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Born to be wild. Vor einem Jahr wollte Günther Krause schon einmal an der Fernsehshow teilnehmen.
© Arya Shirazi/TVNOW

Ex-Minister im Trash-TV: Der irre Weg des Günther Krause ins Dschungelcamp

Verhandler der deutschen Einheit, Minister und Pleitier mit seltsamen Ansichten zum Eigentum anderer – nun zieht Günther Krause ins Dschungelcamp.

Seine Regierung hatte mal eine Pressesprecherin, die sah ein wenig aus wie eine entlaufene Pionierleiterin und so sprach sie auch. Beflissen, vor allem beflissen. Und warum sollen Pressesprecher immer beredt sein? Schließlich ist das kein Amt, um selbst zu glänzen, sondern um glänzen zu lassen. Zum Beispiel ihn, Günther Krause, DDR-CDU, das politische Wunderkind aus Börgerende, Kreis Bad Doberan.

Es gibt Menschen, die wissen, dass sie auf die Welt gekommen sind, um zu glänzen. Günther Krause zählt zu ihnen. Und es gibt andere, bei denen niemand auf diesen Gedanken käme, sie selbst eingeschlossen. Inzwischen hat sich das Verhältnis des Chefunterhändlers der deutschen Einheit zur früheren Pressesprecherin etwas verändert.

Angela Merkel könnte ihn anrufen und mit ihrer unpersönlichsten Verlautbarungsstimme fragen: Bist du eigentlich noch bei Sinnen? Schließlich ist ein Mann, der vor dreißig Jahren mit Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag unterzeichnete und später Verkehrsminister im Kabinett Kohl wurde, fast überall vorstellbar, aber an einem Ort gewiss nicht: im Dschungelcamp von RTL. „Ich bin ein Star – holt mich hier raus!“

Hat Angela Merkel wohl vergessen. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer erklärte auf Nachfrage: „Dazu liegen mir keine Informationen vor.“

Immer leicht neben der Spur

Aber dem Kandidaten des Dschungels liegen sehr wohl Informationen vor. Er darf zwar im Augenblick nicht mehr Hinz und Kunz Interviews geben, doch rtl-gefiltert kommentiert er die Dschungel-Kanzlerinnen-Frage so: „Ich würde sie in den Dschungel mitnehmen, wenn sie keine Kanzlerin mehr wäre. Sie ist jemand, der weder Luxus braucht, noch große Forderungen hat und mit dem einfachen Leben zurechtkommt. Angela Merkel wäre dschungeltauglich.“ Fast ist es ein wenig wie früher. Immer lagen seine Kommentare leicht neben der Spur, aber das mit größter Schubkraft.

[Update: Wegen gesundheitlicher Probleme verlässt Krause das Dschungelcamp nach einer Folge]

Es handele sich, soweit er das verstehe, um etwas „verschärftes Camping“, und ein großer Camper war er schon immer. Irgendwo auf der Autobahn zwischen Mecklenburg und Leipzig fährt der letzte Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel. Er geht ans Telefon. „Krause? Das tut mir sehr weh“, erklärt Diestel: „Günther, habe ich gesagt, geh da nicht hin! Du wirst vorgeführt. Das ist der Oberossi Krause, werden sie sagen.“

Wolfgang Schäuble und Günther Krause bei der Unterzeichnung der Urkunden zum Einigungsvertrag am 31.08.1990. In der Mitte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere.
Günther Krause gemeinsam mit Wolfgang Schäuble beim Unterzeichnen der Urkunden zum Einigungsvertrag am 31.08.1990.
© Peter Kneffel/dpa

Alle Freunde hätten ihn gewarnt. Aber er habe nur gelächelt. Dieses schöne, fast zarte Krause-Lächeln, das so gar nicht zum Erfinder des „Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes“ zu passen scheint.

