Silk Road Express: Im Zug der hundert Wunder
Kreuz und quer durchs orientalische Usbekistan: Im „Silk Road Express“ träumen Reisende von Tausendundeiner Nacht.
Heute Nacht haben sie da draußen die Kulissen ausgetauscht. Unsichtbar im Schutz der Dunkelheit wurde gearbeitet, mit dem Neumond als willfährigem Komplizen. Nicht jedoch in aller Stille, und somit war hör- und fühlbar, dass sich etwas bewegte: Die Heinzelmännchen (oder welchen Namen auch immer ihre Verwandten entlang der Seidenstraße tragen) machten hinter dem Vorhang ziemlich Lärm beim Verschieben des Bühnenbilds. Es kreischte und quietschte, klapperte und ruckelte, bis Ruhe einkehrte und das Werk vollbracht war.
In einer einzigen Nacht haben sie die schroffen, von Glitzerschnee bedeckten Gipfel des Tien-Shan-Gebirges verschwinden lassen, wo es in den abgelegenen Schluchten noch Feueranbeter und Schamanen geben soll. Die Bergwiesen mit ihrer Blütenpracht, die Birkenhaine mit ihrem frischen Grün, die Felder mit den Aprikosen-, Kirsch- und Mandelbäumen: Alles weg. Zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang hat sich das Land verwandelt.
Nun ist es sandgelb und ockerbraun und flach wie ein Pfannkuchen, ohne Bäume, nur mit ein paar geduckten, vom Wind eingestaubten Büschen. Bis zum Horizont erstreckt sich die Steppe. Ganz in der Ferne sieht man ein paar schwarze Punkte, die sich beim Näherkommen als einsame Pferde entpuppen. Darüber wölbt sich ein Himmel aus tiefem Lapislazuliblau, das aussieht wie gemalt.
Doch man ist nicht gefangen in einem in sich ruhenden Stillleben, sondern Teil eines tatsächlich existierenden Panoramafilms mit gehöriger Überlänge. Ein Zug zieht durchs weite Land: Der „Orient Silk Road Express“ rollt viele tausend Kilometer durch die Abgeschiedenheit Zentralasiens, eine Karawane auf der Seidenstraße, inzwischen allerdings auf der Schiene.
Träumereien aus Tausendundeiner Nacht
Im Bordradio ertönt zum Auftakt die traditionelle Rahmentrommel, dann erklingen Dotar und Tanbur, orientalische Langhalslauten. Das Bordbuch zeigt Moscheen, Mausoleen und Medressen, Paläste und Plätze. Multimedial wird man eingestimmt auf duftende Gewürze und wallende Stoffe, entwirft im Kopf ein Bild von geschäftigen Basaren und schwer bepackten Kamelkarawanen, die von Oase zu Oase kreuz und quer durch die Wüsten Karakum und Kysylkum ziehen. Man denkt an schwerreiche Händler, die monatelang unterwegs sind, und an talentierte Poeten und Künstler, die sich ihre Fertigkeiten als Wortzauberer und Handwerker teuer bezahlen lassen von den Emiren, Khanen und Kalifen.
„Das sind Träumereien aus Tausendundeiner Nacht“, lächelt Galina Shumilina. Die Usbekin hat Deutsch gelernt, als die Sowjetunion noch existierte, und anschließend als Übersetzerin gearbeitet. Inzwischen schlüpft sie in die Rolle der Reiseleiterin, wenn der „Orient Silk Road Express“ in ihrer Heimatstadt Buchara Station macht. „Natürlich wurde mit kostbaren Gütern gehandelt, es trafen sich die Kulturen der Welt. Der Mythos ist also berechtigt. Doch wer auf der Seidenstraße unterwegs war, musste sich auch vor Banditen fürchten, viele Strapazen in Kauf nehmen, und wurde von den verschiedenen Regenten mit Abgaben geschröpft.“
Buchara hat ihren einstigen Ehrennamen „die Edle“ auch heute noch verdient: Mehr als tausend Gebäude erinnern hier an die Glanzzeit der Seidenstraße, als die Stadt als eines der Zentren des Welthandels galt. Das Mausoleum der Samaniden, die Koranschule Mir-e-Arab und die Festung Ark, wo einst die Emire herrschten, sind über und über mit Fliesen verziert und mit Schnitzereien geschmückt.
Auch Erfindungen "reisten" über die Seidenstraße
Nach der aufreibenden Reise durch Gebirge, Steppen und Wüsten wirkten die luftigen Karawansereien Bucharas für die Reisenden wohl einst wie das Vorzimmer zum Paradies. Von überallher kamen die Händler: „Gold, Glas und Edelsteine gingen nach Osten. Die Chinesen waren auch Abnehmer von Pelzen aus Sibirien und den ,Himmelspferden’ aus der Steppe“, erzählt Galina Shumilina. „Porzellan, Perlen und Pfeffer aus Indien und China gingen nach Westen. Zuerst in die Metropolen des Orients, nach Isfahan, Bagdad und Damaskus. Und dann übers Mittelmeer bis nach Rom und Venedig.“
Nicht nur Güter reisten über die Seidenstraße, sondern auch Erfindungen und Ideen: Buddhismus und Islam verbreiteten sich entlang der Handelsroute, und das Schwarzpulver und der Steigbügel kamen ebenfalls über die zentralasiatischen Karawanenverbindungen nach Europa.
