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Taxi mit Frau am Steuer. Allerdings nur für Frauen. So gebieten es (noch) die Anstandsregeln. Bestenfalls Ehemänner dürfen auch mal in den Droschken mitfahren.
© Oliver Lang, AFP

Dubai: Rosa Zeiten

Der Alltag von Frauen in Arabien ist oft von Klischees geprägt. Ein Haus in Dubai ist um Aufklärung bemüht.

Die Straße in eine bessere Zukunft ist sechsspurig. Lisa setzt den Blinker und lenkt ihren Wagen sicher auf die linke Spur, im Fluss der Blechlawine, die sich ständig durch Dubai schiebt. Der Dirhambetrag klettert nur langsam nach oben im Taxameter, Benzin ist halt günstig in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Taxifahren auch. „Meine Kolleginnen fahren sicherer als die Männer“, sagt Lisa und lacht. Sie ist 25 Jahre alt, stammt von den Philippen und sitzt am Steuer eines Frauentaxis. Die Chauffeure sind weiblich, die Fahrgäste auch. Nur Ehemänner dürfen mitfahren. Die Frauentaxis geben den Kundinnen Bewegungsfreiheit. Denn eigentlich dürfen sich muslimische Frauen nicht alleine in einem Raum mit einem Mann aufhalten – also auch nicht im Fond eines Wagens.

„Hierher zu kommen war ein großer Schritt für mich“, sagt Lisa. Erst vor wenigen Monaten ist sie in den Wüstenstaat gezogen. In ihrer Heimat war sie Fabrikarbeiterin. Die Führerscheinprüfung musste sie in Dubai wiederholen, die Behörden haben ihre Lizenz nicht anerkannt. Umgerechnet 18 Euro verdient Lisa am Tag, nicht viel also. Doch es reicht, um noch einen Teil des Geldes an ihre Familie nach Hause zu schicken.

Lisa nimmt ihr Leben selbst in die Hand, wie viele andere Frauen in Dubai auch – ganz gleich, ob sie nun einheimische Emirati sind oder Zugezogene, ob sie für sich das kleine Glück suchen, für die Anerkennung der Frauen kämpfen oder auf dem internationalen Kunstmarkt mitmischen möchten.

Das Kopftuch gehört zur Arbeitsuniform dazu

In den Vereinigten Arabischen Emiraten sind berufstätige Frauen längst akzeptiert, auch wenn man als flüchtiger Besucher leicht einen anderen Eindruck gewinnen kann.

Die Shoppingmalls sind tagsüber voll mit Frauengrüppchen in ihren schwarzen Abayas. Dabei sind immerhin vier von 24 Kabinettsmitgliedern des Ministerpräsidenten Frauen, etwa ein Drittel des Personals des staatlichen Projektentwicklungs- und Immobilienunternehmens Nakheel, das für Großprojekte wie die Palmeninsel-Aufschüttungen vor der Küste Dubais verantwortlich ist, ist weiblich. Ebenso 72 Prozent der Studenten an den Universitäten der VAE.

„Etwa 50 Frauentaxis gibt es in der Stadt“, schätzt Lisa, die junge Chauffeurin. Man erkennt die speziellen Autos an den rosafarbenen Dächern, sie haben dieselbe Farbe wie Lisas Kopftuch. Eigentlich ist die Philippina Christin, doch das Kopftuch gehört zur Arbeitsuniform dazu. Für Lisa kein Problem. „Ich würde am liebsten ganz pink tragen“, sagt sie. Ihr Blick fällt immer mal wieder auf den Stadtplan in ihrem Smartphone. Eigentlich soll es zum Frauenmuseum im Stadtteil Deira gehen, aber das Gerät gibt verwirrende Angaben.

Wahrscheinlich kommt es dem Bauboom Dubais mit seinen 2,1 Millionen Einwohnern und den gigantomanischen Immobilienprojekten nicht hinterher. Manche Ausfallstraßen sind 35 Kilometer lang. Kurz ist Lisa orientierungslos, dann weiß sie wieder, wo es lang geht. Sie fährt an den Straßenrand, weiter kommt sie nicht mit ihrem Wagen in diesem Teil der City mit seinen engen Gassen, den man Altstadt nennt, auch wenn manche Gebäude gerade einmal 30 Jahre alt sind. „Wir sind da“, sagt sie. „Um die Ecke liegt das Frauenmuseum.“

