Mongolei: Steig auf, ich zeige dir mein weites Land
Gut drei Millionen Menschen leben in der Mongolei, einem der dünnstbesiedelten Staaten der Welt. Die Kultur der Nomaden prägt auch die Gegenwart.
Batbyamba Ganhuyag und Narantuya Tsogtoo sind ein modernes Nomadenpaar. Der 33-jährige Mongole und seine gleichaltrige Frau frühstücken in Jeans und T-Shirt auf dem Teppich, der den Holzboden ihrer 25 Quadratmeter großen Jurte bedeckt. Bunte Schüsseln, gefüllt mit Rahm und Gebäck, stehen dort. In der Mitte knistert ein Ofen, dessen Rohr durch die große Deckenöffnung ragt. Eine Kommode und zwei Betten, eins für die Eltern, eins für die Kinder, lehnen an den Rundwänden aus dickem Filz, daneben zwei Hocker für Besucher.
„Im Winter wohnen wir in einem Holzhaus im Dorf Khatgal südlich vom Chuwsgul-See, aber im Sommer schlagen wir unser Jurtenlager lieber direkt am Wasser auf. So sind wir unseren Tieren näher, die dort das beste Futter haben“, erzählt die dreifache Mutter Narantuya. Die Nomadenfamilie lebt in engem Kontakt mit der Natur. Typisch für das Leben der Mongolen, die abseits größerer Ortschaften ansässig sind. In einem Land, das viereinhalb Mal so groß ist wie Deutschland oder, anders dargestellt, so groß ist wie Deutschland, Frankreich und Spanien zusammen. Der Alltag erscheint karg, ist jedoch längst nicht mehr so ärmlich wie noch vor Jahrzehnten.
Gewaltige Bodenschätze schlummern im mongolischen Boden. Der zentralasiatische Binnenstaat zählt weltweit zu den zehn Ländern mit den meisten Rohstoffen. Noch ist das Land jedoch überwiegend agrarisch geprägt, ist bisher nur zu einem Drittel geologisch voll exploriert. Die Ausbeutung der unterirdischen Schätze sollen dem Staat allerdings Reichtum und mehr Entwicklung bringen. Andererseits wollen die Erben Dschingis Khans gleichzeitig ihre nomadische Kultur behalten.
Chuwsgul Nationalpark ist seit jeher ein Lagerplatz von Nomaden
Noch immer lebt etwa ein Drittel der Bevölkerung traditionell von der Viehwirtschaft. Die meisten von ihnen sind Nomaden. Sie halten Schafe, Ziegen, Rinder, Pferde und Kamele. Platz genug gibt es ja: Die Mongolei mit ihren gut drei Millionen Einwohnern ist wohl der am dünnsten besiedelte unabhängige Staat der Welt. Das übt auf Menschen aus Industrieländern durchaus einen gewissen Reiz aus, und so nehmen Nomaden immer öfter auch mal Touristen unter ihre Fittiche, die die sagenhafte Weite und weitgehend intakte Natur des Landes entdecken möchten.
Morgens um sieben treibt Vater Batbyamba seine Pferde aus dem Verschlag auf die freie Weide. Auf dem Heimweg sammelt er Yakfladen für den Ofen. Gegen die Kälte hilft ein Deel, der traditionelle mongolische Mantel. „Ich trage ihn fast immer, auch dann, wenn ich Touristen bei einer Wanderung oder einem Ausritt begleite. Meine Frau melkt derweil die Ziegen, macht Aruul, unseren typischen Hartkäse, oder filzt einen Pullover aus Wolle. Die Kinder helfen dabei“, erklärt Batbyamba, zieht seine Gutul, die handbestickten Lederstiefel über, schlüpft in den warmen Deel und steigt über die Jurtenschwelle hinaus ins Freie.
