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Schweres Erbe. Raumschiff Alina wird mit einer Rakete ins All gebracht und soll selbstständig landen. Wie John F. Kennedy 1962 wollen die Berliner Konstrukteure sich mit der Mond-Mission etwas beweisen.
© Kitty Kleist-Heinrich

Google Lunar X-Price: Das Raumschiff aus Mahlsdorf

Als Kind träumte er vom All. Doch Robert Böhme bekam als Elfjähriger nur eine Hauptschulempfehlung. Nun plant er den Flug zum Mond.

In der Fliegersprache nennt man so etwas den ,point of no return’. Jenen Punkt, an dem der Start nicht mehr abgebrochen werden kann, weil der verbleibende Rest der Piste dafür viel zu kurz wäre. Robert Böhme hat diese Stelle überschritten. Vielleicht schon vor acht Jahren, als ihm jemand in sein Auto fuhr.

Es war sein erstes Auto, spacegrau, ein Geschenk zum Abitur. Das meiste Geld, das er von der Versicherung bekam, gab er sofort wieder aus. 10.000 Dollar, um sich an einem von Google ausgerufenen Wettrennen zu beteiligen. Nicht wenige Leute hielten das für Irrsinn.

Wäre es nur dabei geblieben. Böhme ist inzwischen 30. Er sieht immer noch so aus, als ob sein Abitur nicht lange zurückliegen kann, wie er in Jeans und Sneakers in seinem Mahlsdorfer Büro vor einem steht, das weiße Hemd locker über dem Hosenbund. Das Rennen, das er vor acht Jahren begonnen hat, ist nicht zu Ende. Und um dabeibleiben zu können, hat er gerade einen Vertrag unterschrieben, der ihn sehr viel mehr kosten wird: mehr als 25 Millionen Dollar. Geld, das ihm andere werden geben müssen.

Was bekommt man für 25 Millionen? Zum Beispiel den Frachtraum für 1,2 Tonnen Nutzlast in einer Rakete.

Böhme springt auf, tritt an eine Karte heran, die hinter dem Schreibtisch hängt. Von Weitem erinnert sie an eine dieser Weltkarten, bei denen die Erde wie zwei aufgeklappte Halbkugeln erscheint. Dies hier aber ist eine Karte vom Mond, und Böhme sucht mit dem Zeigefinger eine bestimmte Stelle. „Hier ist es, das Taurus Littrow, ein ganz besonderer Ort, ziemlich weit weg von allem.“

Ist auf dem Mond nicht jeder Ort ziemlich weit weg von allem? So weit nun wieder auch nicht. Am Rande des Taurus Littrow, einer mondstaubigen Ebene, parkt seit dem 14. Dezember 1972 ein Fahrzeug. Abgestellt hat es Eugene Cernan, der letzte von zwölf Menschen, die bislang den Mond betreten haben. „Genau dort“, sagt Böhme, „wollen wir landen“.

Er diskutiert mit dem Nasa-Chef die Raumfahrt zu Mars und Mond. Was sonst?

Robert Böhme kam erst 14 Jahre nach Eugene Cernans Flug zum Mond zur Welt. Apollo war Geschichte. Der kleine Robert sah stattdessen Star Trek im Fernsehen - die TV Serie um das Raumschiff Enterprise lief gleich nach dem Tigerenten Club. Natürlich die alten Folgen, die Kinofilme seien doch Quatsch, sagt er beinahe entrüstet. Schon springt er noch einen Schritt weiter, pflückt einen kreisrunden Aufkleber von der Wand. „Make it so“ steht darauf, gezeichnet von „Rick“.

„Make it so“, pflegte Captain Picard, der zweite Kommandant der Fernseh-Enterprise zu sagen, wenn es galt eine Order auszuführen. Und Rick Sternbach ist praktisch der Erfinder der gesamten technischen Star-Trek-Welt. „Ich traf ihn bei einem Panel, dass ich zusammen mit dem Chef der Nasa abhielt.“ Böhme sagt das so leichthin. Ein junger Mann neben dem Chef der Nasa. „Es ging um die Zukunft der Raumfahrt zu Mond und Mars“, sagt er. Worum auch sonst.

