Reise durch den Iran: Teil 1: Im Spiegel der Mosaiken
Der Iran ist viereinhalbmal größer als Deutschland. Wüsten und gewaltige Gebirge prägen das Land, immer mehr Touristen wollen es entdecken. Die klassische Tour führt zu antiken Stätten, quirligen Basaren und uralten Moscheen. Und mitten in den Alltag. Eine Rundreise (1).
Landung auf dem Imam Khomeini Airport von Teheran. Kaum hat das Flugzeug aufgesetzt, zupfen die weiblichen Passagiere emsig Tücher und Schals aus den Taschen und binden sie, mal mehr, mal weniger geschickt, um den Kopf. Wie hatte die Lufthansa-Stewardess kurz zuvor durchgesagt? „Bitte beachten Sie, dass im Iran besondere Kleidungsvorschriften herrschen. Frauen sind verpflichtet, ein Kopftuch zu tragen. Das gilt bereits beim Betreten des Flughafens.“
Die Frauen tun ihr Bestes. Fest verknoten wir die Tücher unterm Kinn. Hinter der Passkontrolle wartet Reiseleiterin Fariba, vielleicht vierzig und bildhübsch. „So fest müssen Sie’s nicht binden“, sagt sie lächelnd. „Wir sind hier im Iran, nicht in Saudi-Arabien.“ Es reiche, die Tücher locker über dem Kopf zu drapieren. Leichter gesagt als getan. So anmutig, wie es Fariba gelingt, werden wir es in den kommenden zwei Wochen jedenfalls nicht hinbekommen.
22 Uhr in der Zehn-Millionen-Stadt Teheran. Geordnet fließt der Verkehr auf der Autobahn in Richtung Zentrum. Bald erhebt sich rechterhand eine gigantische goldglänzende Kuppel, umgeben von vier ebenfalls goldfarbenen, himmelsstürmenden Minaretten. Lichter strahlen in Grün. Welch eine Moschee! „Das ist das Mausoleum von Khomeini“, korrigiert Fariba. Gleich nach dessen Tod 1989 habe man mit dem Bau begonnen, und wann er fertig werde, sei ungewiss. Ein riesiger Komplex mit Krankenhaus, Pilgerzentrum, islamischen Hochschulen und Einkaufszentren soll entstehen. Alles aus Spenden finanziert, heißt es.
Ein Land, dessen Kultur sich 3000 Jahre vor Christus zu entwickeln begann. So viel Geschichte! Wie taucht man da ein? Das Nationalmuseum bietet sich an. Dorthin zu gelangen, ist vertrackt. Was vier Räder hat, steht tagsüber meist im Stau. Zwar nutzen über eine Million Menschen täglich die U-und S-Bahnen, aber die Hälfte der Bewohner und die zahlreichen Pendler sind in Privatautos, Taxen und Bussen unterwegs. Fußgänger müssen mutig sein. Auf eine Lücke im Strom der Autos zu warten ist sinnlos. Fariba marschiert einfach los. „Zügig gehen und niemals stehen bleiben“, befiehlt sie. „Das irritiert unsere Autofahrer nur.“ Es funktioniert, doch ist man jedes Mal froh, den rettenden Bordstein zu erreichen.
Das Nationalmuseum ist beängstigend. Was haben sie darin alles versammelt! Keramikgefäße, Bronzen, Siegel, Münzen, Statuen, Stelen, Mosaiken ... Dabei ist nur ein Bruchteil aller Schätze ausgestellt. „Allein in Persepolis hat man 30 000 Tontafeln ausgegraben“, sagt Fariba und setzt hinzu: „Um die wertvollsten Funde zu sehen, müssen Sie allerdings in den Louvre nach Paris gehen.“ Von 522 bis 486 vor Christus lebte der Achämenidenkönig Darius. Er hatte Persepolis gegründet. Wie man ihm dort die Aufwartung machte, zeigt ein mehrere Meter langes Audienzrelief. Nacheinander präsentieren die Gesandten verschiedener Länder ihre Gaben. Ein beeindruckendes Kunstwerk. .
