Deutscher IS-Terrorist tot: Das Ende von Denis "Deso Dogg" Cuspert
Er ist schon oft totgesagt worden. Nun wurde IS-Terrorist Denis Cuspert in Syrien von einer Rakete getroffen. Es ist das Ende eines persönlichen Feldzugs, der für den Rapper Deso Dogg vor vielen Jahren in Kreuzberg begann.
Die Schnellstraße, auf der die Dschihadisten-Karriere von Denis Cuspert endete, schlängelt sich in Nordsyrien am Ufer des Euphrats entlang. Sie verbindet Rakka, die informelle Hauptstadt des „Islamischen Staats“, mit dem 40 Kilometer westlich gelegenen Staudamm Sadd al Furat. Etwa auf halber Höhe ist eine Tankstelle. Dort soll die Rakete den Pick-up getroffen haben, in dem der Berliner Cuspert saß.
Deutschlands berüchtigster IS-Terrorist ist schon mehrfach für tot erklärt worden. Vieles spricht dafür, dass es sich diesmal nicht um eine Falschmeldung handelt. Denn zum ersten Mal berichten sowohl Sympathisanten als auch lokale Oppositionelle über Cusperts Tod. Deutsche Sicherheitsbehörden äußern sich bislang nicht. Am späten Donnerstagabend bestätigte dann das US-Verteidigungsministerium den Tod des Terroristen: Am 16. Oktober habe es in der Nähe von Rakka einen Angriff gegeben, bei dem ein Fahrzeug zerstört wurde, hieß es aus dem Pentagon. Dabei sei auch Cuspert gestorben, auch wenn er nicht das vorrangige Ziel gewesen sei. Es war zwei Tage vor seinem 40. Geburtstag.
Es ist das Ende eines persönlichen Feldzugs, der vor dreieinhalb Jahren mit einer Ausreise aus der Bundesrepublik begann. Wahrscheinlich aber schon viel früher.
Mehr als 800 Deutsche, so heißt es, haben sich mittlerweile dem „Islamischen Staat“ angeschlossen. Viele von ihnen haben in Syrien oder im Irak gefoltert, vergewaltigt, gemordet. Doch keinem gelang ein so rasanter Aufstieg in der Terrorarmee wie Denis Cuspert. Ermittlern zufolge rückte der Berliner schon nach einem halben Jahr in die IS-Führung auf.
In seinen zahlreichen Videobotschaften - der Verfassungsschutz hält ihn für den „interessantesten Propagandisten der Bewegung für den deutschsprachigen Raum“ - sprach Cuspert davon, dass der sogenannte Heilige Krieg nach Europa getragen werden müsse. Auch nach Deutschland. Den Staat, in dem er das Scheitern gelernt hat.
Seine Heimat Berlin nannte er „Kuffar-Metropole“. Hort der Ungläubigen. Immerhin wusste er, wovon er sprach: Denis Mamadou Gerhard Cuspert, Sohn einer Deutschen und eines Ghanaers, wohnte lange in Kreuzberg, nicht weit vom Kottbusser Tor.
Im Kiez zwischen Mariannenplatz und Skalitzer Straße ist auch Ercan Yasaroglu unterwegs, seit fast 20 Jahren. Offiziell ist Yasaroglu ein geschätzter Jugendhelfer, inoffiziell viel mehr. Mit Yasaroglu sprechen Bezirkspolitiker, Wirte und Ladenbesitzer, Deutsche, Türken und Kurden, manche nennen ihn liebevoll „Schattenbürgermeister“. Über Denis Cuspert sagt Yasaroglu ohne zu zögern: „Er hatte eine kindische Persönlichkeit, war unreif und selbstsüchtig.“
Yasaroglu hat Cuspert vor fast 15 Jahren kennengelernt. Damals soll der angehende Rapper in der Naunynstraße gedealt haben. Ein „kleiner Ticker“ sei er gewesen, sagen einige, die heute noch in der Nähe wohnen, aber auch jemand mit „einer riesigen Fresse“.
Anthony Taylor, ein früherer Freund, sagt: „Denis war ein Mensch, der schnell Gründe gefunden hat, warum man zuschlagen kann.“ Jugendhelfer Yasaroglu drückt es so aus: „Der musste sich andauernd beweisen.“ Schon vor zehn Jahren habe Cuspert prophezeit: „Irgendwann komme ich groß raus! Irgendwann ...“
Rap und Kampfsport gelangen ihm nicht
Cuspert versuchte es mit Hip-Hop. Die Idee kam ihm 2004 während der Haft, er saß wegen Körperverletzung und Drogendelikten. Unter dem Pseudonym „Deso Dogg“ inszenierte er sich als Gangster-Rapper, in seinen Songs huldigte er Kleinkriminellen, Zuhältern und Schlägern. „Willkommen in meiner Welt voll Hass und Blut“, hieß eines seiner Stücke. Während Kollegen wie Bushido, Sido oder Fler in dieser Zeit mit ähnlichen Ansagen berühmt wurden, bekam Cuspert keinen Plattenvertrag.
Vor sieben Jahren wollte Cuspert eine neue Karriere starten. Diesmal als Kampfsportler. Er entschied sich fürs „Grappling“, eine Variante, bei der es darum geht, den Gegner vor allem durch Griffe am Boden zu halten.
