Wahlen in Israel: Arabische Parteien könnten eine kleine Revolution schaffen
Kommunisten, Feministen, säkulare und konservative Moslems: Die arabischen Parteien Israels kämpften lange alleine – das machte sie schwach. Bei den Parlamentswahlen heute treten sie erstmals geschlossen an. Mit ihrer Macht könnten sie etwas verändern.
Ginge es nach Avigdor Lieberman, dann säße Ayman Odeh jetzt gar nicht neben ihm im Fernsehstudio. Überhaupt wäre es der Rechtspartei Israeli Beitenu, der Liebermann angehört, am liebsten, der arabische Politiker würde überhaupt keine Öffentlichkeit mehr bekommen. Vor den Parlamentswahlen an diesem Dienstag, ist jede Form von Öffentlichkeit eine Möglichkeit zur Werbung.
Weil er es aber nicht verhindern kann, redet sich Lieberman seinen Frust von der Seele. Warum er nicht in einem Studio in Gaza sitze oder bei den Wahlen in Ramallah im Westjordanland antrete anstatt für die israelische Knesset, herrscht er den arabisch-israelischen Kollegen an: „Du bist hier unerwünscht!“
Ayman Odeh, der 40-jährige Anwalt, lächelt nur. Dann kontert er ruhig, er sei in seinem Heimatland sehr wohl erwünscht. Odeh kennt die Umfragewerte. Er weiß, dass es die verzweifelten Attacken eines Politikers sind, der sich in die Enge getrieben fühlt. Und so zitierte er einen Bibelvers, der sich hier in Israel am Wahlabend bewahrheiten könnte: „Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.“
In der selbst geschaufelten Grube
Die Grube, von der Odeh da spricht, ist die Sperrklausel für den Einzug in die Knesset. Auf Initiative von Israels Rechtspolitikern – allen voran Avigdor Lieberman – wurde sie von zwei auf 3,25 Prozent erhöht. Um das Land besser regieren zu können, so die offizielle Begründung. Tatsächlich hätte dies aber vor allem die eh schon sehr kleinen und schwachen arabischen Parteien getroffen. Nun aber werden die arabischen Parteien diese 3,25-Prozent-Hürde nicht nur geschickt umgehen. Sie könnten bei der Wahl am Dienstag einen Sensationssieg feiern. Und Avigdor Lieberman könnte in seiner selbst geschaufelten Grube landen.
Denn während es Israel Beitenu laut Umfragen mit fünf Sitzen nur extrem knapp ins Parlament schaffen könnte, sieht es bei den arabischen Parteien mit 13 Sitzen nach einer kleinen Revolution aus. Sie haben sich zur sogenannten Vereinigten Liste zusammengeschlossen um ihre Stimmen zu bündeln. Seit Anfang des Jahres kämpfen die nationaldemokratische Balad, die Islamische Bewegung Ra’am, die arabische Bewegung für den Wandel Ta’al und die linke arabisch-jüdische Partei Chadash gemeinsam um die Stimmen der Wähler.
An der Spitze steht Ayman Odeh
Die arabischen Parteien, die bisher mit jeweils nur zwei, drei oder maximal vier Sitzen im Parlament dahindümpelten, deren Abgeordnete zwischendurch zwar lautstark aufschrien, aber doch meist unbeachtet, ungefährlich und ohne politischen Einfluss blieben: Sie könnten nun zur drittstärksten Kraft im Parlament werden. Hinter dem zionistischen Lager von Zipi Livni und Izchak Herzog, hinter Benjamin Netanjahus Likud-Partei und gleichauf mit Yair Lapids Partei Yesch Atid.
An der Spitze der Vereinigten Liste steht Ayman Odeh. Er ist ein rundlicher, freundlicher und charismatischer Mann, der perfekt Hebräisch spricht. Auch in Israel war er bislang eine kaum bekannte Figur. Doch plötzlich erscheinen israelische und internationale Journalisten zahlreich und mit Fragen gerüstet zu Presseterminen und wollen den Kandidaten im Wahlkampf begleiten. Odeh gibt politisch-professionell Interviews und wirkt dabei so wenig radikal und so sehr souverän, dass er sogar für ein breiteres Publikum interessant werden könnte: Jüngst berichtete die Tageszeitung Haaretz von jüdischen Wählern der Vereinigten Liste.
