Schwarzwald: Grün macht keinen Spaß
Im Winter wollen die Gäste am Feldberg vor allem eins: Schnee. Wenn er fehlt, greift Plan B.
Über Nacht ist Schnee gefallen, schöner, pulvriger Schnee, der jetzt die Pisten bedeckt und im Sonnenlicht sicher wunderbar funkeln würde. Aber jetzt funkelt gar nichts, jetzt ist der Neuschnee kaum zu sehen, jedenfalls nicht von der harten Sitzbank des Zweierlifts aus, der auf den Gipfel des Feldbergs schaukelt. Dichter Nebel liegt über dem Gebiet, auf den Pisten sind kaum Konturen zu erkennen. Ein Skifahrer, der nicht aufpasst, kann leicht in einer der Schneewehen landen, die sich neben der Piste auftürmen. An diesem Tag ist die ganze Region von Neuschnee bedeckt, auch die tieferen Lagen.
Feldberg, der höchste Berg in Baden-Württemberg. Das hört sich gewaltig an, aber dieser Berg ist nur 1493 Meter hoch. Gleichwohl – er hat einen Vorteil: Er gilt als schneesicher. Und schon eine Schneedecke von 15 bis 20 Zentimetern genügt, damit man sich nicht die Ski ruiniert. Denn es gibt kaum Steine auf den Pisten. In den vergangenen sieben Jahren hat es insgesamt vielleicht eine Woche lang keinen Schnee gegeben, besser gesagt: zu wenig Schnee, um Ski fahren zu können. Die Saison dauert in der Regel von Mitte November bis April, Mai. Es gab schon Jahre, da fiel selbst im August Schnee.
14 Liftanlagen, vom putzigen Kinderschlepplift bis zum Sechser-Sessellift transportieren bis zu 24 000 Skifahrer pro Stunde zum Gipfel, 16 Abfahrten sind im Angebot, mit allen Schwierigkeitsgraden, sogar eine Weltcup-Strecke wird am Feldberg ausgerichtet. Die längste Abfahrt, die Rothausabfahrt, endet allerdings nach rund drei Kilometern. Verglichen mit den Alpen ist das eher bescheiden. Aber den Urlaubern, die nicht allzu weit fahren wollen, ist das gleichgültig.
Direkt neben dem Kinderlift und ein paar Meter vom Zweier-Sessellift liegt wie ein Monument der „Feldberger Hof“, ein Hotel mit der Optik eines Zweckbaus: rechteckig, hoch, optisch ohne Reize. Hinter der Fassade verbirgt sich allerdings die ganze Palette an Ablenkung und Aktivitäten, die ein modernes Familienhotel bieten kann. Wer hier Quartier nimmt, ist binnen Minuten auf der Skipiste. An einem Tisch in einer beschaulichen Ecke sitzt Mike Böttcher, der Hoteldirektor, und sagt: „Der Feldberg ist fast immer schneesicher, aber sobald man ein paar Kilometer fährt, zum Beispiel nach Hinterzarten, sieht es dramatisch anders aus.“ Hinterzarten ist 18 Kilometer entfernt.
Man kann diese Dramatik schnell erkennen. Man kann sie an einem Tag sehen, an dem es in der Nacht nur auf dem Feldberg und nicht in der ganzen Region geschneit hat. Schon ein paar Höhenmeter tiefer, in der kleinen Gemeinde Bärental, sieht dann das Gelände aus wie ein grün-braun-weißer Flickenteppich. Zwischen Schneeresten liegen grün-braune Wiesen. Wintersport auf Naturschnee? Eine nette Vorstellung, leider nicht realisierbar. „Die Schmerzgrenze“, sagt Volker Haselbacher, „liegt bei 1000 Höhenmeter.“ Unterhalb dieser Marke, will der stellvertretende Geschäftsführer der Hochschwarzwald GmbH damit sagen, wird es schwierig, ohne großen Aufwand Pisten schneesicher zu präparieren.
Trotzdem: Der Wintersport ist im Hochschwarzwald, in Regionen unterhalb des Feldbergs, kein Auslaufmodell. Im Hochschwarzwald, in der Region Titisee, Hinterzarten, Todtnau, Fahl, da gilt Weiß als beherrschende Farbe. Und die Leute erwarten es genau so. „Die meisten kommen mit der Vorstellung von Winter und Schnee“, sagt Haselbacher. Ein Drittel der Gäste möchte Pisten runterflitzen, ein anderes Drittel durch Loipen ziehen oder durch den Schnee stapfen. Aber ohne Flocken geht eben nichts.
