Sachsen nach der Landtagswahl: Der Erfolg der AfD und "Schnauze voll" von der CDU
Landtagswahlen in Sachsen haben nicht das Zeug zum Dramatischen. Weil der Ausgang immer schon vorher feststeht: Es gewinnt die CDU. Die deutsche Parteienlandschaft könnte nun jedoch umgekrempelt werden.
Holger Zastrow ist ein Kerl, den sonst kein Sturm umhaut, aber wie er jetzt dasteht in der Glashalle des Dresdner ICC ... „Begreift ihr das? Ich nicht.“ Die FDP-Mitglieder da unten vor ihrem Parteichef begreifen es auch nicht. Die sächsische FDP war doch anders, so ganz anders als dieser Berliner Haufen, nicht zerstritten, konstruktiv, sie hat ihren Wählern Wort gehalten und sie war stolz darauf: Niemand, sagt Zastrow, war in diesem Wahlkampf fleißiger, leidenschaftlicher, origineller – er sucht noch ein Wort: „sichtbarer“.
Es hat nichts genützt, gar nichts. Auch aus diesem Landtag ist die FDP abgewählt, die letzte Regierungsbeteiligung ist Geschichte und damit der letzte Nachhall aus der Zeit, als sich die Freien Demokraten auf dem Weg zur Volkspartei wähnten.
Dass die CDU gewinnt, ist schon vorher allen klar
Landtagswahlen in Sachsen haben eigentlich nicht das Zeug zum Drama, schon weil immer vorher bereits klar ist: Es gewinnt die CDU. Das tut sie auch diesmal wie jedes Mal, seit „König Kurt“ Biedenkopf die Erbmonarchie begründet hat, wenn auch wie jedes Mal mit leicht sinkender Tendenz. Aber dieser Sonntagabend in Dresden könnte trotzdem den Punkt markieren, an dem sich die deutsche Parteienlandschaft neu ordnet.
Das hängt ganz wesentlich mit den Truppen einer jungen Frau zusammen, die sich nicht weit vom ratlosen Zastrow auch erst mal sprachlos gibt. „Mir fehlen noch’n bisschen die Worte“, kokettiert Frauke Petry in einer Kneipen-Katakombe nahe der Brühlschen Terrasse. „Es ist ein Wahnsinn, was wir erreicht haben!“ Die Spitzenfrau der „Alternative für Deutschland“ (AfD) strahlt ins Scheinwerferlicht, und weil sie dabei ein Blumenbukett in der Linken leicht abspreizt, wirkt sie wie ein Filmstar bei der ersten Preisverleihung.
Aber so ähnlich ist es ja auch. Die AfD hat bei ihrem ersten Anlauf auf ein Landesparlament nicht nur die Fünf-Prozent-Hürde geschafft, sie hat sie hoch übersprungen. Rund zehn Prozent bedeutet Platz vier in Sachsen, nicht weit hinter einer Zwölf-Prozent-SPD. Zehn Prozent sind mehr als die Demoskopen vorher ermittelt hatten. Ihre Partei, ruft Petry, sei in Sachsen angekommen, „aber noch viel wichtiger, sie ist in Deutschland angekommen!“ Und auch wenn Sachsen ein sehr eigener Teil Deutschlands ist mit sehr eigenwilligen Wählern – so richtig widersprechen kann ihr keiner.
In Sachsen funktioniert Heimattümmelei so gut wie kaum sonst wo
Dabei ist dieser Einzug so erstaunlich gar nicht. In Sachsen funktioniert Deutschland- und speziell Heimattümelei besser als in anderen Bundesländern, Bayern einmal ausgenommen. Der Landtagswahlkampf hatte quer durch alle Parteien Züge eines Patriotismus-Wettbewerbs. Petry trieb den so weit, dass sie die Wende von 1989 gegen „Berlin“ und „Brüssel“ in Stellung brachte: Man habe damals keine Revolution gemacht, nur um die nächste Herrschaft von oben aufgedrückt zu bekommen.
Weitere Faktoren begünstigen den Aufstieg der Neuen. Der Einbruch der FDP setzt Wähler frei – die Freidemokraten sind in den Ost-Ländern häufig als Sammelbecken für bürgerlichen Protest aufgetreten. Die NPD – 2004 zum ersten Mal in den Landtag eingezogen – hat Mühe, ihre Anhänger zu halten. Und schließlich hat die CDU des Stanislaw Tillich nichts getan, die Neuen abzuwehren, sondern im Gegenteil jeder Spekulation Raum gelassen. Die Bundes-CDU hat noch vorigen Montag einen Abgrenzungsbeschluss zu den Neokonservativen gefasst, mit Geltung für die Länder. Der Noch- und Wieder-Ministerpräsident braucht selbst am Sonntagabend bis zum dritten Interview, bevor er sich festlegt: „Wir werden uns einen Koalitionspartner suchen, mit dem wir auch gemeinsam für das Land etwas erreichen können“, sagt Tillich. „Und mit Sicherheit zählt dazu die AfD nicht.“
Nach Sachsen ist vor Brandenburg: Die AfD gibt sich stark
Mit Sicherheit – auf einmal. Wenn hinter Tillichs nebulösem Umgang mit der Koalitionsfrage eine Taktik steckte, dann ist sie jedenfalls nicht aufgegangen. Ohnehin scheint den Neuen mit Taktik vorerst nicht beizukommen zu sein. In Berlin verkündet der CDU-Generalsekretär Peter Tauber trotzdem unverdrossen, dass man sich um die Themen und Wählern der AfD kümmern werde, mehr aber nicht. „Die sind jetzt noch in der Aufbauphase“, sagt ein Christdemokrat aus der Parteiführung, „aber die werden sich genau so erledigen wie die Piraten.“
Das ist eine tröstliche Parallele, die nur den Nachteil hat, dass keiner weiß, ob sie stimmt. Sicher, auch in der AfD steckt reichlich Sprengstoff zwischen Personen und Positionen, die auf Dauer kaum zusammen passen. Aber zumindest vorerst scheint sich die Protestwählerschaft daran nicht weiter zu stören, wenn etwa die drei Landtagsspitzenkandidaten sich mit dem Bundesparteichef Bernd Lucke über die Sanktionen gegen Russland streiten wie die Kesselflicker.
