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Bok, liebe Gäste. Bok heißt auf Kroatisch Hallo. Doch Dora Fila Butkovic bringt den Teilnehmern ihres Stadtrundgangs in Zagreb noch viele andere Vokabeln bei.
© Stephan Brünjes

Zagreb: Kroatisch zu Fuß

Nur von einer Sehenswürdigkeit zur anderen laufen, reicht nicht. Bei einer Stadtführung in Zagreb muss gebüffelt werden.

Die Schule hat begonnen. Mitten in Zagreb, auf der Straße zwischen Hauptbahnhof und dem Reiterdenkmal des ersten Kroaten-Königs Tomislav: Strahlend überreicht Dora Fila Butkovic jedem Teilnehmer ihres hier startenden Rundgangs ein kleines weißes Heft. „Do you speak Croatian?“ steht drauf. Keiner antwortet mit „Ja“. Dafür legt Dora gleich los: „Bok“, sagt sie erwartungsvoll in den Gruppenhalbkreis. „Ja, watt denn, Bock hab ich schon“, brummelt Jürgen aus Unna in seinen Schnäuzer, „aber watt sachste drauf, wenn die bok sacht?“ „Auch Bok“, antwortet Dora ihm in akzentfreiem Deutsch. Damit hat Jürgen nicht gerechnet, bekommt wegen seines schnoddrigen Spruchs einen roten Kopf und lernt wie alle anderen Teilnehmer, „Bok“ heißt auf Kroatisch „Grüß Gott“ oder „Hallo“. „Bitte ins Heft schreiben“, sagt Dora. Kugelschreiberspitzen huschen eifrig übers Papier.

Doch vorher geht’s ins „grüne Hufeisen“ der 780 000-Einwohner-Stadt, ein U-förmiges Ensemble von Parks, eingerahmt von Palästen und Straßenzügen, die stuckverziert und kuppelgekrönt aus der Zeit vorm Ersten Weltkrieg stammen, als Kroatien Teil des Königreichs Österreich-Ungarn war. „Klein-Wien nennen die Leute diesen Stadtteil“, erklärt Dora. Schön restauriert und vielerorts in Habsburger Gelb gestrichen sind der beeindruckende Weltausstellungs-Pavillon von 1889 und Fassaden, stellenweise aber auch noch arg angenagt von sozialistischem Fugen- und Putz-Karies.

Ein Anblick, der Dora zu einer Vorwende-Geschichte animiert – über Zagrebs alte Straßenbahnwaggons. Die seien aus Prag importiert worden, leider mit unpassender Spurbreite für hiesige Schienen. Also wurden schmalere Achsen unter die Waggons montiert, wodurch diese vor allem in Kurven bedrohlich schaukelten und in der Bevölkerung sofort ihren Spitznamen weghatten: „Betrunkener Tscheche“. Mit Glück kann man so eine Fahrt noch erleben, sollte nach dem Einsteigen aber sofort zur Halteschlaufe greifen …

Mit Essen spielt man nicht?

Höchste Zeit für die nächste Kroatisch-Lektion, diesmal auf dem Dolac-Platz, wo täglich ein fußballfeldgroßer Markt abgehalten wird. Jabuka (Äpfel), Krumpir (Kartoffeln) und Luk (Zwiebeln) – reichlich Voce (Obst) und Povrce (Gemüse) fast ausschließlich aus der Umgebung Zagrebs bieten die Händler dort auf verwitterten Holztresen unter roten Sonnenschirmen an. Erleichterung in der Gruppe beim Blick auf Seite 9 des Kroatisch-Heftchens: Die schwierigen Wörter stehen schon alle da. Nun sieht man den einen oder anderen Unterkiefer beim Versuch, die sperrigen Vokabeln zunächst tonlos vor sich hin zu modellieren.

Doch im Nu sind alle abgelenkt von zwei Händlern, die den Erziehungsgrundsatz „Mit Essen spielt man nicht“ ein paar Minuten lang ignorieren und für Touristenkameras Faxen machen mit Möhren und Kartoffeln. Nebenan, in der Markthalle, zwischen Fisch- und Brotständen, steht Nada – und zwar schon seit 45 Jahren. Die 73-Jährige verkauft ihr Sauerkraut aus dem Eimer, das Kilo für gut zwei Euro. Noch so eine gut gelaunte, aufgeschlossene Zagreberin, die gern ein Schwätzchen hält. Jürgen aus Unna bringt ein beherztes „Bok“ über die Lippen, wechselt dann aber in den Deutsch-Englisch-Zeichensprache-Modus.

Vorbei an der Kathedrale und den sie umgebenden mittelalterlichen Wehrtürmen mit roten Zipfelmützendächern geht’s über die verwunschen eingewachsene Strossmayer-Promenade – bei 1a-Panoramablick über die Stadt – hoch zum Lotrscak-Turm aus dem 13. Jahrhundert. Dora erklärt, was hier gleich passieren wird, und schon kracht’s. Oben aus dem Turm feuert Kanonier Alen einen Schuss ab – mit reichlich Pulverdampf und Getöse. Seit über 100 Jahren geht das so. „Warum, ist unklar“, sagt Dora. Als Erinnerung an in die Flucht geschlagene türkische Belagerer, meinen die einen.

Der Ban-Jelacica-Platz in Zagreb hat Geschichte geschrieben

Damit die Zagreber ihre Uhr stellen können, behaupten andere. Zur selben Zeit, drei Straßen weiter in der Altstadt, am Steintor: Absolute Ruhe, tiefe Andacht in einer auf den ersten Blick unscheinbaren Unterführung. Menschen knien vor einem schmiedeeisernen Gitter, wer vorübergeht, hält inne. Dora führt ihre Gruppe behutsam heran und erklärt flüsternd, das Marienbild hinter dem Gitter sei seit 1731 Stadtheiligtum. Es hatte ein Großfeuer überstanden, während das Tor dahinter abgebrannt war. Wieder aufgebaut, verewigen Zagreber hier bis heute ihre Glücksmomente auf Gedenkfliesen: „Hvala ti,“ („Danke Dir“) – „eine durchaus alltagstaugliche Phrase, die man sich merken oder auf Seite 6 im Heftchen nachschlagen kann“, sagt Dora verschmitzt.

Über Zagrebs Café- und Kneipenmeile, die Tkalciceva, geht es runter ins pulsierende Zentrum, dem Ban-Jelacica-Platz. Hier soll der Name der Stadt entstanden sein – an einem immer noch vorhandenen Brunnen, aus dem die Menschen Wasser schöpften – auf Kroatisch „zagrebi“. Beherrscht wird der Platz vom Reiterstandbild des Volkshelden Jelacic aus dem 19. Jahrhundert. Jugoslawiens Staatschef Tito ließ das Denkmal 1947 zunächst mit blickdichten Planen verkleiden, dann dahinter heimlich demontieren – weg mit kroatischem Nationalstolz im jugoslawischen Einheitsstaat!

1990, gleich nach der Abspaltung Kroatiens von Belgrad, stellten die Zagreber den Reiter wieder auf, aber andersherum: Nun schwingt er – rein zufällig – seinen Säbel Richtung Serbien … „Überhaupt“, so warnt Dora noch vorm Abschied – „auf diesem, ihrem Lieblingsplatz werden die Zagreber schon mal übermütig.“ Sie deutet zu einem Abgang auf der anderen Straßenseite. „Diese etwas zu breit geratene Treppe in die unterirdische Toilette wirkt auf Touristen schon mal wie ein U-Bahn-Eingang. „Und deshalb haben gewitzte Zagreber hier auch schon mit Erfolg Tickets für die – nicht existente – Bahn verkauft.“

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