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Mystisch im Abendlicht. Tagsüber strahlt der Millstätter See – allen ehrgeizigen Marketingkonzepten zum Trotz – eher eine beschauliche 50er-Jahre-Gemütlichkeit aus.
©  imago

Millstätter See: In der Früh kommen die Elfen

Der Millstätter See war immer ein Sommeridyll. Schön, aber langweilig. Nun gibt’s Yoga am Ufer und keltische Kraftorte.

Wenn die Spitzen der Zweitausender erröten und sich die Nacht endgültig geschlagen gibt, muss man raus aus dem Bett, ran ans Ufer und rauf aufs Wasser. Es ist die beste Zeit. Weil er dann erwacht, der Millstätter See. Im Licht der Morgendämmerung, noch von keinem Windhauch berührt, spiegelt er den dichten Mischwald, in dem sich Buchen und Eschen zum Ende des Sommers langsam gelb und orangerot färben. Sein Wasser reflektiert die herrschaftlichen Villen und die braun-weißen Kuhtupfer auf den grünen Wiesen, die sich die Hänge hochziehen zu den baumlosen Glatzen der Nockberge. Gespenstische Nebelschleier tanzen über die dampfende Oberfläche, ganz so, als kochten auf dem dunklen Grund die Seenixen und Wasserelfen, von denen man hier den Kindern erzählt, ihr Morgensüppchen. Menschliche Wesen sind noch keine unterwegs. Nur der Strobl Gottlieb, Bootsbauer und Buchtenwanderer.

Seine Tour von Millstatt quer über den See ans Südufer startet erst später, um acht Uhr: Zeitiger wollen die meisten Urlauber nicht aus den Federn, sie sind schließlich zur Erholung hier. Der Mann mit braun gegerbter Sonnenhaut und den vielen Lachfältchen um die Augen dreht die erste Runde dagegen bereits zu Sonnenaufgang. Er kan nicht ruhen. Mit 70 wären andere längst in Rente, doch am Millstätter See spielt so ein Alter anscheinend keine Rolle. Auch Nachnamen sind unwichtig. „Dann amol los“, sagt also der Gottlieb, und zeigt auf die wartenden Holzboote, gefertigt aus solider heimischer Lärche.

In den 1960er Jahren hat er als junger Bursche ein Handwerk gelernt, Tischler und Bootsbauer. Sein Meister zählte damals schon 80 Jahre. Dieser wiederum hatte sein Wissen vom alten Kahnholzer, den man so rief, weil er eine neue Bauform von seiner Wanderschaft aus Skandinavien mitgebracht hatte. Ein Spitzgatt, schlank an Bug und Heck, mit überlappenden Planken, stabil bei Wind und rauer See. „Schon die Wikinger haben so gebaut“, erklärt der Experte. Und rät nach einem Blick auf die Schreibtischhände des Besuchers: „Die Ruder sanft anfassen und wie ein Blatt ins Wasser tauchen, sonst gibt’s Blasen.“

Der tiefe Millstätter See ist von Legenden umwoben

Tausend Meter sind es von der herausgeputzten Nordseite des Millstätter Sees mit seinen Hotels, Cafés und Badewiesen zur Wildnis am schattigen Südufer: Dort verläuft keine Straße, nur ein schmaler Weg für Fußgänger und Radfahrer schlängelt sich am steilen Hang entlang. Wer nicht in den Wettkampfmodus schaltet, ist in einer halben Stunde drüben. Leise gleiten die Boote über sanfte Fluten, begleitet von einem neugierigen Schwan, der sich wohl ein paar Brotbrocken erhofft. So klar und ungetrübt ist der See, dass man ihn gern in Flaschen abfüllen würde und das auch tun könnte: Kärntens zweitgrößtes und mit 146 Metern tiefstes Gewässer hat Trinkwasserqualität, wie viele Seen in den österreichischen Alpen.

Granattor. Modernes Monument auf dem Millstätter See Höhensteig.
Granattor. Modernes Monument auf dem Millstätter See Höhensteig.
© Helge Bendl

Wenn die Ruder eine Weile geächzt haben und die Sportler auf Zeit eine Pause einlegen, erzählt Gottlieb Strobl seinen Gästen manchmal die Legende, dass auf dem Grund tausend Steinstatuen liegen sollen, gemeißelt zu Ehren heidnischer Sagenwesen und in den See gestoßen von den Soldaten des Domitian, als der zum christlichen Glauben gefunden hatte. Er könnte auch berichten, wie früher die Burschen die Berge auf einer Garbe vereistem Roggenstroh herunterrutschten, und wie sich beim Döbriacher Lachsenkrieg die armen Bauern mit der engstirnigen Obrigkeit stritten.

Aber eigentlich geht es beim Buchtenwandern darum, den See in seiner morgendlichen Anmut zu genießen. Ohne große Worte. Und darum, den Uferbereich zu erforschen, wo das Wasser daliegt wie flüssiges Blei, und wo sich Kormorane vor neidischen Fischern verstecken. Nach einer Weile entdeckt man hinter Buchenzweigen, die bis zum See reichen, züchtig abgeschirmte Stellen: Hierher rudern damals wie heute Liebespärchen, die sich ein Boot ausleihen und ganz allein sein wollen.

