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Überzeugungstäter. Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble werben beide für ein starkes Europa – verlieren die nationalen Interessen aber nie aus den Augen.
© AFP

Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble: Freundschaft zweier Krisenmanager

Ein extraordinäres Paar: Wolfgang Schäuble und Christine Lagarde. Er hütet die deutsche Kasse, sie führt den Währungsfonds. In der Griechenlandkrise arbeiten sie wieder zusammen. Wie eigentlich immer.

Sie darf alles. Oder sagen wir: fast alles. Sie darf mit ihm über seine Behinderung nicht nur sprechen, sie darf auch einen Witz darüber machen. Er lässt es zu, lässt den Witz zu, weil er weiß: Es wird ein damenhafter sein. Einer mit Format. Er kann sogar darüber lachen. Wenn sie sagt, dass sie gemeinsam einen Marathon absolvieren, und das müssen sie dieser Tage fast in Permanenz, ja beinahe in Penetranz, dann sagt er: Ich bin die Arme, sie die Beine.

Der Satz ist nicht neu, beide haben ihn schon mal gesagt, vielleicht sogar öfter, aber das ist ja auch kein Wunder, so viel Zeit, wie sie miteinander in Sitzungen verbringen. Gerne tun sie das, und ist gut, dass es so ist. Sie müssen doch möglichst gut miteinander auskommen, Wolfgang Schäuble und Christine Lagarde, der Bundesfinanzminister und die Chefin des Internationalen Währungsfonds. Wie gerade jetzt, da es um Griechenland geht, um seine Zahlungsfähigkeit. Oder -unfähigkeit.

Wenn es eine deutsch-französische Freundschaft gibt, dann diese. Sie ist wie ein Sinnbild, sie, die Frau, und sie, ihre Freundschaft. Lagarde verkörpert das, was der nahe der französischen Grenze geborene Schäuble an Frankreich schätzt: Eleganz, Eloquenz, Kompetenz. Sie ist eine Grande Dame für die Grande Nation, und er wird nicht müde, sie dafür zu loben. Er schickt ihr zum Geburtstag Blumen, mit einer handgeschriebenen Notiz. Sie schickt ihm Honig aus ihrem Bienenstock, wenn er erkältet ist.

Menschen kennen Freunde, Staaten nur Interessen

Das heißt aber nicht, dass er sie schont. Er schont sich selber ja auch nicht. Er kritisiert sie, wenn er es für angebracht hält. Schäuble hat Sentiment, aber ihm soll keiner und keine mit vordergründigen Sentimentalitäten kommen. Das empfindet er geradezu als Beleidigung.

Aber weil sie eine starke Frau ist, wie er sagt, weil sie weiß, wie es ist, unter Beobachtung zu stehen, ein Star zu sein, dazu eine Frau unter lauter Männern, die sich stark fühlen – aus all diesen Gründen weiß sie auch, dass sie Schäuble, der stark ist aus eigenem Recht, mit keinem Klischee kommen darf. Das kann er nicht leiden, und versuchte sie es, könnte es ihm die exzeptionelle Zusammenarbeit ganz schnell verleiden. Menschen kennen Freunde, Staaten nicht. Die kennen vor allem Interessen. Umso besser, wenn das zu Schaffende in ihrer beider Interesse ist. So entsteht ein Code civil, einer im übertragenen Sinn.

