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Sandmeile am Pigeon Point – die wahrscheinlich meistfotografierte (und meistbesuchte) Badestelle auf Tobago. Doch wer sich hier losreißen kann, findet viele kaum minder schöne Abschnitte.
© p-a

Wandern in der Karibik: Hinter der nächsten Palme links

Tobago verlockt zum Faulenzen am Strand. Wem das zu langweilig ist, kann das Karibikinselchen zu Fuß umrunden. In vier Tagen ist es geschafft.

„Zu Fuß? Machst du Witze?“ Der Wunsch, eine Wanderung rund um Tobago zu machen, stößt bei meinem Gastgeber in Trinidads Hauptstadt Port of Spain auf Unverständnis. Wie die meisten seiner Landsleute bewegt er sich nur ungern per pedes. „Aber du kannst doch einen Leihwagen nehmen!“ Trotzdem bringt er seinen exzentrischen Gast mit dem Auto zum Hafen. Von dort geht es per Schiff rund 120 Kilometer übers Meer bis an den Kai von Scarborough, dem Ausgangspunkt des auf vier Tage angesetzten Ausflugs, der für einen fitten Fußgänger eine lösbare Aufgabe sein sollte. Mit einer Fläche von rund 300 Quadratkilometern ist Tobago kleiner als München, und das zentrale Bergland erhebt sich nirgends mehr als 600 Meter über den Meeresspiegel.

Das touristische Zentrum Tobagos links liegen lassend führt meine Wanderroute nach Norden, vorbei an der Festung Fort George, die gut erhalten über Scarborough thront, und deren Kanonen an die Herrschaft der britischen Imperialmacht von 1804 bis zur Unabhängigkeit im Jahre 1962 erinnern. Nach einigen Kilometern Landstraße biegt ein staubiger Feldweg ab, hinein ins grüne Herz der Insel. Bambuswäldchen wechseln ab mit Wiesen und kleinen Koppeln, wo im Schatten von Bäumen Rinder in der Mittagshitze dösen. Selbst die sonst so lauten Vögel sind still. Die Natur scheint Siesta zu halten.

Erfrischt durch ein Bad in einem kühlen Flusslauf geht es zügig voran bis Mason Hall, einem kleinen Nest auf halbem Wege zur Nordwestküste. Passanten auf den Straßen grüßen den Fremden freundlich. Ein angenehmer Kontrast zu den herausfordernden, manchmal feindseligen Blicken und Bemerkungen, denen man in Trinidad oft ausgesetzt ist, besonders von Seiten Jugendlicher. Die Bewohner Tobagos, gut 54 000 an der Zahl, strahlen dagegen eine selbstbewusste Gelassenheit aus, Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft werden großgeschrieben, auch und gerade Fremden gegenüber. Die Droge Crack, eine Kokainvariante, die auf der Nachbarinsel seit den 1980er Jahren zur Kriminalisierung und Verelendung vieler, vor allem junger Menschen geführt hat, ist auf Tobago kaum verbreitet.

Eine schmale Straße führt von Mason Hall bergan nach Moriah. Autos stoppen spontan und man lädt zur Mitfahrt ein, was zur Verblüffung der freundlichen Motoristen dankend abgelehnt wird. „You German?“, fragt ein junger Traktorfahrer. Das habe er gleich gewusst, erklärt er auf meine Bestätigung hin. Nur ein paar Deutsche und einen Schweizer habe er hier schon mal herumlaufen sehen, Amerikaner wären nur mit dem Auto unterwegs.

Von Moriah aus geht es bergab, steil schlängelt sich eine holprige Piste gut zehn Kilometer zur Küste hinunter, gelegentlich erlauben Einschnitte in der üppigen Vegetation einen Blick auf den Ozean, der, einem strahlenden Diamanten gleich, blauweiß in der Sonne blitzt. In der Ferne ragen Felsen wie steinerne Finger heraus aus dem glatten Meeresspiegel, auf meiner Karte sind sie als „The Sisters“ markiert. Vorbei an der Castara Bay führt der Weg immer tiefer hinab, bald lässt sich das Rauschen der Brandung hinter dem Blättervorhang vernehmen. Ein paar Meter durch dichtes Unterholz und schon stehe ich vor dem Atlantik, der zum Baden einladend an den weißen Sandstrand wogt. Welch ein Unterschied zu Trinidad, wo die trüben Fluten kleine Teerklümpchen ans Ufer spülen, wo Strände mancherorts als Mülldeponien missbraucht werden.

Wie Robinson Crusoe

Willkommene Erfrischung. Wasserfälle gibt es allenthalben auf Tobago.
Willkommene Erfrischung. Wasserfälle gibt es allenthalben auf Tobago.
© Yadid, p-a

Keine Menschenseele weit und breit. Schroffe Felsklippen begrenzen eine kleine Bucht wie aus dem Bilderbuch: Der schmale Strand ist gesäumt von einer grünen Wand wild wuchernder Pflanzen, grellbunte Blüten leuchten aus dem Dickicht, Kokospalmen wachsen in den Himmel. Auf dem Boden jagen pfeilschnelle Eidechsen schillernden Insekten nach. Das idyllische Bild evoziert Robinsonträume, ich will die Nacht hier unter freiem Himmel verbringen.

Wie überall in den Tropen bricht die Dunkelheit rasch herein. Sie bereitet die Bühne für ein faszinierendes Naturschauspiel: Hoch oben in den Palmwipfeln blitzen kleine Lichtpunkte auf, hunderte von Leuchtkäfern taumeln wild durcheinander – ein wahres Feuerwerk entfesselter Glühwürmchen, wunderbarer anzuschauen als manch pyrotechnisches Spektakel der bei uns üblichen Art.

