Arabisch-israelisches Start-up: Drei Gründer ergreifen eine Chance in Berlin
Obwohl die Start-up-Szene in Israel boomt, ist die arabische Minderheit ausgeschlossen. In Berlin entwickeln Gründer einen Helm, der Kinder therapieren soll.
Es sieht aus wie ein Fahrradhelm, was Rami Shacour da in den Händen hält. Unspektakulärer Plastikkorpus, kopfgroß, dezent grau. Der oberflächliche Eindruck täuscht. In dem Gerät steckt neuste neurowissenschaftliche Forschung, innovative Ingenieurtechnik – und ein Heilsversprechen. Der Helm soll helfen, Kinder zu therapieren, die von der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung betroffen sind, kurz ADHS. Ohne Medikamente, ohne Nebenwirkungen, nur durch minimale Stimulationen, die bestimme Gehirnareale über Elektroden empfangen. Erdacht in Haifa, umgesetzt in Berlin.
Sogar die Kulisse passt: Derzeit sitzt das israelische Start-up Innosphere in der Luisenstraße im Gründerhaus der Humboldt-Universität, direkt gegenüber der Charité. Medizingeschichte wurde hier schon mehrfach geschrieben.
Wie beim Helm wird das Besondere an Innosphere erst auf den zweiten Blick sichtbar: Die vier Gründer gehören zur arabischen Minderheit in Israel. Lange Zeit war dieser Teil der Bevölkerung, immerhin rund 20 Prozent der 8,8 Millionen Staatsbürger, nicht beteiligt am legendären israelischen Hightech-Boom. Ihre Mitarbeit war nicht erwünscht – und eigene Start-up-Gründungen erfolgten selten. Zwar ist Israel nach dem Silicon Valley weltweit das Land mit den meisten und erfolgreichsten Hightech-Unternehmen pro Einwohner. Aber ein gesellschaftlicher Schmelztiegel ist diese Branche bisher wahrlich nicht.
Das ändert sich gerade, wenn auch sehr langsam.
Gelingt innerhalb der Start-up-Szene, was politisch noch jenseits des Vorstellbaren liegt – eine vorurteilsfreie jüdisch-arabische Annäherung? Kann die Lust am gemeinsamen Konstruieren und Programmieren helfen, uralte Feindschaften zu überwinden? Und können die neuen Brücken sogar bis ins Westjordanland reichen?
Das HU-Gründerhaus, in dem Innosphere Büroplätze und die Besprechungsräume nutzen kann, versprüht den angeschrammelten Charme eines Berliner Altbaus: grauer Linoleumboden, hölzerne Einbauschränke, an den Türen mit Tesafilm befestigte Klarsichtfolien. Nur die Poster mit Motivationssprüchen an den Wänden lassen ahnen, dass hier keine Behörde zu Hause ist. Fail early and often. Encourage wild ideas. Scheitere früh und oft. Unterstütze wilde Ideen.
„No framing, please“
Ehab Shakour, sein Cousin Rami Shacour und Freund Yousef Badran möchten eigentlich auch viel lieber über unternehmerische Visionen als über Herkunft oder ethnische Zugehörigkeiten sprechen. „No framing, please“, sagt Rami Shacour, der Jurist ist und mit 44 Jahren der älteste in der Runde. Kein Schubladendenken. Ihr Gerät soll medizinisch und technologisch überzeugen, darum geht es. „Unsere Perspektive war immer global, vom ersten Tag der Firmengründung an.“
Dass bei Innosphere, das in Haifa und in Berlin ein Büro unterhält, die rund ein Dutzend muslimischen, christlichen und jüdischen Mitarbeiter vertrauensvoll zusammenarbeiten, ist für die Gründer selbstverständlich. Auch das Gremium, das die Unternehmer berät, ist divers. „Diese Menschen helfen uns mit ihrer Expertise, weil sie an uns glauben“, sagt Shacour, der eine erfolgreiche Anwaltskanzlei betrieb, bevor er mit Innosphere noch mal etwas ganz Neues anfing.