Prunk umgab die Mächtigen zu allen Zeiten. Im Nationalen Juwelenmuseum ist der mit tausenden Perlen bestickte Mantel zu bestaunen, in dem Schah Reza Pahlavi 1926 gekrönt wurde. Und was durfte sich Farah Diba, die Frau seines Sohnes aufsetzen? Anderthalb Kilo wiegt ihre Krone, 1545 Edelsteine blitzen darin. Hinter Panzerglas ruht auch der größte roséfarbene Diamant der Welt. 182 Karat soll er haben. Das erstaunlichste Objekt aber ist ein Globus aus über 50 000 Edelsteinen. Smaragde bilden das Meer, rubinfarben schimmert das Land, und der mittlere Osten glitzert in Diamanten.
Die Reichen wohnen im Norden
Vor dem Tajrish-Basar parkt ein Mini-Van. „Sittenwächter“, raunt Fariba. Zwei streng verhüllte Frauen nehmen ein junges Mädchen mit zu dem Wagen. Zwar trägt es eine lange Hose, aber das lockere Oberteil endet weit überm Knie. Noch zwei andere Iranerinnen werden abgeführt. Du lieber Himmel, was passiert jetzt mit den Mädchen? „Ach“, beschwichtigt Fariba, „sie werden zur Wache gebracht, dort ermahnt, und dann können sie wieder gehen.“
Teheran ist zweigeteilt in den ärmeren Süden und den reichen, hunderte Meter höher gelegenen Norden. „Im Süden ist die Luft oft stickig, im Norden kann man viel besser atmen“, sagt die Reiseleiterin. Wer es sich leisten kann, wohnt im Norden. Die Autos, die hier herumfahren, sind neuer, größer und blank gewienert. Viele ihrer Besitzer leben in den Appartementhäusern, die entlang der Schnellstraße in schwindelnde Höhen gewachsen sind. Zahlreiche Kräne beweisen, dass der Bauboom ungebrochen ist. „Die Inflation bei uns liegt bei 800 Prozent“, sagt Fariba. Eine Wohnung zu kaufen sei daher das Beste, was man machen könne.
Im Viertel Darband, am Fuße eines knapp 4000 Meter hohen Bergriesen, genießen Teheraner ihre Freizeit. Zahlreiche Ausflugsrestaurants sind entstanden, es gibt Buden für Süßigkeiten und Spielzeug. Besonders donnerstagabends und freitags, am muslimischen Feiertag, herrsche hier Geschiebe und Gedrängel. Aber auch an diesem Dienstag sind die Tische der Lokale gut besetzt. „Es gibt für die Menschen wenig Möglichkeiten zur Zerstreuung im Iran“, sagt Fariba. In den Kinos liefen aufgrund der Zensur kaum interessante Filme, Clubs und Diskotheken fehlten. Die einzige Abwechslung für viele Iraner sei es, essen zu gehen.
Der Golestan-Palast ist eine Oase im Moloch der Metropole. 1588 wurde mit dem Bau in einem weitläufigen Garten begonnen. Ein Refugium der Könige. 1967 wurde hier Mohammad Reza, der letzte Schah gekrönt. Die Golestan-Anlage besteht aus mehreren Gebäuden. Eins davon, der mit tausenden Spiegelmosaiken geschmückte Empfangspalast, zeigt heute Kunstgegenstände und Geschenke aus aller Welt. Wertvolles ist nicht zu sehen. Gleich nach der Revolution 1979 habe man vieles zur Auktion gegeben, erzählt Fariba. „Erst ab Mitte der 90er Jahre durften wir den Palast betreten. Zur Schah-Zeit war es natürlich auch nicht möglich.“ Zwei eher schlichte Holzstühle stehen noch da, auf denen Farah Diba und ihr Gemahl gesessen haben sollen. Allerlei Kitsch ist vorhanden, dazu zwei monströse Standuhren, einst geschenkt von Queen Victoria.
Hamadan wirkt friedlich und freundlich
Raus aus der Stadt, in Richtung Westen. Wir fahren durch dünnbesiedeltes, karges braunes Land. In ständigem Wechsel rücken Berge heran und weichen wieder zurück. 300 Kilometer bis Hamadan. An der Strecke, vor allem an Ortseingängen, hängen große Plakate. Junge Männer sind darauf abgebildet. „Das sind Gefallene aus dem Irak-Iran-Krieg. Sie gelten als Helden, die wir nicht vergessen sollen“, erklärt Fariba. 1980 hatte der Krieg zwischen den benachbarten Ländern begonnen, acht Jahre dauerte er. Eine Million Menschen starben. Wofür? „Kein Millimeter Grenze wurde danach verändert“, sagt die Iranerin.