Ist am Ende doch etwas dran an der „Zeitenwende“, die ein AfDler in Dresden kurz vor der Prognose verkündet? In Wahrheit überrascht die plötzliche Stärke die Partei selbst. 2009, da habe er noch CDU gewählt, erzählt ein Mittfünziger. Nur 40 Mitglieder zähle sein Kreisverband, bei einem Landkreis Bautzen mit 360 000 Einwohner. Mit sieben, höchstens acht Prozent habe er gerechnet. Aber der Zulauf an den Wahlkampfständen sei tatsächlich stärker gewesen als bei Bundestags- oder Europawahl. „Auch in Sachsen“, sagt der Mann, hätten die Menschen eben „die Schnauze voll von der CDU.“
Acht Prozent sind drin in Brandenburg, hofft die AfD nun
Dass das so weitergeht auch bei den nächsten Wahlen – selbst Alexander Gauland kann sich das jetzt vorstellen. Der AfD-Spitzenkandidat für Brandenburg ist von Natur aus ein eher skeptischer Typ, aber jetzt entdeckt er plötzlich den Sportler in sich: „Wir werden den Staffelstab aufnehmen und in zwei Wochen auch in Brandenburg erfolgreich sein.“ Björn Höcke, Spitzenmann in Thüringen, hat das Sachsen-Ergebnis schon mal auf sein Land umgerechnet: Acht Prozent seien jetzt drin, wenn sie nur weiter entschlossen gegen „die politische Korrektheit“ ankämpften.
Also Neuordnung der deutschen Parteienlandschaft? Möglich ist es. Sicher ist es nicht. Die Unsicherheit liegt in einem Faktor, vor dem sie bei der AfD Respekt haben und auf den manche bei der FDP hoffen. Der Faktor heißt Zeit. Mag ein AfD-Erfolg in Sachsen zwei Wochen später auch in Thüringen und Brandenburg der Partei einen Schub geben – danach kommt zwei Jahre lang nichts. Erst 2016 stehen die nächsten Landtagswahlen an.
Vor allen anderen gilt die Wahl in Baden-Württemberg in den Parteizentralen jetzt schon als die entscheidende: CDU-Kernland, FDP-Kernland, aber seit jeher auch anfällig für Rechtsnationalisten. Ein Jahrzehnt „Republikaner“ im Landtag ist unvergessen.
Zwei Jahre sind in der Politik eine lange Zeit
Aber zwei Jahre, wie gesagt, sind eine lange Zeit. Genug, um eine Partei sozusagen zu vergessen. Bei der AfD sehen sie die Gefahr, bei der FDP aber auch; wobei, für die Liberalen steckt in der Vergesslichkeit vielleicht zugleich eine Chance: Dass die Zeit vergessen macht, was war. Vergessen macht die FDP im Volksparteirausch, die FDP als Chaos-Koalitionspartner, die FDP, die den Mund vollnahm von Versprechen und nicht liefern konnte.
Ohne Fixpunkt: Die FDP hat es jetzt noch schwerer als eh schon
Am Abend steht Christian Lindner auf dem Podium im Berliner Thomas-Dehler-Haus. Die Sachsen hatten ihn brüsk zurückgestoßen im Wahlkampf – er möge sich gefälligst raushalten, weil jedes Berliner Gesicht eins zu viel sei. Jetzt versucht er zu trösten, die Sachsen, aber irgendwie auch sich selbst.
„Man kann nicht innerhalb von wenigen Monaten oder allein auf eigene Faust in einer Region all das wiederherstellen, was über vier Jahre verloren gegangen ist“, sagt Lindner. Er ist jetzt der Bundesvorsitzende einer Partei, die in der ganzen Republik kein einziges Regierungsmitglied mehr stellt und nur noch in einer Handvoll Landtage sitzt. Ohne diese Fixpunkte eine Partei am Leben zu erhalten ist furchtbar schwierig. Ihre Stimme zu Gehör zu bringen wird noch schwerer als jetzt schon. Und die Zahl derer, die diese Stimme vermissen, ist weiterhin sehr überschaubar. „Die werden jetzt zerrieben zwischen der AfD und den Grünen“, sagt einer aus der Unionsführung in Berlin noch am Wahlabend voraus. Sehnsucht klingt anders.
FDP? Das zucken sie bei der CDU nur mit den Schultern
Tatsächlich zucken sie bei der CDU schon seit langem nur mit den Schultern, wenn die Rede darauf kommt, wie die Union denn eigentlich künftig ohne akzeptierten bürgerlichen Koalitionspartner auskommen will. Große Koalitionen sind auf Dauer keine Lösung, und Schwarz- Grün ist auch kein Allheilmittel. Aber was sonst? „Wir können die FDP nicht wiederbeleben“, hat vor kurzem einer aus der CDU-Spitze festgehalten, „das können die höchstens selbst.“ Vermutlich ist das sogar richtig. Tröstlich ist es nicht. Schon gar nicht für Holger Zastrow. „Was das für uns bedeutet, liebe Freunde“, hat er in Dresden gesagt, „weiß ich nicht.“ Aber er werde darüber nachdenken – „wir haben ja jetzt genug Zeit.“
Der Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegels.