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Mödlareuth. Der Ort wird bisweilen auch gern Klein-Berlin genannt. Damals, als Deutschland geteilt war. Was natürlich falsch war. Schließlich lag das zerschnittene Berlin mitten in der DDR. Doch auch durch Mödlareuth verlief eine Grenze. Zwischen Bayern und Thüringen. Das hat sich nicht geändert. Auch ein Mauerstück und andere Grenzanlagen sind am Ort geblieben.
© gws

Innerdeutsche Grenze: Jeder Kilometer ist Geschichte

Eine Radtour von Süd nach Nord entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze wird zum spannenden Lehrstück.

Die Landschaft dampft. Kühler Regen ist auf warmen Boden gefallen. Der Himmel ist noch wolkenverhangen – eine Stimmung wie diese passt zu dem Ort, der einmal war und den es nicht mehr gibt: Billmuthausen in Thüringen. Ein geschleiftes Dorf. Eingeebnet, alle Menschen umgesiedelt, die Häuser abgerissen. Auch die Kirche. In Billmuthausen erinnern Informationstafeln an dieses Schicksal, das etwa 30 Dörfern im ehemaligen Sperrgebiet zwischen der Bundesrepublik und der DDR widerfuhr. So wird der Radurlaub auf dem südlichen Teil der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze zum historischen Anschauungsunterricht. Die gut 700 Kilometer vom Dreiländereck Bayern-Sachsen-Tschechische Republik bis in den Harz konfrontieren Deutsche mit ihrer jüngsten Vergangenheit.

Die ehemalige Grenze mit dem Fahrrad zu erkunden, ist in vielfältiger Hinsicht ein Erlebnis. Unterwegs stellt sich immer wieder die Frage, in welchem Bundesland man sich gerade befindet – eine Grenze ist oftmals nicht mehr auszumachen. Relikte der Teilung gibt es hingegen noch viele: Wachtürme, Beobachtungsposten, Erinnerungsstätten, Zaun- und Mauerreste, Kunstwerke und die Erzählungen der Einheimischen.

40 Jahre lang hatte die Natur Zeit, sich die Grenzlinie zu erobern, und nach der Wende begann eine intensive Naturschutzarbeit – sehr zum Missfallen einzelner Bauern. Der Todesstreifen sei zur „Lebenslinie“ geworden, frohlockt dagegen der Bund für Umwelt- und Naturschutz. Entlang des sogenannten Grünen Bandes zirpen die Grillen stellenweise so laut, dass jede menschliche Unterhaltung erstirbt. Ein Schutzgebiet reiht sich an das nächste, angefangen bei den Naturparks Frankenwald und Thüringer Schiefergebirge/Obere Saale über das Biosphärenreservat Rhön und den Nationalpark Hainich bis zum Naturpark Eichsfeld-Hainich-Werratal und dem Nationalpark Harz.

Amerikaner nannten das Dorf "Little Berlin"

Radurlauber werden zu dauerhaften Grenzgängern. Das beginnt schon am Dreiländereck Bayern-Sachsen-Tschechische Republik. Es gibt keine Zäune, keine Kontrollen. Stattdessen plätschert ein Bach munter dahin, und wer ein Schild passiert, ist schon drüben. Auch in Mödlareuth am Rande des Frankenwaldes und rund 20 Kilometer die Grenze zwischen Bayern und Thüringen hinauf, ist das heute so.

Hier stand einst eine Mauer und teilte das Dorf, das die Amerikaner daraufhin „Little Berlin“ nannten. Während zunächst nur der Tannbach die Demarkationslinie zwischen Ost und West bildete, kam in den 1950er Jahren zunächst ein Bretterzaun und 1966 eine Betonmauer hinzu. Anstatt nach der Wende das Zeugnis der Teilung dem Erdboden gleichzumachen, erhielten die Dorfbewohner einen Teil der Mauer im Original. Sie ist nun zentraler Blickfang des deutsch- deutschen Museums. Auf dem Freigelände ist der DDR-Grenzstreifen in seinem typischen Aufbau rekonstruiert – mit Kolonnenweg, Kontrollstreifen, Zaun und Laufseilanlage für Hunde.

Nach der Geschichtsstunde folgen bergige Etappen voller Naturerlebnisse. Bis auf etwa 700 Meter Höhe führt der Weg in steilen Anstiegen und rasanten Abfahrten durch den Frankenwald und den Thüringer Wald. Die Baumlandschaften Bayerns und Thüringens werden hin und wieder abgelöst durch Weiden, Blumenwiesen und Getreidefelder.

