Glamour an der Côte d'Azur: Und ewig lockt das Weib
Als Roger Vadim und Brigitte Bardot 1955 in eine Bude am Strand von Saint-Tropez einfielen, war der „Club 55“ geboren – Promitreff bis heute.
Der Wind wirbelt Sandkörner in die Luft. Am Strand spielen Kinder Fußball. Von Windsegeln geschützt, liegen Menschen im Sand und auf Liegen. Im Restaurant des „Club 55“ haben erste Gäste Platz genommen. Die hellblau schimmernden Decken der Tische, die zwischen knorrigen, vom Mistral verformten Bäumen gruppiert sind, spiegeln den wolkenlosen Himmel. Ein Model knabbert an rohen Frühlingszwiebeln, ein Mann spricht in sein Mobiltelefon, ein Paar lässt eine Flasche Rosé entkorken.
Am Strand steht Patrice de Colmont und schaut aufs Meer, das heute unruhig wogt. „Jeden Morgen bin ich glücklich, dies zu sehen“, sagt der Besitzer des legendären Clubs am nicht weniger glamourösen Strand von Pampelonne. Dabei lebt Colmont hier schon seit seinem zweiten Lebensjahr. 1948 zogen seine Eltern mit ihm und seinen Geschwistern in eine Fischerhütte auf dem Hügel, der die Bucht in Richtung Saint-Tropez rahmt. Sein Vater, ein Ethnologe, der mit der Familie um die ganze Welt gereist war, hatte im Jahr zuvor während einer Flaute mit seinem Boot in der Bucht festgesessen. Der Mistral wehte, Colmont Senior lag mit seinem Schiff vor dem Strand, den er nicht erreichen konnte, und schaute auf das breite, goldgelbe Band vor grünem Dickicht. Den Anblick wurde er nicht mehr los.
Eine kleine Erbschaft erlaubte es Monsieur de Colmont etwas später, Land am Strand zu kaufen. Er baute drei Hütten: eine für sich und seine Frau, eine für die Kinder, eine für die Küche. Die Kinder wuchsen an der sandigen Küste auf, die noch voller Strandgut lag. Kamen Spaziergänger vorbei, schenkten die Colmonts ihnen ein Glas Wein ein. Dann kam ein Verrückter aus Paris, und alles wurde anders. Es war 1955, Roger Vadim fiel mit Brigitte Bardot und einer Filmcrew am Strand ein, um „Und ewig lockt das Weib“ zu drehen. Plötzlich kamen 80 Menschen am Tag, um in einem Bistro zu essen, das es nicht gab. Tische und Stühle mussten her, Steuernummer und Gewerbeschein. Der „Club 55“ war geboren.
Aus Patrice strömen die Geschichten nur so heraus: wie im vergangenen Sommer Bono, seit jeher einer seiner Lieblingsgäste, mit den U2-Kollegen vorbeikam. Die Musiker fühlten sich wohl. Sie begannen zu singen und zu spielen, einfach so, eine Stunde lang. Die Gäste hörten auf zu essen, die Kellner servierten nichts mehr und verharrten andächtig. „Es war, als flöge ein Engel umher, der Glück verteilt.“ Oder als Franz-Josef Strauß und Valéry Giscard d’Estaing sich einst zum deutsch-französischen Gespräch einfanden, mit 40 Mann Begleitung und Marinebooten, die vor der Küste kreuzten: „In der Ecke da drüben haben sie gesessen.“ Wie er einmal Tischtücher am Strand ausbreiten musste, als aus dem feudalen Hotel du Cap Eden Roc in Antibes ein arabischer Prinz mit 80-köpfigem Gefolge vor dem Strand ankerte, aber innen bereits jeder Platz besetzt war. Und wie sich Mikhail Gorbatschow hier mit einem Geschäftspartner traf, beide in Club-55- T-Shirts posierten, aber die versprochenen Fotos nie schickten.
