Dänemark: Gemütliche Hügel
Dänemark kann nicht unbedingt mit Bergen protzen. In Nordjütland finden Mountainbiker trotzdem ihr Terrain.
Dänemark ist „hyggelig“, sagt man. Das heißt so viel wie: „gemütlich“. Vor allem trifft das auf die kleinen Dörfer zu, wo reetgedeckte Fachwerkhäuser von Rosensträuchern umarmt werden. Wo der Wind das Gras auf den Wiesen föhnt und die Strände so weiß sind wie in der Karibik. Dänemark ist allerdings auch hügelig (Dänisch: kuperet). Zum Beispiel „Rold Skov“ in Nordjütland.
Dort führt der Guide Bjarne Platz eine Gruppe Mountainbiker durch den Wald. Die Stollenreifen hopsen über kleine Kuppen und Baumwurzeln, die noch glitschig sind vom jüngsten Regenschauer. Doch langsam fahren schadet hier sowieso nicht. Dann bleibt Zeit für einen Blick nach rechts und links. Dort stehen Buchen, deren Stämme aus dem Boden ragen wie die gekrümmten Finger einer Hexe. Hinter dem nächsten Gebüsch blinkt ein See, still und klar. Ein bisschen Nebel und etwas Fantasie würden den Zauberer Merlin aus dem Wasser steigen lassen. Selbst in hellen Mittsommernächten ist der Wald finsterer als andere Forste. Kein Wunder, dass sich hier früher Räuber versteckt haben sollen …
Der größte Wald Dänemarks liegt im jütländischen Himmerland und bedeckt mit gerade mal 70 Quadratkilometern weniger Fläche als zum Beispiel der Chiemsee. Doch Einheimische schätzen ihn zum Wandern und Mountainbiken. Damit die Zweiräder die Zweibeiner nicht stören, hat das dänische Generaldirektorat für Forst und Natur eine 23 Kilometer lange Strecke für Mountainbiker mit blauen Pfeilen ausgeschildert. Lohnt sich das denn für den, der rasante Abfahrten im Sinn hat? Tatsächlich sind die meisten Hügel eher „hyggelig“. Kaum einer ist höher als 100 Meter. Die höchste natürliche Erhebung in ganz Dänemark ist der Møllehøj in Ostjütland mit 170,86 Meter über dem Meeresspiegel. „Läppisch“, denkt der routinierte Biker. Doch Guide Bjarne ist anderer Meinung: „Es kommt nicht so sehr auf die Höhe an. Verausgaben kann man sich trotzdem“, sagt er und nimmt einen Schluck Wasser aus seiner Trinkflasche. „Wir fahren unsere ,Berge‘ mehrfach ab – von allen Seiten“, erklärt der Guide. In drei bis vier Stunden schafft er 15 Hügel aus allen Himmelsrichtungen.
An diesem Tag geht es gemächlicher zu – denken die Urlaubsbiker. Doch dann biegt Bjarne scharf links ins Gebüsch. Am Ende des Pfads landet die Gruppe im Rebild Bakker, einem Nationalpark im Hosentaschenformat. Hier stehen mit Heide und Wacholder bewachsene Hügel, die in der jüngsten Eiszeit entstanden sind. Sie sind klein, aber steil wie Kamelhöcker. „Bestes Up-and-downhill-Gebiet“, sagt Bjarne. Eigentlich darf man hier nicht fahren, Dänen tun das trotzdem gern – umweltpolitisch wenig korrekt. Der Guide mit der Figur eines Bodybuilders kommt oft abends nach der Arbeit, wenn der Park menschenleer ist und keine Picknicker unterwegs sind. „Es ist eine Freude, zu spüren, was die Muskeln hergeben“, sagt er und nimmt Anlauf für den 102 Meter hohen Sønderkol. Er ist so steil, dass selbst Bjarne kurz vor der Kuppe absteigen muss. Oben hat man einen herrlichen Blick auf den Wald und die benachbarten „Gipfel“, fühlt sich eher wie in Süddeutschland als in Dänemark.
Kurios: Das Gebiet Rebild Bakker wurde 1911 von einer Gruppe Amerikaner mit dänischer Abstammung gekauft und dem dänischen Staat geschenkt. Jedes Jahr findet am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, das „Rebild- Fest“ statt. Dann reisen tausende Auswanderer an, um sich in ihrer alten Heimat an frühere Zeiten zu erinnern und gemeinsam mit den Einheimischen zu feiern. Es gibt Countrymusic und Squaredance, und am Fuße des Sønderkol werden die dänische und die amerikanische Flagge gehisst. Gegenüber auf der Anhöhe steht das Lincoln-Blockhaus, ein Nachbau des Geburtshauses von Präsident Lincoln. Das Museum darin erzählt die Geschichte der dänischen Auswanderer.
Hanne Byrgesen und Peter Hassing laufen am Rebild-Fest zur Hochform auf. Die beiden betreiben den „Wild West Fun Shop“ und verkaufen dort Amerika-Souvenirs. Zum Festival tragen sie Cowboyhüte, braten Bisonsteaks und verkaufen Bier. „Die Amerikaner sind süß“, sagt die wasserstoffblonde Hanne über die Emigranten. Damit sie und ihr Partner in Übung bleiben, verkleiden sie sich an Sommerwochenenden als Indianerin und Pelzjäger, laden Urlauber zum Axtwerfen oder Pfeil- und Bogenschießen ein.
Auf dem Rückweg ist der Wald noch etwas düsterer als am Vormittag. Hat sich vielleicht jemand in der Kurve hinter einem dicken Stamm versteckt? Fehlanzeige. Bjarne hat keine Räuber bestellt. Für rund 155 Euro kann man allerdings ein paar wilde Gesellen mieten. Dann überfallen sie die Gäste und klauen auf Wunsch Rucksäcke oder Handtaschen. Hinterher singen sie fröhliche Lieder und schenken den Opfern Kräuterschnaps ein. Damit alles gut klappt, empfiehlt das örtliche Fremdenverkehrsamt auf seiner Homepage: „Wünschen Sie einen größeren Überfall, kontaktieren Sie bitte das Fremdenverkehrsbüro.“ Hauptsache, alles bleibt hyggelig.
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