Saadiyat Island: Kunst darf hoch hinaus
Die Kulturprojekte in Abu Dhabi waren fast schon abgeschrieben. Nun hilft die Expo 2020.
An der aggressiven Expansionspolitik von Etihad Airways ist gut abzulesen, dass Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan immer höher hinaus will. Wie sich die Beteiligung der Fluglinie aus dem Emirat Abu Dhabi an Air Berlin letztlich auswirken wird, bleibt abzuwarten. Wie die Araber jedoch auch auf anderem Gebiet klotzen, erkennt jeder Urlauber, der den Weg nach Abu Dhabi findet. Jetzt wird noch eine Schippe draufgelegt. Die schon fast abgeschriebenen Kulturprojekte im Emirat bekommen nämlich neuen Rückenwind durch den Zuschlag für die Expo 2020, die beim Nachbarn Dubai stattfinden soll.
Die Vereinigten Arabischen Emirate versprechen sich massive Synergien für das gesamte Land – die fokussierte Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und im Vorfeld endlich wieder mehr Investitionen. „Auf jeden Fall wird die Expo 2020 einen signifikanten Einfluss auf die Tourismusindustrie der Vereinigten Arabischen Emirate haben und eine einzigartige Plattform bieten, um die beeindruckende Erfolgsgeschichte der jungen Nation zu erzählen“, verlautbart das Tourismusministerium Dubai.
Auf einer Abu Dhabi vorgelagerten Insel ist denn auch etwas im Werden begriffen, das verdächtig wie ein Märchen aus 1001 Nacht klingt. Auf den ersten Blick zumindest. Die Crème de la Crème der internationalen Architektenszene soll das öde Saadiyat Island („Insel der Glückseligen“) in einen Kunstdistrikt erster Güte verwandeln, soll Abu Dhabi auf den Olymp der bedeutendsten Kulturstädte weltweit beamen. Der Kanadier Frank O. Gehry baut das Guggenheim-Museum Abu Dhabi, der Brite Sir Norman Foster das Sheikh Zayed National Museum, die Irakerin Zaha Hadid das Center for Performing Arts, der Japaner Tadao Ando das Maritime Museum und der Franzose Jean Nouvel den Louvre Abu Dhabi.
Jedes Bauwerk ein Kunstwerk für sich
Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan legte die Messlatte extrem hoch. Er erwarte „architektonische Weltwunder von hohem ikonografischen Wert“. Geld spiele dabei keine Rolle. So jedenfalls die Tonart bei der Planung noch vor ein paar Jahren.
Ganz nebenbei heizte der Herrscher den konkurrierenden Superstars geschickt ein. Schließlich sollen alle Gebäude in direkter Nachbarschaft zueinander entstehen. Genau dies stellte die illustre Fünferrunde, allesamt Pritzker-Architektur-Preisträger, vor ein ungewohntes Problem. Die einzelnen Entwürfe entstanden praktisch blind, also ohne Kenntnis eines städtebaulichen Kontextes. „Am Bauplatz waren nichts als Mangroven, und zur Orientierung hatte ich nur die Fußspuren im Sand zur Verfügung“, erinnert sich Frank O. Gehry. „Ich kam mir vor wie ein Blinder, der sich mit allen anderen Sinnen in eine Kultur hineinfinden muss.“
Was dort auf den fünf Reißbrettern entstanden ist, könnte in der Tat unterschiedlicher kaum sein: Die Federn eines monumentalen Falken beherbergen das künftige Nationalmuseum, fließende Linien umschließen das lichtdurchflutete Performing Art Center, überdimensionalen Segeln gleich strahlt das weiße Meeresmuseum in der arabischen Sonne, und gigantische kubistische Körper beherbergen die zeitgenössischen Ausstellungsstücke des Guggenheim. Jedes Bauwerk, ja selbst einzelne Bauelemente, ein Kunstwerk für sich.
Schon 2015 soll nun der arabische Louvre als erstes der fünf Häuser seine Pforten öffnen, 2016 das Nationalmuseum und ein Jahr darauf Guggenheim. Sollen…
Tausende unterbezahlte Gastarbeiter schuften am Wüsten-Louvre
Wieder und wieder mussten die Eröffnungstermine gekippt, Meeresmuseum und Performing Art Center gar in eine zweite Bauphase auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben werden. Zudem wurden Rufe nach einem abgespeckten Guggenheim und nach mehr islamischer Kunst laut. Die ertönen in Zeiten des sogenannten Arabischen Frühlings von gänzlich ungewohnter Seite. Den eigenen Untertanen erscheint der Kunstdistrikt in seiner Ausrichtung zu westlich dominant, in seiner Art zu aggressiv.
Eine schwächelnde Weltwirtschaft, die geplatzte Immobilienblase 2008 in Dubai, die Finanzkrise im Folgejahr und die damit verbundenen Transferleistungen in die anderen sechs Emirate hatte der erfolgsverwöhnte Ölscheich allerdings nicht auf dem Plan seiner 27-Milliarden-Dollar-Investition.
Also schuften tausende unterbezahlte Pakistaner, Philippiner, Inder und Bangladescher derweil vorerst nur am Wüsten-Louvre. Seine Fertigstellung ist durch einen Staatsvertrag mit Frankreich garantiert. Kilometerweit scheinen nachts die grellen Flutlichter übers Meer. Die Gastarbeiter bilden die unterste Stufe der hierarchischen Gesellschaft. Binnen zwei Wochen nach Beendigung ihres Arbeitsvertrages müssen sie die Emirate verlassen haben. Nur die wenigsten werden also den realen Kulturbetrieb auf der Insel je mit eigenen Augen zu sehen bekommen.
Emirates Palace, ein Prunkbau aus Gold und Marmor, kostete Milliarden
Gleiches gilt wohl auch für die Kunstwerke der Previewausstellung im Kulturzentrum Manarat al-Saadiyat, die bereits Stücke der künftigen permanenten Sammlung des neuen Louvre zeigt. Darunter so hochkarätige Werke wie „Das Portrait einer Frau“ von Picasso aus dem Jahre 1928, das nie zuvor ausgestellt wurde.
Und damit all die Besucher in spe auch adäquat residieren können, werden bereits jetzt die ersten – vergleichsweise preiswerten – Luxusherbergen und Prachtboulevards in den Inselsand zementiert. Wie das Park Hyatt, das im November gleich den „Best Luxury Hotel Award“ einsacken konnte. Andere Marken wie das singapurische Shangri-La folgen mit ihrer zweiten Nobelherberge im Emirat.
Wer es etwas bescheidener mag, kann im Eastern Mangroves Hotel in der Stadt oder außerhalb im stilvollen Qasr Al Sarab in der Rub al-Khali, der größten Sandwüste der Welt, unterkommen. Beide Fünf-Sterne-Häuser werden von der thailändischen Anantara-Gruppe gemanagt. Oder der Besucher logiert doch gleich im Emirates Palace, einem 3,5-Milliarden-Dollar-Prunkbau aus Gold und Marmor, das ursprünglich als privates Domizil für den 2004 verstorbenen Gründervater der Vereinigten Emirate, Zayed bin Sultan Al Nahyan, gebaut, jedoch nie vom ihm bezogen wurde. Seitdem betreibt Kempinski das Haus.
Aber ganz gleich, wo man absteigt, die Herrscherfamilie verdient immer tüchtig mit. Denn ihr gehören sämtliche Hotels. Genau wie Etihad Airways. Oder die Hälfte von Air Berlin.
Marc Vorsatz
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