Urteil im Fall Gina-Lisa Lohfink: Für die Justiz ist sie eine Lügnerin
Gina Lisa Lohfink wurde wegen falscher Verdächtigung verurteilt. Sie soll ein Vergewaltigung erfunden haben. Ihr Anwalt will in Berufung - „selbstverständlich“.
Ein letzter Auftritt, dann war die Show zu Ende. Schuldig. Buh-Rufe aus dem Publikum. Gina-Lisa Lohfink, steht auf, reckt den Hals, ihre Geste zeigt Abscheu. Sie will sich das nicht anhören und geht. Wütend ist sie, man sieht es. Zum ersten Mal in dem Prozess wirkt es, als spiele sie kein Theater.
Es hört sich jetzt alles etwas anders an als noch vor ein paar Wochen, als das 29 Jahre alte frühere TV-Topmodel als Heldin gefeiert wurde, dessen Beharren die Politik in ein neues Vergewaltigungsstrafrecht geführt hat. Als wegen Unterstützer-Demos die Straße vor dem Berliner Kriminalgericht gesperrt werden musste und Bundesministerin Manuela Schwesig den Fall bar jeder Aktenkenntnis zum Beleg für die Notwendigkeit ihrer Reformziele erkor.
Den Vorwurf der falschen Verdächtigung sieht Richterin Antje Ebner „nach umfangreicher Beweisaufnahme“ bestätigt. Die Angeklagte habe „bewusst wahrheitswidrig“ behauptet, von zwei Männern zum Sex gezwungen worden zu sein, sagt sie. Eine knappe Dreiviertelstunde nimmt Ebner sich Zeit. Sie würde am liebsten noch viel mehr sagen, vor allem zum Geschehen außerhalb des Saals, in den Medien, der Politik: Mit den jüngst vom Bundestag beschlossenen Reformen im Sexualstrafrecht habe dieser Fall nichts zu tun, betont sie, er tauge nicht als Exempel. Aus ihre Sicht ist es nur der Fall einer Lüge.
Einer Lüge mit Folgen, nicht nur für die Angeklagte. Es war ein Samstag im Juni 2012, als Lohfink für einen Termin nach Berlin gereist war. Sie wollte sich amüsieren, feierte mit der Managerin im Club „Maxxim“, wo sie tags zuvor schon mit dem Fußballer Pardis F. angebandelt hatte. In den Morgenstunden ging es dann in die nahe Wohnung von Pardis F.s Kumpel Sebastian C. Dort, behauptete Lohfink, hätten die Männer sie eingesperrt, geschlagen, zum Sex gezwungen. Nichts davon sei wahr, sie habe den Sex gewollt, sagen die Männer. Die Verfahren wegen Vergewaltigung wurden eingestellt.
Doch da gibt es noch das Video. Wer nur die knapp halbminütigen Szenen kennt, die noch immer im Netz kursieren, kann einen anderen Eindruck von der Nacht gewinnen, als die Männer ihn erwecken wollen. Darauf ist zu sehen, wie beide Lohfink abwechselnd penetrieren und filmen. „Hör auf“, sagt die erschöpft und passiv wirkende Frau. Womit? Dem Sex?
Dieses Video war es, das sich in eine lebhafte politische Debatte einzufügen schien. „Nein heißt nein“, hieß der Slogan für ein schärferes Sexualstrafrecht, das den Willen des Opfers zum entscheidenden Kriterium erhebt. Lohfinks „Hör auf“ illustrierte perfekt, wie überfällig das Vorhaben war. Denn die Männer hörten nicht auf.
So wurde der Prozess zum Politikum, und Lohfink und ihre Anwälte taten alles dafür in Presse und Fernsehtalks den günstigen Eindruck zu erhalten. Während der Verhandlungstage dagegen schwieg die Angeklagte, dafür schluchzte sie und litt in einer Weise auffällig, wie es im Moabiter Gericht bisher selten zu beobachten war. Overacting, heißt es in der Schauspielkunst. Filme werden meist nicht besser dadurch. Höhepunkt war ein dokumentierter Zusammenbruch auf der Toilette.
Lohfink steht oft vor Kameras. In der Nacht mit den beiden Männern wollte sie es nicht. Dem Gericht lagen mehr als zehn Minuten Material vor, und diese dürften den Ausschlag dafür gegeben haben, dass der Fall überhaupt angeklagt wurde. Diese Szenen kennt die Öffentlichkeit nicht. Denn nach dem „Hör auf“ geht es weiter, Lohfink nimmt die Arme nach hinten, fasst sich in die Haare, entspannt. Nur mit dem Video sei sie nicht einverstanden gewesen, sagt die Richterin. „Mach das weg.“ – „Ich lösche das“, verspricht eine Stimme. Dann winkt Lohfink, lächelt und hat Sex mit dem Mann, der zuvor die Kamera hielt, die Hand auf seinem Po.
