Proteste gegen Asylunterkunft: Flüchtlinge in Heidenau: politisch verfolgt
„Zuhause war Krieg und hier ist Krieg“, sagt ein Flüchtling im Heidenauer Baumarkt. Jede Nacht Randale und Blaulicht. Ein Mob aus besoffenen Rechten, geduldet sogar von Familien mit Kindern. Und am Tage kommen dann die Politiker.
Ein paar Heidenauer haben sich hinten am Supermarkt postiert. Der Minister soll ja kommen, das wollen sie nicht verpassen. Gleich gegenüber vom Praktiker-Baumarkt stehen sie herum und warten. Seit Freitag wohnen in dem weißen Neubau Asylbewerber. Also „die da“, wie eine Frau aus dem Grüppchen die Flüchtlinge nur nennt. Und „die da“, sagt sie und deutet auf die Menschen hinter dem Absperrzaun, „die laufen hier einfach rum! Die sind noch gar nicht untersucht. Die haben doch alle Tuberkulose…“ Klar, dass der Minister davon erfahren muss. „Es ist doch so“, sagt ein Mann aus der Gruppe. „Die Medien, die manipulieren das. Aber die Sachsen, die lassen sich das nicht bieten.“
Um 11.48 Uhr rollt der schwarze Dienstwagen von Sigmar Gabriel vor. Er geht schnurstracks auf die wartenden Heidenauer zu, mehrere Personenschützer begleiten ihn. Eine ältere Frau aus Dresden schüttelt Gabriel die Hand, dann legt sie los: „Wenn die alle hier bleiben, die haben ja alle Großfamilien Zuhause, die kommen ja auch alle automatisch hierher.“
Eigentlich hatte Wirtschaftsminister Gabriel sich am Montag das schöne Sachsen ansehen wollen. Das erfolgreiche Sachsen. Gabriel wollte auf seiner Sommertour ein paar mittelständische Unternehmen besuchen. Stattdessen steht er nun vor der Heidenauer Notunterkunft und schaut dem hässlichen Sachsen, dem Sachsen der „besorgten Bürger“ und dem der offen Rechtsextremen mitten ins Gesicht.
Seine Sommertour hat Gabriel für den Besuch unterbrochen. Drei Nächte in Folge hatten Rechtsextreme in Heidenau randaliert. Am vergangenen Freitag hatten Hunderte versucht, die Busse mit den ankommenden Flüchtlingen aufzuhalten. Steine flogen, Brandsätze, Böller.
Muhamadrabee Hussino saß in einem der Busse. Er hat als erstmal nur die hässliche, die feindselige Seite Sachsens kennengelernt. „Es war schrecklich, immerzu hat es geknallt“, sagt er. Hussino ist 18 Jahre alt. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und eine alte Jeans, deren Hosenbeine umgekrempelt sind. Er breitet die Arme aus: „Mit solchen Steinen haben die geworfen!“ Eine Übertreibung. Aber eine, die deutlich macht, wie viel Angst Flüchtlinge wie er mittlerweile haben. Und wie groß die Enttäuschung ist. Denn er dachte immer, in Deutschland seien die Menschen sehr freundlich zu Flüchtlingen. Besonders zu jenen, die aus Syrien kommen wie Hussino und seine Familie. Alle haben das erzählt in der Türkei, wo er nach seiner Flucht aus Syrien zunächst lebte. Und jetzt traut er sich nicht einmal auf die Straße. Die Unterkunft – eine riesige Saal Halle, in der fast 300 Menschen leben – verlässt er nur gemeinsam mit anderen Flüchtlingen. „Wir haben Angst. Oft können wir nicht schlafen, wenn es in der Nacht knallt.“ Er schaut kurz zu seinem drei Jahre jüngerem Bruder, versucht nicht zu weinen. „Zuhause war Krieg und hier ist Krieg“, sagt er dann. „Nur, dass die Polizei uns beschützt. Hier vor dem Heim sind wir sicher. Aber in die Stadt wagt sich niemand von uns.“
Während sich drinnen die Flüchtlinge an die Zustände in ihren Herkunftsländern erinnert fühlen, spricht draußen Sigmar Gabriel von einer „doppelten Integrationsaufgabe“. Von den 800 000 Asylbewerbern, die der Bund für dieses Jahr schätzt, würden wahrscheinlich 500 000 bis 600 000 dauerhaft bleiben, sagt er. „Das ist auch eine Chance für unser Land.“
In Heidenau sehen das einige ganz anders. Ein Mann mit Fahrradhelm und karierter Badehose hat schon eine Weile auf den Wirtschaftsminister gewartet. Er möchte ihm zurufen: „Wir haben noch nicht einmal die Schwierigkeiten der Wende verarbeitet. Es kann nicht sein, dass wir hier zur Anlaufstelle für die ganze Welt werden!“ Aber an Gabriel kommt er nicht ran, also diktiert er seinen Satz nur ein paar Journalisten. Soll die Welt ruhig wissen, dass Flüchtlinge in Heidenau nicht willkommen sind.
Gabriel, der sich in der Vergangenheit schon viel Ärger damit eingehandelt hat, als er mit den ausländerfeindlichen Pegida-Demonstranten das Gespräch suchte, kümmert sich an diesem Tag nicht um die „Asylkritiker“, wie sie sich nennen, nicht um die „besorgten Bürger“. In Heidenau geht es um mehr. Neonazis haben sich am Wochenende Straßenschlachten mit der Polizei geliefert, nur mit Mühe konnten sie davon abgehalten werden, die Notunterkunft zu stürmen. Ein Mob aus besoffenen Rechten, geduldet von normalen Bürgern und sogar Familien mit Kindern, die durch ihr Mitlaufen bei den fremdenfeindlichen Demonstrationen „diesen Spuk unterstützen“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag urteilte.