Es geht um Substanz, nicht mehr nur um Provokation
Es geht um Substanz, nicht mehr nur um Provokation. Das ist neu. Denn die einzige arabische Abgeordnete, die bislang Schlagzeilen machte und so den arabischen Vertretern im Parlament eine nicht immer gewollte Aufmerksamkeit verschaffte, war die Balad-Politikerin Hanin Zoabi: eine moderne Frau mit dunklen, kinnlangen Haaren, randloser Brille und scharfer Zunge.
Sie schaffte es vor allem dann den Blick der Kameras auf sich zu lenken, wenn sie sich bei Demonstrationen mit Polizisten anlegte oder sich kritisch gegenüber Israel äußerte – zuletzt im vergangenen Sommer, als sie in einem Radiointerview sagte, die Entführer von drei israelischen Jugendlichen seien keine Terroristen. Es hagelte zunächst Kritik, später dann beantragten die beiden Rechtsparteien Israel Beitenu und Likud, Hanin Zoabi von der Wahl auszuschließen. Das Zentrale Wahlkomitee stimmte zunächst dafür mit der Begründung, Zoabi unterstütze Terrorismus und lehne Israels Identität als jüdisch-demokratischer Staat ab. Der Oberste Gerichtshof aber widerrief die Entscheidung im Februar. Und so steht der Name Hanin Zoabi nun doch auf der Vereinigten Liste.
Eine gar nicht so kleine, aber marginalisierte Minderheit
Die Zeit der kurz aufflammenden Zwischenfälle scheint vorbei. Aus den arabischen Parteien, die mal belächelt, mal beschimpft aber niemals ernst genommen wurden, ist ein politisches Gewicht geworden, das die arabische Minderheit in Israel vertritt.
Bisher gerieten die arabischen Israelis im Konflikt zwischen den jüdischen Israelis und den Palästinensern im Westjordanland und in Gaza oft in Vergessenheit. Sie sind 1948 nicht aus Israel geflohen, zu einem Zeitpunkt, den die jüdischen Israelis bis heute als „Unabhängigkeitskrieg“ feiern, die Araber hingegen als Nakba, als Katastrophe betrauern.
Die arabischen Israelis sind in ihren Dörfern oder zumindest diesseits der heutigen Sicherheitsmauer geblieben und machen heute rund 20 Prozent der rund acht Millionen Einwohner Israels aus – eine gar nicht so kleine, aber doch marginalisierte Minderheit. Außer in Jerusalem haben die meisten von ihnen die israelische Staatsangehörigkeit und offiziell die gleichen Rechte. Allerdings nennen sich viele trotzdem trotzig Palästinenser, weil sie sich vernachlässigt und benachteiligt fühlen. Die Straßen ihrer Dörfer sind holpriger, die Müllabfuhr unzuverlässiger, die Schulen schlechter. Und, das ist für viele am schlimmsten: In dem jüdisch geprägten Land sind ihre Kultur und ihre Sprache vernachlässigt worden.
Die wenigsten Israelis sprechen Arabisch
Sami Abu Shedadeh, heute 39 Jahre alt, hat diesen Wandel teilweise miterlebt. An einem Februarabend sitzt er mit einer Gruppe junger arabischer Israelis in einem Häuschen in Jaffa zusammen: Sie trinken Tee, diskutieren über Politik und darüber, was man in Jaffa für die junge Generation verändern könnte. Er möchte nirgendwo anders leben als hier, sagte der Historiker und langjährige Balad-Aktivist. Doch es sei schon lange nicht mehr das Jaffa, in dem er aufgewachsen ist. Und schon gar nicht das Jaffa, in dem seine Großeltern noch lebten.
Das hier war einmal ein arabisches Städtchen. „Früher hieß unsere Stadt Jaffa und war eigenständig. Heute trägt sie offiziell den hebräischen Namen Yaffo und ist nur noch ein Stadtteil Tel Avivs, auch die Straßennamen sind heute hebräisch.“ Während viele arabische Israelis Hebräisch sprechen, weil sie anders kaum in Israel durchkommen, sprechen die wenigsten Israelis Arabisch.