Inzwischen ist man bereit, sich Böhme als Astronaut vorzustellen. Doch da winkt er ab. Fliegen? Er selbst? Muss nicht sein. Das Ziel des „Google Lunar X-Price“ ist auch ohne menschliche Besatzung anspruchsvoll genug: Bringe eine Landefähre auf den Mond, setze dort ein Fahrzeug ab, das mindestens 500 Meter weit rollt, sende hochauflösende Bilder zur Erde. Wem das als Erstem weitgehend ohne staatliche Unterstützung gelingt, der soll 30 Millionen Dollar erhalten. Allein mit dem Start wäre das Geld nahezu weg. Ist das nicht ein Minusgeschäft? Nicht, wenn man es macht wie Böhme.

Sie sind als einziges deutsches Team noch im Rennen

16 Teams sind noch dabei, neben Amerikanern Kandidaten aus zwölf weiteren Ländern, darunter Indien, Japan, Israel. Das einzige deutsche Team sind die Part Time Scientists, wie sich die Mannschaft um Böhme genannt hat. Ja, der Name sei heute etwas unglücklich für ein so ambitioniertes Unterfangen. Er stimme auch nicht mehr, schließlich seien in Mahlsdorf inzwischen zwölf Leute fest beschäftigt, weitere 35 würden zuarbeiten.

Für das Jahr 2016 hat Google nun eine Hürde errichtet: Wer weiter im Rennen bleiben will, muss bis Ende Dezember einen Startplatz nachweisen können. Die Berliner haben bei Spaceflight Inc. gebucht. Das ist eine Art Raketenmakler, der etwa für Satellitenbetreiber Mitfluggelegenheiten bei verschiedenen Anbietern besorgt. Dazu zählt die private amerikanische Raumfahrtfirma Space X, die die Raumstation ISS versorgt und nun wahrscheinlich auch die Fracht der Part Time Scientists befördert. Der Start der Rakete soll zwischen November 2017 und Frühjahr 2018 erfolgen. Damit haben die jungen Wissenschaftler dieses Hindernis als bislang viertes Team genommen und liegen durchaus aussichtsreich im Rennen. Die anderen haben nur noch vier Wochen Zeit.

Natürlich, sagt Robert Böhme , gebe es Investoren, die zögerten, ihr Geld in ein Unternehmen zu stecken, das von Leuten betrieben wird, die sich selbst Teilzeit-Wissenschaftler nennen. Für einen kurzen Moment wird er streng: „Wenn jemand nicht bei uns investiert, weil er unseren Namen blöd findet, dann ist er der falsche Investor, dann ist er zu oberflächlich.“ Und wenn Robert Böhme etwas nicht leiden kann, dann ist das Oberflächlichkeit.

Ist er der Steve Jobs der deutschen Raumfahrt?

Trotzdem steht draußen inzwischen nur noch die etwas seriösere Abkürzung PT Scientists auf dem Klingelschild.

Wer aber investiert in ein Unternehmen mit einem scheinbar so wahnwitzigen Plan? Seit den 70er Jahren, seit den Erfolgen der Amerikaner und der Russen, ist es allein den Chinesen gelungen, erfolgreich ein Fahrzeug auf dem Mond zu landen. Andere scheiterten an den Kosten oder technischen Problemen.

„Als ich Robert Böhme das erste Mal sah, war ich mir nicht ganz sicher: Schaue ich dem Steve Jobs der deutschen Raumfahrt in die Augen oder“ Ulrich Schwarze spricht den Satz am Telefon nicht zu Ende. Er ist Projektleiter bei Audi, kennt Böhme seit zwei Jahren. Seine erste Begegnung mit den Part Time Scientists fand in einer wenig repräsentativen Lagerhalle am Berliner Stadtrand statt. „Da kam man schon ins Grübeln.“

Heute spricht Schwarze von einem herausragenden Projekt. Aus dem Marketing sei er es gewohnt, dass da einer Dinge sagt, wie „über die Grenzen hinausdenken“. Aber plötzlich kommt einer und macht das auch. Das habe ihn umgehauen. Diese Radikalität, die Präzision, mit der die vorgehen, wie sie Dinge, die unrealistisch scheinen, so lange durchdenken, bis keiner mehr zweifelt. Audi gab einen Millionenbetrag - die exakte Zahl will Schwarze nicht nennen.

