Neue Attraktion in Paris: Leidenschaft in minimal
Das Hotel Maison an den Champs-Elysées verblüfft mit seiner Einrichtung, entworfen vom Modehaus Martin Margiela.
Der Wegzoll im Hotel La Maison an den Champs-Elysées ist exakt messbar. Für zwei Treppenabsätze vom Erdgeschoss in die erste Etage, den Gang durch eine große Holztür und schließlich einen nachtschwarzen Korridor entlang berechnet das Hotel 30 Euro. So viel kostet es, wenn der Gast das Frühstück auf seinem Zimmer genießen möchte. Dann doch lieber mit Tränensäcken ins Restaurant hinabsteigen.
Auch gut. Es besitzt eine kindlich-verspielte Note: riesige Türimitationen an den Wänden erinnern an die Traumwelt von „Alice im Wunderland“, die Stühle sehen aus, als würden sie in der Luft schweben – „Ghost Chairs“ nennt sie der Erfinder. Der Effekt ist einfach erklärt: Das Gewicht lagert auf einem Standbein in der Mitte, ähnlich wie bei einem Barhocker, die üblichen vier Stuhlbeine an den Seiten sind nur Dekoration, die nicht bis zum Boden reichen, aber unsere Augen täuschen. Keine Sorge: Es war vergangene Nacht doch nicht zu viel Champagner im Spiel.
Das Hotel La Maison gehört zu den neuen Attraktionen der Stadt, was weder an Lage noch an Größe liegt. Fast 60 Viersternezimmer in Spucknähe des Grand Palais, das haben andere Häuser auch. Was diese Komfortzonen jedoch nicht bieten: das einmalige Design. Und das zieht Modeliebhaber aus der ganzen Welt an, wenn mal wieder die Haute-Couture-Schauen an der Seine stattfinden. Siebzehn Zimmer und Suiten hat das belgische Modehaus Maison Martin Margiela entworfen – eine für ihre avantgardistischen Kreationen berühmte Marke, zu deren Fans der REM-Sänger Michael Stipe und die Oscar-Preisträgerin Tilda Swinton gehören.
Die einflussreiche Modekritikerin der „International Herald Tribune“ Suzy Menkes nannte Gründer Margiela einmal „die Greta Garbo der Modewelt“, weil der Designer sich stets geweigert hatte, Interviews zu geben oder fotografiert zu werden. Diese Haltung begünstigt seine Fama bis heute. Kaum jemand kennt das Gesicht des Belgiers, der 1990 die Marke gründete, sich 2010 vom Geschäft zurückzog und alle Entscheidungen in die Hände der italienischen Jeansmarke Diesel legte.
Vielleicht ist es den neuen Besitzern geschuldet, dass Maison Martin Margiela im Hotelgeschäft wildert. Bisher taten sich vor allem Mode-Imperien aus Italien mit spektakulären Zusammenarbeiten hervor: Giorgio Armani richtete ein Hotel im Burj Khalifa von Dubai ein, Donatella Versace ein Resort an der australischen Gold Coast und Missoni ein Boutique-Hotel in Schottland. Die Franzosen hielten sich vornehm zurück, nur der notorisch klamme Designer Christian Lacroix überraschte vor ein paar Jahren mit der Einrichtung eines kleinen Hotels im Gassennetz des Marais.
In die Philosophie der Marke passt das Hotel nahe der Prachtstraße Champs-Elysées. Margiela war immer ein Modeschöpfer, der wie ein verhinderter Bauhaus-Architekt arbeitete: klare Linien, einfache Schwarz-Weiß-Kontraste, skulpturale Formen. Dafür lieben ihn die Kunden – und das findet sich im Design des Hotels wieder. Gleich im Eingangsbereich wartet ein Diamant aus Glasplatten auf die Gäste. In dieser Raumschiffkapsel ist die Rezeption untergebracht, auf einem vielleicht fünf Quadratmeter großen Rhombus wirbeln zwei Angestellte, um Plastikkarten aufzuladen, Bordpässe für Gäste auszudrucken oder Informationen über die Boutiquen an der edlen Rue Montaigne zu geben. Zwei der bekanntesten Bekleidungshäuser, Yves Saint-Laurent und Christian Dior, residieren gleich um die Ecke.
