Wahl in Hamburg: Eine Schlüsselwahl für FDP und AfD
Für die kleinen Parteien war Hamburg eine wichtige Wahl. Die FDP suchte den Beweis, dass sie noch lebt. Die AfD wollte erstmals auch im Westen punkten. Doch einen Partner wird sich Gewinner Olaf Scholz wohl woanders suchen.
So ein Wahlabend ist gemeinhin ein Moment mit hohem Geschwindelfaktor, doch dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner kann man diesmal einfach nicht widersprechen. „Respekt für Olaf Scholz“, ruft der FDP-Vorsitzende, „aber für uns ist Katja Suding die Gewinnerin des Abends!“ Im Thomas-Dehler-Haus in Berlin drängelt praktisch das komplette FDP-Präsidium sich um Lindners Podium herum aufs Bild. Die meisten der Damen und Herren sind einem breiteren Publikum unbekannt. Bis zu diesem Sonntagabend hätten viele jede Wette angeboten, dass das auf alle Zukunft so bleibt. Aber Katja Suding hat gewonnen. Die FDP hat es unter ihrer Spitzenkandidatin zum ersten Mal seit dem Schock der Bundestagswahl wieder in ein Parlament geschafft. Und wenn es auch nur die kleine Bürgerschaft des kleinen Stadtstaats Hamburg ist – das wühlt sie derart auf, dass der sonst so zurückhaltende Hermann Otto Solms nahezu wahllos Menschen im Foyer des Dehler-Hauses umarmt. Und Suding strahlt von ihrer Bühne in einem Hamburger Gasthaus: „Wir sind wieder da!“
Es lässt sich also doch etwas lernen aus dieser ersten Landtagswahl des wahlarmen Jahres, die so langweilig schien, weil das Ergebnis sowieso feststand: Olaf Scholz bleibt Erster Bürgermeister. Der Sozialdemokrat kann seine absolute Mehrheit wohl knapp nicht verteidigen. Aber ansonsten ist sein Vorsprung vor allen anderen himmelweit. „Großartig“, sagt Scholz und lächelt genau so sparsam in die Kamera wie auf den Wahlplakaten, auf denen sie sich seinen Namen einfach gespart hatten, weil, den kennt sowieso jeder. Woran es gelegen hat? „Wir haben verlässlich regiert“, sagt Scholz, und dass Hamburg auch in den nächsten fünf Jahren eine gut regierte Stadt sein werde, „eine sozialdemokratisch regierte Stadt“, darauf legt er dann doch Wert.
Gabriels Analyse klingt nach dem Prinzip Hoffnung
In Berlin legt Sigmar Gabriel darauf ebenfalls Wert. Scholz’ Erfolgsgeheimnis, sagt der SPD-Chef, bestehe darin, dass er wirtschaftliche und soziale Kompetenz zusammenbringe, was im Übrigen das Erfolgsrezept der Sozialdemokratie immer schon gewesen sei. „Wenn wir das einhalten“, sagt Gabriel, „haben wir Erfolg.“ Das klingt ebenfalls nach einer Lehre aus dieser Wahl. Aber es klingt zugleich ein bisschen nach dem Prinzip Hoffnung. Der SPD-Vorsitzende versucht schließlich auch, Wirtschafts- und Sozialkompetenz gleichzeitig auszustrahlen, nur dass in seinem Fall das Umfrage-Wahlvolk das nicht honoriert.
Vielleicht deshalb vergisst Gabriel das herauszustellen, was alle anderen als das eigentliche Erfolgsrezept des Bürgermeisters Scholz bezeichnen: Der Mann hat diese Wahl gewonnen, weil er die richtige Person am richtigen Platz ist. „Die mögen den da einfach“, sagt einer aus der CDU-Führung, der sich in der Hansestadt gut auskennt. Ein bisschen dröge, dabei absolut verlässlich, kein Großsprecher, dafür einer, der rechnen kann – sogar langjährige CDU-Wähler hätten vorher eingestanden, dass sie diesmal bei Scholz’ SPD ein Kreuz machen, um ihm die absolute Mehrheit zu sichern und die Grünen rauszuhalten.