Der Skulpturenpark Deutsche Einheit erinnert an die Teilung

In Blankenberg an der Saale kommen vermehrt Wanderer auf die Strecke, denn hier beginnt beziehungsweise endet der Höhenweg Rennsteig. Das Gebiet ist touristisch erschlossen, der Wirrwarr der Hinweisschilder oft nicht mehr zu durchschauen. Immer wieder kreuzen die Radler den Kolonnenweg, den Beweis dafür, dass die Grenze einst hier verlief.

Dazu zeigt sich an den Gebäuden mit jedem Kilometer deutlicher, welcher Bodenschatz hier abgebaut wurde: Schiefer. In Brennersgrün beispielsweise, nach einem langen steilen Anstieg erklommen, haben nahezu alle Hausbesitzer ihre Gebäude in Schieferoptik saniert. Das Dorf liegt nicht weit entfernt von Lehesten, wo das technische Denkmal Historischer Schieferbergbau Lehesten mit Führungen im ehemaligen Abbaugebiet und einem Miniaturdorf informiert.

Der Skulpturenpark Deutsche Einheit liegt am ehemaligen Grenzübergang Eußenhausen/Henneberg. Hoch oben auf dem Berg gehört die Goldene Brücke von 1996 genauso zum Ensemble der Kunstwerke wie das Feld der Fahnen, das aus einer Schüleraktion entstand, oder die Skulptur „Auf der Flucht erschossen“ sowie einige weitere Objekte, die sich mit dem Themenkomplex der deutschen Teilung beschäftigen.

Erst nach rund 380 Kilometern erreichen die Radler ein anderes Bundesland: Hessen und damit die Rhön, also ein weiteres Hügelland. Doch hier führte die ehemalige Grenze über viele Kilometer in der Nähe der naturbelassenen Ulster und später der Werra entlang, so dass die Etappen entspannt sind. Die Wege sind gesäumt von Obstbäumen, die sich DDR-Bürger früher für ein Jahr mieten konnten, erzählt eine Einheimische.

Sechs Millionen Reisende passierten die Grenze in Gerblingerode

Geschichte holt die Reisenden auch wieder ein in Form eines modernen Museumsgeländes am Point Alpha nahe Geisa, wo die Amerikaner einen wichtigen Beobachtungsposten hatten. Dort saßen sich die Bediensteten der US-Armee und die Wachhabenden auf DDR-Seite tagtäglich fast Aug in Aug gegenüber. Die beiden Wachtürme waren keine 200 Meter voneinander entfernt, und doch getrennt durch eine Grenze mit Selbstschussanlagen, Hunde-Laufseilen, dem allgegenwärtigen Kolonnenweg und den anderen Elementen der Grenzanlagen.

Es fällt schwer, nach den gemütlichen Strecken an der Werra wieder in die Berge abzubiegen. Doch der Grenzweg will es so: Hinter Bad Sooden-Allendorf im nördlichen Hessen verlief die Grenze hinauf durch das Eichsfeld bei Duderstadt und nahm Kurs auf den Harz. Also heißt es auch für die Radurlauber, wieder einen Hügel nach dem anderen zu erklimmen und wieder hinunterzurollen – anstrengend, aber kein Vergleich zum Thüringer Wald.

Wer bis hierher noch kein Museum besucht hat, bekommt südlich von Duderstadt eine weitere Gelegenheit an historischer Stelle: Zwischen den Dörfern Gerblingerode im Westen und Teistungen im Osten gab es schon seit 1973 einen kleinen Grenzverkehr, der durch den Grundlagenvertrag ermöglicht wurde. Bis zur Wende passierten sechs Millionen Reisende die Grenze. Die Außenanlagen des Grenzlandmuseums Eichsfeld sind weitläufig, und in den verschiedenen Gebäuden lässt es sich lange verweilen. Beklemmend sind die Arrestzellen im Untergeschoss, die verdeutlichen, mit welcher Konsequenz die Grenze gesichert wurde.

Auf dem Weg in den Harz gesellt sich nun auf westlicher Seite das Bundesland Niedersachsen zu Bayern und Hessen hinzu, zunächst weiterhin mit dem Nachbarn Thüringen an der Ostseite. Hier kann, wer will, den letzten großen Aufstieg wagen: zum Brocken. Den 1141 Meter hohen, oft Sturm umtosten Gipfel des Harzes im Bundesland Sachsen-Anhalt zu erklimmen, sollte sich der normal fitte Radler allerdings dann doch verkneifen. Zumal noch weitere, weniger anstrengendere Etappen locken. Gen Norden, dann allerdings mit etwas Gegenwind statt Gebirge – bis zur Ostsee.

Petra Reinken

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