„Alle waren hier, alle“, sagt Patrice. Er muss nachdenken, bis ihm Prominente einfallen, die hier nie Fisch mit Aïoli und Gemüse aus eigenem Anbau zum kühlen Rosé bestellten. „Der Papst, die beiden George Bushs“, sagt er dann. Brigitte Bardot, die den Boom um das schönste aller Fischerdörfer ankurbelte, kommt nicht mehr. „Sie geht schon lange nicht mehr an den Strand, ist nur noch mit ihren Tieren beschäftigt. Es ist zu viel. Für Menschen ist in ihrem Leben kein Platz.“ Am Morgen hat die Lokalzeitung gemeldet, dass „La Bardot“ dem Finder einer ihr entwischten Katze eine Prämie von 600 Euro gezahlt hat. Er schüttelt den Kopf. Von Ruhm lässt sich Patrice de Colmont genauso wenig beeindrucken wie von Flausen und Allüren – womöglich ist auch das Teil des Erfolgs seines Clubs. Neben der Tatsache, dass Paparazzi hier Hausverbot haben.
Jeden Tag ist Patrice hier, von Mitte März bis Anfang November und dann wieder während der Weihnachtsferien. Er freut sich, wenn er plaudernd am Tisch Unbekannter verweilt und merkt, wie an den übrigen Tischen getuschelt wird, wer da denn wohl sitze. Viel mehr als für Promis interessiert sich der Besitzer zweier Biohöfe und eines veritablen Weinbergs inzwischen für die Landwirtschaft. Und so ist der Gast, dessen Besuch er am dringlichsten erwartet, nicht etwa der Papst, sondern Pierre Rabhi, der Vater der Ökobewegung in Frankreich.
800 bis 1000 Teller verlassen im Juli und August täglich die Küche von Laurent Bertollotto. Der Tropézien in der siebten Generation hat noch nie anderswo als an der Plage de Pampelonne gearbeitet. Seit 20 Jahren steht er der Küche des Club 55 vor. „Die Hochsaison ist anstrengend“, gibt er zu. „Aber ich bin an diesem Strand aufgewachsen. Er ist mein Zuhause. Ich möchte hier nie mehr weg.“
Unerträglich heiß, unerträglich voll, unerträglich teuer
Das hört man häufig von den Menschen, die an dieser Sandmeile ihr Geld verdienen: von Christopher Ferreira, der seit 20 Jahren über den Parkplatz des Club 55 wacht und froh erklärt: „Ich habe jedes Auto der Welt gefahren. Jaguar, Bentley, Rolls, Ferrari: Ich kenne sie alle.“ Mit langem Haar, Sonnenbrille, Polohemd und verblichenen Shorts verkörpert er auch optisch das Lebensgefühl dieses Strandes. Noch immer schmeckt das ein wenig nach jener Freiheit, die einst die junge Brigitte Bardot in ihren Bann zog – selbst, wenn man nach einem Abend im Trubel des Hafens auf einen Campingplatz zurückkehrt, oder das Auto, das man parkt, nicht das eigene ist. Außer dem Einparken großer Schlitten hat Christopher bei der Arbeit auch über das Leben gelernt. „Manche Gäste mögen ihr Auto lieber als ihre Frau. Aber die meisten sind angenehm.“
Dabei ist es im Juli und August an der ganzen Küste unerträglich: unerträglich heiß, unerträglich voll, unerträglich teuer. Doch die Menschen kommen, auch wenn kaum ein Hotelzimmer in Saint-Tropez für unter 500 Euro die Nacht zu finden ist, sich eine endlose Blechlawine über die Küstenstraße wälzt und Parkplätze Mangelware sind. Und das nicht nur für Autos. Vor einigen Jahren musste die Wasserpolizei den Golf von Saint-Tropez absperren, weil er von Jachten buchstäblich verstopft war.
