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Kloster La Verna. Nahezu mystischer Herbstnebel liegt über der weitläufigen, 1128 Meter hoch gelegenen Anlage des Franziskanerordens.
© Uli Schulte Döinghaus

Pilgern in Italien: Ökologe mit Heiligenschein

Ein Pilgerweg führt auf den Spuren des Franz von Assisi durch die grüne Mitte Italiens.

Wenn man zwei Dutzend Schrauben mit Muttern zusammenfügt, Draht und Rohrstangen hinzugibt und das Ganze mit vernieteten Ketten bewehrt, dann könnte das ein Fahrrad werden. Anders im Kloster Greccio, das 90 Kilometer nördlich von Rom liegt und sich über das Tal von Rieti erhebt. Dort ergibt das eiserne Sammelsurium – eine Krippe.

Jesus, Maria, Josef und die Hirten auf Gewindebasis verschrauben sich zu einer von 50, 60 Krippen, die im Franziskanerkloster zusammengetragen wurden. Über Geschmack lässt sich streiten, über die Angemessenheit des Ortes nicht. Hier nämlich hat Franz von Assisi, der von Katholiken als Heiliger verehrt wird, vor 590 Jahren die erste Weihnachtskrippe installiert und das erste Krippenspiel inszeniert. Damals mit lebenden Tieren und einem Jesuskind aus Wachs, aber noch ohne Maria und Josef. Einwohner aus dem Tal mimten die Hirten auf dem Felde – und begründeten eine Tradition von Krippenspielen, die bis heute (nicht nur) in umbrischen, toskanischen und latinischen Dörfern zur Advents- und Weihnachtszeit auflebt.

Landschaften in der Mitte Italiens – Rieti ist das geografische Zentrum des Stiefels – waren die Regionen, in denen Franziskus lebte und wirkte. Er wurde 1181 in Assisi geboren und starb dort 1226. Der charismatische Franz, Namensgeber des aktuellen Papstes, predigte und lebte Armut – und brachte damit die Kirchenhierarchie gegen sich auf. Er gründete den Franziskanerorden und gilt seit seinem „Sonnengesang“ als Ökologe mit Heiligenschein, als Schutzpatron von Fauna, Flora, Nachhaltigkeit und Energiewende.

So steinig und steil ist mancher Pfad

Franz ist also angesagt, und deshalb war es an der Zeit, Pilgern einen Franziskusweg zu ebnen, der von La Verna über Assisi nach Rieti führt und rund 360 Kilometer lang ist. Fitte Fußgänger absolvieren die Pilgerreise meist in 21 Etappen, Anstiege von knapp 500 Metern Höhenunterschied sind nicht ungewöhnlich.

Fußpilger müssen sich nur selten auf Straßen den Verkehr vom Leib halten, meist geht es über Wald- und Wiesenpfade zu Kirchen, Einsiedeleien und Klöstern, zu denen der Franziskusweg auf den Spuren seines Namensgebers führt. So steinig und steil ist mancher Pfad – beispielsweise der, der von Spoleto auf den Berg Monteluco führt –, dass ein Pilgerstab sehr hilfreich ist. Mit dem Stock können Besserwisser übrigens auch auf einen Fehler des Italienreisenden Goethe zeigen, der auf einer Tafel am Aquädukt zu Spoleto zitiert wird. Der Dichterfürst hielt die Wasserleitung für ein antikes Werk; in Wahrheit ist sie mittelalterlich.

Nicht einmal gottesfürchtige Pilger können sich das Wetter aussuchen. Aber mit ein bisschen Glück hüllt sich das Kloster La Verna, 1128 Meter hoch gelegen, für seine Besucher in dichten, beinahe mystischen Herbstnebel. Die weitläufige Klosteranlage ist schlicht, eine Steinbank vor dem Eingang, die Mauern aus derben Fels- und Feldsteinen, die dem Bau eine kraftvolle Struktur geben. Kirche und Wohngebäude überragt ein haushohes Kreuz in fast durchsichtigem Nebelgrau. Darunter die Umrisse eines Mannes. Ob er meditiert oder telefoniert, ist durch die Nebelschwaden der Abenddämmerung nicht auszumachen.

Unter einem Glockentürmchen, das sofort an einschlägige Italowestern erinnert, huschen in langen Gewändern Mönche wie Schemen in Richtung Refektorium; die geknotete Schnur („Zingulum“) blitzt, gegen die Laufrichtung der eiligen Väter pendelnd, im Dunst auf. Einer von ihnen, Bruder M. (49), erzählt später, er sei in Kirche und Glauben verliebt gewesen, als er sich den Franziskanern angeschlossen habe. Und heute? Wie es um Bruder M. bestellt ist, gibt er nicht preis. Aber allgemein gilt: Die Liebe verdunstet. Wie alle geistlichen Orden beklagen auch die Franziskaner einen eklatanten Nachwuchsmangel. Junge Ordensleute rücken, wenn überhaupt, aus Polen, Afrika und Lateinamerika in die franziskanischen Klöster Italiens nach.

Assisi ist für viele Pilger und Touristen ein heiliges Ziel

Bruder Thomas führt durch die prachtvolle Basilika San Francesco in Assisi.
Bruder Thomas führt durch die prachtvolle Basilika San Francesco in Assisi.
© Uli Schulte Döinghaus

Zwei Holländer haben sich zur Einsiedelei Montecasale hinaufgekämpft. Über Sansepulcro und Assisi wollen die beiden Pilgersmänner, Dirk Jan Cosijn und Erik van Dijk, Perugia erreichen, vielleicht auch weiter nach Rom gehen. „Dort werden wir Lunch mit dem Papst haben“, witzelt van Dijk.

