Luftverschmutzung in Indien: Elektro-Roller könnten Delhis Smog-Problem lösen
Die indische Metropole Delhi erstickt im Smog. Karan Chadha hat eine mögliche Lösung. Er bietet E-Roller als Taxis an, weiß aber auch: „Grün zu werden, ist verdammt schwer“.
Der Mann mit dem schwarzen Turban ist ungehalten. „Was ist das denn?“, schnauzt er die junge Frau auf dem Roller vor der Metro-Station Jhandewalan in Delhi an – und drängelt sich zu einem Tuk Tuk hinter ihr. „Ein E-Taxi“, erwidert sie ruhig. Der Turbanträger guckt ungläubig. „Wo ist das Taxi?“, fragt er, während Tumpa Barmen, 21 Jahre alt, lächelnd auf ihren Roller zeigt.
Barmen und ihre Kollegen warten hier jeden Tag von acht Uhr in der Früh bis acht am Abend auf Kundschaft, sie tragen orangefarbene Westen, auf denen das Logo der Firma „Pillion“ prangt: ein geflügelter Roller. „Pillion passenger“, das heißt auf Deutsch: Beifahrer. Die Firma bietet die ersten Elektro-Roller-Taxis in der indischen Hauptstadt an.
Während der Mann mit dem Turban längst im dreirädrigen Tuk Tuk sitzt und auf weitere Mitfahrer warten muss, kommt eine Frau in Grün und Weiß mit einer großen Einkaufstasche die breite Treppe von der U-Bahn herunter, steuert zielstrebig auf Tumpa Barmen zu und schwingt sich nach einem kurzen Wortwechsel im Damensitz hinter sie. Schon surren die beiden Frauen ab ins Gewusel der engen Nebenstraßen.
Die Mission: ein sauberes, grünes Indien
Unter den schweren Betonträgern der Metrotrasse tobt das alltägliche Verkehrschaos von Delhi: Busse, Vans, Autos, Motorräder, Tuk Tuks, Fahrradrikschas. Alle drängeln kreuz und quer, hupen lang und dröhnend laut, sind ungeduldig. Allein Kühe und Elefanten sind hier wenigstens nicht unterwegs. Es wäre lebensgefährlich, dieses Durcheinander zu Fuß überqueren zu wollen. Ein hoher Zaun trennt die Fahrtrichtungen der Hauptstraße.
Es dauert nur wenige Minuten, da ist Tumpa Barmen schon wieder zurück. Rasch setzt sie den blauen Helm und den Atemschutz ab – zum Vorschein kommen ein leuchtend pinkfarbener Haarreif, strahlend blaue Ohrstecker und ein kleiner Nasenring.
So flott wie Tumpa Barmen wünscht sich Karan Chadha den Service seines Start-ups Pillion, das er im April vergangenen Jahres mit zwei Partnern auf den Markt gebracht hat. Die Idee dafür entstand an einem dieser Tage, als die Regierung von Premier Narendra Modi Fahrverbote für Autos erließ, um den motorisierten Verkehr einzuschränken – so wie gerade wieder. Modi hat nicht zuletzt mit Blick auf den Klimawandel die Mission sauberes und grünes Indien ausgerufen. Sein Land belegt bei den Kohlendioxidemissionen Platz 3 hinter China und den USA. Und auch wenn ein blauer Himmel oft anderes vorgaukelt: Die Luftverschmutzung liegt in Indiens Hauptstadt um etliches höher als in der dafür berüchtigten chinesischen Hauptstadt Peking.
Gerade erst hat der Smog in Delhi wieder einmal Höchstwerte erreicht, der indische Ärzteverband sprach von einem „Gesundheitsnotstand“. Tausende Schulen blieben geschlossen, für Privatautos gelten täglich wechselnde Fahrverbote. Lastwagen dürfen den Weg durch die Stadt nur nehmen, wenn sie unentbehrliche Fracht transportieren. Grund für den Smog sind auch Bauern im Umland, die ihre Stoppelfelder abbrennen. Die durchschnittliche Feinstaub-Konzentration in der Luft ist derzeit rund 75 mal so hoch wie der Wert, den die Weltgesundheitsorganisation noch für tolerierbar hält.