Der Chuwsgul Nationalpark im Nordwesten der Mongolei, kurz vor der russischen Grenze nach Sibirien, ist seit jeher ein beliebter Lagerplatz von Nomaden. Sein knapp 3000 Quadratkilometer großer See ist fünfmal so groß wie der Bodensee und das größte Trinkwasserreservoir des Landes. Ähnlich wie der Baikalsee jenseits der Grenze gilt auch der Chuwsgul-See bei den Einheimischen als heilig. Wie ein Meer liegt das tiefe Blau zwischen ausgedehnten Lärchenwäldern und den hügeligen Ausläufern des Sajan-Gebirges. Landzungen aus weißem Gestein ragen in das Gewässer, das wegen seiner erstaunlichen Tiefe von maximal 262 Meter auch kleiner Baikalsee heißt. Auf den Uferwiesen laben sich die Pferde an Kräutern und Wildblumen.
Im Sommer kommen die Tsaaten
Schon vor 500 Jahren, als die Chinesen diesen Teil der Mongolei regierten, hatte der Chuwsgul-See große Bedeutung. Die Einheimischen sollten sogar Abgaben für ihn zahlen und behaupteten kurzerhand, der See sei ein Meer, auf das keine Steuern entfielen. Dann beteten sie um Regen – und hatten Glück. Bis zu dem Tag, an dem die chinesischen Fürsten die Zuflüsse zählten wollten, fiel so viel Niederschlag, dass sie allein an einer Uferseite mehr als 50 Wasserläufe ausmachten. Die Steuerzahlungen wurden erlassen und der Chuwsgul-See hatte seinen Namen: mongolisches Meer.
Heute speisen 96 Bäche das Binnengewässer in der „Mongolischen Schweiz“, der einzige Abfluss führt über Umwege in den sibirischen Baikalsee, vorüber an weiten Grasflächen und sanften Hügeln – ein touristisches Glanzlicht.
Das wissen auch die Tsaaten zu schätzen. Die letzten „Rentiermenschen“ der Mongolei siedeln normalerweise 200 Kilometer weiter westlich in den unwirtlichen Bergwäldern. In den Sommermonaten jedoch kommen einige der Familien mit Sack und Pack an den Chuwsgul-See. „Wir besitzen 30 Rens, aber nur die jungen und kräftigen nehmen wir mit hierher. Die anderen würden die Wärme nicht überstehen“, erklärt Familienoberhaupt Sulegmaa.
Stolz zeigt der 50-Jährige seine Tiere und die beiden großen Spitzzelte in der Waldlichtung. Dafür gibt es ein paar Tugrik von den Touristen. Die sind fasziniert von den schönen Hirschtieren mit den prächtigen Geweihen, die ruhig auf den nächsten Ausritt warten.
Der Schamanismus gilt als Religion
Die Tsaaten haben sich im Laufe der Jahre die Rens zur Lebensgrundlage gemacht: Aus dem Fell stellen sie Jacken und Decken her, aus dem Geweih Medizin, die fette Milch hilft ihnen, das raue Klima zu überstehen. Auch als Transportmittel bei den regelmäßigen Umzügen durch die Wälder, oftmals durch Eis und Schnee, sind die Rentiere ideal.
Wenn dann mal eins geschlachtet werden muss, weil die Jagd nach Wild erfolglos blieb und es auch sonst nichts zu essen gibt, wird die Haut der Tiere zur Zeltbespannung und zu Stiefeln, die Knochen werden zu Schmuck – ein ungewöhnliches Urlaubsmitbringsel. Es dürfte kaum verwundern, dass das Rentier bei so viel Bedeutung auch als Schamanentier gilt, das die Tsaaten in die Welt ihrer Ahnen führt.
Am Chuwsgul-See sieht das anders aus. „Unsere Schamanen halten regelmäßig Rituale in den Waldlichtungen ab und die Einheimischen kommen in Scharen“, weiß Narantuya. In den Baumkronen hängen dann Bänder und Gebetsfahnen, darunter stehen kleine Zelte. Die Schamanen entzünden ein offenes Feuer, wärmen die Trommeln aus Ziegenhaut an den Flammen und schleudern mit Wacholderzweigen Milch aus einer Schale in alle Richtungen, um die Geister gnädig zu stimmen. Schon oft hat Narantuya interessierte Urlauber zu einer Sitzung geführt.
