Sambia: Schönheit lauert überall
Sambias Nordosten wird selten besucht. Doch wer hier auf Safari geht, den erwartet ein tierisches Spektakel.
Die Frühaufsteher starten pünktlich. Bei Sonnenuntergang. Einige Dutzend erheben sich aus den Bäumen, die unter ihrer tierischen Last den ganzen Tag geächzt haben, und ziehen mit langsamem Flügelschlag in Richtung Horizont. Wenig später, wenn sich das milchige Licht des Vollmonds über die Landschaft Sambias legt und Nebel aus den Sümpfen aufsteigt, verwandelt sich das Flapp-Flapp-Flapp einzelner Flugobjekte unmerklich in ein uniformes Rauschen.
Schwarze Schleier tanzen jetzt über den Wald, es ist, als zögen schwere Wolken über den Himmel. Dann ändert sich plötzlich die Flugrichtung. Der Schwarm hält auf uns zu. Hüllt uns ein. Und wir, eben noch entspannte Beobachter mit dem Fernglas in der einen und dem Sonnenuntergangs-Bier in der anderen Hand, werden zu Gejagten.
Zumindest fühlt es sich für eine Schrecksekunde so an. Instinktiv ducken sich alle aus der Gruppe und ziehen den Kopf ein. Auf dem Hochsitz, in der Krone eines afrikanischen Mahagonibaums, will schließlich niemand gestreift werden von den mysteriösen Flatterwesen mit den scharfen Klauen, die doch verdächtig an die Krallen blutsaugender Vampire erinnern. Doch wer genau hinsieht, erspäht nun in der Nahaufnahme, welche putzigen Wesen da massenhaft die Nacht zum Tage machen. Es sind Fellbündel mit kurzen spitzen Ohren, einer Schnauze wie bei einem Windhund, und großen Amphibienaugen. Vor allem aber mit einer bleichen durchsichtigen Haut, die von gespensterhaft knochigen Fingerchen zu Flügeln mit einer Spannweite von fast einem Meter gespreizt wird.
Nicht Dutzende, hunderte, tausende oder hunderttausende Flughunde erheben sich von ihren kahl gekratzten Rastbäumen und schwirren durch die Luft. Es sind vielmehr etliche Millionen: die wohl größte Säugetierversammlung der Welt.
Die Palmenflughunde sind kräftige Flieger
Nach dem Ende des himmlischen Spektakels herrscht gespenstische Ruhe, bis sich die ersten Grillen zaghaft wieder zum Zirpen durchringen. Der Vollmond versteckt sich hinter einer Wolke. Die Sterne blinken unschuldig, als sei nichts geschehen hier im Norden Sambias, wohin sich pro Jahr nur wenige hundert Safaritouristen verirren. Dafür zählt der Kasanka-Nationalpark ziemlich viele tierische Besucher, die unangemeldet kommen, keinen Eintritt bezahlen, und nichts anderes im Sinn haben als sich den Bauch vollzuschlagen.
„Die Palmenflughunde – auf Englisch nennen wir sie ,straw-coloured fruit bats‘ – sind so etwas wie mobile Fruchtpressen: Sie quetschen Saft aus reifen Früchten“, sagt Jacob Shawa, ein Guide von Robin Pope Safaris. Besonders schmecken ihnen Wasserbeere, wilde Loquat und Zuckerbeere. Von diesen Bäumen scheint es im Kasanka-Nationalpark viele Exemplare zu geben: Wie ein Wolkenbruch gehen die Tiere jedes Jahr zu Beginn der Regenzeit im November über dem Areal nieder und bleiben im Schnitt zehn Wochen in ihrem Schlaraffenland. Tagsüber lassen sie sich hängen. Doch bei Sonnenuntergang gehen sie bis zum Morgengrauen auf Nahrungssuche.
Ihre genaue Zahl kann nur geschätzt werden. Je nach Saison sind es mal fünf, mal zehn Millionen – ein Weltrekord für Säugetiere. Woher die Massen wissen, wann sie hierher zu fliegen haben? Und wie sie den Weg finden? „Spezialisten auf der ganzen Welt suchen nach Antworten. Doch diese Fragen geben uns immer noch Rätsel auf“, sagt mit Bedauern in der Stimme Fledermausspezialist Sam Philipps, der in Kasanka stationiert ist. Immerhin konnte ein Team mit Satellitensendern herausfinden, woher die Flughunde kommen: „Aus dem Urwald des Kongo. Sie sind kräftige Flieger und legen innerhalb von ein paar Wochen viele tausend Kilometer zurück.“ Was die Zahl der Tiere und ihre Reisestrecke betrifft, ist die ostafrikanische „Great Migration“ zwischen der Serengeti in Tansania und der Masai Mara in Kenia dagegen ein Klacks.
David Livingstone suchte hier die Nilquelle – und verirrte sich
Dass der Nordosten Sambias ebenfalls tierische Erlebnisse der besonderen Art bietet, spricht sich aber nur langsam herum. Da gibt es den Süd-Luangwa-Nationalpark, wo nicht nur endemische Unterarten von Zebras und Giraffen heimisch sind, sondern auch außergewöhnlich viele Raubtiere durch den Busch streifen. „Der Luangwa ist einer der wenigen noch komplett naturbelassenen Flüsse Afrikas. Es gibt weder Staudämme noch Industrie“, erzählt Jacob Shawa, der hier seit Jahren zu Hause ist. In den unzähligen Lagunen und Altarmen halten sich Wasser und Gras auch noch in der Trockenzeit.
