"Mein Schiff 4": Im Takt der Tischzeiten
Die neue „Mein Schiff 4“ geizt nicht mit kulinarischen Genüssen. Allein den Abendshows fehlt noch der Pfiff. Ein Erfahrungsbericht von der Vorpremierenfahrt.
Ja, sind wir denn auf einem Geisterschiff? Es herrscht geradezu gespenstische Stille. Nichts ist zu hören, keine Vibrationen sind zu spüren, keine Schaukelei irritiert das Gleichgewichtsorgan. Ob unser Schiff schon am Kai festgemacht hat? Vorhänge beiseite, Balkontür auf. Offene Ostsee. Und die Sonne linst gerade erst über den Horizont.
Am Abend hatte die „Mein Schiff 4“ in Kiel – noch ungetauft – zur sogenannten Vorpremierenfahrt abgelegt. Jetzt, am frühen Morgen, kann Kopenhagen aber nicht mehr weit sein. Das Bordfernsehen zeigt: wenig Wind, nur 6,3 Knoten Fahrt. Der Kapitän lässt es also langsam angehen. Zum einen spart das Treibstoff, zum anderen ist schließlich für die Nautiker an Bord von Neubauten wichtig, besonders sorgsam in das Schiff hineinzuhorchen, um festzustellen, ob und gegebenenfalls wo noch an Stellschrauben gedreht werden muss.
Das ist normal. Gleichfalls nicht ungewöhnlich, dass Kreuzfahrtschiffe schon vor Taufe und Jungfernfahrt mit Passagieren unterwegs sind. So auch die „Mein Schiff 4“. Denn auf der ersten „offiziellen“ Reise muss alles funktionieren, jeder Handgriff zum Wohl der bis zu 2506 Gäste sitzen. Das gilt auch für das Servicepersonal. Wir lassen uns mal überraschen.
Das hat doch was
Nun also der vierte Streich von Tui Cruises, die „Mein Schiff 4“. In den kommenden Jahren will die Reederei aus Hamburg alle zwölf Monate ein neues Nümmerchen ziehen, sprich: Vier weitere Neubauten sind schon am Horizont zu erkennen. Die nahezu baugleiche „3“ wurde erst im vergangenen Jahr in Dienst gestellt.
Wer auf jenem ersten Neubau von Tui Cruises – die „1“ und „2“ waren Umbauten bereits bestehender „Dampfer“ – schon unterwegs war, darf also keine großen Überraschungen erwarten. Und doch ist es erstaunlich, wie viele Menschen wir an Bord treffen, die schon mit der Vorgängerin gereist sind.
„Obwohl wir wussten, dass wir nichts wesentlich Neues an Bord sehen würden, konnten meine Frau und ich es doch kaum erwarten, dieses Schätzchen kennenzulernen“, sagt Rolf, unüberhörbar gebürtiger Berliner, Marke Seebär, der seit 40 Jahren bei Hamburg wohnt.
Es war also weniger die Route der fünftägigen Reise, die gelockt hat? „Ehrlich? Nein, war es nicht. Kopenhagen, Göteborg, Oslo – kennen wir schon. Aber so ein paar Tage Ausspannen, noch dazu auf einem neuen Schiff, das hat doch was.“ Und? „Noch haben wir nicht alles gesehen, aber bisher: allet jut.“
Das Cockpit ist seine "Playstation"
In der Tat, es gibt wenig zu meckern. An der Anmutung des Schiffes aus Sicht der Passagiere schon gar nicht. Schiffsingenieure und Innenarchitekten haben ganze Arbeit geleistet. Die öffentlichen Bereiche sind großzügig gestaltet, die Einrichtungen überwiegend hell und freundlich, hier etwas frecher, dort eher gemütlich, doch immer zeitgemäß. Allein über die Farbgestaltung mancher Teppichböden wird es verschiedene Meinungen geben.
Doch mit der Technik ist einer, auf den es ankommt, besonders zufrieden. Kapitän Kjell Holm hatte vor einem Jahr bereits die „3“ von der Werft übernommen. „Da gab es bis zur Jungfernfahrt noch mehr als 1000 Punkte auf der Mängelliste. Bei diesem Schiff waren es nur rund 150, Kleinigkeiten, die wir schon fast komplett abgearbeitet haben“, sagt der 65-jährige Finne.
Seit knapp 51 Jahren fährt Holm nun schon beruflich zur See, doch im kommenden Jahr soll Schluss sein. „Ein Schiff mache ich noch, dann muss ich mich um mein Segelboot zu Hause kümmern“, verrät er verschmitzt. Das heißt, auch die „Mein Schiff 5“ wird er im Frühjahr 2016 von der Werft in Turku abholen und vermutlich während der für Mai geplanten Jungfernreise das Steuer übernehmen.