Trompe-l'œil, das Spiel mit der Täuschung, wird gern bemüht
Nur in zwei Etagen befinden sich Zimmer für die Margiela-Fraktion, in der ersten und vierten. Die Suiten sind meist im Vorderhaus untergebracht, einem alten Stadtpalast aus den 1860er Jahren, der Zeit Napoleons III. Eine Verwandte des Kaisers hat hier gelebt, die Baroness Essling. An sie erinnert ein Salon rechts der Rezeption. Wie viele Details spielen im Salon Elemente des Trompe-l'œil eine Rolle, was die französischen Mitarbeiter so aussprechen, als würde es sich um eine sinnliche Art des Liebesspiel handeln.
Für alle Frankophoben: Der Begriff bezeichnet illusionistische Kunst, die mittels perspektivischer Darstellung eine Räumlichkeit vorgibt. Die Türen im Restaurant gehören dazu, die Tapeten im Erdgeschoss, auf die Raumfluchten gedruckt sind – und die Farbschattierungen im ansonsten weißen Salon Essling. Sie sind so filigran gemalt, als hätten jahrzehntelang Bilder dort gehangen, von denen nur noch die Schatten künden. Über der vorgegaukelten Geschichte thronen ein ausgestopfter Kakadu und ein rosa Flamingo, beide Ton in Ton mit dem ganz in Weiß gehaltenem Salon. Der Firmenphilosophie folgend, liegt diesem gegenüber übrigens ein ganz in Schwarz gehaltener Salon – in dem Zigarren geraucht werden dürfen und Cognac serviert wird. Ein Glas des edlen Tropfens kostet schon mal das jährliche Schulgeld für Kinder in Osteuropa.
Wie schön, dass die Zimmer vor allem einfach sind. Und damit ist nicht simpel, sondern minimal gemeint. Nur ein roter Läuferdruck auf dem cremefarbenen Teppich erinnert noch mal an die Illusionsmaschine, der Rest bleibt angenehm diskret: ein großes weißes Bett mit Daunendecke, zwei indirekte Lichtstrahler, die wie Bordklappen in die Wand eingebaut sind, ein weiß gekacheltes Bad, gestaltet nach dem Vorbild eines Chemielabors.
Das war ja eine Leidenschaft, ein Scherz von Meister Margiela. Er ließ seine Mitarbeiter manchmal wie Laborassistenten ablichten, Models liefen mal in Kitteln über den Laufsteg, als würden sie gerade an Kryptonit basteln und nicht an der nächsten Schulterpolsterrevolution. Das kantige flache Waschbecken ist lang genug, dass zwei Menschen mit ihren Kindern hier ihre Zähne putzen können, nur den Stöpsel musste die Putzkraft manuell mit einem Trick aushebeln.
Für Pariser Verhältnisse ist das Zimmer fast unverschämt groß, etwa 30 Quadratmeter, an der billigen Place de la Republique bauen sie fünf Zimmerverschläge auf so eine Fläche. Das Unterhaltungsprogramm bietet Gratisfilme in vier verschiedenen Sprachen an, auch auf Deutsch. Natürlich sind das nicht brandaktuelle Streifen, aber wer noch mal das Katastrophenepos „2012“ auf einem Flachbildschirm erleben will, ist hier richtig.
Und wem das alles zu modern, zu schick, zu anstrengend ist, dem sei der Gang in die zweite Etage empfohlen – in den ehemaligen Salon der Baronesse Essling. Da gibt es ganz Margiela-frei Versailler Parkett, mit Blattgold verzierte Stühle, hohe Decken und große Spiegel. Den Saal mieten Veranstalter für informelle Treffen, vielleicht feiern hier demnächst die drei Deutschen aus dem Schwäbischen wieder, die zum Frühstück ein neues Projekt verhandelten – irgendwas mit Mode und viel Investitionskapital. Ihre Inspiration holten sie hier: im Hotel La Maison, wo der Geist Margielas weht.
Hotel La Maison des Champs-Elysées, 8 , rue Jean Goujon, 8. Arrondissement, Paris, Doppelzimmer Ende Oktober ab 269 Euro, Frühstück nicht inbegriffen, Internet: lamaisonchampselysees.com