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Zwei Masten, 18 Segel. Der Großsegler „Mercedes“ ist für Tagesfahrten ausgelegt, Passagierkabinen gibt es nicht.
© Promo

Brigg „Mercedes“: Mal in den Seilen hängen

Tagestörn durch die Ostsee – und die Passagiere dürfen auf der „Mercedes“ mit Hand anlegen.

Noch dümpelt die 50 Meter lange Brigg „Mercedes“ friedlich-harmlos am Passagierkai von Rostock-Warnemünde. Dennoch saust einigen der erwartungsfrohen 80 Passagiere, die für vier Stunden auf die Ostsee hinaus mitfahren wollen, eine wichtige Frage durch den Kopf: „Wie doll wird es schaukeln?“ Es brist schließlich schon auf. Ob wohl auch Segel gesetzt werden? „Wir sind ein Segelschiff und kein Bus“, sagt die resolute Deern aus der Kombüse, „die Segel kommen drauf, aber erst hinter der Mole.“

Schon macht sich am Bug ein weibliches Crewmitglied an einer der dicken 16-Zoll-Trossen zu schaffen, mit denen das Schiff noch an den Pollern festgemacht ist. Eine schweißtreibende Angelegenheit. Die Frau mit dem roten Pferdeschwanz und den Sommersprossen kommt aus England. „Here!“, ruft sie einem verdutzten Passagier zu, der sich auf dem Vorschiff eben seinem Begrüßungssekt zuwenden wollte. Er soll wohl beim Ablegen helfen. Macht er auch. Wir sitzen ja schließlich alle in einem Boot. Und los geht’s: „Kleine Fahrt voraus.“

Der westliche Molenkopf mit seinem grün-weißen Leuchtfeuer im stählernen Turm bleibt an Backbord zurück. Es ist Zeit für die Einweisung. Mummenschanz mit Matrosenanzügen aus der Kaiserzeit ist wohl unter niederländischer Flagge nicht zu befürchten. Aber weshalb will da jetzt ein Passagier eine Ansprache halten? Ach so, der Mann mit dem schwarzen Filzhut ist der Kapitän. Wie interessant! Anscheinend ist vieles ein bisschen anders an Bord als üblich. Christian Schaaf nimmt seine Ray-Ban-Sonnenbrille ab. „Noch haben wir derzeit einen Meter Wind pro Sekunde – das heißt: umlaufend praktisch nichts. Aber ich hoffe, dass wir später aus Nord/Nordost noch ein bisschen was beikriegen. Sie können gerne Taue ziehen nachher! Der Plan ist, dass wir erst mal Richtung Kühlungsborn laufen.“ Kapitäne haben zwar immer einen Plan. Doch in Wirklichkeit gibt bei diesem Törn der Wind den Kurs vor.

Alles ganz locker - die Eigner sind schließlich Niederländer

900 Quadratmeter Segelfläche kann das quergetakelte Schiff setzen. Zehn Mann Besatzung sind an Bord, auch der Smutje legt beim Segelsetzen mit Hand an. Die Crew ist „mitten unter uns“, bestätigt der Kapitän aus Waren an der Müritz. „Das Motto an Bord: Jeder darf, keiner muss.“ Alles ganz locker. Das leuchtet ein, die Eigner sind schließlich Niederländer. Einige Deckhands der Sprache und ihren selbst gedrehten Zigaretten aus Drum-Tabak nach zu urteilen wohl auch. Wie es sich offenbar für ein holländisches Schiff gehört, stehen in der Kapitänskajüte Tulpen –vermutlich aus Amsterdam, dem Heimathafen der „Mercedes“.

Der schwarz gestrichene Rumpf war 1958 von einer Werft in Urk in den Niederlanden für einen Fischtrawler gebaut worden. Alles, was über der Wasserlinie liegt, wurde von 2003 bis 2005 in Harlingen neu aufgebaut. Der niederländische Zweimaster mit dem spanischen Mädchennamen ist ganz auf Tagespassagiere eingerichtet, Passagierkabinen gibt es nicht. Das Segelrevier sind im Sommer die Küstengewässer der deutschen Nord- und Ostsee zwischen Ems und Rügen. Natürlich ist das Schiff auch auf maritimen Großveranstaltungen anzutreffen.

„Ab 12 Uhr gibt’s unter Deck Lachs mit Tagliatelle oder Kesselgulasch – für 15 Euro“, kündigt der Kapitän an. „Wenn Sie jemand mit großen Augen anguckt und auf Ansprache nicht reagiert, dann ist das Floris, unser Spanier. Der Rest der Besatzung spricht Deutsch.“ Und dann folgt noch der Sicherheitshinweis: „Wenn Sie sich unsicher fühlen, können Sie eine Rettungsweste bekommen. Wenn die Crew die Rettungswesten anlegt, sollten Sie das auch tun.“ Damit ist das Wichtigste gesagt. Der Kapitän nimmt seinen Platz am offenen Steuerstand ein. Er will nicht zu denen gehören, die nach einer Saison auf der Ostsee mit bleichem Teint ins Winterrevier wechseln.

