Jürgen Klopp beim FC Liverpool: „I’m the normal one“
Ohne Umstände macht Jürgen Klopp mit dem weiter, was ihn groß rausgebracht hat im Fußball. Leidenschaftliches Erzählen über ein an sich einfaches Spiel.
Er hatte sich schon einen Vorsprung herausgespielt. Aber wie so oft im Fußball brauchte es noch eine spielentscheidende Szene. Einen Moment, in dem alles zusammenkommt und der bleiben wird fürs Weitererzählen. Von der „größten Ehre“ hier sein zu können, hatte Jürgen Klopp auf dem Podium gesprochen, seinen neuen Verein einen „der größten der Welt“ genannt und geschwärmt von der „Intensität des Fußballs und wie die Menschen hier Fußball leben“. Aber es sollte noch etwas kommen bei diesem Auftritt, dem ersten von Jürgen Klopp als Trainer des FC Liverpool.
Dann zieht er ab. „I’m the normal one.“ Treffer.
Es gab dazu eine Vorlage von einem der erfolgreichsten der Branche. Als José Mourinho, zweifacher Champions-League-Sieger, zum ersten Mal in London als Trainer des FC Chelsea vorgestellt wurde, nannte er sich selbst „The special one“. Und weil das so ein geflügeltes Wort geworden ist und Mourinho als Großmeister der Trainer gilt, wollte nun jemand von Klopp wissen, wie er sich denn beschreibe. Da dribbelt Klopp langsam los, elegant im dunklen Anzug, aber gleichzeitig mit einem jungenhaften Lächeln, erzählt davon, dass er aus dem Schwarzwald komme, seine Mutter jetzt vielleicht vor dem Fernseher sitze und stolz sei, auch wenn sie bis jetzt nichts verstanden habe. Dann zieht er ab. „I’m the normal one.“ Treffer.
Die erste Reaktion darauf ist anerkennendes Gelächter im Saal, die nächsten Reaktionen sind massenweise Sympathiebekundungen im Internet, und fast alle beziehen sich auf diesen Satz.
Sein Englisch hört sich noch etwas deutsch an
Jürgen Klopp, 48 Jahre alt, hat sich einfach mal selbst gelabelt, als Sprachspieler, obwohl die Sprache nicht einmal seine ist. Sein Englisch hört sich noch etwas deutsch an, aber kein Spieler des FC Liverpool wird sich herausreden können, dass er nicht verstehe, was der neue Trainer von ihm will. Ihm sei ja vorher von vielen über die britische Presse berichtet worden, sagt Klopp und schaut keck in die große Runde. „Jetzt ist es an Ihnen, zu zeigen, dass das alles Lügner waren.“ Noch einmal Gelächter.
In Liverpool macht Klopp damit weiter, womit er groß rausgekommen ist im Fußball. Mit dem leidenschaftlichen Erzählen über ein an sich einfaches Spiel. Bei der WM 2006 erlebte das erstmals das ganze Land, als er im ZDF die Begegnungen nachbesprach und dabei immer klang, als hätte er eben selbst am liebsten mitgespielt. Aus ihm sprudelten Sätze wie der zum 0:0 der Fußball-Giganten Argentinien und Niederlande: „Das ist wie wenn Weihnachten und Ostern zusammenfallen und du bekommst nur ein Paar Socken geschenkt.“
Der FC Liverpool ist sein dritter Klub
Er ist the normal one, special ones sind für ihn die Klubs mit ihren Fans. Der FC Liverpool ist auch erst der dritte in seiner Reihe als Trainer. Den FSV Mainz 05, selbst ernannter Karnevalsverein des Fußballs, hat er als Erster in die Bundesliga geführt, mit Borussia Dortmund, dem Arbeiterstolz aus dem Ruhrgebiet, ist er zweimal Deutscher Meister geworden und Finalist der Champions League.
In beiden Klubs ist er geliebt worden, weil er alle mit seiner Begeisterung ansteckte. Weil er sich über niemanden zu erheben versuchte und immer von seiner Herkunft erzählte, auch darüber, selbst nicht mehr als ein durchschnittlicher Spieler gewesen zu sein. „Ich hatte das Talent für die Landesliga und den Kopf für die Bundesliga. Herausgekommen ist die Zweite Liga.“ Das kam im beschaulichen Mainz genauso gut an wie im malochenden Dortmund. „Wir haben hier ein modernes Fußball-Märchen geschrieben“, sagte er zum Abschied in Dortmund, dann machte er vier Monate Pause, in denen er nicht durchblicken ließ, welche Trainerbank er denn einmal besetzen könnte. Und jetzt ist er beim FC Liverpool angekommen, auch so ein special one.
"You'll never walk alone"
Klopp steht mit seinen Worten und manchmal auch übertriebenen Gesten, wenn ihm die Gesichtszüge entgleiten, dafür, dass Fußball zuerst ein Gefühlsspiel ist. „Ich bin ein Fußball-Romantiker.“ Da ist er beim FC Liverpool genau richtig, weil nur wenige Vereine so viel durchlebt und durchlitten haben wie dieser.
Im Brüsseler Heysel-Stadion stürmten 1985 im Finale des Europapokals der Landesmeister Anhänger des FC Liverpool den Fanblock von Juventus Turin, 39 Menschen starben und Liverpool wurde sieben Jahre aus den europäischen Wettbewerben verbannt. Im Hillsborough-Stadion von Sheffield kam es 1989 bei einem Pokalspiel zu einer weiteren Katastrophe, als 96 Fans des FC Liverpool in einer Massenpanik nach einem Versagen der Ordnungskräfte zu Tode gedrückt wurden. Die Anteilnahme damals war grenzenlos. „You’ll never walk alone“, die Vereinshymne, wurde ins Vereinswappen übernommen, sie wird übrigens auch in Mainz und Dortmund vor jedem Anstoß gesungen.