Süße Datteln als Begrüßung für Besucher

„Bait Al Banat“ steht über dem schmalen Haus, das eingequetscht zwischen zwei anderen Gebäuden auf Besucher wartet. Übersetzt heißt das „Haus der Mädchen“. Drei unverheiratete Schwestern sollen hier in den 50er Jahren einmal gewohnt haben. Alle in Dubai kannten sie, ihre Adresse war wie eine Wegmarke in der Altstadt. Welch passender Ort, dachte sich die Gründerin Rafia Ghubash. Nicht nur, weil sie ein Archiv und Museum für Frauen, bei freiem Eintritt, gründen wollte. „Ich möchte Dubai ein Stück weit seine Geschichte zurückgeben“, sagt sie. Denn die eigene Identität geht im rasanten Wandel verloren.

Früher war in den Straßen rund um die vor zwei Jahren gegründete Institution der Gold-Souk. Heute reihen sich hier kleine Läden mit Billigangeboten aneinander. Es riecht beißend nach getrocknetem Fisch, der vor dem Verzehr in Essig und Zucker eingelegt wurde. Dafür duftet es im Inneren des Museums.

In einem kleinen Nebenraum werden die Besucher mit süßen Datteln und schwarzem Tee begrüßt. An der Kasse wird orientalisches Parfum angeboten, als Souvenir. Wie sehen eigentlich traditionelle Hochzeitskleider aus, die in mühevoller Handarbeit von Frauen über und über mit Stickereien und blitzenden Münzen geschmückt wurden? In Zeiten, in denen die meisten jungen Emirati lieber in westlichem Weiß heiraten, ist das für Rafia Ghubash eine drängende Frage. Ein besonders schönes Kleid hängt in einer Vitrine und schützt vor dem Vergessen. Auf einer Zeitachse werden berufstätige Frauen vorgestellt, Abgeordnete, Ministerinnen, eine Truckfahrerin, Krankenschwestern, Ärztinnen, Anwältinnen.

„Die höchste Priorität sollte das Heim haben“

Aber auch auf das stößt man in diesem Frauenmuseum, dem ersten im Nahen Osten: In einem Schaukasten hängen mehrere Burkas, goldene und schwarze Gesichtsmasken, die bei verschleierten Trägerinnen nur die Augen freilassen. Es sei eine „Respekterweisung“, wie ein Text nebenan erklärt, gegenüber den Müttern und Großmüttern, die sie zu tragen pflegten. Und in einem Raum im ersten Stock wird Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan, Staatspräsident der Föderation aus den sieben Emiraten, zitiert: „Berufstätige Frauen verdienen unsere Anerkennung, aber die höchste Priorität sollte das Heim haben, das ist das oberstes Königreich der Frau.“

So ist das, die Geschlechterrollen sind also noch sehr klar definiert, auch im Frauenmuseum. Für europäische Besucher ist das auf den ersten Blick ein Widerspruch. „Das Bait Al Banat soll für die junge Generation da sein, um ihr die Beteiligung ihrer Groß- und Urgroßmütter an der Geschichte unseres Landes zu zeigen“, sagt Rafia Ghubash. Sie ist eine selbstbewusste Frau. Mit Anmut rückt sie immer wieder ihren herunterrutschenden schwarzen, transparenten Schal auf dem Kopf zurecht, bunter Schmuck an Ohren und Hals blitzt hervor. Sie steht im Vortragssaal ihres Museums, das sie mit ihrem eigenen Geld finanziert hat, und schaut auf das lange Bücherregal mit Publikationen einheimischer Autorinnen.

„Wir haben auch Hirn“, sagt sie. Und lacht. Vor allem sie. Rafia Ghubash ist Psychiaterin, Wissenschaftlerin und ehemalige Präsidentin der Universität von Bahrain, hat in Kairo und London studiert, reist als Ratsmitglied im World Future Council immer wieder nach Hamburg und steht einem arabischen Netzwerk für Naturwissenschaften und Technologie vor, das Frauen in führenden Positionen fördert.