Auslöser für die Idee zum Helm war die Entscheidung von Verwandten der Familie Shakour, die ihrem Kind keine Medikamente gegen ADHS mehr geben wollten. Ehab Shakour hatte zudem das Buch des israelischen Neurowissenschaftlers Roi Cohen Kadosh gelesen, der an der Universität in Oxford forscht: „The Stimulated Brain“, das stimulierte Gehirn. Shakour rief den Wissenschaftler 2015 einfach an. Schnell war Cohen Kadosh überzeugt und wurde einer der ersten Unterstützer von Innosphere.
Doch es sind nicht nur solche Anekdoten, die Hoffnung machen. Auch strukturell tut sich etwas.
Bisher ist eines der Geheimrezepte des israelischen Erfolgs die enge Verzahnung von Hightech-Sektor und Armee: In der Eliteeinheit 8200 werden junge Israelis während ihres dreijährigen Wehrdiensts als Cyberspezialisten ausgebildet. Oft geht es nahtlos weiter mit Studium, Start-up-Idee, staatlich geförderter Gründung, ersten Investorengeldern. Die persönlichen Netzwerke aus der Militärzeit helfen dabei enorm. Denn in Israel hängt alles mit allem zusammen, Forschergeist, Risikobereitschaft, Unternehmerkultur, Patriotismus, Rüstungsindustrie.
Groß ist die Angst vor Spionage oder Sabotage
Die schillernde, israelische Hightech-Blase blieb lange in sich geschlossen. Nirgendwo lässt sich das besser besichtigen als in Be’er Scheva im Süden Israels. Flach und sandig ist es hier, das Meer – für israelische Verhältnisse – weit weg. Die Stadt mit ihren rund 200.000 Einwohnern am Rande der Negev-Wüste war bisher kein Magnet für junge Israelis. Zwar ist die hier seit 1969 ansässige Ben-Gurion-Universität beliebt und berühmt, aber dauerhaft niederlassen wollen sich die Hochschulabsolventen nicht in der staubigen Region, die nur 40 Kilometer vom Gazastreifen entfernt liegt. Mit gewaltigen Infrastrukturmaßnahmen versucht die israelische Regierung das zu ändern. „Eco system“, Ökosystem, ist das mit Abstand meistgebrauchte Wort, wenn ausländischen Besuchern – und von denen kommen viele – das Konzept des neuen Hightech-Parks in Be’er Scheva erklärt wird.
Mehrere verglaste Riegelbauten sind in Sichtweite des Uni-Geländes entstanden. Eingezogen sind Investoren, Inkubatoren, Forschungsinstitute, Start-ups. „Ein einzigartiges Cyberzentrum“ solle entstehen, versprach Ministerpräsident Benjamin Netanjahu 2013, in Be’er Scheva werden sich „Industrie, Forschung, Entwicklung und Wissenschaft miteinander verbinden“. Auch das Militär hat umfassende Baupläne, tausende Soldatinnen und Soldaten werden in den kommenden Jahren in die unmittelbare Umgebung verlegt. Einziger Haken dieses dynamischen Systems: Die arabischen Israelis bleiben außen vor. Zu groß ist die Angst vor Spionage oder Sabotage.
Yousef Badran, Ehab Shakour und sein Bruder Gaby Shakour, der vierte der Innosphere-Gründer, hatten trotzdem keinerlei Schwierigkeiten, im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.
Wie passt das zusammen?