Früh am Morgen setze ich meinen Weg entlang der Nordwestküste fort. Die Namen der Buchten zeugen von bewegter Geschichte: Englishman’s Bay, Bloody Bay, Man of War Bay, Pirates Bay. In den Jahrhunderten nach der Entdeckung durch Christoph Kolumbus anno 1498 kämpften Kolonialmächte blutig um die Insel. Hauptleidtragende der Auseinandersetzungen waren die aus dem nahe gelegenen südamerikanischen Orinoco-Delta stammenden Ureinwohner, die eingeschleppten Krankheiten, Gewalttaten oder Sklavenjägern zum Opfer fielen. Wiederholt wechselten sich Spanier, Engländer, Holländer und Franzosen in der Regierung ab, bis die Vorherrschaft 1804 endgültig an die Briten fiel, die Tobago 1877 zur Kronkolonie erklärten.

Nach einem zermürbenden Marsch, auf und ab durch die zerklüftete Küstenregion, erreiche ich am Nachmittag erschöpft Charlotteville, ein hübsches Fischerdorf am Nordzipfel Tobagos. Eng schmiegen sich weiße Holzbauten an üppig grüne Hügel, winzige Gassen und schmale Treppen verbinden Höfe, Straßen und Plätze. Am Ort herrscht munterer Alltag: Hirten treiben Kühe zum Melken, Frauen hängen Wäsche zum Trocknen auf, Kinder nutzen eine mit Wasser gefüllte Tonne zum Bad.

Im kleinen Hafen bergen Fischer ihren bescheidenen Fang. Stolz präsentiert einer der Männer eine riesige Krabbe mit Respekt einflößenden Scheren. Wenn ich das Krustentier kaufte, könne er es gleich von seiner Frau zubereiten lassen. Hungrig folge ich dem Fischer, vorbei an einem alten Autowrack, das auf originelle Weise in den Vorgarten eines Bungalows integriert wurde.

Der Rastaman und die Krabben

Cool bleiben heißt es vor allem beim Karneval in Port of Spain.
Cool bleiben heißt es vor allem beim Karneval in Port of Spain.
© Claudia Steiner/dpa

In der Wohnung empfängt mich die Fischersfrau wie einen alten Bekannten. Nach einem schmackhaften Mahl aus Krabbenfleisch, Fisch, Gemüse und Reis finden sich Freunde des Hauses ein. Sie schärfen mir ein, mich bei der Wanderung vor Skorpionen in Acht zu nehmen. Man zeigt mir ein großes Marmeladenglas voller Rum, in dem einige unangenehm aussehende Exemplare treiben. Sollte ich doch einmal gestochen werden, helfe mir ein Schluck von diesem Sud. Beim Umtrunk mit verdünntem Rum erzählen die Dörfler von ihren Sorgen und Nöten. Man klagt über die wegen Überfischung durch modern ausgerüstete ausländische Fangflotten immer spärlicher werdenden Erträge und über Korruption in den Behörden.

Noch benommen vom Gelage krieche ich am nächsten Vormittag aus dem Bett. Es ist Sonntag, auf der Straße schreiten einige festlich gekleidete Kinder zur Kommunion. Die überwiegend schwarze Bevölkerung Tobagos ist fast ausnahmslos katholisch.

Der Vertreter einer anderen Konfession, die den Rauch von Marihuana dem Weihrauch vorzieht, begegnet mir später kurz vor Speyside, auf der anderen Seite der Insel. Bis zu den Knien im Wasser stehend grapscht er geschickt faustgroße Krabben aus einem Bach und verstaut sie in einem Korb. Seine unter einer ballonartigen, bunten Wollmütze verborgene Lockenpracht weist ihn als Rastafari aus, einen Jünger des einstigen Königs von Äthiopien, Haile Selassie. Er bietet mir eine Mango nebst Bananen an und outet sich als Fußballfan, der etliche Bundesligaspieler mit Namen kennt. Er erzählt mir von einem vor Speyside liegenden Inselchen, Little Tobago, das ornithologische Kostbarkeiten bergen soll. Ein früherer Besitzer, Sir Walter Ingram, hatte die ehemalige Plantage dort in einen Naturpark verwandelt, und als Krönung seiner Schöpfung einige Dutzend Paradiesvögel aus Neuguinea importiert.

Die letzte Etappe der Wanderung führt am vierten Tag entlang der steilen Südostküste auf einer lebhaft befahrenen Straße von Roxborough über Pembroke zurück nach Scarborough. Einkehr. Im Restaurant sind einige Gäste schon stark angeheitert an diesem Abend. Johlend wird der Neuankömmling begrüßt, und nach einem Freundschaftstrunk mit reichlich Rum erhält er das gewünschte Mahl, ein köstlich duftendes Fischcurry. Schon der erste Bissen treibt mir Schweiß auf die Stirn, Tränen schießen in die Augen. „Echte Tobagoer Pfeffersauce“, sagt der Wirt strahlend.

Doch schnell macht sein Lächeln einer besorgten Miene Platz, als ich mich nach Luft ringend weigere, einen weiteren Bissen zu probieren. Ungläubig mustert der Kritisierte seinen sensiblen Kunden, der halbblind und benommen nach seinem Glas Wasser tastet. Es dauert eine Weile, bis ich dem Wirt begreiflich gemacht habe, dass ein deutscher Durchschnittsgaumen der lukullischen Potenz seiner Hausmacher-Sauce nicht gewachsen sei. Schließlich kommt eine neue Portion Fisch auf den Tisch – ohne zusätzliche Würzkraft.

Ralph Umard

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