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Polizei in Ferguson.
© Reuters

Nach dem Tod von Michael Brown: In Ferguson wird weiter demonstriert

Nächtelang geht das nun so. Demonstrationen. Dann Krawall. Nach dem Tod des 18-jährigen Michael Brown kommt Ferguson nicht zur Ruhe. Und in den USA beginnt eine uralte Diskussion aufs Neue.

Larrel steht am Straßenrand und schaut auf den McDonalds in Ferguson, an dem es in den letzten Nächten immer wieder geknallt hat. Wenige Meter entfernt hat die Polizei ihren Panzerwagen mit dem Tränengas im Tank postiert. Mit seinem roten Tuch in den Haaren und der weißen Basecap am Gürtel unterscheidet sich der 18-Jährige kaum von den Jungs, die sich seit dem Tod von Michael Brown jeden Tag Straßenschlachten mit der Polizei liefern. Aber Larrel sagt: Shit, die Randale sei einfach scheiße. Die gewalttätigen Protestler seien alles Fremde, nicht von hier. Die fühlten es auch gar nicht, dieses „Michael Brown, das könnte auch ich gewesen sein“, sagt Larrel. Aber wenn der Schütze nicht angeklagt wird, dann wechselt auch Larrel die Seiten.

Die Randalierer, mit denen Larrel bislang nichts zu tun haben will, treffen sich jeden Abend, wenn es dunkel wird. Sie rollen mit ihren Autos auf die Parkplätze vor den kleinen Läden, die die zentrale Straße des Vorortes säumen. Die Kennzeichen an den Wagen stammen nicht aus Ferguson, dem mit seinen kleinen Häusern und viel Grün ländlich anmutenden Vorort von St. Louis in Missouri. Die meisten von ihnen kommen aus anderen Ecken von St. Louis oder sogar aus den anderen Bundesstaaten.

Warten auf Krawall

Da stehen sie und stecken die Köpfe zusammen, warten auf einen Anlass, wieder losrennen zu können. Die Geschäftsleute wissen, dass es dann nicht mehr lange dauert, bis sich die Luft mit Tränengas füllt. Sie haben ihre Läden verrammelt, auf jener Straße, auf der seit mehr als einer Woche bis in den späten Abend demonstriert und bei Nacht gekämpft wird. Ein paar hundert Meter weiter ist Michael Brown vom Polizisten Darren Wilson vier Mal in den rechten Arm und zwei Mal in den Kopf geschossen worden. Noch gibt es keine Anklage gegen den Schützen. Von der Ost- bis zur Westküste der Vereinigten Staaten verfolgen Afro-Amerikaner die Entwicklungen in Ferguson in der ständig laufenden Liveberichterstattung auf allen Fernsehkanälen.

Am Mittwoch hat die Beweisaufnahme einer Grand Jury in St. Louis begonnen. Sie soll klären, wie es kam, dass ein 18-jähriger schwarzer Junge, weil er auf der Straße statt auf dem Bürgersteig lief, mit sechs Schüssen, abgefeuert von einem Polizisten, niedergestreckt wurde. Der Generalstaatsanwalt von Missouri, Chris Koster, ist in der Nacht zum Dienstag in Ferguson aufgetaucht, um die Menschen über den Stand des Verfahrens zu informieren. Zur Beschwichtigung und Versicherung.

Obama schickt den Justizminister

US-Justizminister Eric Holder, ein Schwarzer, der nicht schweigt, wenn es um die Diskriminierung der Afro-Amerikaner in den USA geht, ist ebenfalls angereist. Er lässt sogar prüfen, ob die Arbeit der Polizei insgesamt Gegenstand einer Untersuchung werden sollte. US-Präsident Barack Obama muss handeln und er schickt seinen glaubhaftesten Vertreter schwarzer Bürgerrechte. Denn in Washington und in St. Louis wissen sie, wenn die Schüsse ungesühnt bleiben, dann waren die Straßenschlachten erst der Anfang.

Am Dienstag ist schon wieder ein junger Afro-Amerikaner von einem Polizisten erschossen worden. Er hatte ein Messer, so sagt es der zuständige Polizeichief. Vielleicht erklärt das den Umstand, das die Nachricht in Ferguson so ruhig aufgenommen wird. Die für die Nacht zum Mittwoch befürchtete Eskalation bleibt zunächst aus. Auch als beim „Bowen‘s Beauty Supply“ eine Schlägerei ausbricht und eine der Polizeieinheiten zwischen die beiden kämpfenden Männer geht. Schnell ziehen die Einsatzkräfte die Rivalen aus dem Gewühl, hinter ihre eigenen Reihen. Es ist eine Anspannung zu spüren in der Menge, der Zwischenfall könnte der Auslöser sein, auf den die Krawallmacher warten. Sie machen sich nicht erst die Mühe, ihre Lust auf Ärger zu verbergen. „Frauen und Kinder nach Hause“, ruft ein schlaksiger junger Schwarzer, das Halstuch bis zu den Augen hochgezogen, keine 20 Jahre alt.