Vor einem Jahr wollte Krause, auch Einheits-Krause genannt, schon einmal ins Camp einziehen, aber damals bestand er den Gesundheitstest nicht. Ab heute wohnt er in der Hängematte. Eigentlich ist das Realismus. All seine Häuser hat er verloren. Und war sein Leben in den letzten 25 Jahren nicht ohnehin eine einzige Reality-Show, ein Trash-Format? Manchmal kann man die Geschichte eines Menschen über seine Häuser erzählen.

Äcker, so weit das Auge reicht

Beginnen wir mit dem vorletzten. Das steht in Knüppeldamm, Mecklenburger Seenplatte. 300 Quadratmeter, Schwimmbad, Solarium, Sauna, Kaminzimmer, Orgel, Flügel. Die Orgel hatte er selbst mitgebracht. Und den Flügel. Er spielt gut Orgel.

Eine halbe Stunde sah sich der Ex-Minister im Frühjahr 2017 um, dann sprach er zu seiner Frau: Heike, ich kauf's. Zumal es fast umsonst war. Nur 500000 Euro für eine Villa, in die ihre Vorbesitzer rund eine Million gesteckt hatten. Ein Jahr lang hatten sie versucht, das Haus zu verkaufen, aber in Knüppeldamm ist die Nachfrage nach Millionenobjekten eher überschaubar, so wie das Land: nur Äcker, so weit das Auge reicht, ein paar Weiden.

Günther Krause mit Forschungsminister Heinz Riesenhuber in einem Transrapid-Führerstand.
Günther Krause mit Forschungsminister Heinz Riesenhuber in einem Transrapid-Führerstand.
© imago images/bonn-sequenz

Und in dieser radikal entschleunigten Welt wollte Hochbeschleunigungs- Krause sich niederlassen? Krause, der einen Transrapid von Hamburg nach Berlin projektierte und die in seinen Augen defizitäre Straßenverkehrsordnung der Bundesrepublik auf die Höhe der Zeit brachte oder eher etwas darüber hinaus: auf seine eigene Höhe. Die 7. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrsordnung vermerkte allein 32 Möglichkeiten zum Parken auf Gehwegen. Das ist Krauses Sinn für Präzision.

„Wir hätten trotzdem nicht mit ihm gespielt“

„Ja, Günther war ungemein fleißig“, sagt Peter-Michael Diestel, noch immer auf der Autobahn, „klug und fleißig, aber wir haben sehr über ihn gelacht“. Und dann entwirft der letzte Innenminister der DDR ein Krause-Porträt in einem Nachsatz: „Das war wie in der Schule: Er ist zwar der Klassenbeste, aber wir hätten trotzdem nicht mit ihm gespielt.“

Krause ist es gewohnt, auf Menschen zu treffen, die eine völlig unerklärliche Reserve ihm gegenüber empfinden. In Bonn, im ersten gesamtdeutschen Kabinett, war Krause der Besser-Ossi. Er war einfach zu schnell. Der Verkehrsminister konnte das aber begründen, ungefähr so: Verkehr ist schnell, andernfalls würde sein Ressort „Ministerium für Lethargie und Stillstand“ heißen.

Günther Krause und Peter-Michael Diestel in der Volkskammer 1990.
Günther Krause und Peter-Michael Diestel in der Volkskammer 1990.
© imago images/Stana

Auch spricht es für ihn, dass er nicht nur an den Transrapid dachte, sondern ebenso an die eher Langsamen im Land. Das Verkehrszeichen „Achtung Viehtrieb“ der alten Bundesrepublik zeigt im roten Dreieck eine Kuh, die von rechts kommt. Aber was, wenn die Kuh von links kommt?, überlegte Krause. Also ergänzte der Verkehrsminister die Kuh, die von rechts kommt, um eine Kuh, die von links kommt.