Dennoch hat diese Bucht ihren Zauber nicht verloren. Gewiss, es ist gebaut worden; aber nicht so hemmungslos wie überall sonst an der Küste. Das Fischerdorf selbst ist mit seinen Gassen, kleinen Plätzen und der von Cafés auf der einen und Superjachten an der anderen Seite gesäumten Flaniermeile an der Mole unverändert geblieben. Wiewohl der Hafen für schnittige Boote sich immer weiter ausgedehnt hat und sich heute unter der Place des Lices, wo der nach Lavendel duftende Wochenmarkt für zusätzlichen Besucherandrang sorgt, eine Tiefgarage verbirgt, spielen die Männer des Dorfs unter den Platanen Boule, als hätten sie von alldem nichts bemerkt.
Die Plage de Pampelonne ist zwar nicht mehr wie noch vor 30 Jahren nur über ein paar staubige Feldwege erreichbar. Und es ist ein Glück, dass sich hinter dem Strand eine recht breite Ebene erstreckt, so dass Etablissements wie „Stefano Forever“, eine riesige Bar nebst Restaurant, Cabaret und Parkplatz, vom Strand aus kaum zu sehen sind. Doch hat man den Boulevard Patch, der heute zu einem kleinen, im Sommer heftig umkämpften öffentlichen Parkplatz führt, erst hinter sich gelassen, ist fast alles wie früher: breit und feinsandig der Strand, links und rechts von grünen Hügeln eingefasst, die dank astronomischer Grundstückspreise und zahlreicher Auflagen sparsam bebaut sind. Am linken Ende der Bucht blickte einst Gunter Sachs von seinem Anwesen aufs Meer, am rechten Ende wacht ein Leuchtturm. Wenn der Mistral weht, kann das dunkelblaue Meer unfreundlich werden wie immer schon. Deshalb muss heute jeder „Plagiste“ auch ausgebildeter Rettungsschwimmer sein.
Gerüchten zufolge werden den Plagistes, deren Berufsbild mit dem Aufstellen der Liegestühle nur unzureichend beschrieben ist, gelegentlich sechsstellige Summen für die Übernahme ihrer Jobs geboten – eine Investition, die sich durch üppige Trinkgelder rasch amortisieren soll. Dennoch ist die Fluktuation niedrig. „Ich mache den Job seit 1981“, sagt zufrieden Gérard Bartolo, der jeden Morgen um halb sieben beginnt, im Club 55 die 350 Liegen aufzustellen. Bartolo weiß, welcher Gast welche Schattenliege und welchen Drink bevorzugt. „Es ist ein Superjob“, sagt er. Obwohl er an den Anblick von Popstars und Politikern gewöhnt ist, freut er sich über einzelne Gäste besonders: „Mike Tyson und Clint Eastwood habe ich sogar um Autogramme gebeten.“
In der dem Leuchtturm zugewandten Seite des „55“ lagen vor 30 Jahren nurmehr Sand und angespülte Algen. Heute gibt es hier eine ganze Reihe Clubs und Bars. Immerhin mit luftigem Abstand. „Key West“ ist seit 17 Jahren der nächste Nachbar, der sich schon durch die Öffnungszeiten – ganzjährig, im Juli und August bis zwei Uhr nachts – vom „55“ unterscheidet. Auch das Personal ist jung: Dem 25-jährigen Mathieu Lamy ist es schon vor fünf Jahren gelungen, den Job des Herrschers über die Liegestühle an Land zu ziehen. Und trotz seines Charmes könnte man bedauern, dass hier die Welt nicht mehr zu Ende ist.
Am frühen Abend wird es ruhig am Strand von Pampelonne. Die Sonnenanbeter sind aufgebrochen, um sich auf den Abend im Hafen einzustimmen. Frösche beginnen zu lärmen. Im Club 55 werden leere Weinflaschen eingesammelt, die hellblauen Tischdecken abgenommen. Auch Patrice sucht seine Sachen zusammen. Dann fährt er ein paar hundert Meter zu seinem Bauernhof, wo er Wein und Gemüse fürs Restaurant anbaut. Begleitet von den Bordercollies Mistral und Pastis schaut er nach, wie sich Fenchel und Tomaten so machen.
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