Den Tierreichtum des Tals erkannte bereits David Livingstone, als er Ende des 19. Jahrhunderts den Fluss querte. Der Entdecker und Missionar notierte in seinem Tagebuch: „Der Überfluss ist kaum in Worte zu fassen. Ich will dieses schöne Land bekannter machen, auf dass es zum Lieblingsplatz vieler Menschen wird.“ Dass das „Tal der Leoparden“ seinen heutigen Ehrennamen zu Recht trägt, zeigt sich schon bei dem ersten Game Drive: Auf den knorrigen Ästen einer mächtigen Akazie wacht ein junges Leopardenweibchen und fixiert eine Herde Pukus, eine Antilopenart. Ungestört kann man das Schauspiel beobachten, ebenso wie die Rudel Löwen im Nsefu-Sektor: Von August bis Oktober mag hier viel los sein, doch in der Nebensaison hat man den Park fast für sich allein.
Noch einsamer wird es weiter nördlich: Der Weg über die schlechten Straßen ist weit, wenn man nicht wie unsere Gruppe im gecharterten Buschflugzeug über das bereits ergrünte Muchingagebirge hüpft. Umso mehr freut sich also seine königliche Hoheit Chief Chitambo IV., dass man ihn für eine Audienz besucht. „Mein Vor-Vor-Vorgänger hat einst David Livingstone empfangen. Und das Herz dieses großen Mannes, der uns von der Sklaverei befreit hat, liegt noch immer hier begraben.“ Chief Chitambo ist nicht mehr gut zu Fuß, doch er weist den Weg: Ein Monument markiert den Ort, an dem der viktorianische Held verstorben ist.
Für einen Schuhschnabel bezahlen Tierhändler viele tausend Dollar
Gescheitert ist Livingstone einst an den Bangweulusümpfen, die er auf der Suche nach der Quelle des Nils erkundete – und sich hoffnungslos verirrte. „Wir nutzen heute moderne Hilfsmittel, um uns zu orientieren. Doch damals gab es eben noch kein GPS“, sinniert Craig Reid. Im Auftrag der Naturschutzorganisation African Parks entwickelt er ein Konzept, um das viele tausend Quadratkilometer große Areal als „Game Management Area“ dauerhaft zu erhalten.
Ein Nationalpark wird hier allerdings nicht entstehen, weil 50 000 Menschen im Einzugsgebiet der Sümpfe wohnen und vom Fischfang leben. Spektakuläre Natur bieten die Bangweulusümpfe dennoch. In großen Herden ziehen Bangweulu-Moorantilopen, eine Unterart der Letschwe, über die Ebene: 75 000 Tiere soll es hier geben, dazu die mit der Leierantilope verwandte Bangweulu-Sassaby.
Doch der Star der Show versteckt sich in der scheinbar endlosen Landschaft aus Tümpeln, Papyrushainen und überschwemmten Wiesen, wo das Wasser bis zum Horizont reicht und dort auf den Himmel trifft. Es ist der Schuhschnabel, ein Monstervogel wie aus der Zeit der Dinosaurier. „Die Küken sehen aus wie missratene Hühner“, schmunzelt Craig Reid. „Doch dann entwickelt sich ein außergewöhnliches Tier: Aufrecht stehend können die Vögel fast eineinhalb Meter groß werden. Und der mächtige Schnabel ist einzigartig.“
Am Ende der Regenzeit kann man die Schuhschnäbel – in den Sümpfen gibt es noch mehrere hundert Tiere – bequem vom Boot aus beobachten. Doch für uns gilt es: Hosen hochkrempeln, Schuhe ausziehen, durch den schwarzen Schlamm spazieren. Fischer zeigen uns den Weg: Sie bewachen die seltenen Vögel, für die skrupellose Tierhändler gerne viele tausend Dollar bezahlen. Wenn man dann schon fast aufgegeben hat und innerlich zu fluchen beginnt, weil der Marsch kein Ende zu nehmen scheint, zeigt der Guide aufgeregt ins kniehohe Gras. Dort ruht einer der imposanten Vögel. Und ist anscheinend so von sich überzeugt, dass wir uns im muffelnden Morast bis auf wenige Meter heranrobben können.
„Man nennt ihn Kapotwe“, flüstert Guide Jacob Shawa. „Ein Weibchen, das als Küken aus dem Nest gestohlen wurde. Man hat sie zwar beschlagnahmt und wieder ausgewildert. Angst vor Menschen hat sie aber nicht mehr.“ Lange steht die Dame regungslos still, um am Ende ihren Schnabel blitzschnell ins Wasser zu stoßen und einen Wels zu verschlingen. Dann kommt sie Schritt um Schritt auf uns zu. Wir weichen vorsichtig zurück. Wer die Invasion der Flughunde überlebt hat, will schließlich am Ende nicht von einem Schuhschnabel vernascht werden.
Helge Bendl
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