Neues Kunstviertel im Industriegebiet

Im Bait Al Banat arbeiten zahlreiche junge Frauen für sie, ehrenamtlich. Deutsche Arabistik-Studentinnen sind unter ihnen oder einheimische Emirati-Frauen wie Saeeda Almarzooqi. Sie arbeitet als Assistenzprofessorin am College für Medizin und Gesundheitswissenschaften in Dubai. Die Zeit fürs Museum nimmt sie sich. „Ich mag es, immer wieder neue Menschen zu treffen“, sagt die hübsche junge Ärztin. Nirgendwo sonst in Dubai kommt man so leicht in Kontakt mit einheimischen Frauen wie hier. Als Taxichauffeurinnen würde man ihnen jedenfalls nicht begegnen. Auf solche Jobs sind sie nicht angewiesen.

Doch nicht nur im Frauenmuseum gestalten Frauen das öffentliche und kulturelle Leben. Der Bus wählt eine der kilometerlangen Ausfallstraßen, Richtung Al Quoz, einem Industriegebiet von Dubai. Die Erde wird immer trockener und staubiger, hier hält keine Sprinkleranlage den fein getrimmten Rasen einer Parkanlage oder Hoteleinfahrt mehr grün. In der Aserkal Avenue reihen sich alte Fabrikhallen aneinander, es ist das neue Kunstviertel der Stadt.

Rund 40 Galerien für Fotografie, Bildende Kunst und Design, Cafés und Büros haben sich in den historischen Depots angesiedelt. Die Fläche soll in diesem Jahr noch verdoppelt werden, nebenan auf dem Gelände drehen sich Kräne und schieben Bagger voran.

Die Belgierin Isabelle van den Eynde hat sich hier schon vor längerer Zeit niedergelassen. Sie nimmt an internationalen Kunstmessen teil, vertritt Künstler aus dem Nahen Osten, der Türkei und dem Iran. Ihre Mitarbeiterin Jules McDevitt führt die Besucher zu aktuellen Arbeiten einer iranischen Künstlerin.

Eine Welt zwischen Moderne und Tradition

Nargess Hashemi, geboren 1979 in Teheran, zeichnet auf Millimeterpapier in geduldiger Kleinstarbeit Rechtecke, fügt sie zu Mustern und Moscheen zusammen. Das erinnern einerseits an jene Kästchen, die man schon mal gedankenverloren am Telefon vor sich hin krakelt. Andererseits wieder auch an Stickereien oder orientalische Ornamente. Hashemis Arbeiten sind typisch für die Kunst, die in Dubai zu entdecken ist. „Sie ist zeitgenössisch und setzt sich zugleich mit traditionellen Stilen auseinander, webt Arabesken und Kalligrafie ein“, sagt Jules McDevitt. Die junge, blonde Engländerin ist selbst erst seit drei Monaten in Dubai, aber eine Kennerin arabischer Kultur. Zuvor hat sie am Museum für islamische Kunst in Doha gearbeitet. In Dubai ist sie nun eine von vielen Nationalitäten, die auf dem Kunstmarkt der Golf-Region mitmischen.

Arne Augustini
Arne Augustini
© Anna Pataczek

Ausgerechnet zwischen den grauen Wellblechfassaden, fernab der glitzernden Wolkenkratzer der City, wirkt die Stadt besonders international. Die Galerien sind klassische White-Cubes mit Industriecharme – man könnte sie so oder so ähnlich auch in New York oder Berlin finden. Jules McDevitt sagt, die wenigsten Künstler lebten oder arbeiteten jedoch in Dubai. Stattdessen haben sie an einer westlichen Kunsthochschule studiert, wohnen in den USA oder Kanada. Aber ihre Kunst ist hier am Persischen Golf gefragt, weil sie eben genau jene Welt illustriert, auf die man in Dubai ständig trifft, zwischen Moderne und Tradition.

„Ich wünsche mir, dass Dubai von der Welt ernst genommen wird als Ort, an dem tatsächlich Kultur entsteht und für den es sich lohnt, auch deswegen hinzufahren“, sagt Arne Augustini. Der Leipziger ist seit sechs Jahren in Dubai. Bevor er seine J+A Gallery in Al Quoz eröffnete, war er hier Manager in einem deutschen Unternehmen.

Jetzt verkauft Augustini – studierter Arabist – Bauhaus-Design und Art Deco an Emirati und sogenannte Expatriates, Menschen also, die des Berufs wegen vorübergehend im Ausland leben. Wenn er von seiner neuen Wahlheimat spricht, kommt er ins Schwärmen: „Dubai ist eine Stadt des Wandels, der permanenten Veränderung und Neuerfindung, eine Stadt im Werden, und um das zu verstehen, braucht es Zeit und einen offenen und unvoreingenommenen Blick.“

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