Eigentlich sind das die einzigen beiden Verkehrszeichen, die Krause in Knüppeldamm noch brauchte. Dem Neuknüppeldammer gelang, was nicht jeder schafft: Er zog in die Spottpreis-Villa ein, ohne sie bezahlt zu haben. Als Problem sollte sich erweisen, dass er das auch nicht nachholen würde. Obwohl er und die Voreigentümerin der Villa sich anfangs recht gut verstanden: zwei erfolgreiche Unternehmer aus dem Osten! Gedemütigt und doch immer wieder auferstanden. Sie im Landmaschinenhandel, er in der Neutrinovoltaik.

60 Milliarden Neutrinos

In der Neutrinowas?, fragte sinngemäß die Landmaschinenhändlerin. Neutrinovoltaik ist, kurz gesagt, wenn ich mit einem Elektroauto fahre und die Batterie lädt sich unterwegs von selbst wieder auf. Neutrinos sind Elementarteilchen aus dem All. Eine speziell beschichtete Alufolie wird zu einer Neutrinozelle gestapelt, das ist das Metamaterial. Wenn nun 60 Milliarden Neutrinos pro Sekunde auf einen Quadratzentimeter Metamaterial einschießen, entstehen atomare Vibrationen, und die erzeugen Energie.

Wir wissen nicht, wie genau Günther Krause der auf ihr Geld wartenden Unternehmerin die Technologie der Zukunft erklärt hat. In der Öffentlichkeit wird der Ex-Minister gern als „vorverurteilter Betrüger“ bezeichnet, aber das entspricht nicht seinem Selbstbild. Natürlich wollte er die Vorbesitzerin seiner Villa bezahlen.

Er bot ihr 500000 Aktien der Neutrino Deutschland GmbH zum Nennwert von 10 Dollar an, er wollte sie zur Multimillionärin machen, aber die Analogdenkerin aus der Welt der Landmaschinen erklärte, mit der Ursprungssumme schon zufrieden zu sein. Und sie sei ohnehin mehr für Geld als für Aktien. Vielleicht hatte Krause auch den Fehler begangen, ihr von einem anderen Lieblingsprojekt zu erzählen: Wie man aus Müll Öl macht. Leider leitete das Amtsgericht Potsdam im Juni 2016 das Insolvenzverfahren über das Vermögen seiner Aus-Müll-mach-Öl-Firma Unternehmensberatung IBP GmbH ein.

Das alles nahm ein sehr unschönes Ende. Auch Diestel hat Krause erklärt, dass man möglichst in der Währung bezahlen solle, die der Verkäufer wünsche. Am Ende kam Krause seiner Zwangsräumung zuvor. Durch konsequenten Auszug. Da konnte auch Diestel nichts mehr machen. Er ist inzwischen ein guter Freund und Krauses Anwalt, das war, wie angedeutet, nicht immer so.

„Volkshäuser“ für alle

Als Krause sein Haus in Börgerende an der Ostsee verlor und seine erste Frau nach fast zwanzig Jahren Ehe, verteidigte Diestel lieber Krauses Frau. Haus Nummer zwei, eigentlich Nummer eins, eigentlich das Haus seiner Frau Heidrun, war ein reines Unglückshaus. Dass sich Krause den Umzug von Berlin nach Börgerende vom Staat finanzieren ließ, überforderte am Ende nach der Raststätten-Affäre und der Autobahn-Affäre selbst Helmut Kohls Geduld. Im Mai 1993 musste Krause zurücktreten.

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Danach beschloss er, sich dem freien Unternehmertum zuzuwenden. „Volkshäuser“ für alle in Börgerende! Die bayerische Landesbank gewährte ihm einen Kredit von elf Millionen D-Mark, Bürgschaft war das Haus seiner Frau.

Leider wurden über die Jahre nur sehr wenige Volkshäuser in Börgerende fertiggestellt, und deren Käufer neigten zur Irritation. Ich war noch nie im ersten Stock, erklärte einer, wie denn auch, denn da sei ja gar keine Treppe.