In Hinterzarten können Gäste unter Flutlicht die Piste runterwedeln
Die Gäste wollen Schnee – also liefert man ihn. Man kann schließlich künstlich beschneien. 80 Lanzen und 16 Schneekanonen decken in der Region die Pisten mit Kunstschnee ein. Lanzen sind Rohre, in denen Wasser nach oben gepumpt wird und dann aufbereitet als Kunstschnee zu Boden prasselt. „Die kleinen Liftbetreiber haben kräftig investiert“, sagt Haselbacher. Er weiß es sehr genau, er ist schließlich auch Marketingleiter des Liftverbunds Hochschwarzwald. Und damit haben die Liftbesitzer zugleich eine enorme strategische Entscheidung getroffen. Wintersport bleibt das Kernmerkmal der Region, das haben sie damit manifestiert. Schließlich haben da „viele kleine Familienunternehmen“ (Haselbacher) viel Geld für neue Beschneiungsanlagen ausgegeben. „Und die amortisieren sich erst nach 15 Jahren.“
Je tiefer eine Region liegt, umso mehr Geld musste in die Hand genommen werden. Aber dafür ist das Angebot für die Wintersportler gesichert. In Hinterzarten können Gäste sogar unter Flutlicht die Piste runterwedeln. Selbst an Tagen, an denen es zuvor länger nicht geschneit hat, sind rund 50 Lifte in Betrieb.
Bei Neuschnee und klirrender Kälte hat sich das Problem Schneesicherheit ohnehin entschärft. Nur die frühere Planungssicherheit ist im schleichenden Klimawandel dahingeschmolzen. „Wir hatten in den vergangenen Jahren heftige Ups and Downs“, sagt Haselbacher. „Es gab wunderschöne Winter mit viel Schnee und dann Monate, in denen es sehr warm war.“
Sehr warm, das ist das Problem. Deshalb denken sie in der Region auch zweigleisig. Natürlich denken sie auch an die Möglichkeiten, dass trotz Beschneiungsanlagen die Schneeverhältnisse einfach nicht gut genug für angenehmen Wintersport sind. Der Satz von Mike Böttcher im „Feldberger Hof“ steht für die Denkweise aller Urlaubsexperten. „Natürlich haben wir einen Plan B für die Zeit, in der mal das Klima total verrückt spielt.“
Dieser Plan B ist in Teilen längst Praxis. Das Familienhotel etwa bietet von der Kletterwand über die Badelandschaft und die Sporthalle ein Kontrastprogramm zum Wintersport. Das Angebot soll noch weiter ausgebaut werden. Das Hotel finanziert mit einem sechsstelligen Betrag auch einen der wichtigsten Besuchermagnete der Region. Die Hochschwarzwaldkarte ist eine Art All-inclusiv-Ticket fürs volle Gästeprogramm. Mit dieser Karte kann man mehr als 50 Freizeitangebote gratis nutzen, den Steinwasen-Park mit seiner Bergrodelbahn und dem Abenteuerspielplatz etwa oder das Badeparadies in Titisee, ein riesiges Wellnessbad mit Palmenoase und 18 Rutschbahnen. 250 Gastgeber – Pensionen und Hotels der Region – subventionieren die Karte. Sei zwei Jahren gibt es sie – auch als Antwort auf die Angst vor Schneemangel. „Die Hochschwarzwald-Karte“, sagt Böttcher, „ist das zentrale Element für die Gäste des Hochschwarzwalds.“
Plan B ist nicht unumstritten, wie sich beim Badeparadies in Titisee zeigte. Zu teuer erschien vielen der millionenschwere Bau. Irgendwann aber stand doch eine Mehrheit hinter dem Projekt. Zehn Gemeinden der Region schlossen sich zu einem Zweckverband zusammen, sie beteiligten sich an der Finanzierung. Den Rest übernahm ein privater Investor. Allein im ersten Betriebsjahr kamen über eine halbe Million Gäste zum Baden.
Aber wenn es mal wieder so eine Schneeperiode gibt wie vor ein paar Jahren, dann können sie auch in den tieferen Lagen Plan B erst mal locker ignorieren. Damals verschwanden selbst Wasserrohr-Leitungen, die auf Stelzen montiert sind, komplett unter einer weißen Decke. Der Schnee lag vier Meter hoch.