Auch der 36-jährige Lehrer Ramy Sayegh, ebenfalls ein Balad-Aktivist, ist an diesem Abend gekommen. Die Zukunft seiner Stadt ist ihm wichtig. Hier ist er zu Hause. „Ich bin früher öfter mal nach Tel Aviv gefahren, war dort einen Kaffee trinken oder abends mit Freunden unterwegs. Doch der Rassismus hat zugenommen, man traut sich nicht mehr, in gemischten Städten Arabisch zu sprechen. Und so bleibe ich meistens hier in Jaffa.“
13 Sitze bedeuten politische Macht
Mit guten Umfragewerten kommt aber auch hier in Jaffa Euphorie auf. „Das ist für uns eine ganz große, historische Sache“, sagt Sami Abu Shedadeh. „Die Vereinigung hat den Menschen Hoffnung gegeben und ihrer politischen Beteiligung einen Sinn.“
Früher hätten viele arabische Wähler nicht daran geglaubt, dass sie mit ihrer Stimme etwas verändern könnten. Sie hätten auch nicht geglaubt, dass die arabischen Parteien im Parlament etwas für sie erreichen könnten. Und so war auch die Wahlbeteiligung unter den arabischen Israelis immer weiter gefallen, zuletzt 2013 auf 57 Prozent. „Jetzt haben wir den Traum, vereint zusammenzustehen, verwirklicht. Dieses Mal werden mehr Menschen ihre Stimme abgeben“, ist Sami sicher.
Seine Balad-Partei hatte sich schon seit Jahren für eine gemeinsame Liste starkgemacht. Doch bislang waren die Unterschiede zwischen den Parteien immer ein Hindernis. Schließlich galt es, die jeweiligen Interessen von Kommunisten, Feministen, Säkularen und konservativen Muslimen zu vereinen.
Vereinte demokratische Front
Dennoch: Bei wirklich wichtigen Themen, die die gesamte arabische Minderheit betreffen, waren sie meist einer Meinung: „Wir sprechen im Parlament dieselben Themen an und lehnen dieselben Gesetze ab“, erklärt Zoabi. „Jetzt haben wir zum ersten Mal eine vereinte demokratische Front. Wir sind hundertprozentig gegen die Besatzung, gegen Diskriminierung und gegen Ungleichheit.“
13 Sitze bedeuten politische Macht. So viel Macht, dass einige Abgeordnete laut „Haaretz“-Berichten es sogar schon mit der Angst zu tun bekommen: Da die Sitze in den Parlamentsausschüssen gemäß der Anzahl der Sitze im gesamten Parlament verteilt werden, fürchten manche, die Vereinigte Liste könnte nach der Wahl einen Sitz im Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung beanspruchen. Die Ausschussvorsitzenden schlossen dies bisher aus Sicherheitsgründen aus, mit der Begründung, die arabischen Parteien kooperierten mit dem Feind. Ob die Vereinigte Liste aber überhaupt Interesse an einem Sitz hat, ist fraglich. Einige Abgeordnete wollen gar nicht als Partner der Israelis Entscheidungen über die Sicherheit treffen.
Die Liste lehnt den Beitritt zu einer Koalition ab
Doch die arabische Liste könnte ihre Macht auch anderweitig und bereits in den Tagen nach der Wahl einsetzen. Dann nämlich, wenn es darum geht, eine Regierung zu bilden. Zwar lehnt die Liste den Beitritt zu einer Koalition ab, egal wie diese aussieht. „Die Chancen stehen gleich null, dass wir einer Regierung beitreten, die die Besatzung unterstützt und das Recht auf Rückkehr der Palästinenser verweigert“, sagt Zoabi. „Wir sind keine klassische Opposition, wir befinden uns in einem Kampf innerhalb des Staates für unsere Rechte als Palästinenser.“
Dennoch wird in den Tagen nach der Wahl der Präsident Israels, Reuven Rivlin, auch die Vereinigte Liste befragen, welche Partei sie für die Regierungsbildung vorschlägt. In Israel ist dies nicht automatisch die Partei mit den meisten Sitzen. Es sieht nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Benjamin Netanjahus Likud Partei und dem Zionistischen Lager von Zipi Livni und Izchak Herzog aus. Und Ayman Odeh hat angekündigt, Herzog zu empfehlen.
Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.