Frankreich: Das ist kein Sehnsuchtsort für ihn, aber ein Bezugspunkt. Immer schon, lange schon. Seit 1972 sitzt er im Bundestag, immer direkt wiedergewählt von den Bürgern seines Wahlkreises Offenburg, und im Bundestag legte er in den 80er Jahren schon in der Nähe der Grenze den Grundstein für den ersten grenzüberschreitenden Eurodistrikt, Kehl-Straßburg. Das muss man wissen. Das gehört zu Schäuble. Lagarde weiß das. Sie weiß fast alles über Schäuble. Die beiden reden über die Sache, die sie verbindet, die Finanzpolitik, rechtlich fundiert, wie es ihm gefällt. Aber sie reden eben auch über anderes, Privates. Er ist ja ein großer Musikliebhaber. Für einen Besuch bei den Berliner Philharmonikern zu werben, fällt ihm nicht schwer. Das passt zu einer distinguierten Frau, einer Erscheinung. Das Wort passt. Christine Lagarde ist es lange schon, hat aber in dieser Hinsicht zu sich selbst zurückgefunden in den Jahren, in denen sie in der Politik ist. Und in denen sie sich das Allzu-sehr-sie-selbst-Sein abgewöhnen sollte. Das wollten Berater. In eine Talkshow würde sie heute nicht mehr ohne Ringe gehen; das hat sie früher gemacht und fühlte sich „nackt“. So hat sie es gesagt. Warum anders sein, als sie ist, wenn sowieso doch jeder sieht, dass sie anders ist? Diese Dialektik würde sie lächeln lassen. Schäuble auch.

Beide sind Europäer, vertreten aber auch nationale Interessen

Überzeugungstäter. Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble werben beide für ein starkes Europa – verlieren die nationalen Interessen aber nie aus den Augen.
Überzeugungstäter. Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble werben beide für ein starkes Europa – verlieren die nationalen Interessen aber nie aus den Augen.
© AFP

Beide haben gemein, dass sie Rechtsanwälte in einer Welt der Ökonomen sind. Sie kennen die Regeln, sie wissen, wie sie anzuwenden sind – und auszulegen. Je nachdem. Nach Bedarf. Lagarde, „Christine die Große“, das war sie schon vor der Politik, und nicht wegen ihrer Länge von 1,80 Meter. Die Kanzlei, der sie zum Schluss vorstand – für ein halbes Jahrzehnt –, ist eine große, bedeutende. Unter ihr als Chefin wurde die Sozietät noch größer. Die Zahl der Anwälte stieg von 2850 auf 3400 in 70 Ländern. Und 2002 setzte sie mehr als eine Milliarde Dollar um. Die Nummer zwei in der Welt.

Kein Wunder, dass der nicht minder distinguierte Premier Dominique de Villepin sie 2005 unbedingt in der französischen Politik haben wollte. Und sie, warum sollte sie wollen? Sie wollte für ihr Land einstehen, sagt sie. Ihrem Land dienen. Ja, dienen. Wie bei Schäuble, wenn man ihn fragt. In ihrem Dienen soll sie niemand übertreffen. Da sind sie beide die Nummer eins. Macht und Einfluss sind da inklusive.

Lagarde ist immer noch mit Vorwürfen konfrontiert

Soll nur niemand glauben, dass sie beide, überzeugte Europäer auf je ihre Weise, nicht auch nationale Interessen zu vertreten wüssten. Lagarde wehrte sich immer gegen Vorschläge, die ihr Land hätten schwächen können, ob im Agrarbereich oder im Finanzsektor. Das klingt irgendwie bekannt … Über Fachfrauschaft kommt Autorität. Bei ihm über Fachmannschaft. Vor allem im Politischen. Und da sagt sie ganz offen, dass er sie vieles gelehrt habe. Das sagte Lagarde auch auf Schäubles 70. Geburtstag in Berlin – und Angela Merkel schaute zu ihr auf. Sie hat deshalb im März 2010 als erstes französisches Regierungsmitglied an einer Sitzung des Bundeskabinetts in Berlin teilgenommen.

Die große Lagarde. Souverän im Auftritt. Wie sie mit Druck umgeht. Selbst wenn sie erbost ist, wird sie nicht laut. Dass sie sich immer noch des Vorwurfs erwehren muss, dem ehemaligen Minister und Geschäftsmann Bernard Tapie einen finanziellen Vorteil verschafft zu haben, das gehört zu dem, was sie erbost. „Meine Ehre wurde in Zweifel gezogen, und ich werde nicht zögern, sie zu verteidigen.“ Lagarde hat versucht, mithilfe eines Schiedsgerichts einen 15 Jahre währenden Rechtsstreit zwischen Tapie und der ehemaligen Staatsbank Crédit Lyonnais zu beenden. Tapie bekam Steuergeld, viel Geld, 285 Millionen Euro. Das hängt ihr bis heute an. Und nach. Aber sie antwortet, wie es ihre Art ist. Es könnte auch Schäubles Art sein. „Ich will aus dieser Geschichte keine mit Leidenschaft geführte Affäre machen.“ Sie geht lieber methodisch vor. An Professionalität im Umgang mit einer Krise soll es bei ihr nicht mangeln. So machte es Schäuble in Krisen auch.