Aber was heißt schon Steuer auf einem modernen Schiff? „Dies hier ist meine Playstation“, sagt Holm und deutet auf das „Cockpit“ der Brücke, wo just zwei junge Offiziere sitzen, die alles im Blick und das Kommando haben. Einer von ihnen „denkt“ dabei immer laut, der andere hört, überprüft und bestätigt die Beobachtungen, während ein dritter Mann ständig durchs Fernglas die Wasseroberfläche voraus absucht.
Warum das denn? „Es gibt Dinge, die sind zu klein für das Radar. Etwa ein Segelboot oder ein verloren gegangener Container. Eine Kollision wäre für alle Beteiligten misslich, das wollen wir nach Möglichkeit vermeiden.“
Vier-acht-vier-acht – das ist der Lebensrhythmus auf der Brücke
Einige Bildschirme also, viele Knöpfe. Und reichlich Platz drum herum – die Brücke hat fast die Ausmaße eines kleinen Ballsaals. Mit Panoramascheiben. Allerdings herrscht weniger eine ausgelassene, sondern vielmehr eine ruhige Atmosphäre, knisternde Konzentration. Es wird auch kaum laut gesprochen. „Aufpassen müssen wir in jeder Sekunde, selbst wenn wir fast ausschließlich mit dem Autopilot fahren. Nur in ganz kniffligen Situation steuern wir von Hand“, erläutert der Kapitän.
Kein Wunder, dass die Schicht auf der Brücke nur vier Stunden dauert. Dann gibt’s acht Stunden frei. Vier-acht-vier-acht – das ist der Lebensrhythmus für die nautischen Offiziere auf der Brücke. Zwei Monate am Stück. Es folgen acht Wochen an Land, bevor der bekannte Takt wieder den Alltag bestimmt.
Auf einer ganz anderen Zeitschiene an Bord fahren natürlich die Passagiere. Wir wollen unsere Beobachtungen keineswegs überbewerten, doch ganz entscheidende Taktgeber sind offenbar die Öffnungszeiten der Restaurants. Nun ja, auch auf diesem Schiff ist das Angebot immens. Und an Qualität und Zubereitung der verwendeten Produkte werden bestenfalls notorische Nörgler etwas auszusetzen haben. Und mancher professionelle Restaurantkritiker. Natürlich.
"Nur ein Spritzer, tut gar nicht weh"
Mit einer Prise Humor und auch ein wenig Bewunderung sollte der Gast die Arbeit der „Frischlinge“ an Bord betrachten. Immerhin sind 20 Prozent des Servicepersonals erstmals auf einem Schiff, ein bunter Mix aus 47 Nationen, zum überwiegenden Teil von den Philippinen.
Und es macht sich bemerkbar, dass Letztere ganz besonders eifrig ein Angebot der Reederei in Anspruch nehmen: Deutschunterricht. Eine eigens angeheuerte Lehrerin unterrichtet zehn Stunden am Tag, damit die Kommunikation zwischen Personal und Passagieren noch besser klappt.
Erstaunlich und gleichfalls erfreulich, welche Anstrengungen die Reederei unternimmt, ihr Schiff sauber zu halten. Abgesehen davon, dass ständig irgendjemand saugt oder poliert – Hygiene wird ganz groß geschrieben. Das bedeutet auf Schiffen wie in Krankenhäusern vor allem: Hände waschen, Hände waschen, desinfizieren. Denn außer Feuer scheut die Besatzung anscheinend nichts mehr als grassierende Vireninfektionen an Bord. Insbesondere vor den Restaurants sind deshalb Handwaschbecken und Desinfektionsapparate installiert, zu deren Benutzung das Personal durchaus auch aktiv ermuntert: „Nur ein Spritzer, tut gar nicht weh.“
Großer, ja riesiger Aufwand wird auf vielen Kreuzfahrtschiffen stets in Sachen Unterhaltung getrieben. Zu einer Art Manie hat sich allerdings bei manchen Reedereien der Trend gesteigert, die ganz große Bordunterhaltung bieten zu wollen. So auch bei Tui Cruises, die dazu in Berlin gar eine eigene Produktionsfirma unterhält.
Klassische Konzerte statt Comedy auf RTL-Niveau
Der Theatersaal auf der „Mein Schiff 4“ kann sich auch durchaus sehen lassen: 1000 Plätze und eine aufwendige Bühnentechnik machen viel möglich. Allein, bei mancher Show kann sich der Zuschauer nicht des Eindrucks erwehren, dass sie am Gast vorbei produziert wird.