Als würde man einen Dartpfeil 400000 Kilometer weit werfen

„Unsere Landing Accuracy liegt derzeit bei einem bis zwei Kilometern“. Böhme hat sich von der Mondkarte abgewandt und ein Buch aufgeschlagen. Es ist das von der amerikanischen Nasa herausgegebene Handbuch zu jenem Rover, der auf dem Mond parkt. Darin ein Foto von Taurus Littrow. Sieht aus wie ein sehr, sehr grauer Strand ohne Meer. „Stellen Sie sich vor, wir werfen einen Dartpfeil 400 000 Kilometer weit“, so weit ist es zum Mond, „dann sind zwei Kilometer Abweichung nicht schlecht.“ Aber warum sollte man einen Dartpfeil 400 000 Kilometer weit werfen wollen? Böhme schätzt die Frage nicht besonders. „Es ging mir zunächst eigentlich nur darum, ob ich das schaffen kann, ich persönlich.“

Hauptschulempfehlung. Mehr wurde dem Elfjährigen nicht zugebilligt, als er von der Grundschule abging. Er hatte Glück, fand auf einer Realschule in Hellersdorf einen Lehrer für Mathematik, Physik und Informatik, der ihn begeisterte. Und der Böhmes großes Talent entdeckte. Er bastelt gern, wie er selber sagt. „In den Sommerferien habe ich mit dem Lehrer und zwei anderen die Technik der Schule geupdated.“ Böhme ging auf eine private IT-Schule, machte Abitur und akzeptierte ein geheimnisvolles Jobangebot, bei dem nicht gleich klar war, dass es von der Bundesregierung kam. Jahrelang beriet er das Kanzleramt und diverse Ministerien im Bereich IT-Sicherheit.

Heute reicht für die Berechnung der Flugbahnen ein Smartphone

24 Stunden nach seiner Bewerbung für den von Google ausgelobten Lunar X-Prize meldete sich Jack Crenshaw und bot seine Hilfe an. Der über 80-Jährige hatte vor 50 Jahren die Flugbahnen der Apollo-Mondmissionen berechnet. Damals saßen hinter ihm dutzende Frauen mit Logarithmustafeln in einem Raum und berechneten seine Gleichungen per Hand. Heute reicht ein Smartphone.

Und darum geht es in diesem Wettbewerb: Die Raumfahrt radikal billiger und damit kommerziell attraktiv zu machen. New Space Market heißt das in den USA. Wo es möglich ist, wird auf handelsübliche Komponenten zurückgegriffen und das Know-how bestehender Institutionen angezapft, die verwickelt in ökonomische und politische Zwänge solch eine Mission mit derart einfachen Mitteln gar nicht durchführen könnten.

Vorbild ist der Orteig-Preis, den ein französisch-amerikanischer Hotel-Magnat 1919 stiftete. Gewinnen sollte ihn, wer als erster von New York nach Paris flog. Mehrere Teams scheiterten mit den Flugzeugen renommierter Hersteller. 1927 schaffte es Charles Lindbergh, ein Außenseiter. Der Preis brachte den Durchbruch für die kommerzielle Passagierluftfahrt. Natürlich war Böhme inzwischen auch in Washington und hat Lindberghs Maschine besichtigt.

Auf dem Mond sollen die Rover sich gegenseitig fotografieren

Crenshaw war nicht der einzige, der sich bei ihm meldete. Überall wollten Leute mitmachen. Heute gehört ein Philosoph zum Team, der Chefkonstrukteur kommt aus der industriellen Zahntechnik. Auch Berlins Bürgermeister Michael Müller ließ sich mit dem Rover fotografieren. Fördergeld gab es keins.

Im Jahr 2010 präsentierten die Part Time Scientists ihr Projekt auf der ILA, der Internationalen Luftfahrtausstellung in Schönefeld. Gegenüber hatte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) seinen Stand. Vom Ehrgeiz und der Begeisterungsfähigkeit ihrer jungen Standnachbarn waren die DLR-Leute beeindruckt.