Sie weiß, was er denkt. Bei Griechenland dachte sie anders

Überzeugungstäter. Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble werben beide für ein starkes Europa – verlieren die nationalen Interessen aber nie aus den Augen.
Überzeugungstäter. Christine Lagarde und Wolfgang Schäuble werben beide für ein starkes Europa – verlieren die nationalen Interessen aber nie aus den Augen.
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Sie ist keine, die in bedrängten Situationen kokettiert. Es passte auch nicht zu ihr. Sie ist da anders. Sagen wir so: Wer nicht pariert, wird charmiert. Und das funktioniert. In aller Regel. Selbst Nicolas Sarkozy erlag diesem Mixtum compositum. In der weltweiten Finanzkrise, der ersten, der von 2008, erwarb sich Lagarde als Krisenmanagerin überall Respekt. G 8, G 20, sie war dabei, und das nicht nur am Rand. Lagarde wollte einen Hilfsfonds der EU für Banken, sie setzte einen Schutzschirm für die Eurozone im Umfang von 750 Milliarden Euro mit durch, sie verteidigte Milliardenhilfen für hoch verschuldete EU-Staaten. Wie für Griechenland. Am Rettungspaket von EU und IWF war Frankreich stattlich beteiligt. Damals. Sie galt danach als Garantin dafür, dass der Währungsfonds gegen viele Widerstände und gegen interne Kritik an der Griechenland-Hilfe festgehalten hat. Das zweite Hilfspaket im Juli 2011, ihrem ersten Jahr im IWF, umfasste 109 Milliarden Euro.

Unterschätzt wird Lagarde nicht mehr

Für Schäuble war immer klar, dass nur sie den IWF würde führen können. Eine Organisation, in der 80 Prozent der Führungspositionen von Männern besetzt sind. Er sagte es auch so ähnlich. Da kann er, der altgediente Politiker, schon ganz schön modern sein. Aber er wollte die Herren des Geldes auch warnen: davor, Lagarde als Leichtgewicht abzutun. Bloß weil das Magazin „Paris Match“ Fotos mit Lagarde beim Yoga in ihrer Wohnung in Georgetown zeigte. Schöne Fotos. Heute ist das vorbei, nicht das mit dem Yoga. Unterschätzt wird sie nicht mehr.

Wer sie reden hört, reden sieht, der versteht. Ihr Schritt ist nicht eilig, nur fest. Selbst wenn sie nur ihr Manuskript zur Hand nimmt, ist das kein langweiliger, bürokratischer Akt. Sie steht immer gerade, den Kopf nicht gesenkt. Und dann spricht sie, Englisch perfekt. Klare Sätze. Ob zum Weltwährungssystem. Oder zu Schäuble. Oder, nur ganz anders, zu Yanis Varoufakis. Dass sie meinte, nun sei es Zeit, mit „Erwachsenen im Raum zu reden“, hätte Schäuble sagen können. Sie weiß, wie er denkt. Dass für ihn „die Währungsunion der harte Kern der Politischen Union sein muss, nicht umgekehrt“. Sie denkt nur ein bisschen anders, was die Griechen angeht. Aber nur ein bisschen. Dachte vielleicht ein bisschen positiver. Aber sie denkt nicht, um es einmal so auszudrücken, wie Jean-Claude Juncker. Nicht mehr. Es ist Zeit für Erwachsene im Raum. Romantik verträgt die Sache nicht. Verträgt Schäuble nicht. Er würde Alexis Tsipras niemals die Wange tätscheln. Und die andere auch nicht Varoufakis hinhalten. Lagarde sowieso nicht.

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