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Malpais, schlechtes Land. Nur bei Wanderungen erschließt sich die berührende Schönheit der Lavafelder östlich von Tiscamanita.
© Naftali Hilger/laif

Kanarische Inseln: Poesie wohnt nicht am Strand

Die meisten Touristen suchen auf Fuerteventura Sonne, Sand und Meer. Dabei steckt die Insel voll verborgener Reize.

Steine, wohin das Auge blickt. Mal groß wie ein Medizinball, mal in der Form einer Melone oder klein wie ein Hühnerei. Poröse Brocken, die ein Vulkan aus der Tiefe der Erde geschleudert hat, vor vielen Millionen Jahren. In matten Farben liegen sie verstreut, schokoladenbraun, ocker, rostrot oder tiefschwarz. Malpais heißt die Gegend hier im Osten Fuerteventuras, schlechtes Land. Eine Wüstenei. Und doch, da regt sich was. Behend klettern zwei braun-grau gefleckte Ziegen übers Geröll. Sie zupfen an raren grünen Flechten, die zwischen Steinen hervorlugen. Das müde Gelb des Dornlattich ziert dunkles Gestein. Je länger man schaut und je genauer man hinsieht, umso mehr Farbnuancen entdeckt man im Malpais, das einem zunächst so grau und abweisend vorkam. Ein helles Zwitschern durchbricht die Stille. „Ich frage mich immer, wie Vögel hier überleben können“, sagt Volker Huber. „Da ist doch kein Wald, kein Baum, kein Strauch.“

Seit 16 Jahren lebt der Bayer auf der Insel und zeigt Touristen auf Wanderungen eine Welt jenseits der All-inclusive-Bettenburgen. Hier ein zerbröckelnder Brunnen, dort rostige Windräder, die früher Wasser aus der Erde pumpten. Und sorgfältig aufgeschichtete Erdwälle, mit denen einheimische Bauern einst den niedergegangenen Regen auf ihren Feldern zu halten versuchten. Es ist eine verlassene, berührende Welt. „Die meisten Touristen kommen nur wegen Sonne und Strand auf die Insel“, sagt Volker Huber bedauernd. „Die machen sich nicht die Mühe, das Land kennenzulernen.“ Sie blieben in ihren Hotelresorts, wo sie die Majoreros, wie sich die Einwohner Fuerteventuras nennen, nicht kennenlernen. Dabei seien die so liebenswert und gastfreundlich.

So wie Pedro, der bei Villaverde im Inselinneren eine Landunterkunft führt. Hier und da lehnt ein altes Holzrad an der Natursteinmauer, Spaten, Schaufeln oder Siebe sind zu betrachten. „Alles stammt aus unserem Dorf“, sagt Pedro. Er zupft ein paar Blätter von einem Strauch. „Das hilft gegen Herzrhythmusstörungen“, erklärt er und reibt sie zwischen seinen Fingern. Mit alten Landmöbeln hat er die Zimmer für seine Gäste ausgestattet und zugleich moderne Geräte integriert. Ein Herd mit Ceranfeld zum Beispiel ist vorhanden und eine moderne Musikanlage. „Die Menschen heute sind anspruchsvoll“, weiß Pedro.

Ein betagter Nachbar schaut vorbei. „Unser Dichter“, sagt Pedro stolz. Und der alte Mann, Ambrosio Hernandez , reklamiert selbst gedichtete Verse, in denen es um Liebe und Tod und die Schönheit der Insel geht. „Es gibt viele Poeten auf Fuerteventura“, sagt Volker Huber lächelnd.

Das Gros der Touristen ahnt nichts davon. Die meisten Urlauber bleiben in den Ferienzentren, in Corralejo im Norden oder Jandía im Süden. Dort dösen sie auf ihren Liegen am Pool und gehen, ab und zu, ein paar Schritte am Strand entlang. Immer nah an der künstlichen Welt aus Geschäften, Restaurants, Cafés und lärmender Animation. Das Malpais, nur zehn, fünfzehn Kilometer entfernt, hat damit nichts zu tun. Hier ist Fuerteventura so, wie es der Schriftsteller und Philosoph Miguel de Unamuno in den 1920er Jahren beschrieb: „Dieses Skelett aus Erde, felsige Eingeweide, die aus der Tiefe des Meeres emporsteigen, Vulkanruinen; dieses rötliche, vom Dunst gepeinigte Gerippe! Und doch welche Schönheit! Ja Schönheit! Sichtbar für den, der das innere Geheimnis der Form zu suchen versteht, die Essenz des Stils in den klaren Linien des Skeletts ...“

Unamuno (1864–1936) kam nicht freiwillig auf die Insel. Das Militärregime von Primo de Rivera hatte den kritischen Dichter auf das „Wüsteneiland“ verbannt. In Puerto del Rosario, der kleinen Hauptstadt, bezog er Quartier im Hotel Fuerteventura. Heute, umfunktioniert zum Museum, huldigt es dem Dichter, der sich in die Insel verliebte. „Mit meiner Seele bin ich immer dort“, schrieb er, lange nach seinem viermonatigen Aufenthalt. Im Malpais durchwandern wir Unamunos Welt, verstehen sein grenzenloses Staunen, seine Begeisterung und seine Melancholie.

