zum Hauptinhalt
307625_0_22a2c5e3.jpg
© laif

Hawaii: Im Traum vom ewigen Sommer

Hawaii, Archipel der 137 Inseln, bedient den amerikanischen Geschmack. Wer nicht surft, lutscht buntes, geraspeltes Eis

Die Frau der amerikanischen Fluglinie schnalzt beim Einchecken in Frankfurt am Main mit der Zunge: „Ah – die Reise geht ins Paradies!“ Irgendwann einmal muss eine Imagekampagne für Hawaii ganze Arbeit geleistet haben. Denn auf dem Weg in den jüngsten US-Bundesstaat, der vor 50 Jahren als 50. Mitglied dem Staatenbund beitrat, wird der Spruch auch bei der Zwischenlandung in San Francisco an der Passkontrolle wiederholt. Sollte Hawaii jemals das Paradies gewesen sein, hat der Archipel mit 137 Inseln seine Unschuld längst verloren. Das jedoch hat der Anziehungskraft auf Touristen mit Träumen von hohen Wellen und ewigem Sommer keinen Abbruch getan. Im Gegenteil.

Am nächsten Morgen am Strand von Waikiki. Vor der wenig paradiesischen Skyline der architektonisch einfallslosen Bettenburgen von Honolulu geht es gleich zur Sache: ein überdimensionales Anfänger-Surfbrett unter den Füßen und im Nacken Kai, den hawaiianischen Lehrer der Hans Hedemann Surfschool: „Los paddel, was das Zeug hält! Schneller, nicht nachlassen! Ja, hinknien – und jetzt aufstehen! ruft er. Und korrigiert den Eleven: „ Nein – die Füße quer zum Brett!!“ Er lobt das Standvermögen und seufzt dann: „ Oh, oh my god... „

Der Ritt dauert knapp fünf Sekunden, dann ist’s zunächst vorbei mit der Herrlichkeit des Surf-Anfängers. Gleichwohl, der Held ist stolz, vor allem auch, weil er vermeiden konnte, sich an den scharfen Unterwasserfelsen die Haut aufzuschneiden. Fünf Sekunden, hey, nicht schlecht. Der Jetlag ist wie weggeblasen, die 24-stündige Anreise vergessen, die architektur-ästhetischen Zumutungen Honolulus sind abgehakt.

Noch vor gut 30 Jahren war Hawaii für 85 Prozent aller Touristen gleichbedeutend mit dem Strand von Waikiki. Das hat sich deutlich geändert. Big Island und Maui vor allem haben sich als eigenständige Destinationen etabliert – und Honolulu und die Insel Oahu sind 68 Jahre nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor (7. Dezember 1941) ziemlich fest im Griff der Söhne und Töchter Nippons.

Im führenden Hotel der Insel, dem Mandarin Oriental im ruhigen Vorort Kahala, geben sich japanischstämmige Hawaiianer fast im Stundentakt das Ja-Wort am hoteleigenen Strand. Im urigen Haleiwa stehen fast ausschließlich Japaner Schlange, um eine Portion geraspeltes Eis mit aromatisiertem Farbstoff zu ergattern. Und im Polynesian Cultural Center lassen sich japanische Reisegruppen von Dolmetschern erklären, was die Animateure über das Erklettern von Kokospalmen oder das Spiel auf einer Nasenflöte zu sagen haben. Der benachbarte Waimea Falls Park allerdings, der größte botanische Garten der Insel, lockt trotz überbordender exotischer Flora und Badeteich an einem Wasserfall kaum einen Japaner an.

Die winzige Insel Lanai ist eher ein Unikum im Archipel. Auf Nachtschwärmer oder allein an Sehenswürdigkeiten interessierte Menschen wirkt sie eher abschreckend. Die ehemals größte Ananasplantage der Welt – wie fast ganz Lanai in Besitz der Dole Pineapple Company – lebt zwar inzwischen zu fast 100 Prozent vom Tourismus, aber der verteilt sich im Wesentlichen auf zwei Hotels, beide gemanaged vom kanadischen Four Seasons-Konzern. Die Lodge at Koele im Landhausstil zieht vor allem Golfer, Jäger und Tontaubenschützen an. Und das Manele Bay eher den strandorientierten Besucher. Weltbekannt wurde das 236-Zimmer große Haus, als Bill Gates hier seine Hochzeit feierte und dafür die gesamte Insel und sämtliche Charterboote der Gegend mietete.