Kinder sind die Stars des Naadam-Festes
Zuschauen ist möglich, wenn die Schamanen gleichzeitig, das Gesicht hinter einer Zeremonialmaske aus bunten Stofffetzen verborgen, auf ihre Trommeln einschlagen, vor sich hinmurmeln und schließlich Oberkörper und Kopf derart schnell drehen, dass sie in Trance fallen. „Für die meisten meiner Landsleute ist der Schamanismus die Religion. Batbyamba und ich halten uns lieber an weltliche Dinge, zum Beispiel an das Naadam-Fest“, sagt Narantuya lächelnd.
Naadam feiern die Mongolen jedes Jahr im Juli. Mit Pferderennen, Bogenschießen und Ringen wird Dschingis Khans gedacht und der Entstehung des mongolischen Staates. Auf den platten Wiesen am Chuwsgul-See, zwischen Ufer und der schmalen Seepiste, versammeln sich dann sämtliche Bewohner der Region, tragen ihre schönsten Trachten: Die Frauen legen kostbare Ohrringe an, die Männer schwere Metallschärpen. Es wird geredet, gelacht, angefeuert und applaudiert.
Die eigentlichen Stars allerdings sind die Jungen und Mädchen, die schreiend und peitschend von den Lärchenwäldern bis zum Ufer um die Wette galoppieren, auf Pferden, deren kurz geschnittene Mähnen wie bei Wildpferden gerade stehen. Im vergangenen Jahr haben Narantuya und ihr Mann erstmalig den ältesten Sohn teilnehmen lassen. „Doch gewonnen hat er nicht“, sagt Batbyamba lachend, zieht seine Stiefel aus und setzt sich zu den Kindern.
Es ist Abend geworden. Aus dem Topf auf dem Jurtenteppich dampft Mehlsuppe mit selbst gemachten Nudeln. Batbyamba wird gleich noch die Yaks an einen anderen Grasplatz treiben. Die Kinder werden die Pferde anbinden, Narantuya die Kiste mit den Aruul-Stücken zum Trocknen auf das Jurtendach stellen. Nur die Pferdekopfgeige wartet noch auf ihren Einsatz – ein letztes Glanzlicht an einem ganz normalen Tag einer modernen Nomadenfamilie.
"Die Mongolei ist auseinandergefallen"
Rund 600 Kilometer östlich der Elsen-Tasarkhai-Sanddünen nippt der Schriftsteller Galsan Tschinag in der Hauptstadt Ulan Bator an seinem Tee. „Dichter der Mongolen“ wird er ehrfurchtsvoll genannt. Kaum jemand hat das deutsche Bild von der Mongolei so stark geprägt wie er. Denn er schreibt Bücher hauptsächlich in deutscher Sprache.
„Ich habe 35 Bücher auf Deutsch und sieben auf Mongolisch geschrieben“, erzählt Tschinag. In der DDR hatte er an der Universität Leipzig Germanistik studiert. Erzählungen, Romane und Lyrikbände, Tschinag bedient sich vieler Formate, um Lesern das Leben in seiner Heimat näherzubringen. 1992 erhielt der Schrifsteller den Adelbert-von-Chamisso-Preis, der als höchste deutsche Auszeichnung für Autoren nichtdeutscher Herkunft gilt.
„Wenn es noch Menschen gibt, die rundum zufrieden sind auf unserer kleinen Welt, dann sind es die mongolischen Nomaden“, sagt Tschinag. Es werde zu stark auf wirtschaftliche Erfolge und das Geldverdienen geschaut, aber das mache Menschen nicht glücklicher. Dafür sei auch sein Land ein Beispiel. „Die Mongolei ist auseinandergefallen“, klagt der weise Dichter. Der Unterschied zwischen Reichen und Armen sei inzwischen riesig. Dabei ließen sich von Nomaden wieder grundsätzliche Werte wie Bescheidenheit lernen.
Auf der ITB ist die Mongolei in Halle 26 präsent.
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