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Naschen erlaubt. Im Herbst kommen Wanderer im Odenwald bisweilen an Bäumen, voll mit knackigen Äpfeln, vorüber. Hiesige Winzer können viel draus machen.
© Traub

Odenwald: In den Bäumen hängt das Glück

Wer im Herbst im Odenwald wandert, kommt an knackigen Früchten vorbei. Die meisten werden zu feinstem Äbbelwoi.

Heinz Schenk sei Dank. Dürfen zumindest die Erzeuger von Apfelwein in deutschen Landen sagen. Denn einen besseren Werbeträger für ihr Produkt als den jüngst verstorbenen Entertainer und TV-Wirt vom „Blauen Bock“ hätten sie sich nicht wünschen können. Als „Professor des Apfelweins“ jedoch gilt Peter Merkel, erst jüngst auf einer internationalen Apfelweinmesse in Frankfurt am Main mit dem „Pomme d’Or“ ausgezeichnet. Den Goldapfel gab es für seinen „naturtrüben Hausschoppen, Fassabzug von 2013“. Wir treffen Merkel in seiner kleinen Kelterei am Rande des Waldes, am Ende des Dorfes Annelsbach, um dem Geheimnis der gekelterten Äpfel auf den Grund zu gehen. Dort im Hessischen, wo die Menschen meinen, das Glück hinge an Bäumen, nicht an Weinstöcken.

Hier, mitten in den grünen Hügeln des Odenwaldes und umgeben von Streuobstwiesen, liegt es also: das Dorado für die Freunde des Apfelweins. Die Ruhe, die dieser ins Grün gebettete Weiler ausstrahlt, nimmt die Besucher gleich gefangen. Entschleunigung ist angesagt – und dazu gibt es gleich eine Lektion in Apfelweinkunde.

Auch wenn der „Blaue Bock“ mit seiner Äppelwoi-Gemütlichkeit 1987 nach 30 Jahren von der ARD eingemottet wurde – das hessische Nationalgetränk erfreut sich weiterhin größter Beliebtheit, nicht nur in Hessen. Da fragt man sich doch: warum eigentlich? Denn was manchmal so im Supermarkt zu kaufen ist, macht nicht unbedingt Lust auf mehr.

„Stöffche“ muss nicht sauer schmecken

„,Vielfalt statt Standard’ ist beispielsweise unser Motto“, sagt Peter Merkel zur Einführung ins Thema. Der gelernte Koch ist Apfelweinwinzer aus Leidenschaft. „Um herausragende Weine erzeugen zu können, haben wir vor vielen Jahren angefangen, sortenrein zu keltern.“ Dann geht er gleich zur Praxis über und lässt seine Gäste kosten. Erst einen Bohnapfel, dann den Brettacher Sämling und schließlich eine Goldrenette von Blenheim. Ah ja, Äbbelwoi, den Einheimische „Stöffche“ nennen, muss tatsächlich nicht immer staubtrocken oder gar extrem sauer schmecken. Eine Überraschung.

Michelstadt. Marktplatz und Fachwerk-Rathaus aus dem Jahr 1484
Michelstadt. Marktplatz und Fachwerk-Rathaus aus dem Jahr 1484
© F. Gierth, pa

Das Obst, das im Merkel’schen Familienbetrieb verarbeitet wird, kommt von den eigenen uralten Streuobstwiesen. „Es ist einfach wesentlich gehaltvoller – und natürlich unbehandelt.“ Darauf legt der „Professor der Pomologie“ großen Wert. Seinen Titel ehrenhalber verdankt er übrigens einem Landrat, der Merkel ob seiner Verdienste um den Apfel ausgezeichnet hat. „Mir liegen Erhalt und Pflege unserer Wiesen am Herzen, sie sind ein wichtiges Stück Landschaftskultur des Odenwaldes.“

Wie könnte es anders sein: Der Apfel spielt auch in der Küche des Restaurants eine tragende Rolle. Peter Merkel experimentiert eben gerne – beim Keltern wie beim Kochen. So kann der Gast sich an Maronensuppe mit glasierten Apfelstückchen, einem Apfelwein-Sauerbraten vom Wild und einer Apfelweintorte gütlich tun. Merkel ist auch bei den sogenannten Wirtshauskelterern aktiv. Sie wollen den Äbbelwoi als Qualitätsprodukt weiter stärken und auf ihren Speisekarten das Regionale betonen.