Es gibt Videos aus dieser Zeit, auf den meisten ist zu sehen, wie Cuspert seine Zweikämpfe verliert. „Zu ungeduldig war er“, sagt einer, der ihn aus Berliner Kampfsportstudios kennt. „Der brauchte viel Anerkennung, war undiszipliniert.“ Oft sei er ungestüm vorgeprescht und dann zu Boden gegangen. „Trainieren, verzichten, scheitern, wieder aufstehen - all das konnte er nicht.“ Cuspert sei schnell enttäuscht gewesen, ja beleidigt. Und es war klar: Den Ruhm, den er sich selbst prophezeit hatte, würde er beim „Grappling“ nicht erreichen.
Ab Anfang 2010 verkehrte Denis Cuspert häufiger in der Neuköllner Al-Nur- Moschee, traf dort auf Salafisten - die Szene, aus der die IS-Anhänger stammen. Cuspert lernte den deutschen Konvertiten und Ex-Boxer Pierre Vogel kennen, einen islamistischen Star. Auf Cusperts Rap-Vergangenheit anspielend, gab Vogel ihm den Ratschlag, er solle sich lieber „ein anderes Beschäftigungsfeld“ suchen. Cuspert rief seine Fans auf, sich von Rapmusik abzuwenden. Einmal lud er auch Bushido in die Al-Nur-Moschee ein. Der kam aber nicht.
Rapmusik sei „zu 100 Prozent haram“, also aus islamischer Sicht verboten, befand Cuspert nun. Sie führe unter anderem dazu, dass muslimische Mädchen fremden Männern hinterherliefen. Er kündigte an, schnellstmöglich „Youtube zu kontaktieren, dass sie meine Musik rausnehmen“. Auch dies klappte nicht.
Was genau ihn dazu brachte, seine erfolglosen Musik- und Kampfsportversuche zugunsten des Salafismus aufzugeben, lässt sich nur vermuten. Ermittler sehen Cuspert als Blaupause des typischen deutschen Extremisten: Am radikalen Islamismus habe ihn nicht so sehr die Ideologie gereizt als vielmehr das soziale Angebot der Gruppe. Die Zusammengehörigkeit. Die Chance auf Anerkennung. Und eine Aufgabe.
Die Menschen, die in der westlichen Welt Gesetze machten, seien „schwul, kokainsüchtig, pädophil“, sagte Denis Cuspert nun - allesamt „einfach ekelerregend“. Im Juni 2011 pries er den kurz zuvor in Pakistan getöteten Osama bin Laden, rief zum Krieg gegen den Westen auf. Die Staatsanwaltschaft ermittelte, deutsche Medien berichteten - sogar die „New York Times“ fragte an. Er empfing Journalisten und erklärte, er fände es gut, wenn Islamisten in Deutschland amerikanische Soldaten töteten. Da war er plötzlich, der ersehnte Ruhm. Cuspert war, auf eine Art, groß rausgekommen.
Auf der Fahndungsliste der USA
Als Nächstes zog er nach Bonn, Zentrum deutscher Salafisten und Wahlheimat vieler Männer, die später in Syrien oder im Irak morden sollten. In der Wohnung eines Bekannten von Cuspert fanden Beamte eine Sprengweste.
Im Sommer 2012 reiste er weiter nach Ägypten. Seine Festnahme, heißt es in Justizkreisen, habe unmittelbar bevorgestanden. Damals regierten die Muslimbrüder in Kairo, und etliche Islamisten nutzten Ägypten als Transitland auf dem Weg nach Syrien. Mittlerweile ermittelte auch die Generalbundesanwaltschaft - Cuspert galt nun als Sicherheitsrisiko. Ein Jahr später tauchte er bei der Al-Nusra-Front auf, dem Al-Qaida-Ableger in Syrien.
Doch erst als er zum noch brutaleren und militärisch erfolgreicheren „Islamischen Staat“ überlief, erreichte Cuspert den Höhepunkt seiner, nun ja, Prominenz. Im Februar 2015 setzte ihn die US-Regierung auf ihre Fahndungsliste. Als „potenziell weltweit gefährlicher Terrorist“ galt Denis Cuspert fortan als legitimes Ziel für Drohnenangriffe der CIA.
Immer wieder posierte Cuspert, der inzwischen unter dem Kampfnamen „Abu Talha al Almani“ firmierte, in Syrien vor getöteten Zivilisten. Einmal ließ er sich mit einem abgeschlagenen Kopf filmen. In einem Video sprach er davon, was seine nächsten Ziele seien: Erst wolle er zusammen mit seinen Glaubensbrüdern Damaskus erobern, dann Palästina und anschließend die arabische Halbinsel. Denis „Deso Dogg“ Cuspert hatte die Ansage des IS-Chefs Abu Bakr al Baghdadi verinnerlicht, wonach der „Islamische Staat“ keine Grenzen kenne, nur Fronten.
Welche der angepeilten Geländegewinne Cuspert noch selbst erleben werde, ließ er offen. Denn er sei, auch das erklärte er mehrfach in seinen Botschaften, „bereit für den Märtyrertod“. Das ist, logisch gesehen, der gelungene Abschluss einer Dschihadisten-Laufbahn. So hat Denis Cuspert, auf seine eigene, barbarische Art, doch noch etwas zu Ende gebracht.