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Alles Käse? Von wegen. Der Markt im niederländischen Alkmaar ist für die Touristen ein köstliches Vergnügen.
© Johannes Bohmann

Kreuzfahrt: Holland um halvi nüni

Von Hannover nach Amsterdam per Schiff. Schweizer machen das – und akzeptieren an Bord auch Nicht-Eidgenossen.

Chrrüüzfahrt. Nein, das ist nicht Mittelhochdeutsch – das ist Schwyzerdütsch! Die Sprache, in der es „ragnet“, wenn es regnet. In der man „Weggli“ frühstückt und nicht Brötchen. Und in der ein Landausflug trotz „Ragens“ pünktlich um „halvi nüni“ beginnt. Pardon: überpünktlich! Schon wer eine halbe Minute verspätet im Bus sitzt, riskiert Blicke aufs Ührli. Da sage einer, wir Deutschen hätten die Pünktlichkeit gepachtet.

72 Schweizer Gäste also. Und einige wenige versprengte Deutsche. Gemeinsam auf Chrüzfahrt mit der beeindruckend renovierten „Excellence Coral“ (die frühere „Swiss Coral“), unterwegs von Hannover nach Amsterdam. Auf einer Route, die keinem deutschen Veranstalter im Traum einfiele. Doch warum eigentlich nicht? Schon der Auftakt wäre pfadfinderpreisverdächtig, käme einer der Etablierten darauf: von Hannover via Mittellandkanal und Weser nach Bremen über … Hoya! Wer hat denn von dem dortigen Grafenschloss jemals gehört? Das Verdienst dieses „Erstanlaufs“ gebührt dem Reisebüro Mittelthurgau aus Weinfelden in der Schweiz.

Bremen, der schönen Hanseatin an der Weser, gilt Tag zwei: Roland, Stadtmusikanten, romantische Gassen im Schnoorviertel – und die Sonne strahlt dazu, auf ein glänzend aufgelegtes Eidgenossenvölkchen, das einander duzt, wenn es Urlaub hat. Das sich an den Waadtländer Tropfen in der Weinkarte und dem Röschti im Mittagsmenü erfreut – und das auch deutsche Mitfahrer ohne viel Aufhebens adoptiert.

„Das willscht im Urlaub doch nicht hören. Oddr?“

Bei Elsfleth biegt die „Coral“ nun in die Hunte ein (ja, auch die ist schiffbar!), passiert Oldenburg und seine properen Stadtrandvillen am Übergang in den Küstenkanal. Dessen tiefbraunes Wasser gibt Rätsel auf: Torf, wie sie ihn hier abbauen, gibt’s in den Alpen weniger. Denn als eine damit beladene Schute uns an Backbord passiert, tippt man an der Reling auf „Kohle, oddr was meinscht?“. Selbst Cruise-Director Patrick, ein Mittelthurgauer Urgestein, zuckt mit den Schultern. Er fährt diese Route zum ersten Mal.

Womit eine der wichtigsten handelnden Personen vorgestellt ist: Bei einem Schiff dieser Größe ist der „CD“ Mädchen für alles. Er informiert, organisiert, improvisiert, er dolmetscht für die hochdeutsche Minderheit. Und morgens verliest er per Lautsprecher die neuesten Nachrichten – Horoskop gelegentlich inklusive – aus der Schweiz: „Wanderer mit gebrochenem Bein Nacht im Freien verbracht“, „Bank in Solothurn von Unbekannten überfallen“, „Pkw in Bach gestürzt – Fahrer wohlauf“. „Nahost oder Ukraine?“, sagt er grinsend, als ein deutscher Mitfahrer nachfragt, „das willscht im Urlaub doch nicht hören. Oddr?“