Mehr als nur Schlemmerei

Hinein damit! Apfelwinzer Peter Merkel keltert ausschließlich sortenrein.
Hinein damit! Apfelwinzer Peter Merkel keltert ausschließlich sortenrein.
© Traub

„Wir bekennen uns zu unserer Heimat und stellen ihre hervorragenden Produkte in den Mittelpunkt.“ So drückt es Merkels Bruder im Geiste, Armin Treusch aus Reichelsheim, aus. Seine seitenlange Speisekarte erklärt dem Gast, wo Fisch und Fleisch, Gemüse und Käse herkommen: aus der Nachbarschaft. „Unsere Kräuter wachsen im eigenen Garten“, ergänzt Treusch. Vorbildlich. Bei der Äbbelwoi-Auswahl gilt es, unter 15 verschiedenen Sorten die gewünschte Geschmacksrichtung zu finden. Schließlich habe der Apfel „ein größeres, nuancenreicheres Geschmacksspektrum als die Traube“. Als Aperitif empfiehlt Armin Treusch, auch er ein gelernter Koch, allerdings einen Apfelschampus. „Den stellt mein Kollege und Freund Dieter Walz nach der traditionellen Champagnermethode her, eine Odenwälder Spezialität.“

Doch wer in den Odenwald kommt, hat nicht nur Schlemmerei im Sinn. Schließlich hat die Region noch ganz andere Genüsse zu bieten. Wanderwege, natürlich mit dem Logo eines roten Apfels markiert, führen durch das hügelige Land, dessen höchste Erhebung der Katzenbuckel ist und mit gerade mal 626 Metern über dem Meeresspiegel keine alpine Herausforderung darstellt. Etappenziele sind tatsächlich bilderbuchhübsche Dörfer wie Fränkisch-Crumbach oder Schlierbach, wo übrigens auch ein kleines Apfelweinmuseum über die lange Geschichte des Kelterns im Odenwald erzählt.

Auf dem Weg durch Streuobstwiesen und über Lehrpfade passiert der Besucher immer wieder kleine, oft private Keltereien und traditionsreiche Gasthäuser wie die „Freiheit“ in Laudenau. Wir wären nicht im Odenwald, wenn hier nicht auch Äbbelwoi ausgeschenkt würde.

„Odenwald und Äbbelwoi, das gehört zusammen“

Ein Glanzpunkt beim Streifzug durch die Region ist das romantische Michelstadt mit Fachwerkhäusern, Gassen, Marktplatz, Burg und einem der letzten Beispiele karolingischer Architektur: der Einhardsbasilika. Sie wurde um 820 von Einhard, einem Hofgelehrten und Biografen Karls des Großen erbaut. Auch das benachbarte Erbach mit Schloss, Barockgarten und Elfenbeinmuseum kann sich sehen lassen. Die heute verpönte Elfenbeinschnitzerei ging übrigens zurück auf den Spleen des Grafen Franz I. zu Erbach-Erbach, der im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts den exotischen Werkstoff bei den Bein- und Horndrehern etablierte.

Das Keltern von Apfelwein entsprang indes keiner verrückten Idee, sondern hing mit dem durch Klimawandel bedingten Ende des Weinbaus vor ein paar Jahrhunderten zusammen. Die Rebstöcke wichen den robusten Apfelbäumen. Dass die Wiesen auch künftig erhalten bleiben, dafür kämpfen und keltern die Apfelweinwinzer. „Odenwald und Äbbelwoi, das gehört zusammen“, meint Armin Treusch. In Frankfurt, der Apfelwein-Hauptstadt, habe man das Stöffche erst später entdeckt. Peter Merkel fügt selbstbewusst hinzu, dass man im dortigen Äbbelwoi-Stadtteil Sachsenhausen kaum einen sortenreinen Apfelwein bekomme. „Bei uns ist das hingegen mittlerweile eine Selbstverständlichkeit.“ Jetzt seien sogar die Grand Crus auf dem Vormarsch. Äbbelwoi mit Adelstitel, das fehlte noch.

Ulrich Traub

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