Hamadan wirkt friedlich und freundlich. Strahlenförmig zweigen sechs Straßen vom Imam-Khomeini-Platz ab. Kreisförmig ist er von zweigeschossigen Ziegelbauten umstellt. Geplant wurde das harmonische Ensemble in den 1930er Jahren von deutschen Architekten. Der Schah, fasziniert von europäischer Baukultur, hatte den Auftrag erteilt. Auf dem Platz grünt und blüht es, Menschen verweilen auf Bänken, sitzen auf Mäuerchen. „Woher kommen Sie?“, fragt uns ein Mann auf Englisch. Und freut sich sichtlich, als er „Deutschland“ hört. „Vielen Dank, dass Sie unser Land besuchen“, sagt er betont höflich. Es würde doch so viel Schlimmes über den Iran erzählt. Er hoffe sehr, dass wir uns wohlfühlen. Bald sind wir umrundet von zehn, zwölf lächelnden Einwohnern, „welcome, welcome“ rufen einige. Touristen sind selten in Hamadan.
Iraner pilgern hier vor allem zum Grab von Ebn-e Sina, einem der größten islamischen Philosophen und Physiker der Welt, 980 nach Christus geboren. Doch im Ort befindet sich auch das Grab der biblischen Esther und ihres Onkels Mordechai. Der Überlieferung zufolge soll die mit einem achämenidischen König verheiratete Esther ein Pogrom an der jüdischen Bevölkerung verhindert haben. Seither feiern die Juden das Purim-Fest.
„Aus aller Welt pilgern Juden zu uns“, sagt Nedjat Rassat, Vorsteher der kleinen jüdischen Gemeinde. Rund 25 000 Juden leben im Iran. „Khomeini hatte gesagt, dass ihnen kein Leid geschehen soll“, erklärt Fariba. Nicht die Juden seien unsere Feinde, sondern die Zionisten, habe er gepredigt. Neben dem Mausoleum steht eine kleine moderne Synagoge. Auf ihrem Dach in Zement geprägt prangt ein großer Davidstern.
Gibt’s hier keine Sittenwächter?
In Taq-e-Bostan bewundern wir kunstvolle Felsreliefs aus der Zeit der Sasaniden (4. bis 7. Jahrhundert). Jagdszenen der Könige sind zu entdecken, spannende Geschichten in Bildern. Lange habe man sich nicht um dieses Erbe gekümmert, bedauert Fariba. Umso erstaunlicher, wie gut es erhalten ist. Ein junges Paar in Begleitung eines älteren Mannes spricht uns an. „Wie finden Sie die Iraner?“, will die junge Frau wissen. „Sehr, sehr freundlich“, antworten wir. Freimütig erzählt sie: „Die letzten acht Jahre waren schwer, aber nun, mit Ruhani, hoffen wir, dass die nächsten acht Jahre besser werden“, erklärt sie.
Der ältere Mann, ein Händler aus der heiligen Stadt Qom steckt Fariba seine Telefonnummer zu. „Rufen Sie mich an, wenn Sie dort sind. Ich zeige Ihren Gästen die Stadt abseits der Moscheen.“ Qom wird unsere letzte Station sein. - „Oh, du nimmst in aller Öffentlichkeit die Telefonnummer eines fremden Mannes“, scherzt die junge Frau und zwinkert Fariba zu, „denk dran, wir leben in einer islamischen Republik.“ Beide Iranerinnen schütten sich aus vor Lachen.
Nebenan befindet sich ein schattiges Gartenlokal. Unter hohen Bäumen lagern junge Leute auf breiten, mit Teppichen ausgelegten Holzgestellen. Sie nippen an ihren Teegläsern. Einige Männer, aber auch Frauen, ziehen an Wasserpfeifen. Ihre Schals sind weit nach hinten gerutscht und geben viel vom tiefschwarzen, bisweilen auch blondierten Haar frei. Gibt’s hier keine Sittenwächter? „Selten“, sagt Fariba trocken.