Der Philips-Manager und der Immobilienfachmann sind hier zu Fuß unterwegs, weil sie es genießen, die toskanisch-umbrisch-latinische Landschaft unter die Füße zu nehmen, unterwegs Klöster und Kirchen zu besuchen, in mittelalterlichen Bergstädten zu übernachten und vielleicht ein bisschen Spiritualität aufzusaugen.

Die einfache Einsiedelei hoch über dem Tibertal, heute von drei Kapuzinermönchen bewohnt, ist dafür als Etappenziel wunderbar geeignet. Vielleicht auch nur, um vor dem Farben- und Formenreichtum eines pfannengedeckten Hausdaches innezuhalten, dem Wind und Wetter zugesetzt haben und auf dem sich Moose und Flechten vielgestaltig ausbreiten.

Über das Leben des Franz erzählen sich die Menschen hier viele Schnurren; er hat einen Wolf durch frommes Zureden gezähmt, hat mit allerlei Getier Zwiesprache gehalten. Diese Geschichten kann man, vorbei an den zahllosen Andenkenläden, während eines Spaziergangs durch die Altstadt von Assisi gut nachvollziehen. S. Francesco mal mit Tauben, mal als Albino, mal mit Schafen oder mit Wolf, aber immer mit Tonsur und Vollbart. Allenfalls ein Hauch von skeptischer Milde scheint den Ordensgründer auf einem Porträt zu umwehen, das ihn in einem Schaufenster nahe der Via del Terz’Ordine hinter einem kopulierenden Schweinepaar zeigt.

Schmale, steinerne Treppengänge unterhalb von baumdicken Bögen, die die Häuser verbinden, führen steil hinauf zu den belebten Straßen der Altstadt von Assisi, von der Gässchen abzweigen. Selten, sehr selten sind Wäscheleinen gespannt, flattert Wäsche zum Trocknen. Wie in vielen historischen Altstädten Umbriens und der Toskana, die so malerisch am Berg gebaut sind, gehen die Bürger stiften, suchen sich zugänglichere Quartiere im Tal. Was bleibt, sind Büros und Läden. Und natürlich Kirchen oder Kapellen.

Ein unsichtbarer Kontemplationsautomat am Werk

Assisi ist für viele Pilger und Touristen, die auf dem Franziskusweg sind, ein heiliges Ziel. Manche Touristiker vergleichen die Basilika, etwas weit ausholend, sogar mit dem Sehnsuchtsziel der Kathedrale von Santiago de Compostela am Ende des Jakobsweg. Aber so weit ist es noch nicht mit dem Franziskusweg und einem eventuellen Kultstatus.

Bis das erreicht ist, und bis auch hier ein monströser Weihrauchkessel durch das Kirchenschiff schwingt, müssen sich die Besucher der Franziskus-Basilika mit dem Firmament aus prächtigen Fresken begnügen, das Decken und Wände der Oberkirche seit Anfang des 14. Jahrhunderts bedeckt. Die Bildgeschichten aus Bibel, Kirchen- und Franziskusgeschichte waren seinerzeit wie fromme Comics fürs analphabetische Kirchenvolk; so konnten sich die Leute zum Beispiel die Ekstase des Franziskus vorstellen oder jene unglaubliche Geschichte aus La Verna, wo sich der Heilige die Wundmale des Gekreuzigten buchstäblich einverleibt haben soll.

Eine so sachverständige wie strenge Führung durch die eigentlich unfranziskanische Üppigkeit der Basilika von Assisi bietet Franziskanerbruder Thomas Freidel, zugleich Autor eines kunsthistorischen Buches über die Basilika. Seine Strenge ist angebracht – wer sich in der Vielstimmigkeit der Basilika durchsetzen will, braucht eine vernehmbare Stimme, eine weithin wiedererkennbare Statur und natürlich einen biegsamen Nacken.

Wen die Prunkhaftigkeit der Fresken überwältigt, der kann sich davon in einem doppelstöckigen Kreuzgang erholen, der Ober- und Unterkirche verbindet. Durch Kreuzgänge wie diesen können Pilger in Umbrien fast im Halbtagsrhythmus gehen – kaum eine Eremitage, kaum ein Kloster oder eine Kirchenanlage, die ohne das fromme Geviert auskommt. Zur Wallfahrtskirche von Poggio Bustone oberhalb von Rieti gehört einer der eindrucksvollsten und zugleich einfachsten Kreuzgänge. Er misst kaum zwölf mal zwölf mal zwölf mal zwölf Schritte, führt unter einem Kreuzrippengewölbe an dicken Säulen vorbei, die den kleinen Innenhof mit der Statue des heiligen Franz abschirmen – und selbst dem ungläubigsten Besucher eine Ruhe aufzwingen, als wäre hier ein unsichtbarer Kontemplationsautomat am Werk.

Vielleicht sind solche Kreuzgänge, einfach und genial zugleich konstruiert, das kostbarste und symbolträchtigste Erbe, welches uns das Kloster- und Kirchenleben des mittelalterlichen Katholizismus hinterlassen hat. Wo sonst sind wir der Unendlichkeit näher als auf einem Weg, der keinen Anfang und kein Ende hat? Der sich nie gleicht, aber stets wiederholt?

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