Brandanschlag in Zossen: Es flammt wieder auf
Im kommenden Jahr sollen hunderte Asylbewerber ins brandenburgische Zossen ziehen. In der Nacht zu Samstag wurde ein Anschlag auf das Gebäude verübt.
- Alexander Fröhlich
- Torsten Hampel
Blumenpapierreste liegen herum, Aluminiumverpackungen für Fertigessen, auch ein paar minder wichtige, angebrannte Behördenpapiere, zur „BAB 13 Binnensanierung 2015 Fahrtrichtung Dresden“ zum Beispiel, ein „Inhaltsverzeichnis für Unterlagen“ einer „Rechnungslegung“. Es ist Sonntagmittag, in der vorvergangenen Nacht sind an dieser Stelle drei Müllcontainer angezündet worden.
Eine Hauswand ist rauchgeschwärzt, der daran wachsende Efeu verbrannt, Polizeiabsperrband knattert im Wind. Ein paar Meter weiter, hinter den niedrigen Bäumen, verrotten riesige Kasernengebäude. Anfang 2016 sollen hier im Zossener Stadtteil Wünsdorf 500 Asylbewerber einziehen, irgendwann sollen es einmal 1200 werden. Und Freitagnacht war die Hauptallee 116, die Adresse dieser ehemaligen kaiserlichen Garnisonsstadt, Schauplatz eines möglicherweise rechtsextremistisch motivierten Brandanschlags.
Seit April herrscht Unruhe
Zwei polizeibekannte Rechtsextremisten aus der Umgebung, 23 und 32 Jahre alt, sollen in der Nacht zu Samstag um kurz vor ein Uhr die Container angezündet haben. Seit die Pläne, hier Asylbewerber unterzubringen, Mitte April bekannt wurden, herrscht Unruhe in der Stadt. Das Innenministerium sucht bereits seit Längerem händeringend nach zusätzlichen Unterkünften. Die Zentrale Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt, wo Flüchtlinge einige Wochen lang einquartiert werden, ehe sie auf die Landkreise verteilt werden, ist überfüllt. 2015 erwartet das Land fast 14000 Asylbewerber, 2014 waren es 6300.
Wünsdorf ist ein Ort mit Geschichte. Im „Dritten Reich“ war hier das Oberkommando des deutschen Heeres ansässig, ab 1945 Zentrale der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. Nach dem Abzug der Sowjets siedelten sich Behörden hier an, der brandenburgische Kampfmittelbeseitigungsdienst etwa, das Schulamt Wünsdorf, das Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen und der Landesbetrieb Straßenwesen.
Weil das Innenministerium ein Sicherheitskonzept für bestehende und geplante Asylunterkünfte erstellt hat, patrouillierte auch am Wochenende auf dem Gelände eine Streife der Polizei, die das Feuer bemerkte und löschen konnte.
Im Auto fanden die Polizisten Brandbeschleuniger
Die Beamten beobachteten außerdem ein Auto. Als sie es kontrollieren wollten, flüchteten die Insassen. Der Wagen fuhr sich fest, der Fahrer rannte weg, der 23-jährige Beifahrer blieb im Auto. Im Wagen fanden die Beamten verbotene polnische Feuerwerkskörper, Streichhölzer und Brandbeschleuniger sowie 20 Plakate. Darauf der Spruch: „Ihr seid weder Flüchtlinge noch willkommen.“ Am Samstagnachmittag stellten sie den 32-jährigen Fahrer des Autos in seiner Wohnung. Bei den Hausdurchsuchungen fanden sie weitere Beweismittel.
Inzwischen sind die zwei Tatverdächtige aber wieder auf freiem Fuß. Die Staatsanwaltschaft habe keine ausreichenden Gründe für einen Haftantrag gesehen, teilte die Polizei im Landkreis Teltow-Fläming am Sonntag mit. Die beiden Männer sind der Polizei als rechte Straftäter bekannt – etwa mit Gewaltdelikten und dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Plötzlich ist es wieder da – das Image von Zossen als Hochburg der rechtsextremen Szene.
Die „Freien Kräfte Teltow-Fläming“ wurden 2011 vom Innenministerium verboten. Laut Polizei gibt es aktuell keine organisierten Neonazi-Strukturen mehr. Wohl aber Neonazis.
Was ein Einwohner berichtet
In der nahezu menschenleeren Stadt ist an diesem Sonntag ein einziger Mann bereit, Auskunft zu geben. Er bittet eindringlich darum, in der Zeitung nichts von seiner Identität preiszugeben. Was man allerdings sagen kann: Er ist nicht in Deutschland geboren.
Er berichtet von alltäglichem Rassismus hier, von Schlägereien und Beschimpfungen. Er ist der Ansicht, sagt er, dass mittlerweile die Hälfte der Menschen, denen er in der Stadt begegnet, Ausländerfeinde seien. Vor einigen Jahren noch seien es weniger gewesen, und die Erstaufnahmeinrichtung, das Flüchtlingsheim in der Waldstadt, wünsche er sich dringend. Damit die Zossener mal ein paar mehr Ausländer als bisher zu Gesicht bekämen. Damit sie merkten, dass die auch Menschen sind.
Jörg Wanke mag diese Sicht auf die Dinge nicht teilen. „In dieser Stadt, in den letzten drei Jahren, konnte man gut leben“, sagt er. „Drei Jahre lang ist nichts passiert.“ Wanke ist einer der Sprecher der Bürgerinitiative „Zossen zeigt Gesicht“. Er berichtet vom „Runden Tisch Flüchtlingshilfe“ - mitinitiiert von der Initiative und zu seiner Freude und Überraschung auf großen Widerhall gestoßen. Wanke sagt: „Ich war erstaunt, wie viele da mit machen.“ Syrische und afghanische Asylbewerber leben bereits in der Stadt, sie seien gut integriert. Die Bürgermeisterin hat Wohnungen zur Verfügung gestellt.
"Lüge", sagt die Bürgermeisterin
Die Bürgermeisterin macht aber auch Folgendes: Sie lässt auf der städtischen Webseite über eine Pressemitteilung von ihr berichten, in der sie die Medien zu Verantwortungsbewusstsein ermahnt, sollten sie über das geplante Erstaufnahmeheim berichten. Und sie nennt namentlich den Zossener Bürger Wanke. Der habe ein Interview gegeben. Im Zusammenhang mit dem Brandanschlag im sachsen-anhaltinischen Tröglitz habe er gesagt, dass es auch in Zossen „eine starke rechte Szene“ gibt. Die Bürgermeisterin schrieb, dies sei „eine klare Lüge“, Wanke benutze die Medien, um sie vor seinen "propagandistischen Karren" zu spannen - „damit sich die BI später wieder öffentlich als Gralshüter der Demokratie und Kämpfer gegen Ausländerfeindlichkeit inszenieren kann.“
Später? Später, nach dem was genau passiert sein wird?
Jetzt ist später. Wanke, der sein Zossen nicht halb so düster schildert wie der Namenlose mit Geburtsort im Ausland und dennoch von seiner Bürgermeisterin öffentlich angegriffen wird, hat Expertise. Er kennt Bedrohungen und Anfeindungen. Und das Haus, das damals im Januar 2010 in Zossen gebrannt hat, war das „Haus der Demokratie“. Es war der Sitz von Wankes Bürgerinitiative.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.