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Im Zwielicht. Sven Lau gefällt sich in der Rolle des Staatsfeindes. In den Kampf soll der 35-Jährige lieber andere geschickt haben.
© Boris Roessler/dpa

Prozessauftakt gegen Sven Lau: Der Brandbeschleuniger

Katholik, Feuerwehrmann, Vater – Sven Lau ist ein gewöhnlicher Deutscher. Bis er Salafist wird und die Scharia predigt. Doch vor Gericht steht er, weil er einer Terrorarmee geholfen haben soll.

Er ist ungewohnt leise. Sven Lau, Chefeinpeitscher der fast 9000 Salafisten in Deutschland, betritt den Saal im Hochsicherheitsgebäude des Oberlandesgerichts Düsseldorf beinahe demütig. Der hagere Mann mit dem dunkelblonden Vollbart winkt hinter dem Panzerglas kurz einem Dutzend Anhängern zu. Die kräftigen Männer, ebenfalls bärtig und meist in sackartigen Hosen, grinsen zurück. Kein „Allahu akbar“, keine gereckten Fäuste. Und Lau selbst, das hellgraue Hemd hängt über der Hose, sagt nur einen Satz. Als der Richter ihn fragt, ob er früher Sven Jansen hieß, antwortet der Mann aus Mönchengladbach im rheinischen Tonfall, „meine Mutter hat sisch von meinem Vater getrennt, da hab isch den Namen meiner Mutter angenommen“. Tag eins im Terrorprozess gegen einen der bekanntesten deutschen Salafisten beginnt fast so unspektakulär wie eine Verhandlung wegen Ladendiebstahls.

Und doch wird schnell deutlich, was der Prediger und Initiator der Wuppertaler „Scharia-Polizei“ von diesem Verfahren hält. Als die Vertreter der Bundesanwaltschaft die Anklage verlesen, starrt Lau sie mit verschränkten Armen und tief heruntergezogenen Augenbrauen an. Einmal lächelt er seinen Gefolgsleuten zu, schüttelt sachte den Kopf. Lau fühlt sich offenbar wieder einmal so, wie er es in seinem Buch beschrieben hat: fremd im eigenen Land.

Die Bundesanwaltschaft hält Sven Lau für einen hoch gefährlichen Extremisten, einen Terrorunterstützer, einen Mann, der junge Menschen für den Dschihad in Syrien rekrutiert. In der Anklage wird sie dem 35-Jährigen vorhalten, er habe 2013 zwei junge Gefolgsleute, Ismail I. und Zoubeir L., an eine islamistische Truppe vermittelt: die „Jaish al Muhajirun wal Ansar“, abgekürzt: Jamwa, zu Deutsch: „Armee der Auswanderer und Helfer“. Die Terroristen wurden von einem Tschetschenen geführt und kämpften rund um Aleppo gegen die Truppen der Assad-Regierung. Die Jamwa arbeitete eng mit der Terrormiliz ISIS zusammen und ging später in ihr auf. ISIS ist heute weltweit bekannt – seit 2014 nennen sich die Massenmörder „Islamischer Staat“.

Kämpfer und Geld für den Krieg in Syrien besorgen

Lau sitzt seit Dezember vergangenen Jahres in Aachen in Untersuchungshaft. Er soll der Bundesanwaltschaft zufolge in seiner Heimatstadt Mönchengladbach junge Männer radikalisiert haben, darunter Konrad S. – er und ein Freund schlossen sich 2013, offenbar auf eigene Faust, den Dschihadisten der Jamwa an. Lau sah den Ermittlern zufolge danach die Chance, ein Netzwerk zur Vermittlung von Salafisten aus Deutschland für den Dschihad aufzubauen. Für die Bundesanwaltschaft ist die Geschichte klar: Lau hat mit der Rekrutierung von Kämpfern und mit der Übergabe von Geld „eine terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt“. Sollte Lau verurteilt werden, drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.

Vielleicht will er das sogar. Vom Gefängnis aus den Märtyrer zu geben, ist immerhin sicherer als selbst in Syrien zu kämpfen. Und Lau gefällt sich in der Rolle: In einem im Netz verbreiteten Video kokettiert er damit, „Staatsfeind Nummer eins“ zu sein. Wie konnte es so weit kommen?

Sven Lau wurde 1980 in Mönchengladbach geboren und wuchs in einer intakten Familie auf. Nach der 10. Klasse verließ er die Schule mit der Fachoberschulreife, machte eine Lehre zum Industriemechaniker. Die Geschichte eines nicht übermäßig begabten katholischen Jungen aus dem Rheinland. Doch schon bald beginnt die Verwandlung – und das Leben in einer Parallelwelt, das selbst viele Islamisten als zu radikal empfinden. Während der Ausbildung in der Firma Alcatel lernt er einen türkischen Kollegen kennen, der ihn für den Islam begeistert. Lau konvertiert. Er betet viel, zieht jedoch die Ausbildung weiter durch und leistet seinen Wehrdienst ab. Schließlich arbeitet Lau bei der Berufsfeuerwehr Mönchengladbach, wird als Beamter auf Probe angestellt.

