Rainer Brüderle: Der Fleck auf seiner Karriere
Rainer Brüderle stellt ein Buch vor - und hadert noch immer mit Sexismus-Vorwurf.
Nein, die Frau um die sich die Welt des Rainer Brüderle an diesem Nachmittag dreht, ist nicht gekommen. Ob Laura Himmelreich sich noch immer nicht mit dem FDP-Mann Brüderle ins Rampenlicht traut, ob ihre sonst zu diesem Termin so zahlreich erschienenen Kollegen vom „Stern“-Magazin sie nicht mitnehmen wollten oder ob die junge Journalistin einfach nur die Nase voll davon hat, ewig als Brüderles „Dirndl-Mädchen“ bezeichnet zu werden, es wird wohl nicht aufzuklären sein.
Aber um’s Aufklären, um Wahrheit oder politische Betrachtungen geht es sowieso nicht am Mittwochnachmittag. Auf der kleinen Bühne im Haus der Bundespressekonferenz sitzt ein 69 Jahre alter Mann aus einer alten politischen Zeit und er will erkennbar nichts anderes, als diesen Fleck auf seiner Karriere loswerden, der ihn offensichtlich bedrückt. Über Politik, warum seine FDP im vergangenen Herbst aus dem Bundestag geflogen ist und darüber, was Liberale daraus für die Zukunft lernen könnten, spricht Brüderle nur am Rande. Umso bitterer klingen seine Worte von der „Kampagne“, die die Medien in seinen Augen seit jenem 29. Januar 2013 angezettelt haben, um ihn persönlich zu verunglimpfen und seiner FDP die Bundestagswahl zu verderben.
"Sie können ein Dirndl auch ausfüllen"
An jenem Tag veröffentlichte der „Stern“ die Geschichte der Redakteurin Himmelreich, die sich von Brüderle offensichtlich sexistisch belästigt fühlte. „Sie können ein Dirndl auch ausfüllen“, soll er ein knappes Jahr zuvor an einer Hotelbar zu ihr gesagt haben und allerhand andere Sachen. Als Spitzenkandidat der FDP wollte sich Brüderle nie dazu äußern, wie er danach zum lebenden Altherrenwitz wurde. Nun hat er sich in einem schmalen Büchlein („Jetzt rede ich“) Luft gemacht. Als Opfer will er sich zwar nicht sehen, sagt er. „Aber unfair behandelt“, immer noch.
Dass der FDP-Mann Brüderle ausgerechnet den Linken Gregor Gysi dazu überreden konnte, das Buch vorzustellen, mag manchen befremden. Vielleicht hat Gysi der Bitte auch nur entsprochen, um zu sehen, wie es einem Vollblutpolitiker ergeht, wenn man ein halbes Jahr in keine Kamera mehr hineingesprochen hat. „Gut soweit“, sagt Brüderle und so sieht er auch aus mit seiner viereckigen Brille und dem spitzbübischen Grinsen. Kein Vergleich zu dem grauen und abgekämpften Gesicht des Mannes, der am 22. September 2013 als Spitzenkandidat vor aller Öffentlichkeit die Verantwortung dafür übernahm, dass seine Partei zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft hat. Schwarz-Gelb war damit am Ende und Brüderle meint in seinem Buch – sehr vorsichtig – die Union hätte vielleicht die kleine FDP retten können, wenn sie sich ein bisschen offensiver zu der Koalition bekannt hätte.
Um den Liberalismus geht es ihm nicht
Aber vielleicht ist Gysis Besuch auch mehr als nur ein Gag unter alten Fahrensleuten. Zumindest meint der, und es klingt ehrlich, er würde gern mehr über Brüderles liberales Leben lesen, weil auch er das Gefühl nicht loswerde, es fehle an „libertärem Gedankengut“. Aber, wie gesagt, für Brüderle geht es im Augenblick nicht so sehr um den Liberalismus. Wer die letzten vier Jahre der FDP im Bundestag beobachtet hat, der lernt auch aus seinem Buch nichts Neues. Außer vielleicht, dass sich Brüderle etwas darüber ärgert, dass er sich nicht weit früher um das Amt des Parteivorsitzenden beworben hat. Und wie ihm Philipp Rösler später auch sein geliebtes Wirtschaftsministerium abspenstig gemacht hat.
Aber das ist Schnee von gestern. „Als Freund“ und „Bürger“ ist an diesem Nachmittag Volker Kauder, der Fraktionschef der Union, rasch vorbei gekommen. Er lächelt mit Brüderle in die Kameras, lässt sich ein Buch signieren und verschwindet nach einer Viertelstunde. Im Bundestag läuft gerade die Haushaltsdebatte, Kauder hat Verpflichtungen, auch Gregor Gysi sagt ein paar Freundlichkeiten und verschwindet. Rainer Brüderle bleibt zurück. Ihn erwartet im Plenarsaal niemand mehr.
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