„Hör auf“ würde in den Ausschnitten geradezu inflationär benutzt, aber meistens gehe es ums Filmen, sagt Richterin Ebner. Einmal, als sie tatsächlich keinen Sex gewollt habe, hätte Sebastian C. sofort von ihr abgelassen. „Es wird gescherzt, gelacht, getrunken. In keiner Szene ist zu sehen, dass Frau Lohfink sich unwohl fühlt.“
Lohfink, für die Justiz ist sie eine, die die Strafverfolger wissentlich auf die falsche Fährte führte. Die angebliche Tatnacht war aus Sicht des Gerichts eine Party mit Sex. Kein Blümchensex, sagt die Richterin, aber vor allem keine Vergewaltigung. Sebastian C., der damals im „Maxxim“ für prominente Gäste abgestellt war, sitzt im Publikum und nickt heftig. Das Urteil erleichtert ihn.
Dem Plädoyer von Staatsanwältin Corinna Gögge war anzumerken, wie sehr die Justiz sich grämt, wie dieser Fall von Politik und Medien verdreht wurde. Es komme häufiger vor, dass Frauen eine Vergewaltigung vortäuschen, als viele denken, sagt sie. Aus unterschiedlichsten Motiven. Rache, Wut, ein Streit ums Sorgerecht. Oder auch nur ein Aufmerksamkeitssyndrom. Einmal sei sogar ein Mann angezeigt worden, weil die Frau fand, er habe sich nicht genug um das gemeinsame Kind gekümmert.
Lohfink als Opfer – „das ist Unfug“, sagt Staatsanwältin Gögge überzeugt und hält einen Vortrag über den Sinn der Strafvorschrift. Die solle die Justiz davor bewahren, unnötig mit Arbeit belastet zu werden. Vor allem aber Unschuldige vor einem falschen Verdacht beschützen: „Wir sind auf wahre Aussagen angewiesen. Wir wollen aufklären und Fehleinschätzungen vermeiden.“ Lohfink aber habe zunächst nur eine Anzeige erstattet, um gegen die Verbreitung der Bilder vorzugehen. Darin hieß es noch, der Sex sei einvernehmlich gewesen. Erst als sie erfuhr, dass Bilder der Sexnacht ins Internet gelangt sind, habe sie sich auf die Geschichte mit der Vergewaltigung verlegt.
„Befremdlich“ habe die Staatsanwältin es gefunden, dem angeblichen Vergewaltiger noch zärtliche SMS zu senden, wie Lohfink es tat. Irritierend, wie sie sich tags darauf in einem Hotel wieder mit Pardis F. einließ. Unglaubwürdig, dass sie in der Wohnung nach der angeblichen Vergewaltigung mit dem Täter noch eine Pizza aß. Gögge hält der Angeklagten vor, dass sie sich vor jeder aufgestellten Kamera zu den Vorwürfen äußerte, aber im Prozess selbst nur ein schriftliches Statement abgegeben wurde, ohne Nachfragen zuzulassen. Darin nur Ausreden, meint sie. „Alles Schutzbehauptungen.“
Verteidiger Burkhard Benecken hatte am Montag noch eine letzte Zeugin aufgeboten. Es war der Versuch, wenigstens Sebastian C. als notorischen Rüpel erscheinen zu lassen. Nathalie B., Stylistin in einem Beauty-Salon: „Dieser Mensch ist geistig nicht ganz richtig“, sagt sie über C., mit dem sie fast ein Jahr zusammen war, zusammen wohnte. „Er ist ein Tier, was Frauen angeht.“ Sexsüchtig, gewalttätig.
„Wenn er was von mir wollte, und ich nicht, dann musste ich da durch.“ Am Anfang sei alles rosa gewesen, heile Welt. Aber nach ein paar Monaten habe er sein wahres Gesicht gezeigt, sei immer aggressiver geworden. Einmal habe er sie über Stunden zuhause eingesperrt. Nachts sei er gekommen, um sich zu entschuldigen, auf „widerliche, schleimige Weise“. „Ich möchte nicht“, habe sie gesagt, als er ihr die Unterhose hinunterzog. „Aber das war ihm egal.“
Es soll noch einen weiteren Vorfall gegeben haben, nach dem Ende der Beziehung. Sie hätten sich getroffen, auf der Straße. Es gab Streit. „Er hat mich zu Boden gerissen, an den Haaren“. 14 Anzeigen habe sie später bei der Polizei erstattet, Körperverletzung, Bedrohung. Das Verfahren wegen Vergewaltigung wurde eingestellt, von den anderen habe sie nichts mehr gehört.
Richterin Ebner guckt ungläubig. Die Zeugin schildere C. als rücksichtslos, als Tier. Warum blieb sie so lange bei ihm? „Er war meine erste große Liebe, ich habe alles für ihn getan, alles geglaubt.“ Heute habe sie Angstzustände, sei in psychiatrischer Behandlung gewesen. Mit C. habe sie „krass abgeschlossen“.
