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Plaue
© Seidemann

Plaue: Wo der Gutsherr Schopenhauer las

Fontane fand die Villa Wiesike in Plaue "pittoresk". Heute wartet das Denkmal auf seine Rettung.

Etwas abfällig beschreibt Fontane das Haus seines Gastgebers. „Eine zur Villa umgewandelte Lehmkate“, lässt Brandenburgs vornehmster Wanderer seine Leser wissen. 1874 hatte er das Anwesen „Schloss Plaue gegenüber“, wie es damals hieß, besucht. Doch der Dichter irrt. Der illustre Kaufmann Carl Ferdinand Wiesike hatte 1828 das – gewiss – schlichte Haus aus roten Ziegeln mauern lassen. Schließlich saß er als Ziegeleibesitzer an der Quelle. Fontane bemerkt zudem etwas spitz, sein Gastgeber habe sich im Laufe der Jahre, „statt Umbauten vorzunehmen, darauf beschränkt, anzubauen“. So sei etwas „wenig Künstlerisches, aber dafür etwas Pittoreskes und zugleich sehr Praktisches entstanden“. Käme Fontane heute zur Villa Wiesike, wäre er möglicherweise schockiert. Das Haus – am kommenden Sonntag zum „Tag des offenen Denkmals“ zu besichtigen – hat arg gelitten. Schon lange bevor die Fischereischutzgenossenschaft Havel das Ensemble 1997 von der Treuhand kaufte.

„Wir können nur das Nötigste tun, um den Verfall zu bremsen“, sagt Ronald Menzel, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft, in der die Plauer Berufsfischer zusammengeschlossen sind. In seiner Funktion hat Menzel die Schlüsselgewalt über die Villa Wiesike, deren Namensgeber nicht nur ein gewiefter Geschäftsmann war, sondern mit fortschreitendem Alter auch etwas wunderlich wurde.

Der 1798 in Brandenburg an der Havel geborene Wiesike konnte nach Lehr- und Wanderjahren 1823 die Plauerhofer Ziegelei ersteigern. Um seine Geschäfte besser lenken zu können, hatte er sich das von Fontane erwähnte Haus unweit der (heute nicht mehr vorhandenen) Ziegelei errichtet. Wiesike kam zu noch mehr Geld und konnte 1835 Plauerhof, einen Gutshof mit riesigen Ländereien, in Erbpacht nehmen.

Als vermögender Mann zieht er sich schließlich 1853 aus dem Tagesgeschäft zurück. Er spann sich, so schreibt Fontane, „immer fester in das schon erwähnte, primitive Wohnhäuschen ein … Da saß er nun, weltabgeschieden, und begann als ein Fünfundfünfzigjähriger … sein eigentliches Leben, ein Leben, das von diesem Zeitpunkt an nur noch drei Dingen gewidmet war: der Schöpfung eines Parks, der Homöopathie sowie der Philosophie Schopenhauers“. Als erfolgreicher Gutsbesitzer mit der Scholle vertraut, schuf Wiesike tatsächlich einen veritablen Park. Seiner zweiten Leidenschaft, der Homöopathie, widmete er sich so intensiv, dass sein Haus bald zu einem „Wallfahrtsort für die Kranken und Gebrechlichen des Havellandes“ wurde, wie Fontane feststellt. Und schließlich Schopenhauer. An langen Winterabenden las Wiesike jede Zeile des Philosophen, trat gar in einen brieflichen Diskurs mit ihm und lernte ihn auch persönlich kennen.

Der Eingang zu der eingeschossigen Villa, in die Wiesike sich zu seinen Studien zurückgezogen hatte, ist durch eine Metalltür gesichert. Menzel schaltet die spärliche Beleuchtung an, richtet zusätzlich seine Taschenlampe in die dunkleren Ecken. Besonders aufwendig hat Wiesike offenbar nicht gelebt, obwohl das Haus mehr als 400 Quadratmeter Fläche aufweist. „Schauen Sie“, Menzel deutet auf den Boden, „so breite Dielenbretter – die gibt’s heute gar nicht mehr.“ Ein schmucker Wintergarten auf der Nordseite, damals mit Blick auf den Park und das Schloss jenseits der Havel, heute mutwillig ramponiert – und ohne Aussicht. Der Park ist überwuchert, als solcher nicht mehr zu erkennen. Das Schloss kann man hinter Bäumen nur erahnen.

