das andere seiner Meinung nach oft nur mit Vorurteilen blicken. Immer dann, wenn sich wieder einmal eines davon bestätigt, werde hergeschaut, sonst kaum. Wenn in Tröglitz eine Asylbewerberunterkunft brennt. Wenn Dessauer Polizisten beunruhigende Dinge tun. Wenn die AfD mit einem Viertel der Stimmen in den Magdeburger Landtag gewählt wird. Wenn die Bundesagentur für Arbeit berichtet, dass Sachsen-Anhalt das Bundesland mit den meisten Dauer-Hartz-IV-Empfängern ist.
Die Republik begeht die Tage des offenen Hofes. Ein paar hundert Landwirte machen ihre Gutstore auf und lassen fremde Leute herein, die sich dann umsehen dürfen. Hier bei Bauer Kamprad von der Agrargenossenschaft Querfurt, im Süden Sachsen-Anhalts, auf halbem Weg zwischen Halle und dem Kyffhäuser gelegen, werden es am Ende des Tages 6000 sein.
Er lobt und bestärkt - muss er auch
Sie werden Haseloff sagen hören: „Wir haben die besten Böden, die man in Mitteleuropa vorfindet.“ Er wird ein paar Fotos machen und sie in die Twitter-Welt schicken, dazu die Worte: „Tag des offenen Hofes in Querfurt/Gatterstädt: starke Landwirtschaft & großes Engagement der Menschen im ländl. Raum“.
Er wird den Leuten von seinem Elternhaus berichten, „wir hatten immer Ziegen und Schweine“, „Landwirtschaft im Nebenerwerb“, „deshalb weiß ich auch noch, was Rübenverziehen ist“.
Er spricht über ein Bundesland, das großartig sein muss, er lobt und bestärkt, und nach Lage der Dinge muss er das in dieser Legislaturperiode besonders überzeugend tun. Denn seit der Landtagswahl im März steckt er in einer Zwickmühle. Auch hier in Querfurt.
Haseloff hat, wenn man so will, rechts von Angela Merkel Wahlkampf gemacht. Er hat beispielsweise Obergrenzen für Flüchtlinge gefordert – und damit zumindest so viele Wähler davon abgehalten, bei der AfD ihr Kreuz zu machen, dass seine CDU immer noch die stärkste Partei im Land ist. Nun muss er links von der Kanzlerin, mit der SPD und den Grünen, regieren. Die neue Landwirtschaftsministerin ist eine Grüne.
"Jetzt trinken wir alle 'nen Likör"
Das Ganze war noch nicht einmal verhandelt, da standen schon hunderte Bauern auf dem Domplatz der Landeshauptstadt und protestierten. Sie hatten Transparente dabei. „Wer auf dem Lande leben will, braucht keinen Ökoimperialistenstil“, stand auf einem, auf einem anderen: „Das Grüne Imperium: Willkommenskultur für den Wolf und Handschellen für die Landbevölkerung“.
Die Landbevölkerung: Gut 20 000 Menschen arbeiten in Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsbetrieben, knapp die Hälfte davon ist nicht einmal vollbeschäftigt. 20 000 von zwei Millionen Einwohnern, aber schon die sind offenkundig in der Lage, bei Missgefallen an der Regierung Lärm zu machen.
Was hilft noch dagegen? „Jetzt trinken wir alle ’nen Likör“, sagt Haseloff. Er lässt sich weiter übers Hofgelände führen, schaut sich an den Marktständen um, die hier für diesen Tag aufgebaut sind. Er läuft vorbei am Tresen mit der „Riesen-Pferdebockwurst“, macht Halt beim Weißweinverkäufer, dessen Reben auf der Abraumhalde eines einstigen Braunkohletagebaus wachsen. Haseloff stößt an, geht auf einen der 6000 anderen Besucher zu und fragt ihn völlig zusammenhanglos: „Kommen Sie aus der Landwirtschaft?“ Die Antwort hängt noch in der Luft, da ist Haseloff schon ...
Den vollständigen Text lesen Sie für 45 Cent im digitalen Kiosk-Blendle