Klingt nicht so, als hätten Sie das alles verarbeitet, sagt die Richterin. Auch ist die Rede von weiteren Vergewaltigungsvorwürfen. Aber was genau gewesen sei, daran könne sich die Zeugin nicht erinnern. In ihrem Urteil spielt der Vorfall keine große Rolle. Sebastian C. mag zwei Gesichter haben, ein rohes und ein liebevolles. Aber das schließe nicht aus, dass er sich gegenüber Lohfink von seiner guten Seite gezeigt habe.
Auch ein Gutachter tritt noch auf, ein Pharmakologe. Er spricht davon, was K.O.-Tropfen mit Menschen machen. Zehn bis 15 Minuten Wirkzeit. Muskuläre Entspannung, Enthemmung, auch sexuell. Dann Schwindel und Schlaf. Bei viel Alkohol Koma, bei sehr viel Alkohol Atemlähmung und Tod. Bei geringer Dosis häufig Übelkeit und Erbrechen. Der Arzt hat sich die Videos angesehen. Nichts davon. „In allen Sequenzen war sie wach, ansprechbar, orientiert.“ Apathie? So hätten es viele gesehen, die nur den halbminütigen Schnipsel kennen. Lohfink sei die ganze Nacht auf den Beinen gewesen. Er würde das Müdigkeit nennen. Der Gutachter verhehlt nicht, was er von Lohfinks Geschichte hält. Er hat zu viele Szenen gesehen, die tatsächlich zeigen, wie mit derart betäubten Frauen in kriminellen Kreisen umgegangen wird: „Als wären sie Gummipuppen.“
Verteidiger Benecken unternimmt in seinem Plädoyer noch einmal den Anlauf, seine Mandantin als Retterin unterjochter Frauen darzustellen. Der Fall habe „zu einem Umdenken“ geführt, „ein Riesenerfolg für Frau Lohfink“. Der Anklage hat er wenig entgegenzusetzen. Lohfink habe im Prinzip nie davon gesprochen, vergewaltigt worden zu sein, sie habe die Vorgänge bei der Polizei sehr zurückhaltend berichtet. Eine „juristische Finte“, nennt Richterin Ebner das in ihrer Urteilsbegründung, denn man müsse das Wort nicht benutzen, um eine Vergewaltigung zu schildern.
Und die K.O.-Tropfen?, fragt der Anwalt. Immerhin sei Lohfink bis zum Mittag in der Wohnung gewesen, die Filmausschnitte dauerten nur Minuten. So sei es immerhin nicht auszuschließen, dass die Männer sie dennoch vergewaltigt hätten.
Aber auch dafür sieht das Gericht keine Anhaltspunkte, erst recht nicht, nachdem der Gutachter dargelegt hat, dass bei derart Betäubten die Erinnerung ausgeschaltet wird. Lohfink aber hatte immer wieder davon gesprochen, dass ihre Erinnerung beim Betrachten der Videos zurückgekehrt sei.
„Bewusst wahrheitswidrig“, wiederholt Ebner. Die Videos, das Verhalten nach der Tat, die Befunde des Sachverständigen, ihre widersprüchlichen Angaben, soweit sie überhaupt welche gemacht hat – all das führe zu ihrer Überzeugung von der Schuld der Angeklagten. Den Anwälten warf sie vor, das Verfahren „für nicht prozessrelevante Interessen missbraucht“ und der Öffentlichkeit falsche Informationen angedient zu haben.
Am Ende bekommt Lohfink ihre Strafe vorgerechnet. Gegenüber dem Strafbefehl, den sie nicht akzeptieren mochte, legte das Gericht noch einmal 20 Tagessätze drauf. Wird das Urteil rechtskräftig, muss die Verurteilte die Kosten des Verfahrens und für ihre Verteidiger tragen. Trotzdem könnte der mediale Trubel ihre Kasse aufgebessert haben. Wie es scheint, liefen ihre Geschäfte in den vergangenen Jahren nicht besonders gut. Von Jahres-Nettoeinkommen zwischen 20 000 und 30 000 Euro ist die Rede. Nun ist Lohfink als Kandidatin für das „Dschungelcamp“ im Gespräch, einem Format, für das sich die Darsteller gut bezahlen lassen. So schätzt das Gericht das Einkommen nun wesentlich höher und legt den Tagessatz bei 250 Euro fest.
„Ich bin garantiert nicht hier, um berühmt zu werden“, sagt Lohfink in ihrem Schlusswort. „Ich wollte den Sex nicht, ich wollte die Filme nicht. Ich werde mein Leben lang in mir tragen, was diese Jungs mit mir gemacht haben. Ich habe große Brüste und Extensions, bin aber trotzdem ein Mensch. Keine Schlampe, keine Hure, keine Pornodarstellerin.“
Und noch etwas sagt sie: „Es ist eine Katastrophe, in der Öffentlichkeit zu stehen. Das ist eine schlimme Welt, oberflächlich und falsch. Sie überlege, ihr Abi nachzuholen und zu studieren. „Ich bin ein Mädchen vom Dorf.“
Lohfinks Anwalt will in die Berufung. „Selbstverständlich“, sagt er.