Tagesgäste sind pflegeleichter

Floris deutet mit großen Augen auf die Taue an der Seitenwand und macht Handbewegungen, als wenn wir daran ziehen sollen. „Sechs“, zeigt er mit seinen Fingern. Schnell sind sechs Mann an den Seilen und ziehen. Die „Mercedes“ nimmt jetzt Fahrt auf. 2,5 Knoten sind es kurz hinter der Hafenmole. Kapitän Schaaf hat keinen Grund, den Filzhut abzunehmen. Er blinzelt in die Sonne und dann in den Mast. Hier macht der Spanier die restlichen der 18 Segel los.

Helfende Hände kann es an Bord von Seglern nie genug geben.
Helfende Hände kann es an Bord von Seglern nie genug geben.
© Reinhart Bünger

„Ich kenne an Bord jede Schraube“, erzählt der Kapitän. Ein anderes Schiff zu führen – das kann er sich gar nicht vorstellen. „Außerdem: Bei der Wochencharter wollen alle Gäste den ganzen Tag lang beschäftigt werden. Wenn der Letzte von der Bar ins Bett fällt, kommt der Erste schon wieder aus seiner Koje und will bespaßt werden.“ Da sind Tagesgäste natürlich etwas pflegeleichter. „Die Hälfte sind Jachties“, sagt Schaaf. Die andere Hälfte sind Landratten. Das Schiff kann mit voller Besegelung noch bei acht Windstärken unterwegs sein – ob die Passagiere dann auch noch gut zuwege sind? „Meist sind es die Gäste, die dann etwas schwächeln“, sagt der Schiffsführer.

Inzwischen machen wir sieben Knoten bei einer sehr guten Windstärke drei. Kapitän Schaaf hat seinen Filzhut zu den Tulpen gelegt und eine Wollmütze aufgesetzt. Sieben Knoten, das ist eine angenehme Reisegeschwindigkeit. Inzwischen haben wir das Land lang hinter uns gelassen. So könnte es ewig weitergehen. Ist Dänemark schon in Sicht? Aber Achtung: Da kommt die Engländerin. Sicher hat sie wieder eine Aufgabe für uns. Wir ahnen etwas. „Kommt gleich ’ne Wende?“, fragt eine Mitreisende den Kapitän. „Nö, die Wende war schon – 1989“, sagt Schaaf und lacht. „Hö, hö. Aber nehmen Sie mal eines der Taue in die Hand, wir machen eine Halse. Vorher müssen wir noch brassen.“

„Warum liegt das Schiff so schief?“

Es geht also zurück in Richtung Warnemünde. Vorher müssen die Segel noch am Mast gedreht werden, damit sie den Wind von der für die Rückreise richtigen Seite einfangen können. Die „Mercedes“ segelt nun mit bis zu 15 Prozent Krängung – das ist die seitliche Neigung – dahin. Das wirft insbesondere bei Kindern einige Fragen auf. „Wie soll ich meinem kleinen Sohn erklären, warum das Schiff so schief liegt?“, fragt eine Mutter den Kapitän. „Sagen Sie ihm, er soll den Kopf ganz schräg halten und versuchen, trotzdem stehen zu bleiben – dann wird er verstehen, dass das nicht geht. Den Rest versteht er erst, wenn er in der Schule Physik bekommt und etwas über Hebelwirkung lernt.“

Für die Kinder an Bord ist die Reise ein Abenteuer – ein Vater wird gleich mehrfach mit Tauen verschnürt. Am liebsten hätten die Seinen ihn wohl spaßeshalber wie einen Piraten in einem Mastkorb festgezurrt. Doch so etwas gibt es auf der „Mercedes“ nicht: Von einer Meuterei der Tagesgäste hat man auf diesem Schiff ohnehin noch nichts gehört.

Die „Mercedes“ bietet Platz für maximal 135 Tagespassagiere, die sich an Deck verteilen. Der vierstündige Ostseetörn ab Warnemünde kostet 65,50 Euro, das Familienticket für zwei Erwachsene und zwei Kinder 184 Euro. Unter Deck gibt es eine Lounge und ein Restaurant. Die nächsten Termine ab Warnemünde sind im August und September, bis dahin gibt es ab Hamburg und anderen Häfen überwiegend Tagestörns in der Nordsee. Telefonische Auskunft: 0471/926 50 92, im Internet unter: sailingaway24.de; interessant auch die Seite windisourfriend.com

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