Die letzte Meisterschaft datiert aus dem Jahr 1990
Vielleicht ist Jürgen Klopp auch dazu da, den Liverpooler Fans ihre Rolle erträglicher zu machen. Der Verein steht gerade auf Platz zehn der englischen Premier League. Die anderen englischen Klubs scheinen enteilt zu sein, Manchester United, Manchester City, der FC Chelsea, Arsenal. In die Mannschaft hat der Verein viel Geld investiert, aber richtig gut zusammengestellt wirkt sie nicht und es gibt mächtige Gremien, mit denen sich Klopp absprechen muss, um die Mannschaft nach seinen Vorstellungen zusammenzustellen. „Hauptsache, ich habe das erste und das letzte Wort. Dazwischen können wir über alles diskutieren“, sagt er.
Seine besten Zeiten scheint der FC Liverpool vorerst hinter sich zu haben. Vor zehn Jahren konnte er noch einmal die Champions League gewinnen, die letzte englische Meisterschaft hat der Klub 1990 gefeiert. 13 der insgesamt 18 englischen Meistertitel hat Liverpool zwischen 1964 und 1990 geholt. In dieser Zeit beschäftigte der Klub zusammen gerade einmal vier Trainer. Shankly, Paisley, Fagan, Dalglish. Die Namen muss man flüstern, so heilig sind sie. Sie haben alles gewonnen. Diese Männer haben den FC Liverpool verkörpert – dabei kam keiner von ihnen aus Liverpool. Herkunft ist egal. Viel wichtiger ist hier, dass man das bestimmte Etwas hat. Dass man „The Kop“, die legendäre Fantribüne im Stadion an der Anfield Road, zum Singen bringen kann. Dass man versteht, dass Liverpool viel mehr als ein Fußballklub ist. Dass der FC Liverpool die rote Hälfte einer einzigartigen Stadt ist, wo die Geschichte nie vergessen werden darf – das Großartige genauso wenig so wie das Tragische (Hillsborough, Heysel). Die blaue Hälfte gehört übrigens dem FC Everton.
Langweilig wird es mit Klopp nicht
Vor dieser schwerwiegenden Geschichte und den tiefen und komplizierten Gefühlen scheint Klopp keine Angst zu haben. „Ich liebe all die Geschichten. Anfield ist einer der besten Orte in der Fußballwelt“, sagt Klopp bei seinem Amtsantritt.
In Dortmund haben sie vor allem seine Emotionalität und seine Ehrlichkeit geschätzt. In Liverpool haben sie schon angefangen, ihn auch genau dafür zu mögen. Die Planstelle für ein Idol war in Liverpool ohnehin vakant, seitdem Kapitän Steven Gerrard nach 25 Jahren den Verein in der abgelaufenen Saison verlassen hatte. Nun also vielleicht Klopp. Und dass sich schon einmal ein Trainer in England als „the normal one“ bezeichnet, hat, macht seinen Auftritt nicht schlechter. Denn es war Avram Grant, als er 2007 den FC Chelsea übernahm – als Nachfolger von Mourinho. Seine Selbstbeschreibung fiel ihm jedoch später auf die Füße. Normal war einfach langweilig. Diese Gefahr wird bei Klopp nicht bestehen.
Nur New York ist vergleichbar
Klopp ist einer für langfristige Arbeit. Sieben Jahre war er zuletzt bei der Borussia in Dortmund. Wie lange wird er nun bleiben in dieser Stadt, in der der Wind den Regen oft waagerecht ins Gesicht sprüht, geradewegs vom Meer kommend, die Herz hat und eine freundliche Schnoddrigkeit und in der Touristen vor allem wegen der Beatles reisen?
„New York ist der einzige andere Ort, der vergleichbar ist“, hat Simon Rattle gesagt, Chef der Berliner Philharmoniker und gebürtiger Liverpudlian. „Man mag Liverpool nicht: Entweder hasst man es, oder man liebt es. Und ich kenne keinen, der dort herkommt und es hasst.“ Bei ihm sei es jedenfalls ganz einfach: „In der Minute, in der ich aus dem Zug steige und den Akzent höre, ist es um mich geschehen. Ein ,arright’ und ich bin zu Hause.“
Keine Frage, der Akzent der Liverpooler, Scouse genannt, ist speziell und in Umfragen immer mal wieder als einer der übelsten in ganz Großbritannien identifiziert. Nicht umsonst finden sich im Internet jede Menge Übersetzungshilfen. Ein Idiot heißt hier Beaut, ein Bier Bevvy, betrunken sodann bevied up.
In dieser Stadt trägt Jürgen Klopp nun zum Gefühlsleben bei mit seiner Arbeit, von der er sagt: „Ich versuche ein bisschen zu helfen.“ Bis Sonnabend nächster Woche hat er Zeit zum Aufwärmen, zum Kennenlernen, zum Einfühlen und zum Vorstellen, dann steht er zum ersten Mal als Trainer an der Seitenlinie, in London beim Auswärtsspiel gegen Tottenham Hotspur. Ein Heißsporn gegen Hotspur, kein schlechter Anfang für diese Geschichte. Mitarbeit: Stephen Glennon