Abgeführt. Sven Lau war im Dezember 2015 festgenommen worden – sehen und hören sollte er aus Sicherheitsgründen dabei nichts.
Abgeführt. Sven Lau war im Dezember 2015 festgenommen worden – sehen und hören sollte er aus Sicherheitsgründen dabei nichts.
© dpa

Wenn stimmt, was die Bundesanwaltschaft behauptet, ist das die Zeit, in dem aus dem Brandmeister Lau ein Brandstifter wird. Nach nur einem Monat will er nicht nur aus seinem Job raus, er will das bürgerliche Leben hinter sich lassen. Als die Stadt Mönchengladbach ihn im März 2005 aus der Feuerwehr entlässt, ist er hauptberuflich Salafist. Bei der städtischen Feuerwehr reden sie nicht gern über ihren alten Kollegen. Ein Sprecher sagt lediglich: „Wir finden das nicht prickelnd, ständig nach Herrn Lau gefragt zu werden“ – und legt auf.

Doch es gibt Menschen, die Lau gut kennen und den Mut haben zu reden. Einer von ihnen ist Dominic Musa Schmitz. Ein deutscher Konvertit, den Lau vom Islam überzeugen konnte. Schmitz hat ein Buch über die gemeinsame Zeit geschrieben. „Ich war ein Salafist“ heißt es. Eine Abrechnung mit der Szene und mit Sven Lau persönlich. Seitdem ist Schmitz untergetaucht, es ist nicht leicht, ihn zu erreichen. Seit der Veröffentlichung wird er von Fanatikern bedroht. Schließlich ist er zu einem Telefonat bereit.

„Sven Lau war für mich wie eine Art großer Bruder“, sagt Schmitz. „Ich habe mich zu ihm hingezogen gefühlt, er hat mich beeindruckt, inspiriert, ich wollte auch so werden.“ Schmitz, 1987 in Mönchengladbach geboren, redet schnell, als wolle er unangenehme Wahrheiten rasch loswerden. Schmitz folgte Lau, als der 2005 einen eigenen Moscheeverein gründete. Und er machte mit beim Verein „Einladung zum Paradies (EZP)“, in dem Lau einer der Anführer war. Nach einer deutschlandweiten Razzia bescheinigte das Bundesinnenministerium 2010 dem Verein EZP, er sei verdächtig, die verfassungsmäßige Ordnung „zugunsten eines islamischen Gottesstaates in Deutschland“ beseitigen zu wollen.

Schmitz sagt, er habe Videos für Lau geschnitten und bei Youtube einen Kanal verwaltet. Schmitz war ein technisch begabter Helfer für Lau, vor allem bei dessen Propaganda im Internet. Der zentrale Begriff lautet „Da’wa“, das arabische Wort für Ruf. Bei den Salafisten bedeutet es Missionierung, vor allem mit kurzen Filmen. Ein Stakkato schwülstiger Lobeshymnen an Allah. Sven Lau hat etliche dieser Videos veröffentlicht. Als Prediger nennt sich Lau „Abu Adam“. Noch vor der Geburt seines zweiten Sohnes im Jahr 2007 trennt er sich von seiner deutschen Frau und heiratet eine Deutsch-Marokkanerin. Lau wird Vater von drei weiteren Söhnen, jeder bekommt einen arabischen Vornamen. Obwohl der Ex-Feuerwehrmann vom Islam noch nicht viel versteht und Arabisch erst lernen muss, gelingt es ihm, in einer marokkanischen Moschee in Mönchengladbach Anhänger zu sammeln. Der Mann mit dem Redetalent wird zur Autorität, nachdem er 2004 seine erste Pilgerfahrt nach Mekka absolviert hatte. „Er strahlte eine beeindruckende Ruhe aus“, schreibt Schmitz.

„Er hat mich nur benutzt“, sagt ein Anhänger von früher

Heute denkt Schmitz, der kurz nach dem ersten Moscheebesuch auf Drängen von Lau den Islam annahm, anders über sein damaliges Idol. „Er hat mich nur benutzt“, sagt er am Telefon. Eine Viertelstunde brauchen die beiden Staatsanwälte, um die Anklage zu verlesen. Demnach soll Sven Lau in den vergangenen Jahren die islamistischen Terroristen in Syrien fortlaufend unterstützt haben. Der jung radikalisierte Konrad S. stieg in Syrien bald zum Chef einer Jamwa-Einheit auf. Sie nannte sich „Kampfgruppe der Deutschen“. Dorthin soll Lau im Sommer 2013 auch die jungen Salafisten Ismail I. und Zoubeir L. geschickt haben. Es klappte allerdings nicht alles so, wie Lau sich das gedacht haben soll: Zoubeir L. ordnete sich in der Kampfgruppe nicht unter und verließ sie wieder. Ismail I. blieb und kämpfte. Im Herbst 2013 kam I. nach Deutschland zurück, um Ausrüstung für den Dschihad zu besorgen. Die Polizei nahm ihn fest. Ismail I. gestand nach einiger Zeit und wurde in Stuttgart zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Heute ist der Ex-Dschihadist ein Belastungszeuge gegen Sven Lau.