Alle drei haben an der renommierten Technion Universität in Haifa Elektrotechnik studiert – eine Karriere im Hightech-Sektor war da naheliegend. Die arabische Gründerszene wird seit einigen Jahren von der nationalkonservativen Regierung finanziell unterstützt. Für gemischte Gründerteams, jüdisch und arabisch, gibt es einen eigenen, millionenschweren Fördertopf. Indirekt ermutigt wird der arabische Hightech-Nachwuchs außerdem von internationalen, oft US-amerikanischen Konzernen, die in Israel Niederlassungen eröffnet haben. Diese Großunternehmen waren es, die das brachliegende Potential der arabischen Bevölkerung erkannten und für sich einzusetzen wussten. Das hat auch den Lebensweg der Innosphere-Gründer beeinflusst. Chancen, die ihnen internationale Firmen gaben – in Form von Stellen, Aufstiegsmöglichkeiten – nutzten sie. Niemand scherte sich um ihre Herkunft oder Religionszugehörigkeit. Ganz anders als bei den israelischen Unternehmen.
Es fehlen Netzwerke
Von den rund 250 multinationalen Konzernen werden arabische Israelis in großem Stil angeworben und eingestellt. Vor zehn, fünfzehn Jahren sei das noch anders gewesen, erinnert sich der 30-Jährige Ehab Shakour.
Er findet die Entwicklung positiv: „Hätten die Konzerne dieses Risiko nicht auf sich genommen, wären ihnen viele kluge Köpfe entgangen.“ Shakour war einige Jahre bei Intel und hat für das amerikanische Unternehmen in Haifa Computerchips entwickelt. Für die eigene Firma haben er, Bruder Gaby und Freund Yousef hochdotierte Jobs aufgegeben. Das fiel ihnen wohl auch deshalb leicht, weil der Weg zurück in eine auskömmliche Festanstellung bei Google, Apple und Co. jederzeit wieder möglich wäre.
Selbstverständlich ist es dennoch nicht, dass arabische Israelis den Mut zur Gründung eines Start-ups aufbringen. Nicht nur, weil ihnen die militärbasierten Netzwerke fehlen. Sondern auch, weil ihnen von Seiten der israelischen Finanzbranche weiterhin Misstrauen entgegenschlägt. Die arabischen Geldgeber wiederum legen lieber in Immobilien an, das heißt auch hier ist der Rückhalt eher schwach. Umso beachtlicher, dass es dem Innosphere-Team 2016 gelang, 2,5 Millionen US-Dollar aufzutreiben. Das Geld kam aus einem staatlichen Topf in Israel; außerdem unterstützte sie ein privater Investor aus dem Bekanntenkreis. Von 2017 bis 2018 wurden sie von Exist gefördert, einem deutsch-israelischen Programm des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie – deshalb auch der Teilumzug nach Berlin.
Israel ist klein. Von Be’er Scheva nach Jerusalem dauert es eineinhalb Stunden mit dem Auto; wer gleich bis nach Ramallah ins Westjordanland fahren will, braucht theoretisch rund eine Stunde und 45 Minuten. Je nach Verkehrslage und Wartezeit an der Grenze allerdings auch deutlich länger. Hinter Ramallah geht es auf gewundenen Landstraßen weiter ins zwanzig Kilometer entfernte Rawabi, eine künstliche Musterstadt, die ein palästinensischer Privatinvestor fast im Alleingang auf einen Hügel im Nirgendwo gesetzt hat. Baukosten: rund 1,4 Milliarden US-Dollar.
Rawabi beherbergt nicht nur schicke Eigentumswohnungen, ein gigantisches Open-Air-Theater und ein Edel-Einkaufszentrum – sondern auch einen Inkubator, eine Art Brutkasten für palästinensische Start-ups, ebenfalls finanziert vom Investor. „Connect“ haben sie das Gründer- und Co-Working-Zentrum, den Rawabi Tech Hub, genannt. Es ist modern ausgestattet: verglaste Trennwände, klobige Designerlampen, schnelles Internet.
Nur wer soll sich in den besetzten Gebieten mit wem verbinden?