Das hat dann übrigens nicht funktioniert; Scholz wiederholt noch am Wahlabend sein Koalitionsangebot an die Grünen, das er im Wahlkampf gegeben hatte. Im Übrigen vermeidet er jeden Zungenschlag, der so gedeutet werden könnte, als würde der stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Scholz aus diesem Wahlergebnis irgendwelche Ansprüche an seine künftige Rolle in der Bundespartei ableiten. Nicht, dass es ihm an Phantasie oder Ehrgeiz fehlen würde. Aber Scholz weiß, dass seine Position um so stärker ist, je weniger er davon hermacht. Und, wie gesagt, er kann rechnen. So lange in Berlin Angela Merkel im Spiel ist, gehen Kalkulationen mit sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten schlecht auf.
Die CDU übt sich in Schadensbegrenzung
Das ist an diesem Abend für die CDU beinahe der einzige Trost. Generalsekretär Peter Tauber versucht zwar ein bisschen gegen den Koalitionspartner zu sticheln – Scholz habe es geschafft, sich vom Bundestrend seiner Partei abzusetzen. Aber der Scherz zündet nicht so recht, weil es die Elb-CDU ebenfalls geschafft hat, sich vom Bundestrend abzusetzen, nur in die andere Richtung. 16 Prozent sind selbst für traditionell schwache Christdemokraten in der Hansestadt indiskutabel, das mit Abstand schwächste Ergebnis je.
Ob die CDU daraus etwas lernen kann, als Partei mit Großstadtproblemen? Die Parteiführenden schütteln den Kopf. Großstadtwahlen, sagt einer, seien Personenwahlen – siehe Ole von Beust, der in Hamburg auf Scholzsche Werte kam, obwohl er Christdemokrat war. 16 Prozent sind trotzdem weniger, als eine Volkspartei sich leisten können sollte. Die Parteiführenden zucken mit den Schultern und machen die Rechnung auf, dass in Hamburg gerade mal zwei Prozent der Deutschen leben. Was man eben so als Strohhalm herauszieht nach Niederlagen.
Immerhin, die FDP ist wieder da, und das freut auch die Christdemokraten. „Das zeigt, mit den Liberalen ist zu rechnen“, sagt Tauber. Hat seine Chefin schließlich auch erst neulich gesagt. Angela Merkel hat gerne Optionen. Ihr wäre es recht, wenn die Freidemokraten bis zur Bundestagswahl überleben. Das ist natürlich mit diesem einen Erfolg nicht garantiert, auch wenn im Braugasthof „Altes Mädchen“ im Hamburger Schlachthofviertel begeisterte FDP-Anhänger Schilder mit der Aufschrift „Hamburg gibt die Richtung vor“ schwenken. Aber selbst dort bleiben viele zurückhaltend. „Schaun wir mal“, sagt ein FDPler. Lindner dämpft gleich in seinem Eingangssatz: „Die Freude und die Erleichterung sind groß, aber wir bleiben auf dem Teppich!“ Die wirklichen Bewährungsproben kommen noch, wenn ab 2016 in den großen Westländern gewählt wird, einstigen FDP-Hochburgen wie Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Lindners Heimat Nordrhein-Westfalen.
"Die drei Engel für Christian" kennt fast jeder
Die designierten Spitzenkandidaten für Mainz und Stuttgart stehen auf der Bühne neben ihrem Bundeschef. Volker Wissing und Michael Theurer fallen unter diejenigen, die ein breiteres Publikum nicht kennt. Katja Suding kennt man dagegen auch außerhalb Hamburgs spätestens, seit sich die 39-jährige Werbefachfrau gemeinsam mit der FDP-Generalsekretärin Nicola Beer und der Bremer Spitzenkandidatin Lencke Steiner als „Drei Engel für Christian“ für das Klatschblatt „Gala“ ablichten ließ.
Dass es die FDP Hamburg ohne sie nie und nimmer geschafft hätte, den Erfolg von 2011 sogar noch leicht zu überbieten, steht außer Frage. Die Liberalen sind nämlich im liberalen Hamburg bisher nur sehr sporadisch im Parlament vertreten gewesen. Das Ergebnis ist um so bemerkenswerter, als sich die hanseatische FDP kurz vor dem Wahlkampf auch noch eine Spaltung geleistet hatte. Aber von den „Neuen Liberalen“ der ehemaligen Landesvorsitzenden Sylvia Canel hat man nach kurzer Zeit nichts mehr gehört.
Aus Sudings One-Woman-Show ließe sich also vielleicht eine weitere Lehre ziehen. Fragt sich nur, wie die Herren Theurer, Wissing und Lindner sie für sich nutzbar machen könnten. Auch Suding lässt übrigens am Wahlabend mit keinem Wort erkennen, dass sie womöglich bundespolitische Ambitionen entwickeln könnte. Aber für sie gilt, was bei der SPD für Scholz gilt: Das kommt ganz automatisch und von selbst. Suding bleibt für das kommende Jahr das Gesicht des Erfolgs. Das versteckt man nicht.
Wie die AfD das Ergebnis deutet
Jörn Kruse taugt als Gesicht des Erfolgs nicht ganz so gut, schon wegen eines gewissen Mangels an Charisma. Doch ist der Landesvorsitzende der AfD an diesem Abend der Dritte mit Anlass zum Feiern. Das findet, dieses Feiern, sinnigerweise im Rathaus statt in der Gaststätte „Parlament“. Kruse ruft seinen Anhängern schon vor der Schließung der Wahllokale die Gewissheit zu: „Wir sind in der Bürgerschaft!“ Das sind sie dann tatsächlich, knapp über fünf Prozent, aber gleichwohl sicher.
Damit, finden Kruse und sein Mentor Bernd Lucke, ist der Nachweis geführt, dass die Triumphe der „Alternative“ in Sachsen, Thüringen und Brandenburg kein ostdeutsches Sonderphänomen sind. Vor allem aber – was Lucke und dem dritten Hanseaten im AfD-Bund, Hans-Olaf Henkel, noch viel wichtiger ist – sie haben es hier mit einem vergleichsweise bürgerlichen Wahlkampf geschafft. Kruse ist kein Deutschnationaler wie Alexander Gauland in Brandenburg. Der emeritierte Professor hat auch versucht, Rechtsaußengeblinzel zu vermeiden, wie es Frauke Petry in Sachsen gezielt eingesetzt hat. Kruses Mission bestand darin, zu beweisen, dass es auch fast ohne Rechtspopulismus geht.
Lucke hätte gern ein deutlicheres Ergebnis gesehen
Unter diesem Aspekt ist das Ergebnis ein bisschen durchwachsen ausgefallen, sprich: Es hätte für Luckes Geschmack gerne etwas deutlicher werden können. In Hamburg haben Populisten vom Schlage der Statt- und der Schill-Partei eine lange Erfolgstradition. Deren Restbestände sind zum Teil bei der AfD, aber Kruse hat dafür gesorgt, dass sie da nicht lautstark den Ton angeben. Es gibt in der AfD-Bundesführung etliche, die das für einen Fehler halten: wiederum Gauland oder Petry beispielsweise, die in Sachsen zweistellige Ergebnisse eingefahren hat.
„In Ostdeutschland ist es aufgrund der geringeren Parteienbindung der ostdeutschen Wähler sicherlich leichter, Erfolge zu erzielen“, gibt Lucke am Abend zu Protokoll. „Jetzt haben wir auch gezeigt, dass wir in einer liberalen, weltoffenen Großstadt wie Hamburg erfolgreich sein können.“ Und Kandidat Kruse sekundiert, das sozialdemokratisch geprägte Hamburg sei eins der „schwerstmöglichen Länder“ für seine neue Partei. Die Sätze gelten der Konkurrenz in den eigenen Reihen. Die werden trotzdem aufrechnen: Zweistellig mit unserem Kurs, grad mal so reingerutscht nach den Rezepten von Lucke und Henkel.
Aber eben: reingerutscht. Bei den übrigen Parteien wird es zähneknirschend verbucht. Er sehe keinen Anlass, die Strategie im Umgang mit der AfD zu verändern, sagt Tauber. Etwa ein Drittel der hanseatischen AfD-Wählerschaft hat vorher CDU gewählt. Andererseits – der Anteil der SPD-Abtrünnigen ist ziemlich genau so groß.
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.