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© laif

Asien: Schanghai, Chinas alte neue Weltstadt

Ist das noch China? Schanghai, das sich gerne die „Metropole des 21. Jahrhunderts“ nennt, erinnert zuerst tatsächlich an New York.

Aber dies nicht so sehr wegen seiner mehr als 4000 Wolkenkratzer, die Manhattan an Höhe längst übertreffen. New York ist Amerika und zugleich ein eigener Kontinent. So, wie Schanghai zweifellos China ist und doch nicht nur chinesisch. In der 20-Millionen-Megacity an der Mündung des Huangpu Rivers leben zehntausende Amerikaner, Australier, Europäer (darunter 8000 Deutsche) und sonstige Ausländer, die hier ihre Geschäfte machen.

Mit der in gut drei Monaten beginnenden „Shanghai Expo 2010“, der größten Weltausstellung aller Zeiten, will sich Schanghai unter dem Motto „Better City, Better Life“ vor allem als technologisch-ökologische Großstadt von morgen präsentieren. Trotzdem rührt die Sonderrolle der Metropole im industriereichen, von 200 Millionen Menschen bevölkerten Yangtse-Delta auch aus der Vergangenheit.

Früh schon Chinas Hafen zur Welt und bis zum Zweiten Weltkrieg noch exquisite Enklave der europäischen Kolonisatoren, die bis heute ihre architektonischen und kulturellen Spuren hinterlassen haben, sollte Schanghai nach Mao und der Kulturrevolution zu „Chinas neuem Drachenkopf“ werden. So hatte es Deng Xiaoping, der Vater des kommunistisch-kapitalistischen Wirtschaftswunders, vor 20 Jahren beschlossen.

Peking bleibt als Hauptstadt zwar das politische und geistige Zentrum. Aber das südlich lässigere und städtebaulich, jenseits der postsozialistischen Wohnsilos, reizvollere Schanghai ist als ökonomische Lokomotive mit auch wachsender kultureller Schubkraft die Rivalin.

Wer in der Stadt nicht mehr mit dem Schiff ankommt, der landet als Erstes wohl im „Maglev“. Der laut elektronischer Geschwindigkeitsanzeige bis zu 434 km/h schnelle, von Siemens gebaute Transrapid katapultiert den Besucher in acht Minuten vom internationalen Flughafen in die 30 Kilometer entfernte City. Menschen und Gepäck sind nicht angeschnallt, es rappelt gewaltig und eine jähe Explosion unterwegs ist die schattenhafte, für einen Wimpernschlag alles erschütternde Begegnung mit dem Zug auf dem Gegengleis. Ab der anschließenden Taxifahrt, bei der Sie wie in allen Schanghainesischen Taxis auf Englisch vom Band begrüßt werden, aber Ihre Adresse, falls ohne Dolmetscher, dem Fahrer in chinesischen Schriftzeichen präsentieren sollten, wird alles schon ruhiger.

Das spürt man trotz Smogs, Staus und der zwei Millionen anderen Autos auf den sich übereinander kreuzenden Highways – und setzt sich fort auf den urbanen Einkaufsstraßen, Flanierwegen und in den Gassen der wenigen verbliebenen Altstadtviertel. Schanghai wirkt relaxter, viel weniger molochartig als Kairo, Tokio oder Mumbai. Mit einem guten Stadtplan gewinnt man auch rasch eine gewisse Übersicht, selbst wenn es sich hier wie in New York oder Berlin ohne richtige Stadtmitte lebt. Dafür aber gibt es als Knotenpunkt von U-Bahnen, Bussen und Taxis den Renmin Square, den Platz des Volkes: weiträumig gesäumt von Museen und Hotels und dem Volkspark, Schanghais Variante des Central Parks.