Hinter Panzerglas. Sven Lau mit seinem Anwalt vor Gericht.
Hinter Panzerglas. Sven Lau mit seinem Anwalt vor Gericht.
© dpa

Auch Lau reiste nach Syrien. Bei der Kampfgruppe soll er Ismail I. 2013 Geld übergeben und von der Jamwa zudem den Auftrag erhalten haben, Nachtsichtgeräte zu beschaffen. Laut Anklage beschaffte Lau außerdem in Deutschland einen gebrauchten Notarztwagen und Tausende Euro, alles für die Jamwa. Zwei Glaubensbrüder sollten Fahrzeug und Geld überführen. In Bayern nahm die Polizei sie fest. Krankenwagen und Bargeld wurden beschlagnahmt. Für Laus Anhänger sind die Vorwürfe eher kleinlich. „Dem Sven ging es in Syrien um die Menschen“, sagt Bernhard Falk. Der verurteilte Linksterrorist, inzwischen konvertiert und Al-Qaida-Sympathisant, taucht häufig bei Prozessen gegen Islamisten auf und präsentiert sich als eine Art Pressesprecher. „Was der Sven gemacht hat, das öffentliche Aufrufen zu Blutspenden, das Posieren mit einem Panzer, damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass islamischer Widerstand gegen Assad gerechtfertigt ist.“ Falk streicht sich durch den mächtigen weißgrauen Bart, „der Sven ist menschlich korrekt“. Gegen Lau werde ein politischer Prozess geführt, „weil er ein bekannter Prediger ist“.

Kann das sein? Hat die Bundesanwaltschaft einen Konvertiten zum Verbrecher stilisiert, um fromme Muslime zu stigmatisieren? Sind die Salafisten gar nicht so gefährlich, wie Verfassungsschützer behaupten?

Wenn einer das beantworten kann, dann Dominic Musa Schmitz. Auch wenn es ihm schwerfällt, mit einem Fremden über die Zeit zu sprechen, in seiner Autobiografie aber liest man: „Der Glaube, den die Clique um Lau uns lehrte, spaltete ohne Unterlass. Kein Wort der Versöhnung, der Milde, des Verstehens – es gab nur eine Linie: Andersdenkende begehen eine große Sünde, ihnen droht der Weg in die Verdammnis.“ Eines muss Schmitz am Telefon noch loswerden: „Die Scharia-Polizei, das war Zirkus“, sagt er. „Lau wollte provozieren, es ging gar nicht darum, junge Menschen zum Guten zu beeinflussen.“ Der Prediger war im September 2014 gemeinsam mit seinen Anhängern durch Wuppertal gezogen. „Shariah Police“ stand auf den orangefarbenen Warnwesten der Männer. Die Ultrafrommen sprachen vor Lokalen und Spielhallen junge Muslime an und forderten sie auf, von Alkohol und Glücksspiel abzulassen.

Eitle Salafisten spüren den Hauch der Weltgeschichte

Das Echo war gewaltig: Bundesinnenminister Thomas de Maizière verurteilte die Aktion, Justizminister Heiko Maas verkündete: „Eine illegale Paralleljustiz werden wir nicht dulden.“ Und schließlich äußerte sich sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Niemand anderes ist befugt, sich in die Rolle der Polizei hineinzuschleichen“. Im Gerichtssaal hat er nun eine weitere Bühne gefunden. Aber er will sie offenbar anders nutzen, als vermutet wurde. Kein Spektakel, keine als Aussage verbrämte Predigt. „Herr Lau wird sich gegen die Vorwürfe schweigend verteidigen“, sagt sein Verteidiger Mutlu Günal. Kommentarlos nehmen die Anwälte den rechtlichen Hinweis des Vorsitzenden Richters hin, der es in sich hat: Lau könne auch wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt werden – in der Terrormiliz ISIS, nicht der untergeordneten Jamwa. Zumindest ein Indiz gibt es: In einem Internetvideo ist Lau in Syrien zu sehen, nahe Aleppo. Gezeigt wird auch ein zerschossener Gefängnisbau, den Islamisten attackiert haben. Damit könnte eine Strafe nahe dem Höchstmaß von zehn Jahren bedenklich nahe rücken.

Da der Angeklagte nicht aussagen will, beendet der Richter den Tag vorzeitig und setzt auch den für diesen Mittwoch geplanten Termin ab. Lau steht auf, den Blick gesenkt, bis er im Publikum Bernhard Falk entdeckt, der ihn herzlich anlacht. Da lächelt Lau. Und hebt seinen rechten Daumen. Falk wirkt beeindruckt. Der massige Mann mit der Kampfjacke und dem aufgenähten Bekenntnis zu Allah verlässt den Saal mit einem verklärten Blick. Als habe er ein Stück Weltgeschichte erlebt.

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