Wie Indien in die Zukunft geht, betrifft die ganze Welt
Das Land muss etwas unternehmen. Denn wie Indien in die Zukunft geht, betrifft die ganze Welt. Unter anderem soll die Nationale Mission Elektromobiltät helfen - ein Programm, das die Anschaffung von Elektrofahrzeugen fördert, Forschung und den Bau von Ladestationen.
Die Gründer von Pillion fanden eine Studie, wonach jeder einzelne E-Roller innerhalb von drei Jahren eine Tonne des Klimagases Kohlendioxid einspart. Pro Kopf und Jahr belastet jeder Inder die Atmosphäre mit rund 1,6 Tonnen CO2. Solange allerdings der Strom für die E-Roller aus Kohlekraftwerken stammt, zweifeln Kritiker an dieser Sparberechnung.
An besagtem Tag, als Chadha wegen des Fahrverbots sein Auto stehen lassen musste, entschied er sich die U-Bahn zu nehmen. Mit ihren sechs Linien findet er Indiens Hauptstadt gut erschlossen. Doch auf den zwei Kilometern Weg bis zur nächsten Station ging dem 110-Kilo-Mann die Puste aus. „Bei der Hitze - aber hallo“, erzählt der 35-Jährige. Er wünschte sich einen Zubringerdienst. Der müsste günstig und schnell sein - auf zwei Rädern würden Fahrer auch im ärgsten Verkehrsgedränge vorankommen. Und weil Abgase vermieden werden sollen, beschlossen Chadha und seine Mitstreiter, einen Taxiservice mit E-Rollern aufbauen. Den würden Studenten, Büroangestellte und Geschäftsleute brauchen können. Ihre Fahrer sollen mindestens die zehnte Klasse abgeschlossen haben, schreiben können, ein Führungszeugnis vorlegen, ein Training absolvieren, sich ordentlich benehmen.
Auch Tumpa Barmen entdeckte im Winter die Stellenanzeige in der Zeitung. Sie habe nach der zwölften Klasse nichts zu tun gehabt, erzählt sie und fügt fast entschuldigend hinzu: „Ich fahre gerne Roller.“ An diesem Tag wartet sie in pinker Bluse, Jeans und farblich passender Umhängetasche für Diensthandy und Abrechnungsbogen auf Kundinnen.
Auf geht's: Acht, fünfzehn, 22 km/h
Auf geht's: Acht, fünfzehn, 22 km/h. Von hinten drängelt ein junger Mann auf einem schweren Motorrad, sein Motor heult auf. Tumpa Barmen lässt sich nicht einschüchtern. Sie schlängelt sich zwischen zwei Autos hindurch, weicht auf ihrer Seite Entgegenkommenden geschickt aus, die Hände immer an den Bremshebeln. Vorbei an den Blicken der Männer an den Imbissen am Straßenrand, vorbei an der stechend riechenden öffentlichen Toilette, vorbei am Nussverkäufer.
Kaum zu glauben - sie schafft die Strecke, ohne einmal zu hupen. Obwohl für ihren Chef Karan Chadha feststeht: „An unseren Rollern ist die Hupe noch wichtiger als an jedem anderen Fahrzeug.“ Schließlich sind die E-Scooter fast geräuschlos in dem Chaos unterwegs.
Die ersten 20 Fahrer - unter ihnen vier Frauen - standen am 1. April 2016 in neon-orangenen Westen vor der U-Bahn am weltgrößten Kreisverkehr, dem Connaught Place, „das Herz von Delhi“, wie Chadha ihn nennt. Aprilscherze hin oder her, da die nächsten Fahrverbote anstanden, wäre ihnen ohne Werbung die öffentliche Aufmerksamkeit gewiss. Das war die Überlegung.
Nach sechs Monaten würden sie 500 Roller auf der Straße haben, in drei Jahren 10 000. Mit großen Mengen hat Chadha schon vorher Geld gemacht, sein Metier war die Kohle. Ein über Nacht geläuterter Kohlehändler? „Die Geschichte wäre zu schön“, sagt Chadha und lacht herzhaft. Die Firma, mit der er zusammen gearbeitet hatte, war schon ein Jahr vorher aus dem Geschäft - ihre Umstellung auf Gas hatte nicht funktioniert.
So charmant der Plan mit den E-Mobilen war, so unerbittlich erwies sich die Wirklichkeit. Karan Chadha und seine zwei Pillion-Mitgründer mussten feststellen, dass in der Herzkammer Delhis einfach niemand in Eile ist. Gerade am Connaught Place, wo viele internationale Marken Geschäfte haben, „da wollen die Leute in Ruhe shoppen“. Also zogen sie ein paar U-Bahn-Stationen weiter.
Dann kam die Hitze, 48 Grad im Sommer
Heute stehen Tumpa Barmen und ihre Kollegen an den Metrostationen Jhandewalan und in Karol Bagh, wo die Leute auf dem Weg ins Büro immer spät dran sind oder ins Innere des Markttreibens wollen. Um überhaupt eine Lizenz für die City zu bekommen, haben sie eine Ausnahmegenehmigung verhandelt: Ihre E-Roller gelten nicht als motorisierte Fahrzeuge. Ihre Geschwindigkeit wurde auf 25 km/h gedrosselt - mehr ist im Gedränge sowieso nicht drin.
Dann kam die Hitze, 48 Grad im Sommer. Die Batterien machten schlapp, hielten trotz der Strecken von maximal fünf Kilometer keinen Tag durch. Ladestationen sind rar wie in Berlin. Es dauerte einige Zeit, bis jetzt endlich erschwingliche Roller mit leistungsfähigeren Lithium-Batterien auf dem Markt kamen. Für deren Finanzierung gibt es Zuschüsse. Pillion testet gerade die Modelle des größten Verkäufers von E-Rollern, Hero. Dann soll die Firma endlich wachsen, bisher können sie nur gut 20 Fahrer auf ihren 40 Rollern einsetzen, weil die so oft geladen werden müssen. Auch da wollen sie unabhängiger werden. Und grüner. Bis Weihnachten soll die eigene Solarstromproduktion starten - mit Regierungszuschüssen.
Tumpa Barmen darf einen der neuen Roller testen. Wieder setzt sie ihren blauen Helm auf. An dem fehlt allerdings der Verschluss, die Riemen baumeln lässig rechts und links. Ob so die Versicherung, die die Firma für alle Fahrer (und inzwischen deren Familien), Beifahrer und gegebenenfalls Unfallopfer abgeschlossen hat, bei einem Unfall zahlen würde? „Gott sei Dank haben wir sie noch nie gebraucht“, sagt Chadha. Es war schwer genug, eine zu bekommen. So ein Unternehmen gab es ja vorher nicht. Tumpa Barmen mag den Helm jedenfalls ebenso wenig wie die meisten Kunden - und zwar nicht nur die weiblichen unter ihnen, die sich um ihre Frisur sorgen.
„Kundinnen haben mich beschimpft, ich sei sexistisch!“
Bei Pillion sind sie stolz auf ihre Regel, dass Frauen nur bei Frauen mitfahren. Jeder kennt die Schlagzeilen über sexuelle Übergriffe in Indien, hier sollen Frauen sich sicher fühlen. Sie wollen keine Klagen wegen Anmache oder sexueller Übergriffe. Doch genau damit erlebten sie ihre größte Überraschung: Kundinnen protestierten. „Ich hatte Anrufe “, Chadha holt tief Luft: „Kundinnen haben mich beschimpft, ich sei sexistisch!“ Sie bestanden auf einen Fahrer. Also sichert sich die Firma ab. „Die Frauen rufen uns an, wir zeichnen das Gespräch auf - dann können sie mit einem Mann fahren.“ An den Haltepunkten achten Schichtleiter darauf, dass alles seine Ordnung hat.
An der Jhandewalan-Station steigt gerade eine Frau in schwingendem Gewand vom E-Roller eines Fahrers, sie zahlt 20 Rupien (umgerechnet 26 Cent, so viel kosten auch fünf Kilometer in der U-Bahn) und eilt zur Metro hinauf. Es ist 16 Uhr, der Fahrer zieht seine Atemschutzmaske ab, notiert den 28. Trip für heute. Bis Betriebsschluss hofft er auf 40 bis 50 Touren. Ein ziemlich guter Tag. Tumpa Barmen schreibt gerade erst Tour Nummer 14 auf. Im Schnitt schaffen auch die Frauen 27 bis 30 Touren am Tag, rechnet Chadha vor. Das war nicht immer so.
Anfangs bekamen die Fahrer ein Gehalt, „von dem sie vorher nur hätten träumen können“, sagt Chadha und regt sich auf. 10 000 Rupien (etwa 130 Euro) zahlten sie im Monat. Die Familien (über)lebten vorher von 5000. Den Chefs rann das Geld durch die Finger, denn viele Fahrer machten öfter mal Pause, schafften nur sieben oder acht Touren. Nach einem Jahr waren 70 Prozent ihrer umgerechnet 200 000 Euro Eigenkapital weg. Sie hätten schließen müssen. Doch stattdessen änderten sie das Geschäftsmodell: die Fahrer wurden Unternehmer. Sie bekommen nun Roller, Helm, Handy, Versicherung gestellt, nehmen pro Durchschnittsfahrt 20 Rupien ein - zwei davon gehen als Kommission an die Firma. Beide Seiten müssen bei der Größe keine Steuern zahlen, auch die Fahrer verdienen nochmal mehr als vorher. Damit sie regelmäßig kommen, erhalten sie sogar derzeit die zwei Rupien als Anreiz zurück. Das Ziel: Jeder Fahrer arbeitet sechs Tage die Woche je zehn Stunden. Die Frauen sollen allerdings im Dunkeln nicht fahren. Ab 17 Uhr ist für Tumpa Barmen an der Jhandewalan-Station Schluss. Dann wird die Gegend für sie unsicher.
„Grün zu werden, ist verdammt schwierig“
All das lässt sich managen. Das größte Problem ist, sagt Chadha, den Menschen klarzumachen, welche Vorteile E-Mobilität hat. Die Leute können sich unter grünem Service nichts vorstellen. „Sie sehen keine Beispiele, so wächst kein Vertrauen“, sagt er. Chadha hofft, dass endlich die großen Marken ins Geschäft einsteigen. Nur dann werde es vorangehen. „Grün zu werden, ist verdammt schwierig.“ Und doch ist Aufgeben keine Option. „Pillion macht Spaß und ist viel ausfüllender als das Kohlegeschäft“, sagt Chadha. Allerdings können sie es sich auch leisten, mit Pillion noch nichts zu verdienen. Alle drei Gründer haben andere Einnahmequellen: „Wenn dein tägliches Auskommen gesichert ist, kannst du verrückte Pläne machen.“ Doch natürlich geht es am Ende ums Geldverdienen mit der Zukunft. Im Moment zählt: „Wir verbrennen kein Geld. Anders als andere.“ Und er meint wohl die Konkurrenz von Uber, die auch auf den Markt drängt.
Chadha will jetzt auch in den E-Commerce einsteigen. In den Stunden, in denen weniger zu tun ist, sollen die Fahrer Pakete statt Passagiere transportieren. Auch digital soll die Bestellung der Taxis bald möglich sein. „Unsere App ist längst fertig“, sagt Chadha. Freigeben will er sie jedoch erst, wenn ihr Service auch an weiteren Stationen läuft. Einstweilen geht viel übers Telefon, über die sechs Mitarbeiter im Callcenter - oder direkt übers Handy beim Fahrer.
Er mag keine schlechten Deals
Die drei Inhaber wollen bis Jahresende entscheiden, ob sie 80 neue Roller ordern. Pillion soll die Flügel bekommen, die das Logo schon hat. Wie lange gibt sich Chadha Zeit? „Drei Jahre.“ Er macht eine Pause, „oder früher, wenn das Geld alle sein sollte“. Bei allem Enthusiasmus: Er mag keine schlechten Deals.
Tumpa Barmen muss wieder los. Mit der Dame, die nun hinter ihr sitzt, hat sie kaum ein Wort gewechselt. Sie ist Stammkundin. Ein Kollege fährt täglich einen sehbehinderten alten Mann, der einmal die Woche für den Service zahlt. „Für ihn ist der Weg von der Metro zu seinem Laden zu Fuß ein Alptraum“, berichtet der Chef. Mit solchen Kunden hatten sie gar nicht gerechnet. Auch nicht mit Arbeitern, die lieber 20 Rupien für Pillion zahlen, als sich mühsam zu Fuß durchs Gewühl zu schieben - wenn sie in der gesparten Zeit Geld verdienen könnten. Tumpa Barmen kennt sechs von zehn Kundinnen. Für die Dame hinter ihr ist Tumpa Barmen inzwischen die persönliche Chauffeurin.