Es wurde gebaut auf Teufel komm raus

Betancuria, hübsch herausgeputzter Ort im Innern der Insel.
Betancuria, hübsch herausgeputzter Ort im Innern der Insel.
© Stefan Berkholz

Sogar am Strand von Pozo Negro scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Wenige weiß gekalkte Fischerhäuschen stehen dort, ein paar bunte Boote liegen auf dunklen Kieseln. Ewig könnten wir sitzen bleiben in dem winzigen Lokal „Los Pescadores“. Ein paar Tische unter Sonnenschirmen. Garnelen mit Knoblauch für sieben Euro sind zu bestellen, dazu ein knackfrischer Salat für 3,50 Euro. Köstlich. Der Strand ist bedeckt mit Lavageröll. Liegen sind nicht zu mieten. „Nur am Wochenende ist hier ein bisschen Betrieb“, sagt Volker Huber. Einheimische liebten den abgeschiedenen Ort.

Pozo Negro scheint aus der Zeit gefallen angesichts der zugebauten Touristenorte auf Fuerteventura. In Corralejo im Norden etwa gibt es keinen Platz mehr für Träume. Rundherum sind große Appartementblocks gewachsen, immer mehr Betonklötze kamen hinzu. In den 70er Jahren wurden zwei riesige Hotels direkt in die Sanddünen gesetzt. Eins davon, das „Oliva Beach“, soll 2017 abgerissen werden. Denn nun steht es im später ausgewiesenen Naturschutzgebiet. Aber was ändert das? An vielen Stellen der Ostküste wurden Neubauten hochgezogen, etliche stehen leer. Hier und da ragen Betongerippe auf, wie Mahnmale. Was soll aus ihnen werden? Die Inselregierung hält sich bedeckt. „Die Krise ...“, heißt es nebulös. Einiges solle abgerissen werden, aber wann? Niemand weiß es.

In vielen Reiseführern gilt das Surferparadies El Cottillo am nordöstlichen Zipfel Fuerteventuras noch als „idyllischer Fischerort“. Vielleicht wird es im Sommer lebendig hier, wenn die Sportler mit ihren Brettern anreisen. Jetzt, im März, wirkt der Ort gespenstisch. „Se vende“ steht an Läden und Ferienappartements, kein Mieter ist in die schlüsselfertige Shoppingmall gezogen. Viel zu breit sind die neuen Straßen, in denen man einsam spazieren kann. Beklemmende Ödnis, über die sich hilflos ein azurblauer Himmel spannt.

„Fahren Sie nach Los Molinos, das wird Ihnen gefallen“, hatte Volker Huber empfohlen. Eine schmale Straße durch rotbraune hügelige Landschaft führt zu dem Ort, vielleicht zehn Kilometer unterhalb von El Cottillo. Lands end. Eine kleine Bucht voller schwarz-glänzender Steine, umrahmt von dunklen Felsen. Wer darüberklettert, landet an einer Bar. „Las Bohemias del Amor“, steht auf bröckeligem weißen Grund geschrieben. Windschiefe Treppen führen hinauf, und dann sitzt man auf einer Terrasse und schaut aufs Meer. An diesem Spätnachmittag haben nur drei Menschen den Weg hierher gefunden. Ein junges italienisches Pärchen und ein Deutscher, in sein Buch vertieft. Für Los Molinos wird sich so bald kein Investor finden. Zu weit weg von der Hauptstraße, zu eng zum Bebauen, der Strand voller Steine. Ein Versteck zum Träumen.

Die Halbinsel Jandía im Süden dagegen haben Anleger längst ins Visier genommen. Gebaut wurde auf Teufel komm raus, der einst hübsche Ort Morro Jable hat seinen Charme verloren. Doch auch auf Jandía gibt es Menschen, die sich um den Schutz von Flora und Fauna kümmern, um Nachhaltigkeit bemüht sind. Wir besuchen ein Schildkrötenprojekt. Am westlichsten Zipfel der Insel, in Puerto de la Cruz, wacht Tony Gallardo über seinen Schildkrötenkindergarten.

In Bassins schwimmen die Winzlinge herum, warten auf den Start ihrer Reise ins Meer. Man wird die Tiere zum naturbelassenen Weststrand Cofete bringen, wo sie dann – einjährig – halbwegs ungefährdet ins Wasser kriechen können. Gallardo hofft, dass sie in rund 15 Jahren wiederkommen, um hier im Sand ihre Eier abzulegen. „Schildkröten kehren immer dorthin zurück, wo sie geboren wurden“, sagt er. „Es ist ihr Instinkt.“ Doch nur wenige werden es schaffen. „300 000 Schildkröten verenden jährlich im Mittelmeer“, sagt Gallardo. „Sie verfangen sich in den Schleppnetzen von Fischern.“

Die Wege nach Cofete, zum Weststrand, sind holprig und voller Schlaglöcher. Mietwagenverleiher mögen es nicht, wenn Urlauber mit den Autos dorthin fahren. Sie empfehlen die Inselmitte mit dem hübsch herausgeputzten Ort Betancuria zum Beispiel, zu dem eine zwar kurvige, aber asphaltierte Straße führt. Unweit des Dorfes überblickt man die rot-braune, sandige Landschaft des Inselnordens. Noch besser wäre die Aussicht vom kunstvollen Mirador Morro Velosa. Nach Plänen von César Manrique, dem Architekten von Lanzarote, wurde er errichtet. Doch seit Oktober 2011 ist das Gebäude geschlossen. Ein sechsmonatiger Umbau war geplant. Doch immer noch ist alles verrammelt und niemand weiß, wann Besucher wieder hinaufkönnen.

Vielleicht fehlt einfach das Geld. Beim Mirador ist das schade, für die Insel aber ist es ein Glück. Denn es zwingt zum Innehalten, neue Baukräne würden vorerst nicht aufgestellt.

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