Unterm Dach hat in einer Vielzahl von Zimmerchen vermutlich Personal gewohnt. Auch eine Räucherkammer ist auszumachen sowie ein Raum mit kleiner Lichtluke, in den wohl die Räucherware gehängt wurde. Feucht ist es nicht, das Dach ist dicht, doch Tierspuren (Katzen, Marder?) allenthalben.

„Das Haus ist nur zum Teil unterkellert“, sagt Menzel. Die Decken hier unten sind niedrig. Über technisches Gerät aus grauer Vorzeit darf man staunen und sich dann wundern: Im ansehnlich großen Weinkeller – ohne Flaschen – sind Reste von Wandmalerei zu erkennen, die auf die Nutzung hinweisen. Hier ein Putto mit Weinkelchen, gegenüber Reben und (vermutlich) Bacchus.

Doch nicht allein die 44 Jahre währende Nachkriegszeit hat gezehrt, in der Neuzeit haben auch Vandalen hier ihr Mütchen gekühlt. Zudem sind neben Katzen auch Kachelklauer ins Haus gedrungen und auf Beute gestoßen. Reihenweise sind die historischen „Salz-und- Pfeffer“-Fliesen fein säuberlich von den Wänden abgeschlagen. Auch ein Waschbecken fehlt seit Menzels letztem Rundgang. „Da wird die Frau Pieper aber traurig sein“, sagt Ronald Menzel, als er in das Wiesike’sche Badezimmer leuchtet.

Sara Pieper hat sich im Rahmen ihrer Magisterarbeit an der TU Berlin in den vergangenen Jahren intensiv mit dem alten Gutshof und der „Villa Wiesike“ befasst. Dabei hat die junge Wissenschaftlerin, die heute ein Atelier für Restaurierung in Potsdam betreibt, nicht nur eine akribische Bestandsaufnahme der Bausubstanz des Hauses vorgelegt, sondern auch über künftige Nutzungskonzepte nachgedacht.

„Also, das Haus wären wir schon gern los. Nur, der neue Eigentümer muss es unter denkmalschützerischen Gesichtspunkten wiederherrichten“, sagt Ronald Menzel. „Und das Grundstück muss er kaufen.“ Auch das wird kosten. Denn das Denkmal steht auf einem Wassergrundstück, das selbst in Plaue seinen Preis hat. „Verkehrswert 40 Euro pro Quadratmeter“, schätzt Menzel. „Das multipliziert mit 6000.“ Die 240 000 Euro allein dürften für einen Käufer das geringste Problem sein, wenn er nicht vor den Kosten einer Restaurierung des Hauses zurückschreckt. „Es ist zum einen das benötigte Geld, zum anderen die Frage: Was soll draus werden?“, rätselt Menzel.

Sara Pieper schlägt in ihrer Arbeit verschiedene Möglichkeiten vor. Einige Plauer wünschten sich, aus dem geschichtsträchtigen Ort ein „Bürgerhaus“ zu machen. Mit Café, Bibliothek und Versammlungsräumen. Das hieße jedoch: einen Investor finden, der auf eine Rendite seines Geldes verzichtet. „Sanfter Tourismus“ wäre eine andere Alternative. Eine Herberge für Rad- und Wassertouristen sei denkbar, schreibt Pieper.

Der Chef der Plauer Fischer ist skeptisch: „Am verträglichsten wäre sicher eine Mischung aus öffentlicher und privater Nutzung. Doch wie man das hinbekommt …“, sagt Ronald Menzel. Er wird wohl noch eine Weile dafür sorgen müssen, dass das Kleinod am Havelufer dem nagenden Zahn der Zeit trotzen kann.

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