Ein schwarzer Präsident - das zählt nicht mehr viel

Irritiert blicken ihn die Männer und Frauen an, die Priester und die Bürgerrechtsaktivisten, die friedlich protestieren. „Hands up. Don‘t shoot“, ruft der Chor der Demonstrierenden, die in ewigen Runden die West Florissant hoch- und runterziehen. Sie wollen friedlich für Gerechtigkeit für Michael Brown und alle schwarzen Menschen Amerikas demonstrieren. „Geht nachhause, es ist Zeit, vertraut mir“, ruft ihnen eine Frau entgegen. Sie trägt das schwarze T-Shirt der „Peacekeaper“, eine Art friedliche Bürgerwehr, die sich auf den Straßen um Ruhe und Frieden bemüht.

Amerika scheint in der Wahrnehmung all dessen, was in Ferguson passiert, geteilt zu sein. Eine Studie des Pew-Forschungsinstituts zeigt, dass zwar 80 Prozent der schwarzen Amerikaner sagen, die Schüsse in Ferguson hätten wichtige Fragen der Rassenungerechtigkeit an die Oberfläche gebracht. Unter den weißen Amerikanern sind es allerdings nur 47 Prozent. 65 Prozent Afro-Amerikaner meinen, die Polizei habe gegen die Proteste überreagiert, nur 33 Prozent der Weißen sehen das ebenso. Und während 52 Prozent Weißer einer unabhängigen Untersuchung vertrauen, sind es gerade mal 18 Prozent der schwarzen Bevölkerung der Vereinigten Staaten.

Und Obama? Nach zwei Tagen hat er am Dienstag seinen kurzzeitig unterbrochenen Urlaub fortgesetzt. Er flog wieder auf die Insel Martha’s Vineyard. Gut eine Woche nach seinem Ferienbeginn war er am Sonntag nach Washington gekommen, um sich im Weißen Haus mit dem Militäreinsatz im Irak, den gewaltsamen Protesten in der Stadt Ferguson und wirtschaftlichen Problemen des Landes zu beschäftigen. Der zweite Teil seines Urlaubs soll bis Sonntag andauern.

Der Präsident dramatisiert nicht

Statt selbst nach Ferguson zu fahren, schickte Obama seinen Justizminister Eric Holder. In seiner Rede trat der Präsident keinem zu nahe, ob schwarz oder weiß. Die Polizei forderte er zur Zurückhaltung auf, und die Demonstranten zur Ruhe. Dabei sagte er, dass junge Schwarze mehr Chancen hätten, im Gefängnis oder vor Gericht zu landen, statt eine Universität zu besuchen und einen guten Beruf zu bekommen. Mit Rücksicht auf Konservative und auf ethnische Gruppen lehnt es der Präsident ab, die Situation zu dramatisieren, oder sich in der Frage der Gleichberechtigung zwischen Schwarzen und Weißen zu engagieren.

Das ist Jugendlichen in Ferguson kaum zu vermitteln. Die Schwarzen hier am Nordrand von St. Louis haben kein Vertrauen. Die Polizisten sind weiß. Und der getötete Michael Brown hatte kein Messer. Eine Autopsie im Auftrag der Familie hat gezeigt, dass den 18-Jährigen sechs Schüsse getroffen haben. Zwei davon in den Kopf. Und einer, diese Nachricht wurde in Ferguson mit einem ganz schlechten Gefühl aufgenommen, traf Michael von oben in den Kopf. Er muss also im Treffmoment seinen Kopf vorgebeugt haben, sagt Michael Baden, der die Autopsie durchgeführt hat. Es war vermutlich die letzte Kugel. Ob das bedeutet, dass Michael Brown auf den Polizisten zugegangen ist, oder, wie unter den Demonstranten vermutet wird, gar schon am Boden gelegen hat, das muss jetzt die Jury aufklären. Und das Justizministerium. Und Obama.

Martialische Uniformen

Doch ein schwarzer Präsident, der zählt nicht mehr viel im schwarzen Teil Amerikas. Wer ständig von weißen Polizisten kontrolliert, von weißen Polizisten schikaniert wird, dem ist es relativ egal, wer im Weißen Haus sitzt. Vor fünf Jahren haben in St. Louis Polizisten einen Afro-Amerikaner brutal in die Mangel genommen. Zu Unrecht, das mussten auch die Polizisten feststellen. Aber eine Klage haben sie ihm dann doch noch angehängt. Er habe mit seinem Blut ihre Uniformen beschmuddelt. Sachbeschädigung. Polizisten vertraut man nicht, wenn man als schwarzer Jugendlicher in Ferguson aufwächst.

Larrel streift neugierig die West Florissant entlang. Die Randalierer, sagt er, machen hier alles kaputt. Aber ein wenig beeindruckt es ihn auch, die starken Jungs von außerhalb kämpfen zu sehen. Es sind Fremde, die aussehen wie er, die reden wie er, „die haben aber keine Ahnung von Ferguson“.

Auf der anderen Seite der Straße stehen die Polizisten mit den martialischen Uniformen, mit ihren Helmen, Schilden und Schlagstöcken. „Wir sind doch nicht im Irak“, sagt Larrel kopfschüttelnd. Im Zweifel hat der Jugendliche keine Schwierigkeiten, sich zu entscheiden. Er folgt einem schlichten Wunsch: „Ich will auf der Straße gehen können, ohne erschossen zu werden.“

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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