In Berlin folgt eine gute Nachricht auf die nächste
Die Managerin, Nadiah Sabaneh, nennt den Rawabi Tech Hub „unser eigenes kleines Silicon Valley“. 5000 Stellen wolle man in den nächsten drei Jahren schaffen, sagt sie. „Wir werden Nischen für palästinensische Technologie finden.“ Aber das ist nur Teil eins des Plans. Teil zwei klingt so: „Unser Ziel ist es, multinationale Unternehmen dazu zu bringen, Niederlassungen in Rawabi zu eröffnen.“ Einzelne Abteilungen könnten von Israel ins Westjordanland ausgelagert werden. Sabaneh hofft, dass die Idee mit dem Outsourcing verfängt. Immerhin sind die Lohnkosten deutlich günstiger als in Israel, und potentielle Mitarbeiter wären reichlich vorhanden.
Das ist schon auf der Fahrt nach Rawabi zu sehen, die durch das Dorf Birzeit führt. Früher lebten die Bewohner vom Olivenanbau, heute sind es Studenten, die Geld in die Region bringen. 14 000 junge Palästinenserinnen und Palästinenser studieren an der Birzeit Universität. Nur die wenigsten werden im Westjordanland eine Stelle finden, die ihrer Qualifikation entspricht. Die Wirtschaftsmetropole Tel Aviv ist zwar geografisch zum Greifen nah, aber beruflich unerreichbar. Jedenfalls bislang.
Kürzlich hat SAP.io, ein Innovationsprogramm des Softwareherstellers SAP, einen Wettbewerb für das beste palästinensische Technologie-Start-up gestartet, das verbuchen sie in Rawabi als gutes Zeichen.
In Berlin, bei Innosphere, folgt eine gute Nachricht auf die nächste. Vor zwei Jahren sind Yousef Badran, Ehab Shakour und Rami Shacour mit ihren Familien in die deutsche Hauptstadt gekommen, die sich rühmt, ein Start-up-Paradies zu sein. Mittlerweile sind die ersten klinischen Studien, die für eine Zulassung ihres Helmes in Europa benötigt werden, beendet. „Sie liefen sehr, sehr gut“, sagt Badran. Mit nur zehn Helm-Sitzungen, die jeweils zwanzig Minuten dauern, konnten die ADHS-Symptome um 50 Prozent reduziert werden, und das für einen mehrmonatigen Zeitraum.
Gymnastikübung fürs Gehirn
Die Anwendung des Geräts ist dabei spielend einfach; es braucht keine spezielle Schulung für Kinder oder Eltern. Durch eine eingebaute künstliche Intelligenz-Software lernt der Helm von alleine, welche individuelle elektronische Stimulation ein Patient benötigt. „Die Neuronen bekommen lediglich einen kleinen Schubs, damit sie besser miteinander kommunizieren können“, erklärt Ehab Shakour. Wie eine Gymnastikübung fürs Gehirn könne man sich das vorstellen.
Als nächstes müssen die vier Gründer noch einmal Geld einsammeln, dann könnte ihr Helm in ein bis zwei Jahren auf den Markt kommen. Die große Frage lautet nun: Werden bei Finanzierungsrunde zwei nicht nur europäische und amerikanische, sondern auch israelische Risikokapitalgeber in das junge Unternehmen einsteigen? Wenn das gelänge, wären die Innosphere-Gründer wieder mal Pioniere. Anwalt Shacour ist zuversichtlich: „Wir sind jetzt mit der Firma auf einem Level angekommen, da kommt es nicht mehr auf unseren persönlichen Hintergrund an – sondern nur noch auf die Qualität unseres Produkts.“
Die einengenden Schubladen ihrer Heimat – sie sind in Berlin kaum noch präsent. In der multikulturellen Stadt fühlen sich alle drei sichtbar wohl; Ehab Shakour will sogar langfristig hier bleiben. Und ja, ein bisschen stolz seien sie schon auf ihre Vorreiterrolle innerhalb der arabischen Community in Israel, sagt Rami Shacour zum Abschied, soviel framing ist dann doch erlaubt. „Denn je mehr Erfolgsgeschichten wie unsere es gibt, desto eher trauen sich auch andere.“