Den Kontrast zur Moderne liefert das von Platanen gesäumte, mit Villen, Gärten, Läden und Lokalen reich bestückte ehemalige Franzosenviertel, die „French Concession“. Und natürlich gibt’s als Bilderbuchattraktion den Bund, die Prachtstraße mit kolonialer Architektur am Huangpu River. Dort geht der Blick auch auf die Dubai-ähnliche Skyline gegenüber, auf den Stadtteil Pudong: mit seinem 470 Meter hohen Fernsehturm oder dem Shanghai World Financial Center in der Form eines gläsernen, 500 Meter hohen Flaschenöffners.

Von dessen Höhe sieht man dann im ortstypischen Dunst auch in einem etwa zehn Kilometer südlicheren Teil von Pudong das Areal der Expo. Für sie wurden auf fünf Quadratkilometern 270 ältere Fabriken abgerissen und 60 000 Menschen umgesiedelt. Hier wird jeder Expo-Besucher wohl nur einen Bruchteil der Ausstellungen und 20 000 Events miterleben können: in Dutzenden Länder-, Städte- und Themenhallen, auf künstlichen Boulevards, in einer riesigen Kongress- und Konzerthalle und dem zentralen, von einem roten Trapezdach als „östlicher Krone“ beherrschten Nationalpavillon Chinas. Man will Visionen eines zukünftigen, vor allem verkehrstechnisch und ökologisch verbesserten Lebens in den wachsenden, wuchernden Großstädten zeigen und erwartet über 70 Millionen Besucher; täglich etwa 400 000, in der Mehrheit natürlich Chinesen.

Nicht nur für sie hat man das städtische U-Bahnnetz von vier auf jetzt 15 Linien erweitert, hat unzählige Bäume gepflanzt und den ewig verstopften Bund für den Durchgangsverkehr untertunnelt und am Ufer breitere Fußgängerpromenaden angelegt. Den schönsten Blick auf Pudong, auf die Biegung des Bunds, auf die Ozeanschiffe und gläsernen bunten, nachts spektakulär leuchtenden Dschunken auf dem Strom bietet das Restaurant „M on the Bund“ mit ausladender Terrasse im Obergeschoss eines ehemaligen Reederpalasts aus den zwanziger Jahren (Adresse: Bund Nr. 5). Preisgünstiger und volkstümlicher sind die flussabwärts am Ende des Bunds kurz vor der Einmündung des kleinen Suzhou Rivers angedockten Restaurant-Schiffe, auf denen man auch nur für ein Bier oder einen Cocktail die vor allem nachts berauschende Aussicht genießt.

Aber zurück zur Expo. Die Verantwortlichen versichern, mit staatlicher Macht alles zu tun, um Nepp und überhöhte Hotelpreise während der von Mai bis Ende Oktober dauernden Weltausstellung zu verhindern. Trotzdem dürfte das Eröffnungswochenende im Mai längst ausgebucht sein. Ende Mai beginnt in Schanghai dann schon der tropische, feuchtheiße Sommer, idealere Besuchszeiten sind März/April und der Herbst. Und wer noch vor der Expo kommt, der kann einen virtuellen Hauch der großen Show und ein beeindruckendes Modell der Weltausstellung immerhin in der Shanghai Urban Planning Exhibition Hall beim Renmin Square sehen. Benachbart wartet dort auch das berühmte Shanghai Museum in Form eines überdimensionalen altchinesischen Kochtopfs, das Skulpturen, Keramik und Kalligrafie aus sechs Jahrtausenden präsentiert. Nächster Kontrast im nahen Volkspark, der vor dem Weltkrieg eine Rennbahn war, ist das Haus des ehemaligen britischen Jockey-Clubs, heute ein modernes Kunstmuseum, Ort der Shanghai Biennale und gekrönt vom Dachgarten eines nur bei Terrassenwetter lohnenden Restaurants.