Aber selbst im Erdgeschoss stieß er überall auf etwas, das nicht da war: „Hier hätte, glaube ich, eine Tür sein sollen!“ Was er nicht verstand: Warum musste ich für ein halbes, unfertiges Haus den Preis eines ganzen fertigen bezahlen? Krause war zwar noch immer Krause, fleißig, klug und präzise, aber die elf Millionen waren weg. Angelegt in der Schweiz bei einem Spekulanten, damit sie Kinder kriegen, leider hatte sich der Spekulant inzwischen in der Haft aufgehängt. Also wurde Krauses Haus, nein, Heidrun Krauses Haus, zwangsversteigert. Bei dieser Gelegenheit ließ sie sich scheiden.

Immerhin Feuchtsauna. Keine Putzfrau

Die Frau hat den allerbesten Anwalt verdient, dachte Peter-Michael Diestel, also mich. Aber da habe er plötzlich Helmut Kohl am Apparat gehabt, und der habe gesagt, sinngemäß: Diestel, das geht nicht! Natürlich geht das, antwortete Diestel. Kohl widersprach: Ihr habt zur deutschen Einheit im selben Schützengraben gelegen! „Das waren seine Worte!“, erläutert Diestel. Sie gingen ihm nach. Er legte sein Mandat nieder, es war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Günther Krause und Helmut Kohl auf einem CDU-Parteitag 1991.
Günther Krause und Helmut Kohl auf einem CDU-Parteitag 1991.
© Martin Athenstädt/picture alliance/dpa

Wer auf der Straße steht, sieht die Hängematte mit ganz neuen Augen. Aber eine Umstellung wird das schon. Kein Pool. Keine Orgel. Kein Kaminzimmer. Immerhin Feuchtsauna. Keine Putzfrau.

Wobei er mit der einfachen Anwesenheit einer privaten Reinigungskraft noch gar nichts anfangen kann. Er bräuchte auch noch ein Arbeitsamt in der Nähe, das ihm diese Putzfrau anteilig finanziert, so wie einst das Arbeitsamt Rostock. Das war die Putzfrauen-Affäre.

Zur Verkehrssicherheit, auch zur Verkehrssicherheit eines Verkehrsministers, jedes Menschen, gehören Bremsen. Die hat man bei Krause vergessen.

Allerdings befand er sich in einer durchaus schwierigen Situation. Diestel fasst das, schon fast in Leipzig, so zusammen: „Ostdeutsche wurden doch nicht ernst genommen.“

Zwölf Eier und 16 Tomaten

Wahrscheinlich ist das der alte koloniale Blick: Die Ostler waren plötzlich wie Eingeborene im eigenen Land, und genauso wurden sie behandelt. Krause war gewissermaßen der oberste Ehren-Eingeborene in der Kohl-Regierung und glaubte jeden Tag aufs Neue beweisen zu müssen: Im Zweifel bin ich klüger, cleverer als ihr alle zusammen, schneller sowieso. Womit Krause nicht rechnete: Man kann auch über seine eigene Cleverness fallen.

Natürlich ist Krause dschungeltauglich. Am 31. August 1990 um 14 Uhr unterzeichnete er, damals 36 Jahre alt, mit Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag. Den Stift von damals hat er noch.

Zwei Wochen zuvor, am 15. August 1990, stand er allein vor Tausenden sehr zornigen Bauern auf dem Berliner Alexanderplatz. Keiner kaufte mehr ihre Schweine, alle wollten nur noch Westschweine, weshalb die Ostschweine inzwischen schon so groß geworden waren, dass sie nicht mehr in die Verarbeitungsmaschinen passten.

Eigentlich wäre es der Termin des Landwirtschaftsministers gewesen, aber der hatte Angst. Diestel sagte, er sei der Innenminister. Der erste und letzte frei gewählte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maizière, sagte, er sei der Ministerpräsident und habe ohnehin etwas anderes vor. Also ging Krause, parlamentarischer Staatssekretär. Er geht immer nach vorn, er kann gar nicht anders.

Die Bilanz seines Auftritts: zwölf Eier und 16 Tomaten. Und das waren nur die, die trafen. Schlimmer kann es im Camp auch nicht werden.

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