Das Sehnen aller Reeder nach einem „jungen“ Publikum treibt dann auch schon mal kuriose Blüten, etwa wenn die Cruise-Direktorin vor der Abendshow „Rock the Boat“ das Publikum zum Headbangen auffordert, also zur Musik von Bon Jovi, Bryan Adams und AC/DC ordentlich die (grauen) Mähnen zu schütteln …
Das kleine Ensemble von Musikern, Schauspielern und Artisten müht sich nach Kräften in allen Darbietungen, nur der Gast muss sich darüber im Klaren sein: Auch bei Tui Cruises werden trotz hohen Anspruchs keine Broadway- oder Las-Vegas-Shows geboten. Und das nur nebenbei: Mit Comedy auf RTL-Niveau tut die Reederei sich keinen Gefallen und ihren Gästen unrecht. Hingegen können sich Seefahrer freuen, die einen Törn erwischen, auf dem klassische Konzerte oder seriöse Vorträge namhafter Lektoren zu erleben sind.
Überhaupt das „Klanghaus“. Schon an Bord des Vorgängerschiffs wurde es als „erste kammermusikalische Philharmonie auf See“ gepriesen. Es sieht nach nichts aus, ist allerdings ein 200-Personen-Saal, der es in sich hat. Das heißt: Digitale Technik vermittelt auch dem Zuschauer in der letzten Reihe jedes Tönchen in so reiner Form, dass er sich – mit geschlossenen Augen – in der Philharmonie wähnen darf. Und wenn keine Vorstellung läuft, ist das „Klanghaus“ das stillste Örtchen an Bord. Bei geschlossenen Türen dringt kein Geräusch ein, es herrscht geradezu gespenstische Stille.
Rund ums Schiff
DIE NACKTEN FAKTEN
Werft: Meyer Turku Oy
Taufe: 5. Juni in Kiel
Schiffslänge: 295 m
Schiffsbreite: 35,8 m
Vermessung: 99 500 BRZ
Tiefgang: 8,05 m
Anzahl Decks: 15
Besatzung: etwa 1000
Flagge: Malta
Antrieb: dieselelektrisch
Antriebsleistung: 28 000 kW
Geschwindigkeit: max. 21,7 kn
Kabinen Öffentliche Bereiche
Passagiere: 2506
Passagierkabinen: 1253
123 innen (2 barrierefrei)
97 außen (4 barrierefrei)
957 mit Balkon (4 barrierefrei)
64 Junior-Suiten
12 Suiten (mit eigener Lounge)
Öffentliche Bereiche
Fläche Außendeck: 17 795 m²
Spa & Sport: 1900 m²
Restaurantfläche: 4952 m²
Restaurants & Bistros: 11
Bars & Lounges: 11
DIE KABINEN
Erfreulich hell, erwartungsgemäß modern eingerichtet. Von Nespresso-Maschine und Flachbildfernseher bis zu Bademänteln, Slippers und den hotelüblichen Kleinigkeiten im Bad ist alles vorhanden. Die meisten Kabinen sind 17 Quadratmeter groß, „Familienkabinen“ (sechs Personen möglich) bis zu 44 Quadratmeter. Die größten Suiten mit Veranda messen 54 Quadratmeter.
DAS KULINARISCHE
Vorab: Tui Cruises fährt auch auf dem neuen Schiff sein Premium-Alles-Inklusive genanntes Konzept. Das bedeutet, bei Essen und Trinken wird das Bordkonto nicht belastet, es sei denn, den Gast kitzeln ganz besondere Wünsche, wie etwa Edel-Schampus oder Filets von massierten Rindern. Beliebtester Anlaufpunkt morgens, mittags und abends ist das „Atlantik“ in seinen drei Varianten Klassik, Mediterran und Brasserie. Es geht fein, aber leger zu – und der Gast wird bedient. Standardmenüs lassen sich problemlos kombinieren, die mit iPod statt Kuli und Zettel ausgerüsteten Servicekräfte sind ausgesprochen flexibel.
Das Büfett-Restaurant „Anckelmannsplatz“ bietet von 7 bis 21 Uhr 30 fast durchgängig qualitativ wertige Speisen.
Erstaunlichen Anklang findet auch das Bistro „Tag und Nacht“, das rund um die Uhr Pizza, Pasta, Burger und Currywurst vorhält. Und das Sylter „Gosch“ hat ebenso seine Fans wie die „Eisbar“.
Gegen zivilen Aufpreis wird in folgenden Restaurants serviert: „Richards“ (Gourmet), „Surf & Turf“ (Fleisch und Meeresfrüchte), „Hanami“ (japanische Küche).
DIE FAHRTGEBIETE
Bis August törnt das Schiff noch ab Kiel in der Ostsee und bis nach Norwegen, im September ab Hamburg in Richtung Britische Inseln, danach in den Atlantik (Madeira, Kanaren, Kapverden, Marokko). Beispiel: Sieben Nächte Kanaren mit Madeira kosten in der günstigsten Kabine zwischen November und März ab 952 Euro, mit Flug ab Berlin beginnend bei 1402 Euro. Info: tuicruises.com
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