In der safawidischen Zeit, also vom Beginn des 16. Jahrhunderts an, hätten Frauen sogar Königinnen werden können. „Zwei Jahrhunderte lang waren sie Männern vollkommen gleichgestellt“, erzählt die Reiseleiterin. Erst im 18.Jahrhundert sei der Tschador über die Türkei nach Persien gekommen. Schah Reza Pahlawi dann wollte das Land von 1926 an mit aller Macht modernisieren und verbot das Kopftuch. „Meine Großmutter war aber an den Tschador gewöhnt“, sagt Fariba. Unverhüllt habe sie nicht mehr rausgehen wollen.
Rund 300 Kilometer weiter südlich, in der Provinz Khuzestan, befindet sich das Zentrum der Ölförderung. Hunderte Bohrtürme ragen auf, der Himmel ist grau, obwohl die Sonne scheint. Je näher wir Shiraz kommen, umso höher werden die Berge. Die Straße schlängelt sich zwischen ihnen hindurch. Bald können wir die tiefen Schluchten und gewaltigen Gipfel nur noch erahnen, die Nacht bricht herein. Wir maulen ein bisschen. Wieso sind wir nicht im Hellen in dieser grandiosen Landschaft? „Hätten Sie die Stufenpyramide in Chogha Zanbil (Weltkulturerbe) etwa nicht sehen wollen?“, fragt Fariba sanft zurück. Bald zehn Stunden sind wir jetzt schon unterwegs. „Es ist nicht anders zu machen“, sagt die Reiseleiterin bedauernd. Der Iran ist viereinhalbmal größer als Deutschland.
Auf 1500 Metern Höhe ist das Klima angenehm
Allein für Persepolis bräuchte man einen ganzen Tag. 14 Paläste, Tore, Säulen, Terrassen. 520 vor Christus ließ König Darius die Stadt bauen. Errichtet wurde sie nicht von Sklaven, sondern von gut entlohnten Arbeitern, heißt es. Die 20-jährige Sohella passt vor dem Hundert-Säulen-Saal auf, damit niemand die Absperrungen übertritt. Mit ihrem langen Mantel und dem Kopftuch steht sie in der prallen Sonne. „Ihnen muss doch furchtbar heiß sein“, bedauert eine Touristin. „Hitze sind wir im Iran gewohnt“, wehrt sie lächelnd ab und freut sich, Englisch antworten zu können. Einen privaten Kurs kann sie sich aber nicht leisten. „Ich studiere die Sprache täglich zu Hause“, sagt sie stolz.
Fariba freut sich auf Shiraz. „Dort sind die Menschen lebenslustig und besonders freundlich“, schwärmt sie. Auf 1500 Metern Höhe ist das Klima angenehm. Das unterirdische Bewässerungssystem aus uralter Zeit funktioniert noch immer, die Stadt ist voller grüner Oasen. 160 Arten von Rosen wachsen im Botanischen Garten, Judas- und Kakibäume. Granatäpfel, Feigen und Citrusfrüchte reifen.
Der schönste Ort in Shiraz aber ist das Mausoleum des Dichters Hafis inmitten einer großartigen Gartenanlage. Als Achtjähriger habe der Sohn eines Kohlenhändlers den Koran schon auswendig gekonnt, weiß man. In zauberhaften Versen besang der spätere Mystiker die Liebe – und den Wein. In einer Zeile heißt es munter: „Schenke! den Pokal gefüllt für unsre durst’ge Tafelrunde ...“ Das wird leider nichts. Der Genuss von Alkohol ist im Iran streng verboten. Leider auch in Shiraz, wo sie aus den erlesenen Trauben seit 1979 Essig machen müssen.
Rund um Hafis’ Grab unter einem Säulendach stehen hohe Zypressen, in großen Töpfen blühen Bougainvilleen. Eine frische Rose liegt auf der verschnörkelten Alabasterplatte, die den Grabstein bildet. Immer wieder nähern sich Menschen, junge und alte, um den Stein zu berühren. Still huldigen sie dem „Dichter von Shiraz“. Manche setzen sich in die Nähe und lesen still in Versbüchern. Das Herz wird weich an diesem Ort. Wir wollen nicht weg.
Fariba lotst uns ins Hotel. „Es ist ja erst die Hälfte der Reise vorüber“, tröstet sie und verspricht: „Sie werden noch viel Schönes erleben.“
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