Recht hat er ja. Und wichtigere Gesprächsthemen gibt’s an Bord ohnehin. Die Dimensionen der Ozeanriesen etwa, denen wir beim Besuch der Meyer-Werft in Papenburg gegenüberstehen: Die – inzwischen ausgedockte – „Quantum of the Seas“ wird etwa fünfzig Mal so viele Menschen befördern wie unser Dampferchen. Oder die Weite des Wattenmeers: Von Emden aus geht es im Bus nach Krummhörn, wo man barfuß ein bisschen im Schlick wandern kann. Aber auch das beeindruckt die Bergbewohner: die Sicht, überall, bis zum Horizont, die es zu Hause ja selten mal gibt. Und die Dichte der „Spargel“, der Windkraftanlagen, im Tiefland der Energiewenderepublik Deutschland.

Schweizer mögen’s nüchtern

All das ist aber nicht anders beim Nachbarn: Über den Ems-Kanal schippern wir, vorbei an Groningen, von Ost- nach Westfriesland – nach „Fryslân“, wie es auf Niederländisch heißt. Sneek, Sloten und Hindeloopen sind die Ziele: Orte am Ijsselmeer, so puppenstubenhaft putzig, wie ihre Namen klingen. Mit malerischen Grachten, romantischen Häuschen, kopfsteinernen Gassen und immer irgendwo einer Windmühle zur Zier (nein, kein Spargel, sondern historisch): So stellt man sich Holland vor.

Dazu Kaiserwetter: Alles, was irgendwie paddeln, rudern, segeln oder tuckern kann – es muss in Holland mehr Boote als Menschen geben –, ist auf dem Wasser. Dabei haben sie hier heute gar nicht frei, sondern zu Hause in der Schweiz, wo der 1. August der Nationalfeiertag ist. Die Hymne spielt Alleinunterhalter Istvan dazu am Abend aber nicht. Ein paar Fähnchen am Büfett – Schweizer mögen’s halt nüchtern – müssen genügen. Vorschlag fürs Repertoire: Vielleicht sollten sie hier an Bord einmal jener Frau eine Hymne singen, die die Büfetts und vor allem die allabendlichen fünf Gänge zaubert? Tamara Rust, die Küchenchefin aus Österreich, ist nämlich ein kulinarisches Genie.

Der Käsemarkt in Alkmaar ist eine Sensation

Und „ne kölsche Jung“ ist Andreas Starke, der Käpt’n. Rheinisch-fröhlich also und immer ansprechbar. Nur als es übers Ijsselmeer geht, dann durch die Außendeich-Schleuse ins Wattenmeer und hinüber zur Insel Texel, da glänzt der Schweiß auf seiner Stirn. Denn der Wind ist kräftig, und die Wolken rasen. Bei so einer Brise mit einem Flussschiff aufs offene Meer, das macht auch er nicht alle Tage. Wer Texel kennt, weiß, dass es sich lohnt: Die Rundfahrt über die Insel, zu den schier endlosen Stränden und bizarren Dünenbergen, auf denen das Heidekraut gerade zu blühen beginnt, ist ein Höhepunkt. Trotz „Ragens“ zwischendurch.

Doch zurück auf dem Festland ist das „Watter“ schon wieder besser, und Alkmaar, unsere vorletzte Station, kann sich in aller Pracht präsentieren: Der Käsemarkt ist trotz touristischen Rummels eine Sensation. Im Laufschritt expedieren die Käseträger die goldgelben Kuller hin und her. Und die Meisjes – sie gehen zur Freude der Schweizer tatsächlich in Holzschuhen umher – liefern Fotos fürs Herz. Nur Patrick hat das wohl verpasst: Er geht lieber zum Denkmal für Rudi Carrell, den berühmten Sohn dieser Stadt. Ein Vorbild? Fast meint man, dass er abends noch besser gelaunt als sonst ins Mikrofon spricht. Sicher war er auch ein bisschen erleichtert. Weil diese Reise, trotz Verspätungen und Verzögerungen hier und da, gut verlief. Was ja nicht immer der Fall sein muss.

Johannes Bohmann

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