Einst zählten die Oasensiedlungen entlang der Seidenstraße zu den schönsten und bedeutendsten Städten der Welt. Weil Usbekistan seit der Unabhängigkeit wieder die Herrscher der Timuriden feiert und insbesondere den legendären (und legendär brutalen) Fürsten Tamerlan ( Timur Lenk) vergöttert, werden die historischen Gebäude Ziegel für Ziegel restauriert. Den Glanz vergangener Zeiten erlebt man inzwischen auch wieder in Samarkand, wo mit dem Registan der schönste Platz Zentralasiens auf staunende Besucher wartet.
Er wird gerahmt von drei großen Medressen mit zu bunten Bildern arrangierten Keramikfliesen auf prunkvollen Portalen, dahinter funkeln die lasierten Kuppeln der Moscheen. Um die Ecke liegen die Gräberstadt Schar-e-Sende, eine historische Sternwarte, und das protzige Mausoleum von Gur Emir, der anscheinend nicht nur zu Lebzeiten, sondern auch nach dem Dahinscheiden einen Palast nötig hatte.
Durch Zentralasien auf eigene Faust?
Noch beeindruckender ist nur das Städtchen Chiwa in der Wüste Kysylkum: 2500 Jahre alt und beschützt von einer mächtigen Mauer aus Lehmziegeln. Im historischen Zentrum verläuft man sich prompt. So eng und verwirrend sind die Gassen, dass die Karawane der Touristen nicht überallhin vordringen kann. So entdeckt man Bauwerke mit Patina, deren verblassende Schönheit in keinem Reiseführer gepriesen wird, und stößt auf einen zahnlosen Händler, der einen per Zeichensprache auffordert, Granatäpfel und Süßigkeiten zu probieren.
Auch heute noch kann es beschwerlich und kompliziert sein, Zentralasien ganz auf eigene Faust zu erkunden – kaum jemand spricht Englisch, die Wege sind weit, und autoritär regierte Länder wie Turkmenistan wollen ohnehin lieber Gas und Öl verkaufen als Besucher sehen, die Witze reißen über den Personenkult um den Präsidenten.
Wer nicht tagelang im Bus sitzen will, um von Ort zu Ort zu fahren, reist auf Schienen und übernachtet die meiste Zeit im Sonderzug. „Wir könnten mit 160 Kilometern in der Stunde unterwegs sein. Etwas langsamer ist es aber deutlich komfortabler“, sagt Zugchef Vladimir Ivanov.
Die meisten Gäste sitzen im Speisewagen
Bis vor Kurzem hatten die auf der Strecke eingesetzten Waggons alle schon ein paar Jahre auf dem Buckel – sie wurden noch zu Zeiten der DDR im „Volkseigenen Betrieb Waggonbau Görlitz“ gefertigt. Doch die usbekische Bahn hat sich ins Zeug gelegt und setzt auf dem Sonderzug nun modernisierte Schlafwagen ein. Die Zwei- und Vierbettabteile sind nett eingerichtet und haben bequeme Betten – wer sich die Kategorie „Kalif“ leistet, bekommt auch ein privates Badezimmer.
Die meisten Gäste verbringen ihre Zeit aber nicht im Abteil, sondern lieber im orientalisch dekorierten Speisewagen: Dort gibt es Bier und usbekische Weine, während draußen die Landschaft vorüberzieht.
Die ist indes nicht überall so, wie man sich die Seidenstraße erträumt: Rund um die ausufernden Metropolen säumen Ruinen und Industriebrachen die Schienen. Auf dem Land bleiben von den großen Plänen der großen Planer, die überall in der Steppe Baumwolle gepflanzt haben wollen, oft nur glitzernde Kristalle auf versalzten Böden.
In den Gassen der legendären Handelsplätze pflegt man indes das traditionelle Handwerk. Alte Künste erwachen zu neuem Leben: Goldsticker und Miniaturmaler, Teppichweber und Töpfer, Kunstschmiede und Färber, Instrumentenbauer, Puppenmacher und Papierschöpfer arbeiten wie anno dazumal vor historischer Kulisse.
Das Kunsthandwerk wird wieder geschätzt
Im Kommunismus war die Fingerfertigkeit der Künstler nicht mehr gefragt. Das ändert sich gerade – auch, weil immer mehr Besucher als Abnehmer infrage kommen. „So genau wie die Alten Meister können wir zwar nicht mehr arbeiten: Die hatten Techniken, die heute niemand mehr beherrscht“, sagt Davron Toshev. „Schwierig ist auch die Suche nach dem richtigen Papier: Wir behelfen uns oft mit leeren Seiten aus alten Büchern. Aber wir bemühen uns.“ Der Miniaturmaler sitzt in seinem Atelier in Buchara schon mal einige Monate an einem nur wenige Quadratzentimeter großen Bild und verwendet ausschließlich teure Pinsel mit Katzenhaar, weil die besonders feine Striche ermöglichen.
In Samarkand lässt Abdullah Badghisi Teppiche knüpfen und Stoffe weben, mit alten Mustern aus Afghanistan, die man sonst nur in Museen findet. Nebenan weist Designerin Valentina Romanenko ihre Models an, bei Modenschauen fließende Märchenkleider aus Seide vorzu- führen, bevor sich die Frauen in Derwische, Jäger und Göttinnen verwandeln.
In Gijduvan fertigt Töpfer Abdullo Narzullaev archaische Fabeltiere aus vorislamischer Zeit. Und in ihrer Werkstatt in Buchara kann auch Stickerin Sebo Djumaeva von der Kunst leben, Gewänder von Hand mit goldenem Seidenfaden zu verzieren. „Früher durfte so etwas nur der Emir tragen“, sagt sie lächelnd, „heute könnten sich auch Normalsterbliche so etwas anziehen.“ Wenn sie sich’s denn leisten können.
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