Adel und Bürgertum kamen für die Sommerfrische hierher

Auf dem Rückweg bietet sich dann ein Panorama, das man seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auf Postkarten druckt, um Daheimgebliebene neidisch zu machen. Die 2000 und mehr Meter hohen Nockberge ragen über dem 13 Kilometer langen See auf – Tschiernock, Tschierweger Nock, Millstätter Alpe und im Osten der Mirnock. Sie verbindet inzwischen ein Höhensteig, der in acht Etappen etwa 200 Kilometer weit rund um den See führt, ein Teilstück des Alpe-Adria-Weitwanderwegs vom Großglockner bis zum Mittelmeer. Zu ihren Füßen liegen ein paar Orte, in denen der Wind und der Durchgangsverkehr rauschen, aber auch das charmante Millstatt mit seinem Benediktinerstift aus dem zwölften Jahrhundert, mit der romanischen Pfarrkirche, und mit seinen Habsburger-Prachtbauten am Seeufer.

Relikt. Eine Türmchenvilla wie diese gefiel dem (Geld-)Adel des 19. Jahrhunderts.
Relikt. Eine Türmchenvilla wie diese gefiel dem (Geld-)Adel des 19. Jahrhunderts.
© Helge Bendl

Adel und Bürgertum kamen für die Sommerfrische hierher, mit Eisenbahn und Kutsche. Die gut situierten Urlauber organisierten zunächst nur Tee und Tanz, fanden dann aber schnell Geschmack am Wandern und Baden, weil man im milden Klima Kärntens bis in den Herbst hinein den Kopf in den Bergen haben und die Füße ins Wasser stecken kann. Die Urlauber bauten sich Türmchenvillen, genossen in den Holzloggien ihrer Rosengärten den Seeblick, und einer führte seine venezianisch inspirierte Residenz als Hotel.

Heute sind die Herbergen Relikte einer vergangenen Grandezza, deren Patina man glücklicherweise nicht wegrestauriert hat. Die Seevilla betreibt immer noch ein umtriebiger Graf. In der Villa Waldheim dürfen sich Gäste gerne mal an den Flügel setzen. Die Villa Verdin ist wunderbar mit Antiquitäten und Retro-Chic zugestellt, will familiär sein und nicht cool, und ist gerade deswegen so angesagt bei der Wiener Kreativszene.

Auch die umliegenden Gipfel wurden ins Visier genommen

Das Image des von Touristikern als „Juwel in Kärnten“ bejubelten Sees musste aber anscheinend trotzdem aufpoliert werden, damit auf keinen Fall jemand auf die Idee kommen könnte, es gebe ausschließlich geranienbehangene Pensionen für einen klassischen Familienurlaub. Deswegen entführt einen Gottlieb Strobl nun morgens zum Buchtenwandern, professionelle Yogalehrerinnen rollen am Ufer ihre Matten aus, und Seefischer Georg Dabernig lässt sich von Besuchern beim Kontrollieren der Netze helfen, in denen mit schöner Regelmäßigkeit Barsch, Reinanke und Seeforelle zappeln. Turteltauben können auf einem Kokon am Ufer verweilen oder auf einem Floß ein intimes „Dinner for Two“ genießen. Ein neues Badehaus bietet neuerdings rund ums Jahr Zugang zum Wasser: All das läuft unter dem als Marke geschützten Begriff „Seeberührungen“.

Heiliger Domitian. Am See, so heißt es, fand er zum christlichen Glauben.
Heiliger Domitian. Am See, so heißt es, fand er zum christlichen Glauben.
© imago

Auch die umliegenden Gipfel wurden ins Visier genommen, für „Bergberührungen“ zum Beispiel auf dem 2110 Meter hohen Mirnock, inzwischen betitelt als „Weltenberg“ und „Gipfel der Kraft“. Angeblich schneiden sich hier geomantische Linien, angeblich wurden hier „konzentrierte Erdstrahlen“ gemessen. Eine alte Fichte mit sieben Stämmen, die schon ewig und drei Tage steht, hat sich deshalb gerade in ein „Baumheiligtum“ verwandelt, ein Findling wird nun als keltische Kultstätte angehimmelt.

Granate gelten als Bluttropfen Jesu - und als Feuersteine der Liebe

Wer das alles für esoterischen Hokuspokus hält, kann sich hoch oben auf den Gipfeln trotzdem rühren lassen. Aussichtsplattformen wie der Sternenbalkon bieten den schönsten Blick auf die Berge und den schimmernden See, und auf dem Weg zum Granattor auf der Millstätter Alpe findet man tatsächlich kleine Edelsteine, die wie Rosinen im Glimmerschiefer hängen. Zurück im Tal, in der ehemaligen Granatmine von Radenthein, weist ein herrlich granteliger Ewald Machorka seine Besucher zurecht, wenn sie auf dem Schürfgelände mit dem Hammer wild drauflosklopfen und dabei die Einschlüsse zerschmettern. „Den Finger kann man verbinden, doch der Granat ist kaputt, wenn man auf ihn draufhaut“, sagt er und zeigt, wie man die rubinroten Feuersteine richtig aus dem Fels schlägt. Schleifer bringen den Fund anschließend zum Glänzen.

Als Blutstropfen Christi wurden die Radentheimer Granate zur Dekoration von Kruzifixen verwendet und bei weniger bibelfesten Romantikern als Feuersteine der Liebe vermarktet. Als Amulette und Talismane würden Granate Dämonen und Geister abwehren und Albträume verhindern, wusste der Volksglaube: Man müsse zwanzig Steine, klein wie Gerstenkörner, vor dem Zubettgehen unters Kissen legen. Das funktioniert erstaunllich gut, wie ein Selbstversuch zeigt: Wer dem Granatrausch verfällt und es tatsächlich schafft, derart viele Karfunkel aus dem Fels zu lösen, wird danach vermutlich erschöpft ins Bett fallen und schlafen wie ein Stein. Um am nächsten Morgen aber rechtzeitig aufzustehen, für den Spaziergang zum Sonnenaufgang zum erwachenden See: Dafür haben sie hier noch kein Mittelchen gefunden.

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