Gabriel wird bei seiner kurzen Ansprache vor dem Flüchtlingsheim noch deutlicher. Dieses „Pack, das sich hier rumgetrieben hat“, das seien Leute, „die haben mit Deutschland nichts zu tun“. Seine Botschaft an die Randalierer: „Wer hier herkommt und hier Parolen brüllt, Brandsätze schmeißt, Steine schmeißt, im Internet dazu aufruft, Leute umzubringen oder körperlich zu verletzen, diejenigen haben nur eine einzige Antwort von jedem von uns verdient: Ihr gehört nicht zu uns, euch wollen wir nicht!“
Keinen Millimeter, sagt Gabriel, dürfe man den Rechtsextremen nachgeben. Ein Allgemeinplatz, wie man ihn vermutlich von jedem Sozialdemokraten ständig hören könnte, aber er fällt zu einer Zeit, in der die Kanzlerin dafür kritisiert wird, dass sie sich auffallend zurückhalte zu den Angriffen auf Flüchtlinge in Deutschland.
Die rechtsextreme NPD versteht es, die feindselige Stimmung im Land für sich zu nutzen. Die Randale vom Wochenende ist für die Partei eine unmissverständliche Rückmeldung. Vor einem Jahr war die NPD aus dem sächsischen Landtag geflogen. Nun will sie ihr Verliererimage loswerden. Nach dem Vorbild der Pegida-Organisatoren um Lutz Bachmann wollen die Rechtsextremen die Anti-Asyl-Stimmung in den kleinen Orten anheizen. Und in Heidenau, so scheint es, hat es funktioniert. Dort sind geübte Organisatoren am Werk, die ihre Truppen schnell und punktgenau an die Brennpunkte lotsen. Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sprach am Sonntag bei einem Vor-Ort-Besuch von einer „neuen Qualität“ des Protests. Sachsens Justizminister Sebastian Gemkow (CDU) sagte gestern: „Diese Gewaltausbrüche beschmutzen den Ruf unserer Heimat und stehen im Widerspruch zu der Hilfsbereitschaft und Bereitschaft zur friedlichen Auseinandersetzung der übergroßen Mehrheit der Sachsen.“ Die Beteiligten müssten mit konsequenter Strafverfolgung rechnen.
Das unterscheidet Heidenau auch von den Übergriffen auf andere Unterkünfte in Sachsen. In Freital bei Dresden etwa war es ein wütender Mob aus Anwohnern, die ihren Unmut über die Flüchtlinge im Hotel Leonardo herausbrüllten. Die NPD kam erst später hinzu. Auch in Dresden, wo es während einer NPD-Demo Angriffe auf Flüchtlingszelte und DRK-Helfer gegeben hatte, waren lange vor der Partei die „Wutbürger“ auf der Straße gewesen. In Meißen, wo ein Heim brannte, war es ähnlich.
Heidenau aber ist auch das Tor zur Sächsischen Schweiz, eine Hochburg der rechtsextremen Szene. Bis 2001 gab es hier die Neonazi-Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz. Die „SSS“ war eine der größten rechtsextremen Kameradschaften Deutschlands, dann wurde sie verboten. Bei der Landtagswahl 2014 wurde die AfD drittstärkste Kraft in Heidenau, die NPD erhielt 8,2 Prozent der Stimmen.
Doch natürlich wollen auch in Heidenau viele den Rechten etwas entgegensetzen. Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) sieht seine Gemeinde auf dem richtigen Weg. „Ich habe in den letzten Tagen viel Zuspruch aus dem Ort erhalten“, sagte Opitz am Montag. Bedroht fühle er sich nicht. Obwohl die Neonazis am Freitag an seinem Haus vorbeizogen, sieht er sich nicht in Gefahr. „Ich bewege mich ganz normal hier in der Stadt. Alles andere wäre fatal.“
Während sich gegenüber der Notunterkunft immer mehr Leute sammeln, die nichts, aber auch gar nichts abgeben möchten, verteilt der evangelische Pfarrer Roija Weidhas mit seinen Töchtern frischgebackenen Apfelkuchen an die Flüchtlinge. „Kann ich bitte noch zwei haben?“, fragt ein 20-Jähriger aus Afghanistan. „Meine Mutter und meine kleine Schwester sind drinnen und wagen sich nicht heraus. Wenn sie den Kuchen sehen, werden sie wieder lachen.“ Larissa und Semira, die beiden 16 und 12 Jahre alten Töchter, geben ihm alles, was noch auf dem Blech ist. „Es sind Engel“, sagt der Afghane und fängt angesichts der unerhofften Freundlichkeit fast an zu weinen.
Roija Weidhas, der als Klinikseelsorger arbeitet, kann das gut verstehen. „Wir sind ja hergekommen, damit die Flüchtlinge wissen, dass es auch andere Menschen gibt, die sie willkommen heißen“, sagt er. Der Seelsorger hat viel nachgedacht über jene, die auf der anderen Straßenseite stehen. „Darunter sind offenbar viele, die in den vergangenen Jahren schlechte Erfahrungen mit Veränderungen gemacht haben“, sagt er. „Sie sehen sich als Verlierer und haben Angst, noch mehr zu verlieren.“
Familie Weidhas ist eine der wenigen, die keine Bedenken hat, ihren Namen zu verraten. Viele andere, die gekommen sind, um den Flüchtlingen zu helfen, möchten das lieber nicht. „Bitte haben Sie Verständnis, aber es geht nicht um mich, sondern um die Kinder, die vielleicht Probleme in der Schule bekommen“, sagt eine Frau, die gern Deutschunterricht für Flüchtlinge geben würde. Aber eben lieber anonym.