Insider sagen, die europäische Raumfahrt tue sich schwer, neue Technologien einzuführen, weil im Dickicht der Zuständigkeiten keiner Risiken übernimmt. Risiken, die ein Projekt kostengünstiger und schneller machen würden. Weshalb sowohl die ESA, die europäische Raumfahrtagentur, als auch das DLR an einem Erfolg der Part Time Scientists durchaus interessiert sind. Es wäre ein Signal zum Aufbruch wie seinerzeit der Flug Lindberghs. Heute kooperiert das DLR mit den PT Scientists - soweit das im Rahmen des Wettbewerbs zulässig ist. Längst stehen die Berliner außerdem in Kontakt mit der Nasa, die das Vorhaben offenbar sehr ernst nimmt.

Das Raumschiff sieht aus, wie ein Käfer auf vier Beinen - mit viel Klebeband

Der Prototyp des Rovers hat inzwischen auch nicht mehr seinen ursprünglichen Namen Asimov, sondern heißt Audi Lunar Quattro. Er trägt vier Ringe auf der Front. Zwei Stück wollen die jungen Techniker auf den Mond schicken. Audi gab dafür nicht nur Geld, es spendierte auch viel Ingenieurwissen. Rollen die beiden wirklich über den Mond und fotografieren sich dabei noch gegenseitig - der Werbewert wäre ungeheuer.

Mindestens so wichtig wie der Rover ist aber Alina, das „Autonomous Landing and Navigation Module“ oder kurz: das Raumschiff. Verlässt die Space-X-Rakete, in der die jungen Wissenschaftler den Frachtraum gemietet haben, den Erdorbit, wird Alina freigegeben. Sie fliegt dann allein durch den Weltraum, landet auf dem Mond und setzt die Rover ab.

Alina steht nicht weit entfernt vom Mahlsdorfer Büro in einer Lagerhalle. Den Weg zeigt Karsten Becker, Leiter der Elektronikentwicklung, Robert Böhme verabschiedet sich, dringende Termine. Becker kam kurz nach Gründung des Unternehmens im Jahr 2008 dazu - der Informatiker war begeistert, hier schien es möglich zu sein, einen Traum zu verwirklichen. Gerade suche man neue, doppelt so große Räume,werde zwölf weitere Mitarbeiter einstellen, erklärt er. Schließlich benötige man ja für den Flug ein Kontrollzentrum. Derzeit nutzen die PT Scientists nur eine halbe Halle. Hinter einer Plane schraubt der Nachbar an einem Imbisswagen, hört dabei ziemlich laut Musik.

Alina ist zweieinhalb Meter breit, zwei Meter hoch und sieht aus wie ein Käfer auf vier Karbonbeinen. Darauf klebt eine Menge Zeug, könnte Tesafilm sein. „Kapton-Band“, sagt Becker, „extrem belastbar“. Auch in der Apollo-Raumfahrt war Klebeband übrigens ein äußerst wichtiges Utensil.

Ein Kilogramm geht für 800000 Euro mit

Alina hat neben den Rovern Platz für 30 Kilogramm Ladung. Ein Teil ist schon gebucht. Mitfliegen wird eine Art Gewächshaus und ein 3D Drucker, der demonstrieren soll, was man aus Mondstaub fertigen kann. Wikipedia will das Wissen der Menschheit in einem winzigen Datenträger auf dem Mond ablegen. Ein schwedisches Projekt widmet sich der Messung elektronischer Felder. Noch ist Platz: Ein Kilo geht für 800 000 Euro mit, ab zwei Kilo wird es billiger. Die jungen Wissenschaftler wollen beweisen, dass dies ein Geschäftsmodell ist, das sich mittelgroße Firmen und Universitäten leisten können.

Wenn es aber doch schiefgeht? Wenn die Rakete zum Beispiel beim Start explodiert, wie im September die Falcon Neun, ebenfalls ein Modell der Raumfahrtfirma Space X? „Wir sind mit 40 bis 50 Millionen Euro Kosten mindestens zehnmal billiger als eine offizielle Mission“, sagt Becker. Geld für einen neuen Versuch würden sie wohl irgendwie auftreiben. Schon jetzt denken sie über den nächsten Flug nach. „Die Esa würde uns gern am Südpol sehen.“ Dem auf dem Mond natürlich.

Andreas Austilat

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