Den stärksten touristischen Aufschwung hat in jüngster Vergangenheit jedoch Maui genommen. An der Westküste reiht sich zwischen Kihei und Waimea Luxushotel an Luxushotel. Allen voran das Four Seasons und das Grand Wailea Resort, mit eigenen, allerdings wie auf Hawaii üblich, frei zugänglichen Stränden, mit Getränkeservice an den Badeliegen und Hunderten von Zimmern. Auch der ehemalige Walfänger-Ort Lahaina hat sich zu einem ganzjährigen Touristenmagneten verwandelt.

Doch gottlob gibt es auch noch Hana auf Maui. Das winzige Städtchen an der Südostküste zu Füßen des mächtigen Haleakala-Kraters hat sich seinen althawaiianischen Charme erhalten. Nur über Schotterpisten oder die kurvenreiche „Road to Hana“ (80 Kilometer mit 54 nur einspurig befahrbaren Brücken) erreichbar, finden sich hier außer durchreisenden Tagestouristen lediglich wenige Individualisten ein. Berühmteste Bewohnerin: Talkshow-Superstar Oprah Winfrey. Sie kauft sich einen Hektar Land nach dem anderen für ihr persönliches Hideaway am Ende der amerikanischen Welt. Die anderen wohnen zumeist im für hawaiianische Verhältnisse ungewöhnlich weitläufigen Hotel Hana Maui.

Ursprünglich waren die wellblechgedeckten Häuser das Zuhause von überwiegend europäischen Vorarbeitern einer Zuckerrohrplantage. Nach und nach fühlten sich hier aber die schillernden Freunde und Bekannten des Plantagenbesitzers wohl. Um dem Nassauern ein Ende zu bereiten, gibt es die Cottages inklusive Meeresbrandung jetzt nur noch gegen harte US-Dollars. Dass auch dieser urwüchsige Ort die Bezeichnung Paradies nur fast verdient, belegt die Existenz eines winzigen Gerichtsgebäudes samt dreier winziger, fensterloser Gefängniszellen. Die sollen allerdings selten belegt sein.

Ganz Hana, so scheint’s, trifft sich tagsüber am schwarzen Sandstrand von Hamoa und schaut gebannt den halsbrecherischen Wellenreitern zwischen bedrohlich wirkenden Felsen zu. Die Abende verbringt man bei Livemusik mit leckerem Poké (marinierter Thunfisch mit Zwiebeln) und POG, (Pineapple-Orange-Guava-Juice), einem gesunden Cocktail. Natürlich gibt es auch härteren Stoff. Unter der überwiegend einheimischen Klientel finden sich übrigens fast immer auch ein paar kernige Cowboys. Denn Maui-Beef hat längst das nicht mehr profitable Zuckerrohr ersetzt.

Die stattlichste aller US-Ranches liegt keineswegs in Texas, sondern standesgemäß auf Big Island, wie die größte Insel des Archipels auch genannt wird. Die Parker-Ranch im beschaulichen Waimea erstreckt sich über rund 900 Quadratkilometer im kühlen Norden der Insel und ist damit flächenmäßig etwas größer als Berlin. Es gibt gutes Gras – für 60 000 Rinder. Und ansehnliche Refugien für die gebildete Belegschaft des nahen Vulkan-Observatoriums sowie Hawaiifans wie Clint Eastwood, der im benachbarten Puako seit langem eine Strandvilla besitzt. Säufer, Gestrandete und Bettler wie im Hauptort Kailua sieht man hier nicht. Dafür hat der Ort die besten Restaurants der Insel (Merriman’s und Daniel Thiebaut’s) und ein schrullig-liebenswertes Heimatmuseum.

Einige der Glanzlichter von Big Island kennt ein Deutscher – Thorsten Andresen. Seine Frau und er haben hier ihr persönliches Paradies gefunden. Und da sie mit amerikanischen Verhältnissen zurechtkommen müssen, reicht ein einziger Job nicht aus. Der Neu-Hawaiianer ist heute kenntnisreicher Touristenführer und stundenweise auch Geschäftsführer einer der Kaffeeplantagen von Kona. Von ihm erfährt man, was dieses vermeintliche Paradies zur Hölle machen kann: der Coqui-Frosch. Die einst aus Puerto Rico eingeführten Tiere sind zwar nur winzig, aber ebenso fortpflanzungsfreudig wie stimmgewaltig. Wenn sie in romantische Stimmung geraten, machen sie mehr Radau als ein viel befahrener Highway. Und warum sieht Andresen in Hawaii allen Widrigkeiten zum Trotz doch seinen persönlichen Ort der Glückseligkeit? Die Antwort fällt irgendwie deutsch aus: „Das Leiden fällt hier leichter!

Stefan Quante

Zur Startseite