Origineller, zeitgeistig hipper ist im Volkspark der schwarzweiße Kubus des „MoCA Shanghai“, eines ambitionierten Modern-Arts-Museums mit wechselnder neuer chinesischer Kunst und einem offenen Dachcafé plus schickem Restaurant „Art Lab“, in dem der chinesische Manager namens Franco sein Konzept des „Creative Dining“ anpreist. Man isst und erlebt dabei Lesungen, kleine Konzerte und ganze Theateraufführungen. Letztes Jahr spielten sie hier zum Essen Yasmina Rezas (passendes) Kultstück „Kunst“.

Wer übrigens abseits des in allen Reiseführern empfohlenen und total kommerzialisierten Galerienquartiers im Komplex Nr. 50 der Moghanshan Road authentische heutige chinesische Kunst erleben will, der fahre mit dem Taxi oder der U-Bahnlinie 2 hinüber nach Pudong ins etwas abgelegene, sehr avantgardistische und ständig mit der Zensur streitende Zendai Museum of Modern Art (Zendai MoMA, Fangdian Road), wo einen am Rand eines spätsozialistischen Einkaufscenters schon zum Empfang ein pelzbehaarter Citroen erwartet.

Was nicht jede organisierte Stadttour anbietet: die zum Museum umgewidmete Ohel-Moishe-Synagoge im ehemaligen jüdischen Viertel, in das sich 1938/39 etwa 20 000 deutsche und österreichische Juden auf Flüchtlingsschiffen gerettet haben (62, Changyang Road). Hier im Stadtteil Hongkou sind die meisten alten Häuser in den letzten Jahren abgerissen worden, doch um die Ecke der Synagoge in der Zhousan Road erinnert in einer originalen Häuserzeile eine Tafel an die Wohnung der Familie des heutigen Direktors des Berliner Jüdischen Museums Michael Blumenthal; da und dort erkennt man auch noch verblichene Inschriften eines „Wiener Cafés“.

Toll essen kann man in Schanghai tausendfach, in allen chinesischen und Weltküchenvariationen. Ein Tipp unter vielen ist die feine, kleine Kette der „Southern Beauty“-Restaurants: am besten die superbe Filiale in der French Concession, am spektakulärsten aber ein Fenstertisch in Pudong im 11. Stock direkt am Fluss gegenüber dem Bund. Ausgehen danach: in Chinas ältesten Jazz-Club, den hinterm Bund (60, Fuzhou Road) der smarte Mister Lin Dongfu, ein wunderbarer Schauspieler, Causeur und Freund von Udo Lindenberg führt („Wir heißen hier die Lin-Brothers“). Oder nicht weit von hier in den „Mint Club“ hoch oben in einem Geschäftshaus (318, Fuzhou Road), der Einlass führt an einem Aquarium mit Haien vorbei, auf den bizarren Wandfresken feiern die Rolling Stones Orgien mit Groupies, und die langbeinigsten Mädchen Schanghais servieren Cocktails, in denen nicht (Achtung, Nepp) der Gin oder Wodka vergessen wurde.

Einst galt Schanghai als Stadt, die Gott beim Untergang von Sodom und Gomorra übersehen habe. Und solange das legendäre „Peace Hotel“ am Bund noch renoviert wird, haben alle, die mal nicht in den himmelhohen Betonglashotels der asiatischen Großstädte wohnen wollen, eine singuläre Auswahl an Art-Déco-Herbergen: wie das schön renovierte „Park Hotel“ beim Renmin Square, das der ungarische Stararchitekt Lazlo Hudec 1934 als das bis 1982 höchste Gebäude Schanghais errichtet hat. Am originellsten aber ist das privatere „Mansion Hotel“ in der French Concession. Es war die Villa eines der großen Schanghaier 30er-Jahre- Gangsters, war Spielsalon und Edelpuff. Heute versinkt man schier in den Teppichen, Hightech versteckt sich in Jugendstilradios, lederne Überseekoffer von einst bergen in den luxuriösen Zimmern Rasierwasser oder Damenparfums und beim Tee steht die Etagere mit exquisitem Gebäck neben den Vitrinen voller Pistolen und Patronen aus alten Zeiten.

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